OGH 7Ob38/18s

OGH7Ob38/18s20.4.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr.

 Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde S*****, vertreten durch Mag. Dr. Peter Sommerer, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenienten 1. F***** K*****, vertreten durch Celar Senoner Weber‑Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. H***** F*****, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 39.500 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2017, GZ 13 R 77/17i‑61, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00038.18S.0420.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin erwarb 100 % der Anteile an einer GmbH (in Folge: G). Zur Realisierung eines Immobilienprojekts schloss G daraufhin mit der beklagten Gemeinde einen Kaufvertrag über eine Projektliegenschaft, der vom Gemeinderat und von der niederösterreichischen Landesregierung genehmigt wurde. Im Kaufvertrag wurde G ein Rücktrittsrecht eingeräumt. Für den – bereits eingetretenen – Fall des Rücktritts wurde die Rückzahlung des Kaufpreises sowie die Abgeltung aller Aufwendungen samt Zinsen durch die Beklagte vereinbart. Die Klägerin vereinbarte mit der Beklagten, vertreten durch den Bürgermeister, einen bis 30. 6. 2012 befristeten Put‑ und Call‑Optionsvertrag (in Folge: Optionsvertrag) betreffend die Gesellschaftsanteile an G, wobei die Beklagte im Fall der Übernahme sämtliche projektbezogenen Rechte und Verbindlichkeiten übernehmen und sämtliche Kosten und Aufwendungen der Klägerin abdecken sollte. Die hier ausdrücklich vereinbarte aufschiebende Bedingung der Genehmigung des Gemeinderats, allenfalls auch der niederösterreichischen Landesregierung, trat nicht ein.

Die Klägerin macht Schadenersatz geltend, den sie auf die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungs‑, Schutz‑ und Sorgfaltspflichten durch die der Beklagten zuzurechnenden Nebenintervenienten (stellvertretender Stadtamtsdirektor und Bürgermeister) stützt. Diese hätten einen Vertrauenstatbestand dahin geschaffen, dass der Optionsvertrag mit Sicherheit zustande komme.

Rechtliche Beurteilung

1. Richtig ist, dass das Berufungsgericht von erstinstanzlichen Feststellungen nur abgehen darf, wenn es alle zur Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen erforderlichen Beweise, die das Erstgericht unmittelbar aufgenommen hat, selbst wiederholt oder das Protokoll über die Beweisaufnahme erster Instanz unter der Voraussetzung des § 281a ZPO verliest (RIS‑Justiz RS0042151). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor: Das Berufungsgericht hat die – von der Beklagten und den Nebenintervenienten bekämpften – Feststellungen, wonach die Klägerin Aufwendungen im Vertrauen auf das rechtswirksame Zustandekommen des Optionsvertrags geleistet hat, als nicht relevant erachtet. Es ging dabei davon aus, dass die – allein festgestellte – subjektive Erwartungshaltung der Klägerin nur dann rechtlich bedeutsam wäre, wenn sie auch objektiv – aufgrund des von den Nebenintervenienten gesetzten Verhaltens – darauf hätte vertrauen dürfen, dass der Optionsvertrag schon zustande gekommen war oder mit Sicherheit zustande kommen werde, was das Berufungsgericht jedoch aus rechtlichen Erwägungen verneinte.

2. Gemäß § 35 Z 22 lit b Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973 ist die Beteiligung an einem Unternehmen und die Aufgabe einer solchen Beteiligung, der Erwerb und die Veräußerung von Aktien, der Beitritt zu einer Genossenschaft und der Austritt aus ihr dem Gemeinderat zur selbständigen Erledigung vorbehalten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stellen die in den Gemeindeordnungen enthaltenen Vorschriften über die Vertretung der Gemeinde nicht bloß Organisationsvorschriften über die interne Willensbildung öffentlich‑rechtlicher Körperschaften dar, sondern sie beinhalten eine Beschränkung der allgemeinen Vertretungsbefugnis des Bürgermeisters (RIS‑Justiz RS0014664). Eine nicht durch einen erforderlichen Gemeinderatsbeschluss gedeckte Willenserklärung des Bürgermeisters bindet mangels der hiefür erforderlichen Vertretungsbefugnisse die Gemeinde grundsätzlich nicht (RIS‑Justiz RS0014664 [T6]) und sie ist gegenüber dem Erklärungsempfänger unwirksam (7 Ob 140/17i mwN). Der Optionsvertrag wurde – unstrittig – nicht wirksam, weil die Genehmigung durch den Gemeinderat, die hier sogar die vereinbarte aufschiebende Bedingung darstellte, nicht erfolgte.

3.1 Solange der Vertrag nicht zustande gekommen ist, kann kein Partner darauf vertrauen, dass der andere den Vertrag abschließen werde, weshalb Aufwendungen im Hinblick auf einen in Aussicht genommenen Vertrag grundsätzlich auf eigenes Risiko vorgenommen werden (7 Ob 41/10w mwN).

3.2 Wiederholt hat der Oberste Gerichtshof allerdings auch ausgesprochen, dass grundloses Abstehen vom Vertragsabschluss ausnahmsweise doch ersatzfähig machen kann, wenn Aufklärungs‑, Schutz‑ und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Verhandlungspartner bestehen; dies kann der Fall sein, wenn erkennbar ist, dass der Partner beispielsweise im Vertrauen auf eine abgegebene Erklärung sich anschickt, selbst Verbindlichkeiten einzugehen (RIS‑Justiz RS0014680 [T2]; RS0013975 [T1]). Angesichts der grundsätzlichen Handlungsfreiheit im Verhandlungsstadium müssen an einen Vertrauenstatbestand, der zu einer Haftung aus dem Rechtstitel der culpa in contrahendo führen kann, besondere Anforderungen gestellt werden, etwa, dass sich der Schutzpflichtige selbst schon so verhält, als ob der Vertrag bereits abgeschlossen wäre, oder den Vertragspartner auffordert, mit der Erbringung vorgesehener Leistungen zu beginnen, oder dass er vom Vertragspartner ein Verhalten fordert, das nach den Begleitumständen nur im Hinblick auf einen Vertragsabschluss sinnvoll und gerechtfertigt ist oder den getätigten Dispositionen des Verhandlungspartners zustimmt. Die Rechtsprechung hat diese Tatbestände mehrmals im Begriff des „In‑Sicherheit‑Wiegens“ zusammengefasst. Die Ablehnung eines Vertragsabschlusses nach Setzen eines Vertrauenstatbestands der angeführten Qualität muss dem Schutzpflichtigen zuzurechnen sein, etwa weil er den Vertragsschluss grundlos verweigert, obwohl er sich bewusst sein muss, dass sein bisheriges Verhalten im anderen die sichere Erwartung des Vertragsabschlusses hervorgerufen hat. Wird weit über das normale Verhandlungsvertrauen hinaus Vertrauen des Verhandlungspartners zur eigenen Interessensverfolgung in Anspruch genommen, resultieren Schutz‑ und Sorgfaltspflichten gegenüber dem erkennbar vertrauenden Partner, und zwar auch dann, wenn noch keine Einigung auf den wesentlichen Inhalt des abzuschließenden Vertrags vorhanden ist, aber ein intensiver Vertrauenstatbestand gesetzt wurde (7 Ob 41/10w mwN; RIS‑Justiz RS0119785).

3.3 Auch in den Fällen der Unwirksamkeit eines Geschäfts wegen Fehlens besonderer Gültigkeits-voraussetzungen nach § 867 ABGB wird die Haftung des Rechtsträgers für culpa in contrahendo anerkannt (RIS‑Justiz RS0009178). Umstände, die einem gültigen Vertragsschluss entgegenstehen, sind dem Vertragspartner mitzuteilen. Auch öffentlich‑rechtliche Körperschaften sind verpflichtet, den Partner durch ihre Verhandlungsführer als Erfüllungsgehilfen über die Gültigkeitsvoraussetzungen des beabsichtigten Geschäfts aufzuklären, sofern diese ihren Organen bekannt oder leichter erkennbar sind. Wird der Partner im guten Glauben gelassen, es bestehe keine Genehmigungsbedürftigkeit, haftet die öffentlich‑rechtliche Körperschaft auf das Vertrauensinteresse, wenn die Genehmigung in der Folge nicht erteilt wird (8 Ob 11/11t mwN).

3.4 Ob diese Rechtsprechung hinsichtlich der Aufklärungspflicht über die grundsätzlichen Genehmigungserfordernisse auch auf die „Schaffung eines qualifizierten Vertrauenstatbestands“ durch ein nicht abschlussbevollmächtigtes Organ zu übertragen ist, stellt sich hier nicht. Selbst wenn man dies bejahte, wäre für die Klägerin nämlich nichts gewonnen.

3.5 Richtig ist, dass der Kaufvertrag mit G und der Optionsvertrag mit der Klägerin in einem wirtschaftlichen Zusammenhang standen. Der Kaufvertrag zwischen G und der Beklagten wurde vom Gemeinderat und der niederösterreichischen Landesregierung nicht nur genehmigt, mit seiner Umsetzung war auch vereinbarungsgemäß begonnen worden, wovon die Klägerin ausdrücklich in Kenntnis gesetzt wurde. Im Gegensatz dazu wurde der Optionsvertrag – entgegen der Ansicht der Klägerin – gerade nicht vorbehaltlos, sondern ausdrücklich unter der aufschiebenden Bedingung der Genehmigung durch den Gemeinderat, allenfalls auch jener der niederösterreichischen Landesregierung, vom Bürgermeister unterfertigt. Bereits aufgrund dessen konnte die Klägerin nicht annehmen, dass der Vertrag vor einer solchen Genehmigung überhaupt wirksam werden könnte. Dass die Genehmigung(en) erteilt worden wären, wurde der Klägerin auch nie bekannt gegeben. Zwar gaben die Nebenintervenienten vor, dass die Genehmigung „im Laufen“ sei, der Klägerin wurde aber auch ausdrücklich mitgeteilt, dass der Gemeinderat „mehr Bedenkzeit“ brauche. Vor dem Hintergrund dieser Aussage musste der Klägerin jedenfalls klar sein, dass auch weiterhin das Risiko bestand, dass der Gemeinderat den Optionsvertrag nicht genehmigt und die ausdrücklich vereinbarte aufschiebende Bedingung nicht eintritt.

Das Berufungsgericht beurteilte diesen Sachverhalt dahin, dass die Nebenintervenienten weder den Eindruck erweckten, die Genehmigung des Gemeinderats sei schon erteilt, noch die sichere Erwartung des Vertragsabschlusses hervorriefen, weshalb mangels Vorliegens eines qualifizierten Vertrauenstatbestands auch nicht von der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten auszugehen sei. Vielmehr sei das Vorgehen der Klägerin, dennoch Investitionen zu tätigen, die sich zum einen auf den sogar noch vor Unterfertigung des Optionsvertrags liegenden Erwerb der Anteile an G und zum anderen auf die finanzielle Unterstützung von G zur Erfüllung deren – wirksamer – vertraglicher Vereinbarungen bezogen, auf ihr eigenes Risiko erfolgt. Diese Ansicht hält sich im Rahmen der Judikatur.

4.1 Die Klägerin argumentiert weiters, die Haftung der Beklagten resultiere auch aus dem Umstand, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Unterfertigung nicht bereit gewesen sei, den Optionsvertrag abzuschließen, sodass der Vertrag von Anfang an nicht genehmigungsfähig gewesen sei. Darüber hätte die Klägerin aufgeklärt werden müssen. Damit behauptet sie das – vom Berufungsgericht als unzulässige Neuerung beurteilte – Vorliegen einer bewussten Täuschung.

4.2 Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung zukommt (RIS‑Justiz RS0042828). Da demnach die Frage, ob eine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung vorliegt, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall nicht hinaus geht, begründet sie – vom Fall krasser Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042828 [T35]).

4.3 Das pauschale Vorbringen der Klägerin, die Beklagte sei nicht zum Abschluss bereit gewesen, enthält kein überprüfbares Tatsachensubtrat, inwiefern die Mitglieder des Gemeinderats oder die Nebenintervenienten im positiven Wissen einer (zukünftigen) Ablehnung des Vertrags den Abschlusswillen bewusst vortäuschten. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die für das Vorliegen einer bewussten Täuschung erforderlichen Tatsachen, nämlich eine vorsätzliche Vorgangsweise, nicht behauptet, ist nicht korrekturbedürftig.

4.4 Vor diesem Hintergrund zeigt die Klägerin auch keinen Verstoß des Berufungsgerichts gegen die richterliche Manuduktionspflicht auf, der ebenfalls nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden kann (RIS‑Justiz RS0120057 [T8]). Im Rahmen der Anleitungspflicht ist nämlich nur auf ein ergänzendes oder präzisierendes Vorbringen zu drängen, nicht aber darauf, dass ein bisher nicht erkennbares Tatsachenvorbringen erstattet werde, das für eine Partei günstig sein könnte (RIS‑Justiz RS0120057 [T7]).

5. Da das Berufungsgericht bereits vertretbar die Schaffung eines qualifizierten Vertrauenstatbestands und die Verletzung allenfalls sich daraus ergebender Aufklärungs‑, Schutz‑ und Sorgfaltspflichten verneinte, woraus schon die Abweisung des darauf gegründeten Leistungs‑ und Feststellungsbegehrens resultiert, erübrigt sich ein Eingehen auf die übrigen geltend gemachten Rechtsfragen. Vielmehr bedarf  dieser Beschluss keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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