European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00138.17S.0920.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.
Begründung:
Die Klägerin ist aufgrund eines Teilurteils zur Rechnungslegung wegen eines Patenteingriffs verpflichtet.
Die Beklagte (als Betreibende) beantragte zur Erwirkung dieser Verpflichtung die Exekution nach § 354 EO mit der Behauptung, die Klägerin (als Verpflichtete) habe die Umsätze aus zwei näher ausgeführten Gründen nicht vollständig angegeben. Die Exekution wurde bewilligt.
In ihrer Oppositionsklage macht die Klägerin geltend, der Rechnungslegungsanspruch sei durch Erfüllung erloschen, weil sie titelgemäß Rechnung gelegt habe.
Die Beklagte hielt ihre Argumentation im Exekutionsantrag aufrecht.
Das Erstgericht wies die Oppositionsklage ab, weil keine ordnungsgemäße Rechnungslegung erfolgt sei. Es sei nicht auf konzerninterne Umsätze, sondern auf Marktumsätze abzustellen. Daher habe die Rechnungslegung auch die Umsätze/Gewinne der Muttergesellschaft zu umfassen. Da der Gewinn nicht dem Umsatz gleichgesetzt werden könne, dürften die variablen Kosten abgezogen werden. Rechnungslegung bedeute volle Offenlegung sämtlicher produktbezogener Kosten und Erlöse (Umsätze).
Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung, ging von einem 30.000 EUR übersteigenden Entscheidungsgegenstand aus und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Klägerin eine Teilkostenrechnung schulde, die nicht gelegt wurde, sodass die titulierte Verpflichtung zur formell vollständigen Rechnungslegung nicht erfüllt sei. Die Notwendigkeit der Darlegung anderer Umsätze als jener, die die Klägerin selbst mit den rechtsverletzenden Produkten erziele, verneinte es hingegen.
Mit ihrer außerordentlichen Revision bekämpft nur die Beklagte das Berufungsurteil und beantragt, dieses zwar zu bestätigen, dessen Begründung aber dahin abzuändern, dass die Oppositionsklage auch deshalb abgewiesen werde, weil die Klägerin auch eine Rechnungslegung über Marktumsätze und -gewinne schulde. Die allein wesentlichen Ausführungen zur Beschwer lassen sich wie folgt zusammenfassen: Nach 8 ObA 87/99y sei auf das Ausmaß der Bindungswirkung abzustellen und zu berücksichtigen, dass die Begründung eines klageabweisenden Urteils negative Konsequenzen für den obsiegenden Beklagten in etwaigen Folgeprozessen haben könnte. Dies sei hier der Fall, weil die im Oppositionsprozess obsiegende Beklagte „im Exekutionsverfahren keine Rechnungslegung über Marktumsätze begehren“ [könne], ohne mit der Bindungswirkung der nachteiligen und unrichtigen Begründung der bekämpften Entscheidung konfrontiert zu sein, wonach keine Rechnungslegung über Marktumsätze geschuldet sei. Da die Frage, in welchen Fällen eine Begründung bekämpft werden könne, in der uneinheitlichen Judikatur des Obersten Gerichtshofs nicht hinreichend geklärt sei, liege eine erhebliche Rechtsfrage vor.
Rechtliche Beurteilung
Der Beklagten gelingt es nicht, eine Beschwer aufzuzeigen, weshalb ihr Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen ist.
1. Bei der Beschwer handelt es sich um die für das Rechtsmittelverfahren bedeutsame Erscheinungsform des Rechtsschutzinteresses, nämlich des Bedürfnisses einer Person mit Rechtsmittelbefugnis, eine ihre Rechtsstellung belastende Entscheidung zu bekämpfen; diese Rechtsfigur ist von der Sachlegitimation zu trennen (Zechner in Fasching/Konecny 2 Vor §§ 514 ff ZPO Rz 53 mwN). Zu prüfen ist daher, ob jene Entscheidung, die mit dem erhobenen Rechtsmittel bekämpft werden soll (hier also das Berufungsurteil), im Fall ihrer Rechtskraft die Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers nachteilig beeinträchtigt (vgl RIS‑Justiz RS0043773; 3 Ob 5/16f [P 2.]).
2. Es wird zwischen der formellen Beschwer, die vorliegt, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht, und der materiellen Beschwer unterschieden; letztere liegt vor, wenn die (materielle oder prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, diese also für ihn ungünstig ausfällt. Die formelle Beschwer reicht nicht immer aus. Widerspricht die angefochtene Entscheidung dem vom Rechtsmittelwerber in der Vorinstanz gestellten Antrag, dann ist, wenn die Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung nicht beeinträchtigt wird, sein Rechtsmittel dennoch zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0041868).
3. Allein aus den Gründen der Entscheidung (also nicht durch den Spruch) kann eine Beschwer im Regelfall nicht abgeleitet werden (RIS‑Justiz RS0043947; RS0041929). Ausnahmsweise wird die Beschwer allein durch die Begründung der Entscheidung mit Rücksicht auf eine Bindung an die bekämpfte Entscheidung anerkannt, und zwar bei Zwischenurteilen (RIS‑Justiz RS0040958), bei Zwischenfeststellungsanträgen (RIS‑Justiz RS0043947 [T6]), bei Aufhebungsbeschlüssen (RIS‑Justiz RS0111505) und Rechtsgestaltungsklagen nach § 105 ArbVG, deren Ziel es ist, die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung geltend zu machen (8 ObA 87/99y = ZAS 2001, 10 [abl Bienert‑Nießl]; abl ebenso E. Kodek in Rechberger 4 Vor § 461 ZPO Rz 10; vgl RIS‑Justiz RS0043947 [T5]; zu allem 3 Ob 5/16f [P 4.]).
4. Dass hier die Beklagte weder formell beschwert ist, noch einer der genannten Ausnahmefälle, in denen die Beschwer allein aus der Begründung der Entscheidung abgeleitet wird, vorliegt, bedarf keiner weiteren Begründung.
5. Die Beklagte unterstellt eine Bindung der Streitteile im weiteren Exekutionsverfahren und allfälligen Folgeprozessen an die allein in der Begründung vertretene Rechtsansicht der zweiten Instanz, eine Notwendigkeit der Darlegung anderer Umsätze als jener, die die Klägerin selbst mit den rechtsverletzenden Produkten erziele (also der von der Beklagten so bezeichneten Marktumsätze), bestehe nicht. Weshalb konkret eine Bindungswirkung an die für den Spruch über die Oppositionsklage nicht wirksam gewordene Rechtsansicht bestehen sollte, vermag die Beklagte allerdings auch nicht ansatzweise darzustellen.
6. Eine solche ist auch nach ständiger Rechtsprechung zu verneinen:
6.1. Bei der Bindungswirkung handelt es sich um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft (RIS‑Justiz RS0102102). Rechtskräftig wird aber nur die Entscheidung über den Anspruch, der geltend gemacht wurde; die materielle Rechtskraft erfasst also allein die im Urteil festgestellte Rechtsfolge, die Urteilselemente (Tatsachenfeststellungen und rechtliche Beurteilung) werden – isoliert betrachtet – nicht von der Rechtskraft erfasst (RIS‑Justiz RS0041285; RS0118570). Die materielle Rechtskraft einer Entscheidung erstreckt sich auf die Entscheidungsgründe und damit die Tatsachenfeststellungen nach herrschender Auffassung aber so weit, als diese zur Individualisierung des Spruchs der Entscheidung notwendig und damit entscheidungswesentlich sind (RIS‑Justiz RS0041357; RS0112731; 1 Ob 47/17v; 3 Ob 5/16f [P 7.1.] mwN).
6.2. Hier ist die von der Beklagten kritisierte Rechtsmeinung des Berufungsgerichts allerdings nicht entscheidungswesentlich für das Berufungsurteil. Das zeigt sich schon daran, dass die Abweisung der Oppositionsklage bestätigt wurde, obwohl nach der zweitinstanzlichen Rechtsansicht einer der beiden von der Beklagten behaupteten Mängel der gelegten Rechnung zu verneinen war. Allein entscheidungswesentlich ist vielmehr der Standpunkt des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die titulierte Verpflichtung zur (formell vollständigen) Rechnungslegung nicht erfüllt, weil eine solche über die konkreten, auf die patentverletzenden Produkte entfallenen Herstellkosten fehlt.
7. Da sich die materielle Rechtskraft auf die von der Beklagten kritisierte Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht erstreckt, unterliegt diese auch keiner Bindungswirkung. Daher ist eine materielle Beschwer der Beklagten durch das Berufungsurteil zu verneinen und die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher ohne inhaltliche Behandlung zurückzuweisen.
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