OGH 3Ob5/16f

OGH3Ob5/16f18.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Helmut Kientzl, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei I*****, vertreten durch Ehrenhöfer & Häusler Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 27. Oktober 2015, GZ 17 R 121/15p‑27, mit dem die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 1. Juli 2015, GZ 8 C 635/14a‑21, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00005.16F.0518.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.108,80 EUR bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin enthalten 184,80 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger und die Beklagte sind Geschwister.

Am 14. Jänner 1981 schlossen der Kläger und der Vater der Streitteile einen vollstreckbaren Notariatsakt, mit dem sich der Kläger gegenüber seinem Vater zur Zahlung einer Leibrente von 5.000 ATS (= 363,36 EUR) pro Monat, wertgesichert nach Verbraucherpreisindex 1976 oder einem diesem nachfolgenden Index, verpflichtete; der Leibrentenanspruch des Vaters geht nach dessen Ableben, sollte die Mutter der Streitteile noch am Leben sein, auf diese über.

Die Mutter war Alleinerbin nach dem Vater.

Mit Beschluss vom 17. Juli 2014 bewilligte das Erstgericht der Verlassenschaft nach der Mutter (vertreten durch die [hier] Beklagte) über deren am 30. Juni 2014 eingebrachten Antrag wider den (hier) Kläger aufgrund des Notariatsakts vom 14. Jänner 1981 zur Hereinbringung einer rückständigen wertgesicherten Leibrente von insgesamt 21.843,56 EUR (acht Monate zu 750,12 EUR von Juli 2011 bis Februar 2012 sowie 12 Monate zu 792,13 EUR vom März 2012 bis Oktober 2013) samt Anhang die Forderungsexekution nach § 294a EO sowie die Fahrnisexekution (11 E 3023/14f des Erstgerichts).

Nach dem Ableben der Mutter am 27. Oktober 2013 wurde die Beklagte mit Einantwortungsbeschluss vom 7. August 2014, rechtskräftig am 23. September 2014, zu deren Gesamtrechtsnachfolgerin.

Mit seiner am 24. Juli 2014 beim Erstgericht eingelangten Oppositionsklage machte der Kläger zahlreiche ‑ später näher dargestellte ‑ Einwendungen geltend, die zum Erlöschen des betriebenen Anspruchs geführt hätten.

Die Beklagte bestritt das Erlöschen der von ihr betriebenen Forderung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf zu allen Einwendungen des Klägers Feststellungen, und zwar zum Teil positive, aber auch zahlreiche Negativfeststellungen.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht ua, zur betriebenen Forderung sei von dem im Exekutionsantrag angeführten Wert auszugehen. Das Erstgericht errechnete einen Nachlasspflichtteil des Klägers von 27.644,96 EUR. Der Kläger habe eine materiell‑rechtliche Aufrechnung einseitig erklärt, deren Voraussetzungen gegeben gewesen seien, weil die Forderung aus dem Notariatsakt bereits vor Klageeinbringung fällig und der Pflichtteilsanspruch im Laufe des Verfahrens durch Einantwortung der Beklagten zuteilungsfähig geworden sei. Der Kläger könne daher gegen die Exekutionsforderung der Beklagten erfolgreich damit aufrechnen.

Gegen dieses Urteil erhoben sowohl der Kläger als auch die Beklagte Berufungen.

Der Kläger macht Mängel‑, Beweis‑ und Rechtsrügen geltend und strebt die Abänderung des Urteils in seinen Entscheidungsgründen an. Hilfsweise begehrt der Kläger die Aufhebung.

Auch die Beklagte macht Mängel‑ (ua wegen Verstoßes gegen die Eventualmaxime), Beweis‑ und Rechtsrügen geltend und beantragt die Abänderung iSd Klageabweisung, hilfsweise die Aufhebung.

Das Berufungsgericht wies die Berufung des Klägers mangels Beschwer mit Beschluss zurück und behielt die Entscheidung über die Berufung der Beklagten vor.

Die Rechtsmittelzulässigkeit erfordere jedenfalls formelle Beschwer. Allein aus den Gründen einer Entscheidung könne eine Beschwer nicht abgeleitet werden. Ausnahmen hievon bilden die Fälle der prozessualen Beschwer des Zwischenurteils oder eines Zwischenfeststellungsantrags, des Aufhebungsbeschlusses oder der Rechtsgestaltungsklage gemäß § 105 ArbVG. Selbst wenn man daher ohne nähere Prüfung zugunsten des Klägers davon ausgehen wollte, er könne hinsichtlich einzelner Klagegründe dem Gericht eine Prüfungsreihenfolge der geltend gemachten Erlöschungsgründe vorgeben, wäre für den Kläger nichts gewonnen. Ihm sei zwar zuzustimmen, dass er eine Nummerierung vorgenommen habe, nicht jedoch eine Reihung im Sinne einer Prüfungsreihenfolge. Da eine Bindungswirkung nur an die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage bestehe, sei der Kläger hinsichtlich behaupteter Vorauszahlungen oder als „Gegenforderungen“ eingewendeter Kosten auch nicht verlustig geworden. Seinem Urteilsantrag habe das Erstgericht Folge gegeben, sodass der Kläger formell nicht beschwert und das Rechtsmittel zurückzuweisen sei.

Mit seinem dagegen erhobenen Rekurs strebt der Kläger die ersatzlose Behebung des Zurückweisungs-beschlusses des Berufungsgerichts an.

Die Beklagte erstattete eine Rekursbeantwortung, in der sie den Argumenten des Klägers entgegentritt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Gegen einen Beschluss, mit dem das Berufungsgericht eine Berufung zurückweist, ist ein Rekurs ohne Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts zulässig (RIS‑Justiz RS0043893 [T7]). Das Rekursverfahren ist zweiseitig (RIS‑Justiz RS0098745 [T21]).

2. Bei der Beschwer handelt es sich um die für das Rechtsmittelverfahren bedeutsame Erscheinungsform des Rechtsschutzinteresses, nämlich des Bedürfnisses einer Person mit Rechtsmittelbefugnis, eine ihre Rechtsstellung belastende Entscheidung zu bekämpfen; diese Rechtsfigur ist von der Sachlegitimation zu trennen (Zechner in Fasching/Konecny 2 Vor §§ 514 ff ZPO Rz 53 mwN).

Zu prüfen ist daher, ob jene Entscheidung, die mit dem erhobenen Rechtsmittel bekämpft werden soll (hier also das Ersturteil), im Fall ihrer Rechtskraft die Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers nachteilig beeinträchtigt (vgl RIS‑Justiz RS0043773).

3. Darauf, ob eine Beeinträchtigung erst durch eine künftige abändernde Rechtsmittelentscheidung aufgrund eines Rechtsmittels des Gegners eintreten könnte, kommt es hingegen nicht an. Schon an dieser Stelle ist jedoch klarzustellen:

3.1. Bei der Beurteilung der Beschwer des Klägers für seine Berufung bedarf es jedenfalls keiner Klärung der Frage, ob er in erster Instanz gegen die Eventualmaxime verstieß. Sollte dieser Vorwurf in der Berufung der Beklagten zutreffen, könnte sich der Kläger nämlich auch dann nicht beschwert erachten, wenn sein (diesfalls) verspätetes Vorbringen Berücksichtigung gefunden hat.

3.2. Der Kläger unterliegt aber auch mit seiner Befürchtung, dass ihm, sollte das Berufungsgericht das Ersturteil wegen eines Verstoßes gegen die Eventualmaxime in eine Klageabweisung abändern, eine Berufung zu den anderen Einwendungen abgeschnitten wäre und er alle seine Ansprüche verlieren würde, einem Rechtsirrtum.

Er übersieht zunächst, dass das Berufungsgericht, wenn es im Gegensatz zum Erstgericht die von diesem zur Begründung des Erlöschens des betriebenen Anspruchs verwertete Einwendung des Klägers verneinen sollte, selbständig eine Prüfung der weiteren Einwendungen des Klägers vorzunehmen hätte, wenn auch auf der Basis der (allenfalls) vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, die der Kläger allerdings auch bekämpfen konnte.

Dafür stand ihm die Berufungsbeantwortung zur Berufung der Beklagten zur Verfügung, die ihm die Möglichkeit bot (und im Fall einer gesetzmäßigen Rechtsrüge in der Berufung des Gegners die Pflicht auferlegte [E. Kodek in Rechberger 4 § 468 ZPO Rz 5 mwN]), für ihn nachteilige Feststellungen oder bei deren Ermittlung zu seinen Lasten vorgefallene Verfahrensmängel in der Berufungsbeantwortung zu rügen (§ 468 Abs 2 ZPO; RIS‑Justiz RS0112020 [T15]; vgl RS0111841 [T2]) sowie allgemein auf die Berufungsausführungen im Einzelnen zu erwidern und damit Argumente für eine Bestätigung der angefochtenen Entscheidung zu liefern (RIS‑Justiz RS0119592).

Bei ‑ nicht zu rügenden (RIS‑Justiz RS0115460) ‑ sekundären Feststellungsmängeln hätte das Berufungsgericht entweder das Verfahren selbst zu ergänzen oder das Ersturteil aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 496 ZPO), beides unter Beteiligung des Klägers.

Davon, dass dem Kläger bei Verneinung einer Beschwer durch das Ersturteil wegen eines vom Gegner geführten Rechtsmittelverfahrens jede Möglichkeit genommen sei, die weiteren Ausführungen im Ersturteil zu bekämpfen, und dass er von einer Prüfung seiner weiteren Einwendungen ausgeschlossen sei, kann daher keine Rede sein.

4. Es wird zwischen der formellen Beschwer, die vorliegt, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht, und der materiellen Beschwer unterschieden; letztere liegt vor, wenn die (materielle oder prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, diese also für ihn ungünstig ausfällt. Die formelle Beschwer reicht nicht immer aus. Widerspricht die angefochtene Entscheidung dem vom Rechtsmittelwerber in der Vorinstanz gestellten Antrag, dann ist, wenn die Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung nicht beeinträchtigt wird, sein Rechtsmittel dennoch zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0041868). Der Rechtsmittelwerber muss aber grundsätzlich formell beschwert sein, die bekämpfte Entscheidung muss also im Spruch zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers von seinem Sachantrag abweichen (5 Ob 215/15a mwN; RIS‑Justiz RS0043917; RS0041868 [T5, T11]; RS0041735), während eine Beschwer im Regelfall nicht allein aus den Gründen der Entscheidung abgeleitet werden kann (RIS‑Justiz RS0043947; RS0041929). Ausnahmsweise wird die Beschwer allein durch die Begründung der Entscheidung mit Rücksicht auf eine Bindung an die bekämpfte Entscheidung anerkannt, und zwar bei Zwischenurteilen (RIS‑Justiz RS0040958), bei Zwischenfeststellungsanträgen (RIS‑Justiz RS0043947 [T6]), bei Aufhebungsbeschlüssen (RIS‑Justiz RS0111505) und Rechtsgestaltungsklagen nach § 105 ArbVG, deren Ziel es ist, die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung geltend zu machen (8 ObA 87/99y = ZAS 2001, 10 [abl Bienert‑Nießl]; abl ebenso E. Kodek in Rechberger 4 Vor § 461 ZPO Rz 10; vgl RIS‑Justiz RS0043947 [T5]).

5. Der Kläger stellt gar nicht in Abrede, dass er durch den Spruch des Ersturteils nicht beschwert ist, weil seiner Oppositionsklage uneingeschränkt stattgegeben wurde. Er versucht jedoch (sowohl in der Berufung als auch im Rekurs) aus der angeblich für ihn nachteiligen Begründung des Ersturteils (die die anderen, vom Kläger seines Erachtens vorgereihten und für ihn günstigeren Einwendungen, deren Erfolg nicht zur Tilgung einer Gegenforderung geführt hätte, unberücksichtigt gelassen habe) und der in einem vom Kläger gegen die Beklagte geführten Folgeprozess bestehenden Bindung (die ‑ wie er meint ‑ nicht nur an die im Oppositionsprozess entschiedene Hauptfrage, sondern auch für alle anderen behandelten Einwendungen gegeben sein soll) eine Beschwer durch die Begründung des Ersturteils zu konstruieren.

6.  Das erstinstanzliche Vorbringen des Klägers trägt die Annahme einer Bestimmung der Prüfungsreihenfolge seiner Einwendungen jedoch nicht.

6.1. Eine Analyse seines Vortrags zeigt, dass er seine Oppositionsklage auf zahlreiche Einwendungen gründet, und zwar (in der von ihm gewählten Reihenfolge, wobei eine vom Kläger vorgenommene Nummerierung jeweils angeführt ist):

‑ auf die Tilgung auch der ab Juli 2011 fällig gewordenen Leibrenten durch Vorauszahlungen in den Jahren 2006 und 2007 (Kl S 2 „1.“; ON 5 S 2),

‑ auf die einvernehmliche Aufhebung der im Notariatsakt enthaltenen Zahlungspflicht mit Ende 2007 (ON 1 S 2 „2.“ ; ON 5 S 2 f),

‑ auf einen schlüssigen Verzicht auf die ab Jänner 2008 fällig gewordenen Leibrenten (ON 1 S 2 ohne ziffernmäßige Einordnung; ON 5 S 4),

‑ auf Tilgung durch Aufrechnungserklärung in der Klage vom 24. Juli 2014 mit drei nicht weiter aufgeschlüsselten (vgl aber RIS‑Justiz RS0037570 [T1 und T2]) Gegenforderungen (ON 1 S 2 f „3.“) wegen

+ Kosten des Heims für den Vater für 29 Monate von 41.100 EUR (ON 1 S 3 „3.“; ON 5 S 6 „3.a“),

+ Kosten des Begräbnisses der Mutter von 5.522 EUR (ON l S 3 „3.“), später eingeschränkt auf 5.362,32 EUR (ON 5 S 6 „3.b“) und

+ Instandhaltungskosten für die Wohnung der Mutter von 9.458 EUR (ON 1 S 3 „3.“),

‑ auf Verjährung der Leibrente für Juli 2011 (ON 1 S 3 „4.“),

‑ auf die einvernehmliche Aufhebung der im Notariatsakt vorgesehenen Wertsicherung (ON 5 S 2 ohne ziffernmäßige Einordnung),

‑ auf einen schlüssigen Verzicht auf die Wertsicherung (ON 5 S 2 und 4 ohne ziffernmäßige Einordnung),

‑ auf Verjährung der mehr als drei Jahre rückständigen Wertsicherungsbeträge (ON 5 S 3 ohne ziffernmäßige Einordnung),

‑ auf Tilgung durch Aufrechnungserklärung im Schriftsatz vom 19. September 2014 mit drei weiteren Gegenforderungen (ON 5 S 6) wegen

+ während der Verlassenschaft bezahlter Kosten des Parkplatzes der Wohnung der Mutter von 10,80 EUR (ON 5 S 6, ohne ziffernmäßige Einordnung),

+ während der Verlassenschaft bezahlter Kosten der Volkshilfe von 151,56 EUR (ON 5 S 6, ohne ziffernmäßige Einordnung) und

+ des mit nunmehr erfolgter Einantwortung fällig gewordenen Pflichtteilsanspruchs des Klägers von 16.255,83 EUR (ON 5 S 7 „3.c“) und

‑ auf Tilgung durch Aufrechnungserklärung in der Tagsatzung vom 30. September 2014 mit einem weiteren Pflichtteilsanspruch von 10.000 EUR (ON 6 S 2 ohne ziffernmäßige Einordnung); dessen Reduzierung (von insgesamt 26.255,83 EUR) auf 25.565,13 EUR in der Tagsatzung vom 8. Mai 2015 (ON 20 S 2, ohne ziffernmäßige Einordnung) enthält den Zusatz, dieser „werde ‑ sofern der Anspruch aus dem Notariatsakt nicht bereits im Jahre 2008 erloschen ist ‑ mit einem allfälligen Rückstand“ aufgerechnet; diese Aufrechnung wurde damit also bedingt erklärt.

Diese Einwendungen stehen zumindestens teilweise miteinander im Widerspruch, zB weil eine Aufhebung der Zahlungspflicht mit Ende 2007 ebenso wie ein Verzicht auf künftige Leibrenten ausschließen, dass im Juli 2011 und danach noch weitere Leibrenten fällig werden konnten.

6.2. Der Kläger machte somit unterschiedliche rechtserzeugende Tatsachen (Klagegründe) geltend, wobei jeder für sich dem einheitlichen Urteilsbegehren insgesamt zum Erfolg führen soll. Das entspricht einer zulässigen, sogenannten kumulierten Klagenhäufung (RIS‑Justiz RS0037814; 4 Ob 154/12v = SZ 2012/106). Es widerspricht nämlich nicht den Vorschriften der Prozessordnung, nebeneinander zwei Klagegründe geltend zu machen, die einander ausschließen, während jeder aber den gestellten Urteilsantrag rechtfertigt (RIS‑Justiz RS0038130; vgl RS0037782). Dabei ist es gleichgültig, ob die zweite Begründung nur als Hilfsbegründung (7 Ob 202/62) oder gleichrangig geltend gemacht wird. Im erstgenannten Fall liegt eine Eventualklagenhäufung vor, im zweiten Fall aber auch eine solche, bei der die Reihenfolge der Erledigung dem Gericht nur dann vorgeschrieben ist, wenn der Wille des Klägers, dass das Gericht zuerst über den einen und dann erst über den anderen von ihr behaupteten Klagegrund absprechen solle, einem prozessual gehörig gestellten Antrag entnommen werden kann. Werden die Klagegründe ohne einen solchen Antrag kumulativ zur Begründung des Klagebegehrens geltend gemacht, sind sie in gleicher Weise ‑ nicht im Verhältnis von Haupt‑ und Eventualbegehren ‑ Gegenstand des Prozesses (8 Ob 543/87 = SZ 60/151; Fasching in Fasching/Konecny 2 § 226 ZPO Rz 92). Prozessrechtlich ist ein Kläger daher nicht gehalten, seine vorgetragenen unterschiedlichen Klagegründe zu reihen. Schon deshalb hatte das Erstgericht keinen Anlass zu (vom Kläger vermissten) Erörterungen dazu nach §§ 182, 182a ZPO.

Der Kläger überlässt es dann dem Ermessen des Gerichts, die Reihenfolge der Prüfung zu bestimmen und aufgrund prozessökonomischer Erwägungen die Verhandlung zumindest faktisch auf eine der Einwendungen des Klägers zu beschränken, weil es nach §§ 188 und 189 ZPO dem ‑ unbekämpfbaren (§ 192 Abs 2 ZPO) ‑ Ermessen des Gerichts überlassen ist, eine getrennte Verhandlung über mehrere in der Klage erhobene Ansprüche oder über selbständige Streitpunkte/Angriffsmittel anzuordnen (vgl 4 Ob 42/15b = RIS‑Justiz RS0130155; Fucik in Rechberger 4 § 188 ZPO Rz 1 und § 189 ZPO Rz 1). Auf einen weiteren Rechtsgrund hat es dann erst bei Verneinung des vorhergehenden einzugehen (2 Ob 266/82 = RIS‑Justiz RS0038130 [T2]).

6.3. Ein Antrag des Klägers, in welcher Reihenfolge das Gericht seine Einwendungen nach § 35 EO prüfen und darüber entscheiden soll, dh zu einer getrennten Verhandlung iSd §§ 188, 189 ZPO in bestimmter Reihenfolge, findet sich in seinem Vorbringen nicht. Da das Verfahrensrecht keine stillschweigenden Parteien- und Prozesshandlungen kennt (RIS‑Justiz RS0005998; RS0036551), kann auch die Nummerierung von Einwendungen (allenfalls samt Untergliederung mit Buchstaben) nicht als solcher Antrag gewertet werden. Davon abgesehen wurde diese Form der Gliederung ‑ wie die Wiedergabe des Prozessvorbringens zeigt ‑ auch nicht (und zwar nicht einmal in der Klage) konsequent durchgehalten, sodass eine durchgängige Reihung der Einwendungen schon deshalb zu verneinen ist.

Die formalrechtlichen Argumente des Rekurses versagen daher.

6.4. Vielmehr konnte sich das Erstgericht bei der Beurteilung der Berechtigung der Oppositionsklage auf eine der zahlreichen Einwendungen des Klägers und darauf beschränken, ob der geprüfte Einwand zum vollständigen Erlöschen des betriebenen Anspruchs führt.

Dem hat das Erstgericht entsprochen. Da es von einer materiell‑rechtlichen Aufrechnung gegen die betriebene Forderung mit einem die betriebene Forderung von 21.843,56 EUR übersteigenden Pflichtteilsanspruch ausging, verwertete es damit hinreichend erkennbar die vom Kläger (während des Prozesses, aber mit dem in dieser Konstellation ausschließlich möglichen Schuldtilgungseinwand) vorgenommene Kompensation mit seinem (erhöhten) Pflichtteilsanspruch.

6.5. Durch diese Vorgangsweise ist der Kläger in keiner Weise beschwert, weil das Erstgericht ohne Verfahrensmangel agierte und es das vom Kläger angestrebte Erlöschen der betriebenen Forderung mit einer der von ihm zu diesem Zweck vorgetragenen Einwendungen begründete. Den „Verbrauch“ seines Pflichtteilsanspruchs gegen die Beklagte im Ausmaß von 21.843,56 EUR hat er sich selbst zuzuschreiben. Andere negative Einflüsse auf seine materielle Rechtsposition vermochte er nicht darzustellen.

7. Auch die ‑ erkennbar ausgehend von der Rechtskraft des Ersturteils geäußerte ‑ Rechtsansicht des Klägers, in einem Folgeprozess zwischen den Streitteilen bestehe eine Bindungswirkung an die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Ersturteils zu seinen weiteren Einwendungen, ist unzutreffend.

7.1. Bei der Bindungswirkung handelt es sich um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft (RIS‑Justiz RS0102102). Rechtskräftig wird aber nur die Entscheidung über den Anspruch, der geltend gemacht wurde; die materielle Rechtskraft erfasst also allein die im Urteil festgestellte Rechtsfolge, die Urteilselemente (Tatsachenfeststellungen und rechtliche Beurteilung) werden ‑ isoliert betrachtet ‑ nicht von der Rechtskraft erfasst (RIS‑Justiz RS0041285; RS0118570). Das Ausmaß der Bindungswirkung wird daher grundsätzlich nur durch den Urteilsspruch bestimmt, doch sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen, sodass sich die materielle Rechtskraft auf die Tatsachenfeststellungen jedenfalls soweit erstreckt, als dies zur Individualisierung des Spruchs notwendig ist (RIS‑Justiz RS0043259 [T1, T4]).

7.2. Jene Ausführungen im Ersturteil, die die nicht vom Erstgericht zur Begründung der Klagestattgebung herangezogenen Einwendungen des Klägers in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht betreffen, entfalten daher für Folgeprozesse keine Bindungswirkung und hindern den Kläger nicht, zB eine oder mehrere der nicht zwecks Kompensation „verbrauchten“ Gegenforderungen gegenüber der Beklagten künftig einzuklagen.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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