OGH 4Ob38/13m

OGH4Ob38/13m18.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der C***** K*****, geboren *****, verstorben *****, zuletzt *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin G***** D*****, vertreten durch Dr. Ernst Gramm, Rechtsanwalt in Neulengbach, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 23. Jänner 2013, GZ 23 R 17/13t‑77, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 1. Oktober 2012, GZ 10 P 55/11g‑68, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Für C***** K***** war im Oktober 2011 eine Sachwalterin bestellt worden; im Februar 2012 ist sie gestorben. Die Antragstellerin, eine Nichte der Betroffenen, begehrt Einsicht in die im Sachwalterschaftsakt erliegenden medizinischen Unterlagen und das dort eingeholte psychiatrische Gutachten. Sie bringt vor, die Betroffene habe sie 2008 zur Alleinerbin eingesetzt. Ende November 2011 habe die Betroffene jedoch ein notarielles Testament errichtet, wonach die Antragstellerin nur mehr zu einem Drittel Erbin sei. Die Antragstellerin bezweifle die Gültigkeit dieses Testaments. Zur „entsprechenden Gestion, allenfalls zur Beweisführung in einem allfälligen Erbrechtsstreit“ habe sie ein rechtliches Interesse an der Einsicht in die medizinischen Unterlagen und in das Gutachten.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die Beklagte habe als Erbin nur ein Recht auf Einsicht in die einkommens- und vermögensbezogenen Teile des Sachwalterschaftsakts, sonst sei sie wie jeder andere Dritte zu behandeln. Die beabsichtigte Testamentsanfechtung begründe nur ein wirtschaftliches Interesse, nicht das nach § 22 AußStrG iVm § 219 Abs 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Das Sachwalterschaftsverfahren werde geführt, um die betroffene Person zu schützen, nicht um Dritten Möglichkeiten einzuräumen, die sie sonst nicht hätten. Daher erhielten auch nahe Angehörige nach ständiger Rechtsprechung keine Einsicht in den Sachwalterschaftsakt, soweit es um Daten gehe, die sich auf Geisteszustand der betroffenen Person bezögen. Das gelte auch dann, wenn dieser Geisteszustand für die Prüfung der Gültigkeit eines Testaments Bedeutung habe. Auf ihre Erbenstellung könne sich die Antragstellerin nicht berufen, weil höchstpersönliche Rechte davon nicht erfasst seien.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, weil die Rechtslage einer Klarstellung bedarf, er ist aber nicht berechtigt.

1. Nach § 22 AußStrG sind im Außerstreitverfahren (unter anderem) die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Akten sinngemäß anzuwenden. Nach § 219 Abs 1 ZPO haben jedenfalls die Parteien ein Recht auf Akteneinsicht, mit deren Zustimmung nach § 219 Abs 2 ZPO auch Dritte, soweit dem nicht überwiegende Interessen eines Dritten oder überwiegende öffentliche Interessen iSv § 26 Abs 2 DSG entgegenstehen. Fehlt eine Zustimmung, muss der Einsichtswerber überdies ein rechtliches Interesse glaubhaft machen.

2. Auf ihre Stellung als Miterbin ‑ und damit als Rechtsnachfolgerin der Betroffenen, die Partei des Sachwalterschaftsverfahrens war ‑ könnte sich die Antragstellerin nur in Bezug auf jene Teile des Sachwalterschaftsakts berufen, die vermögensrechtliche Belange betreffen; denn nur insofern tritt sie in die Rechte der Betroffenen ein (4 Ob 125/97d, 3 Ob 298/05b, 3 Ob 17/10m, 1 Ob 98/12m). Darauf ist ihr Begehren aber nicht gerichtet. Auf die Frage, ob in diesem Zusammenhang die potentielle Erbenstellung überhaupt ausreichte oder nicht vielmehr eine Erbantrittserklärung oder die Einantwortung erforderlich wäre, kommt es daher nicht an. In Bezug auf die Einsicht in jene Aktenteile, die sich auf den höchstpersönlichen Lebensbereich der Betroffenen beziehen, ist die Antragstellerin wie jeder andere verfahrensfremde Dritte zu behandeln.

3. Der Einsicht Dritter in einen Sachwalterschaftsakt steht unabhängig vom Vorliegen eines rechtlichen Interesses iSv § 219 Abs 2 ZPO (iVm § 22 AußStrG) ein Größenschluss aus § 141 AußStrG entgegen.

3.1. Die Rechtsprechung verweigert auch nahen Angehörigen die Einsicht in einen Sachwalterschaftsakt, soweit es um Daten geht, die sich auf den Geisteszustand der betroffenen Person beziehen (RIS-Justiz RS0116925). Allerdings ist mehreren Entscheidungen zu entnehmen, dass bei Vorliegen eines ‑ im konkreten Fall allerdings immer verneinten ‑ rechtlichen Interesses anders entschieden werden könnte (vgl etwa 4 Ob 125/97d, 4 Ob 208/02w, 7 Ob 48/03i, 8 Ob 71/03d, offen gelassen zuletzt in 9 Ob 15/07g). Ein solches Interesse könnte im vorliegenden Fall nach der Rechtsprechung zu § 219 Abs 2 ZPO angenommen werden, da es dafür nach einzelnen Entscheidungen schon ausreicht, wenn sich die Beweislage des Antragstellers durch die Akteneinsicht verbessert (8 Ob 511/93; 1 N 508/01; 8 Ob 4/03a; dies [offenbar] zurückgehend auf eine Formulierung von Fasching , Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen 1 II 1010 f; kritisch dazu allerdings Gitschthaler in Rechberger , ZPO 3 § 219 Rz 3). Dies könnte hier für einen bevorstehenden Erbrechtsstreit zutreffen, liegt es doch nahe, dass sich aus dem im Sachwalterschaftsverfahren eingeholten Gutachten Rückschlüsse auf die Testierfähigkeit der Betroffenen ergeben.

3.2. Gegen die Gewährung der Akteneinsicht spricht aber von vornherein ein Größenschluss aus § 141 AußStrG.

(a) Nach dieser Bestimmung dürfen Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nur dem Pflegebefohlenen und seinem Vertreter, nicht aber sonstigen Personen oder Stellen erteilt werden. Dieses ausnahmslose Weitergabeverbot personenbezogener Daten gegenüber Dritten betrifft zwar dem Wortlaut nach nur die Einkommens- und Vermögensverhältnisse; die ihm zugrunde liegende Wertung ist aber zwingend auf den vorliegenden Fall zu übertragen: Es ist kein Grund zu erkennen, weshalb einem Dritten der Zugang zu - gegenüber den finanziellen Verhältnissen viel sensibleren - Daten möglich sein soll, die sich auf den Geisteszustand der betroffenen Person beziehen ( C. Graf , Akteneinsicht im Außerstreitverfahren und § 141 AußStrG, Zak 2007, 427 [428]; Neuner , Anmerkung zu 3 Ob 17/10m, ÖJZ 2010, 860 [861]; Tschugguel, Anmerkung zu 3 Ob 17/10m, iFamZ 2010, 288; ebenso noch zu § 209 AußStrG 1854 4 Ob 208/02w; 8 Ob 71/03d). § 141 AußStrG ist nach ständiger Rechtsprechung auch nach dem Tod der betroffenen Person anzuwenden (3 Ob 298/05b; 1 Ob 98/12m; C. Graf , Zak 2007, 429 f; Tschugguel , iFamZ 2010, 288).

(b) Im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 141 AußStrG haben Dritte grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht; auf ein (sonst) als „rechtlich“ zu qualifizierendes Interesse kommt es daher nicht an (3 Ob 17/10m; 1 Ob 98/12m; vgl 7 Ob 119/08p; offen gelassen noch in 9 Ob 15/07g; C. Graf , Neuner und Tschugguel aaO). Aufgrund des oben dargestellten Größenschlusses gilt das umso mehr für die Einsicht in personenbezogene Aktenbestandteile, insbesondere in das psychiatrische Gutachten. Auch daran kann ein (sonst) allenfalls als „rechtlich“ zu wertendes Interesse eines Dritten nichts ändern, sich aus dem Akt Beweismittel für eine Testamentsanfechtung zu verschaffen. Denn das Pflegschaftsverfahren dient ausschließlich dem Schutz der Interessen des Pflegebefohlenen; Dritte sollen aus der Anhängigkeit eines solchen Verfahrens grundsätzlich keine Vorteile ziehen können. Anders wäre allenfalls zu entscheiden, wenn die Akteneinsicht ausschließlich im Interesse des Pflegebefohlenen erfolgte ( C. Graf , Zak 2007, 429; 1 Ob 98/12m); ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

4. Aus diesen Gründen haben die Vorinstanzen die Einsicht in personenbezogene Aktenbestandteile zurecht verweigert. Der Revisionsrekurs der Antragstellerin muss daher scheitern.

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