OGH 6Ob162/17t

OGH6Ob162/17t17.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten Dr. Schramm und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. N***** H*****, 2. H***** S*****, beide *****, sowie 3. F*****, alle vertreten durch Gheneff‑Rami‑Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei S*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 34.000 EUR) und Widerruf (Streitwert 1.000 EUR), über die Revisionen beider Streitteile gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. Juli 2017, GZ 133 R 43/17x‑10, womit über Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 16. März 2017, GZ 10 Cg 82/16d‑6, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00162.17T.0117.000

 

Spruch:

1. Die Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.441,58 EUR (darin 240,26 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Drittklägerin ist eine politische Partei auf der Grundlage des PartG (BGBl I 2012/56). Der Erstkläger war Dritter Präsident des Nationalrats und Abgeordneter zum Nationalrat und war Kandidat der Drittklägerin für die Wahl zum Bundespräsidenten 2016. Der Zweitkläger ist Bundesparteiobmann der Drittklägerin und war ihr Klubobmann im Nationalrat; er war der zustellungsbevollmächtigte Vertreter des Erstklägers nach § 7 Abs 7 Z 3 BPräsWG.

Die Beklagte ist Medieninhaberin der unter http://d*****.at/ erreichbaren Website.

2016 fand die Wahl zum Bundespräsidenten statt:

Im ersten Wahlgang am 24. 4. 2016 erreichte der Erstkläger als Erstplatzierter 35,1 % und Dr. Alexander Van der Bellen als Zweitplatzierter 21,34 % der abgegebenen gültigen Stimmen, was einen zweiten Wahlgang (Stichwahl) am 22. 5. 2016 nötig machte. In dieser Stichwahl erreichte der Erstkläger 2.223.458 gültige Stimmen, das sind 49,65 %. Dr. Alexander Van der Bellen erreichte 2.254.484 gültige Stimmen, das sind 50,35 %.

Das Ergebnis des zweiten Wahlgangs wurde am 1. 6. 2016 kundgemacht. Am 7. 6. 2016 focht der Zweitkläger – anwaltlich vertreten – die Wahl in einer 152‑seitigen Eingabe an, wobei auf 72 Seiten konkrete Gesetzesverletzungen durch 94 von 117 Bezirkswahlbehörden bei der Auszählung der Wahlkartenstimmen an‑ und ausgeführt wurden, davon bei 84 Behörden eine vorzeitige Auszählung, bei 17 vorzeitige Öffnung der Kuverts, bei 11 eine vorzeitige Entnahme aus den Kuverts, bei 4 der Abschluss der Auszählung bereits vor dem amtlichen Sitzungsbeginn, bei 7 die Auszählung durch Unbefugte und bei 15 die Auszählung und die Wertung von Kuverts in falscher Farbe.

Schon vor der Auszählung der Wahlkarten hatten Vertreter der Drittklägerin und der Erstkläger Zweifel an der Zuverlässigkeit der Auszählung der Briefwahlstimmen geäußert.

Der Verfassungsgerichtshof gab der Anfechtung mit Erkenntnis vom 1. 7. 2016, W I 6/2016‑125, statt und hob das Verfahren des zweiten Wahlgangs vom 22. 5. 2016 ab der Kundmachung der Bundeswahlbehörde vom 2. 5. 2016 auf, soweit mit dieser die Vornahme eines zweiten Wahlgangs am 22. 5. 2016 angeordnet worden war.

Das Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Dr. S***** äußerte am 27. 9. 2016 gegenüber Medien, es habe sich ergeben, dass in zehntausenden Fällen in 10 von 14 Wahlbezirken das Wahlgeheimnis verletzt worden sei, nämlich durch Öffnen der Kuverts, teils auch durch Entnahme der Stimmzettel. Es sei einer der Wahlwerber offenkundig entschlossen gewesen, den Sieg des anderen nicht zu akzeptieren und dieser habe bereits vor der Stichwahl die Wahlanfechtung aufgrund von Mängeln bei vorangegangenen Wahlen, die offenkundig den Wahlbeisitzern dieses Kandidaten bekannt gewesen seien, vorbereitet. Diese Wahlbeisitzer hätten nicht auf eine rechtmäßige Vorgangsweise hingewirkt.

Über diese Stellungnahme des VfGH‑Mitglieds und die Äußerungen der Kläger dazu wurde breit in den Medien berichtet.

Obwohl die Kläger ein solches Verhalten bestritten, nahm Dr. S***** seine Äußerungen nicht zurück.

Die Beklagte stellte auf ihrer Website am 6. 12. 2016 (zwei Tage nach der Wiederholung der Stichwahl vom 4. 12. 2016) folgenden Blog ihres Redakteurs und Chefs vom Dienst online:

 

Die Kläger brachten zu den Unterlassungs‑ und zum Widerrufsbegehren vor, im Artikel werde behauptet, sie hätten massive Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens nicht nur geduldet, sondern bewusst nicht abgestellt und sogar provoziert und die Anfechtungsschrift bereits vor der Wahl vorbereitet. Diese Äußerungen seien sowohl ehrenbeleidigend nach § 1330 Abs 1 als auch kreditschädigend nach § 1330 Abs 2 ABGB.

Die Beklagte wendete ein, der Zweitkläger habe innerhalb der einwöchigen Anfechtungsfrist eine 152‑seitige Anfechtungsschrift samt 127 Datenblättern und Konvoluten an eidesstättigen Erklärungen, Excel‑Tabellen mit Bezirkswahlergebnissen und unzähligen Zeugenbeweisen eingebracht. Im Artikel werde auf den Erst‑ und den Zweitkläger nicht Bezug genommen. Die Drittklägerin sei am Wahlvorgang formell nicht beteiligt gewesen; dementsprechend sei sie zur Wahlanfechtung auch gar nicht befugt gewesen. Der Vorhalt, jemand habe die Anfechtung einer Wahl bereits vor dem Wahltag vorbereitet, erfülle nicht den Tatbestand des § 1330 ABGB. Die Äußerung gebe erkennbar die persönliche Meinung des Verfassers wieder, die nach den tatsächlichen Umständen zumindest vertretbar sei. Über die Umstände der Wahl sei bereits umfangreich berichtet worden. Die geltend gemachten Rechtswidrigkeiten seien zumindest teilweise schon länger bekannt gewesen und bewusst beibehalten worden, um gegebenenfalls eine Anfechtung zu ermöglichen; das sei demokratiepolitisch bedenklich. Es handle sich um ein zulässiges politisches Werturteil, das durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sei.

Ausgehend von dem im Vorigen wiedergegebenen Sachverhalt wies das Erstgericht das Klagebegehren zur Gänze ab. In der politischen Auseinandersetzung sei der freien Meinungsäußerung ein weiter Spielraum zu gewähren. Schlüsse, die jemand aus allgemein bekannten Tatsachen ziehe, seien insbesondere zulässig, wenn sie von jemanden stammten, der bekanntermaßen dem anderen politischen Spektrum zugeneigt sei.

Der Blog gebe erkennbar die persönliche Meinung des Verfassers wieder, dass er nach den öffentlich bekannt gemachten Umständen, zu denen auch die Ansicht eines „Insiders“ zu zählen sei, die Vorbereitung der Anfechtungsschrift bereits vor der Wahl für äußerst wahrscheinlich halte und dass auch der Verdacht der Provokation von Anfechtungsgründen erweckt worden sei.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil teilweise dahin ab, dass es dem Unterlassungsbegehren hinsichtlich der Behauptung, die klagenden Parteien hätten die Mängel des Verfahrens zur Wahl des Bundespräsidenten nicht nur geduldet, sondern sogar provoziert, stattgab.

Der Bericht der Beklagten sei so zu verstehen, dass darin der Vorwurf erhoben werde, die Kläger hätten es auf einen zweiten Wahlgang geradezu angelegt und diesen geradezu „provoziert“. Der Durchschnittsleser könne dies im Gesamtzusammenhang nur so verstehen, dass die Kläger versucht hätten, den Wahlgang durch Beeinflussung „ihrer eigenen Beisitzer“ in Richtung einer Wahlaufhebung zu manipulieren. Dies sei als (zumindest konkludente) Tatsachenbehauptung anzusehen. Diese Schilderung rücke die Kläger in den Verdacht, gegen eine der Bestimmungen des 18. Abschnitts des StGB („strafbare Handlungen bei Wahlen und Volksabstimmungen“, insbesondere gegen § 266 Abs 2 StGB) verstoßen und/oder die Wahlbeisitzer zu einer Verletzung der Wahlordnung bestimmt zu haben. Für den Durchschnittsadressaten zähle zudem die rechtlich richtige Subsumtion unter einen allfälligen strafrechtlich relevanten Tatbestand weniger als der Umstand, dass der Blog den Gesamteindruck erwecke, die Kläger hätten die Wahlbeisitzer zu (irgend‑)einem Rechtsbruch bestimmt. Dieser Vorwurf sei geeignet, den Kredit der Kläger zu beeinträchtigen.

Sei die Rufschädigung (§ 1330 Abs 2 ABGB) gleichzeitig Ehrenbeleidigung, so treffe den Beklagten die Beweislast für die Wahrheit der beanstandeten Behauptung. Den Beweis einer geplanten Verletzung der Wahlordnung habe die Beklagte nicht angetreten. Hingegen würde der Durchschnittsadressat der Website die Berichterstattung hinsichtlich der Vorbereitung der Wahlanfechtung so verstehen, dass die Kläger bereits vorab für den Fall der von ihnen damals nur erwarteten, aber noch nicht feststehenden Niederlage des Erstklägers im zweiten Wahlgang eine Prüfung durch den VfGH erreichen wollten. Angesichts des bereits zuvor durch Dr. S***** ausgesprochenen diesbezüglichen Verdachts und des nicht nur sehr großen Umfangs, sondern auch zahlreiche Details enthaltenden Anfechtungsschriftsatzes indiziere dieser Gesamtzusammenhang den Gesamteindruck, die Kläger hätten gewisse Vorbereitungshandlungen bereits vor der Bekanntgabe des Ergebnisses des zweiten Wahlgangs gesetzt oder setzen lassen. Diese Verdachtsberichterstattung sei im Kern wahr.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung regelmäßig von den näheren Umständen des Einzelfalls abhänge. Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar sei, habe keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobenen außerordentlichen Revisionen beider Parteien sind nicht zulässig.

1.1. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte (§ 510 Abs 3 ZPO), ist bei Ansprüchen sowohl nach § 1330 Abs 1 ABGB als auch nach § 1330 Abs 2 ABGB derjenige aktiv legitimiert, der von den ehrenrührigen (kreditschädigenden) Behauptungen betroffen ist. Das kann nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch eine juristische Person – wie eine GmbH – sein, weil auch juristische Personen sowohl einen wirtschaftlichen Ruf haben als auch passiv beleidigungsfähig sind (4 Ob 171/93 mwN; vgl RIS‑Justiz RS0031845; RS0008985; zuletzt zum Verein 6 Ob 66/16y). Eine Gefährdung des Rufs einer juristischen Person kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die verbreiteten Tatsachen mit dem Betrieb des Unternehmens in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen und daher auch auf das Unternehmen selbst bezogen werden können. Das gleiche gilt bei ehrenrührigen Behauptungen; auch hier ist die juristische Person als Betroffene aktiv legitimiert, wenn der eben erwähnte Zusammenhang besteht und die Behauptungen daher auch auf das Unternehmen selbst bezogen werden können (4 Ob 171/93).

1.2. Diese Überlegungen lassen sich auf eine rechtsfähige politische Partei und damit auf die Drittklägerin übertragen (4 Ob 109/92; RIS‑Justiz RS0031787, RS0008985 [T1 und T2]).

2.1. Ehrenbeleidigung ist jedes der Ehre– verstanden als Personenwürde (§ 16 ABGB) – nahetretende Verhalten, auch wenn es strafrechtlich nicht zu ahnden ist (RIS‑Justiz RS0008984 [T3 und T5]; RS0031977 [T1]; RS0032008 [T1]). Es geht um die Einschätzung der Person durch ihre Umwelt, also um ihre soziale Wertstellung innerhalb der Gemeinschaft (6 Ob 182/15f [Punkt 1.1.]). Es kommt darauf an, ob die Äußerung objektiv geeignet ist, ehrverletzend zu wirken und in concreto auch diese Wirkung gehabt hat (RIS‑Justiz RS0028870). In die Ehre eines anderen eingreifende Äußerungen sind nach dem Gesamtzusammenhang, in dem sie fielen, und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0031883).

2.2. Für eine Gefährdung des Kredits im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB reicht, dass das inkriminierte Verhalten geeignet ist, den Kredit des anderen zu beeinträchtigen (RIS‑Justiz RS0031913 [T2]; 6 Ob 283/01p; Kissich in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON § 1330 ABGB Rz 38). Unter den Begriff des „Verbreitens“ fällt jede Mitteilung einer Tatsache, mag sie im Einzelfall als eigene Überzeugung hingestellt werden oder als bloße Weitergabe einer fremden Behauptung auftreten (RIS‑Justiz RS0031781). „Tatsachen“ sind Umstände, Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm an Hand bestimmter oder doch zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit überprüfbaren Inhalt (RIS‑Justiz RS0032212).

2.3. Ob durch eine Äußerung Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck für den unbefangenen Durchschnittsadressaten (RIS‑Justiz RS0031883). Wesentlich ist, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist, sodass sie nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (6 Ob 295/03f; 6 Ob 244/09i).

2.4. Auch Werturteile sind nur dann durch das Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt, wenn sie auf ein im Kern wahres Tatsachensubstrat zurückgeführt werden können und die Äußerung nicht exzessiv ist (RIS‑Justiz RS0032201 [T11, T18]).

2.5. Auch bloße Verdächtigungen und Vermutungen sind unter § 1330 Abs 2 ABGB zu subsumieren, weil diese Bestimmung bei anderer Auslegung gegen geschickte Formulierungen wirkungslos wäre (RIS‑Justiz RS0031816, RS0032305; jüngst 6 Ob 24/17y; 4 Ob 48/92 = RS0032494 [T6]). Auch Mitteilungen von Gerüchten, Vermutungen oder Behauptungen sowie die verdachtsweise Behauptung einer Tatsache fallen daher darunter (RIS‑Justiz RS0032212 [T5]; Danzl in KBB5 § 1330 ABGB Rz 5). Anderes würde nur gelten, wenn in einem Medienartikel klar und vollständig offengelegt wird, auf welchem konkreten wahren Tatsachenkern ein geäußerter Verdacht beruht (6 Ob 244/09i = RIS‑Justiz RS0031816 [T1]).

2.6. Die angeführten Grundsätze gelten auch für abfällige Urteile, die auf entsprechende Tatsachen schließen lassen; es genügt, dass eine Äußerung, wenn auch nur mittelbar, eine abfällige Tatsachenmitteilung enthält, die objektiver Nachprüfung zugänglich ist (RIS‑Justiz RS0032494).

3.1. Den Medien kommt nach ständiger Rechtsprechung des EGMR in einer demokratischen Gesellschaft eine wesentliche Rolle zu (vgl EGMR, Scharsach und News Verlagsgesellschaft, Nr 39394/98, Rz 30). Der EGMR prüft aufgrund des Art 10 Abs 2 EMRK, ob der vorgenommene Eingriff des Staats in die Freiheit der Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig oder doch verhältnismäßig ist und einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht (Reischauer in Rummel 3 § 1330 ABGB Rz 39 mwN). Für Beschränkungen von politischen Aussagen oder einer Debatte über Fragen des öffentlichen Interesses besteht dabei nach der ständigen Rechtsprechung nur ein sehr enger Ermessensspielraum (vgl EGMR, Pfeifer, Nr 12556/03; Lingens, MR 1986, H 4, 11 = EuGRZ 1986, 424; 6 Ob 114/11z mwN). Die Medienfreiheit bietet der Öffentlichkeit eines der besten Mittel, sich eine Meinung über die Ideen und Einstellungen politischer Führer festzustellen und zu bilden (EGMR MR 1986, H 4, 11 = EuGRZ 1986, 424 zur Pressefreiheit), zumal die Freiheit der politischen Debatte das eigentliche Kernstück des Konzepts einer demokratischen Gesellschaft ist (EGMR MR 1986, H 4, 11; 6 Ob 24/95; 6 Ob 138/01i [„Herzstück der Konvention“], 6 Ob 244/09i). Ob eine politische Äußerung nach Art 10 EMRK gerechtfertigt erscheint, ist zusammengefasst an der politischen Bedeutung der Stellungnahme, am Gewicht des Anlassfalls, an der Form und Ausdrucksweise sowie dem danach zu unterstellenden Verständnis der Erklärungsempfänger zu messen (Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek ABGB3 VI, § 1330 Rz 48 mwN).

3.2. Die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern sind damit erheblich weiter gezogen als bei Privatpersonen (RIS‑Justiz RS0115541; RS0082182; Danzl in KBB5 § 1330 ABGB Rz 3). Daher muss eine Interessenabwägung regelmäßig schon dann zu Gunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen (6 Ob 266/06w; 6 Ob 248/08a; 6 Ob 244/09i).

3.3. Gerade im Kernbereich des politischen Prozesses, in dem die private Rechtssphäre höchstens indirekt und nicht massiv betroffen ist, kommt den Medien im Sinne der Rechtsprechung des EGMR in einer demokratischen Gesellschaft eine ganz wesentliche Rolle zu. Eingriffe müssten gerade dann einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen, wofür nur ein sehr enger Ermessensspielraum besteht, da die freie politische Debatte das Kernstück des Konzepts einer demokratischen Gesellschaft ist und die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern – gerade wenn es nicht um deren Privatleben geht (vgl zum Schutz des Privatlebens EGMR 18. 3. 2008, Kulis/Polen Nr 15601/02 Rz 48) – erheblich weiter gezogen sind als bei Privatpersonen.

3.4. Solange die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden und kein massiver Wertungsexzess vorliegt, kommt dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK; Art 13 StGG), also dem Recht auf zulässige Kritik und ein wertendes Urteil, aufgrund konkreter Interessenabwägung gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung ein höherer Stellenwert zu (RIS‑Justiz RS0054817 [T7]).

4.1. Ausgehend davon erweist sich die Revision der Beklagten als unzulässig:

4.2. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgesprochen hat, ist die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere aber von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt (RIS‑Justiz RS0031883 [T6]). Solche Fragen des Einzelfalls sind in der Regel nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0031883 [T28]). Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar ist, hat damit regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (vgl RIS‑Justiz RS0107768).

4.3. Wenn das Berufungsgericht zu der Auffassung gelangte, das von der Revisionswerberin nunmehr dem Artikel beigelegte Verständnis, wonach darin lediglich zum Ausdruck komme, nach der persönlichen Meinung des Artikelverfassers sei nicht auszuschließen, dass Wahlbeisitzer der Drittklägerin die Wahlordnungsverletzungen bewusst nicht verhindert hätten, sei mit dem Wortlaut des Artikels nicht vereinbar, ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Dabei kann sich die beklagte Partei auch nicht auf die besondere Rolle der Medien in einer demokratischen Gesellschaft stützen.

4.4. Zutreffend wies bereits das Berufungsgericht darauf hin, dass der Vorwurf der Manipulation einer Wahl nicht nur kreditschädigend ist, sondern auch eine Ehrenbeleidigung (§ 1330 Abs 1 ABGB) darstellt, beeinträchtigt er doch (zumindest auch) die soziale Wertschätzung (6 Ob 37/95 SZ 69/12; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1330 Rz 1) von Politikern und einer politischen Partei erheblich, wenn ihnen die Vorbereitung einer Wahlanfechtung auf Bundesebene durch bewusste Instruktion „ihrer Beisitzer“ zu „Verletzungen der Wahlordnung“ unterstellt wird. Der insoweit völlig unbelegte Vorwurf einer Wahlmanipulation ist dem demokratischen Diskurs nicht förderlich, sondern in hohem Maße abträglich. Durch den Mangel eines konkreten Tatsachensubstrats, das Grundlage für den zum Ausdruck kommenden Vorwurf einer aktiven Wahlmanipulation durch die Kläger sein könnte, unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von jenen, in denen sich dieser Vorwurf bei Vorliegen tatsächlicher Wahlmängel gegen für die Durchführung der Wahl Verantwortliche richtete (vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6, 398 unter Verweis auf EGMR, Brasilier./.FRA, Nr 71343/01 Rz 38). Der hier zum Ausdruck kommende Vorwurf kann auch weder aus den Aussagen Dr. S*****s abgeleitet werden, noch stellt sich dieser Vorwurf als das Zitat seiner Aussagen dar.

4.5. Soweit die beklagte Partei auf ihre Beweisanbote in der Klagebeantwortung, „insbesondere“ Punkt A2, verweist, handelt es sich um einen nach ständiger Rechtsprechung unzulässigen und daher unbeachtlichen Verweis auf einen anderen Schriftsatz (vgl RIS-Justiz RS0007029). Die dort angeführten Beweise beziehen sich zudem im Wesentlichen auf Verfahrensverstöße im Zuge der Durchführung der Präsidentenwahl, nicht aber auf die vorherige Vorbereitung der Wahlanfechtung oder gar das „Provozieren“ von Verstößen gegen die Wahlordnung durch die Kläger.

5.1. Aber auch die Revision der klagenden Parteien ist nicht zulässig:

5.2. Zwar kann die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, wonach „indiziert sei“, dass gewisse Vorbereitungshandlungen bereits vor Bekanntgabe des Ergebnisses des zweiten Wahlgangs vorgenommen worden seien, sodass die „Verdachtsberichterstattung“ im Kern wahr sei, nicht geteilt werden. Hier ist darauf hinzuweisen, dass das Klagebegehren ausdrücklich auf den Wahltag, sohin den 22. 5. 2016 abzielt. Damit stand für die Verfassung der Anfechtungsschrift nicht bloß ein Zeitraum von einer Woche, sondern von mehr als 14 Tagen zur Verfügung. Das Berufungsgericht scheint demgegenüber auf den Tag der Bekanntgabe des Ergebnisses des zweiten Wahlgangs, sohin den 1. 6. 2016, abzustellen (S 16 des Urteils). Diese Differenz von 9 Tagen macht aber einen wesentlichen Unterschied im Hinblick auf den insgesamt für die Einbringung der Anfechtungsschrift zur Verfügung stehenden Zeitraum. Daraus ist allerdings für die klagenden Parteien nichts zu gewinnen:

5.3. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung nämlich zusätzlich (vgl RIS-Justiz RS0118709) auch darauf gestützt, dass die bloße Behauptung, die Kläger hätten die Wahlanfechtung vorbereitet, nicht den Tatbestand des § 1330 ABGB erfülle. Mit dieser Auffassung hat das Berufungsgericht den ihm hier zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

5.4. Im Allgemeinen wird die Verbreitung der Tatsache, dass jemand seine Interessen besonders sorgfältig verfolgt, indem er schon möglichst frühzeitig auch Schriftsätze für ein allfälliges gerichtliches Vorgehen gegen rechtswidriges Verhalten vorbereitet (Judikatur aufbereitet, Texte vorbereitet etc), im Rahmen eines intensiven Konkurrenzkampfes vor einem besonders entscheidenden, in seinem Ausgang und seiner Gestaltung sehr ungewissen Abschnitt weder als die Ehre beleidigend im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB noch den „Kredit“ schädigend im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB angesehen werden können. Letzteres könnte hier nun dann bejaht werden, wenn man hier die besondere politische Dimension dieses Vorwurfs miteinbezieht, wobei sich selbst insoweit die Frage stellt, ob es tatsächlich verpönt ist, für den Fall der Rechtswidrigkeit einer Wahl den Rechtsweg zu beschreiten und dies im Hinblick auf die Kürze der Anfechtungsfrist und den Umfang der dabei zu behandelnden Frage auch schon vorzubereiten.

5.5. Bei der Frage, wie eine solche Vorbereitung der Rechtsdurchsetzung politisch bewertet wird, handelt es sich zudem um einen Kernbereich des politischen Prozesses, in dem es nicht unmittelbar um den privaten Bereich der betroffenen Personen geht. Schon im Hinblick auf die Zugehörigkeit des Vorwurfs einer präventiven Vorbereitung einer Wahlanfechtung durch ein Medium zum Kernbereich des politischen Prozesses und die Möglichkeit diesem in eben dieser Form entgegenzutreten einerseits und der geringen Intensität des Eingriffs in konkrete individuelle Persönlichkeitsrechte andererseits – der Wertschätzung der einzelnen Menschen (insbesondere in ihren Parteien) wird eine Vorbereitung der Bekämpfung rechtswidrigen Verhaltens im Interesse ihrer Partei kaum abträglich sein – gebietet es hier die oben dargelegte ständige Rechtsprechung, wonach im Rahmen des politischen Prozesses im Zweifel bei der Gesamtabwägung der Freiheit der Meinungsäußerung von Medien der Vorzug zu geben ist, diesen Vorwurf nicht als tatbildlich im Sinne des § 1330 ABGB zu qualifizieren.

5.6. Auch bei Zugrundelegung der gebotenen ganzheitlichen Betrachtungsweise (vgl RIS‑Justiz RS0031883 [T6]) durfte das Berufungsgericht den Vorwurf der Vorbereitung der Wahlanfechtung, mag er auch unter derselben Überschrift und in engem räumlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem verpönten Vorwurf der bewussten Wahlmanipulation erhoben worden sein, als selbständigen Vorwurf ansehen, der einer selbständigen rechtlichen Beurteilung zugänglich ist, zumal die Untersagung der beiden Vorwürfe auch in gesonderten Punkten des Klagebegehrens begehrt und darüber auch – von den klagenden Parteien nicht beanstandet – jeweils gesondert entschieden wurde.

6. Zusammenfassend bringen daher beide Revisionen keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen waren.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision der klagenden Parteien hingewiesen, sodass ihr Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zusteht.

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