OGH 8ObA87/99y

OGH8ObA87/99y26.8.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Lothar Matzenauer und ADir Reg. Rat Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Hugo W*****, vertreten durch Dr. Paul Ladurner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Franz W*****, vertreten durch Dr. Werner Fuchs, Rechtsanwalt in Landeck, wegen Anfechtung einer Kündigung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Februar 1999, GZ 13 Ra 60/98s-21, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. Oktober 1998, GZ 42 Cga 164/97g-16, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Der Beklagte ist Inhaber eines Gartenbaubetriebs, in welchem dauernd mehr als fünf Dienstnehmer beschäftigt werden. Ein Betriebsrat ist nicht errichtet.

Der Kläger ist seit ca 20 Jahren im Betrieb des Beklagten, seines Bruders, als Angestellter beschäftigt. Er erhielt vom Beklagten am 4. 7. 1997 ein mit 2. 7. 1997 datiertes Schreiben mit folgendem Inhalt:

"Betrifft: Änderungskündigung

Lieber Hugo!

Aufgrund der wirtschaftlichen Lage sehe ich mich gezwungen, betriebliche und personelle Änderungen vorzunehmen. Deine Arbeitsleistungen sind in den letzten Jahren nicht mehr in Relation zu Deinem Lohn zu bringen. Auch Dein Arrangement im Sinne des Betriebes zu wirtschaften läßt zunehmend zu wünschen übrig. Um Dir ein weiteres Arbeiten in meinem Betrieb zu ermöglichen, biete ich Dir ab 1. 8. 1997 folgende Änderung an:

1. Übernahme vom Angestelltenverhältnis ins Arbeitsverhältnis.

2. Lohnkürzung von derzeit bto S 38.925 auf bto S 20.760.

3. Strikte Einhaltung der kollektivvertraglich und betriebsüblichen Arbeitszeiten.

4. Eine Neuregelung Deines Lohnes ist nur durch Deine zukünftige überzeugende Leistung möglich.

Deine schriftliche Antwort erwarte ich bis spätestens 10. 7. 1997."

Mit seiner am 9. 7. 1997 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger das Urteil, es werde die mit Schreiben vom 2. 7. 1997, dem Kläger zugestellt am 4. 7. 1997, ausgesprochene Kündigung des Dienstverhältnisses zwischen dem Beklagten als Dienstgeber und dem Kläger als Dienstnehmer aufgehoben. Die gegenständliche Kündigungs- und Anfechtungsklage werde vorsichtshalber für den Fall der Qualifikation der im Schreiben vom 2. 7. 1997 enthaltenen Erklärung des Beklagten als bedingte oder unbedingte Kündigung erhoben. Der Kläger habe mit Schreiben vom 8. 7. 1997 das Anbot auf Vertragsänderung abgelehnt. Sollte daher eine aufschiebend bedingte Änderungskündigung vorliegen, sie diese durch die Ablehnung in Wirksamkeit getreten. Durch die Kündigung würden wesentliche Interessen des Klägers nachhaltig beeinträchtigt; personen- oder betriebsbezogene Kündigungsgründe lägen nicht vor.

Der Beklagte wendete dagegen ein, daß die mit Schreiben vom 2. 7. 1997 ausgesprochene Kündigung sowohl wegen betrieblicher Erfordernisse als auch aus vom Kläger zu vertretenden Gründen berechtigt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, daß dem bereits mehrfach zitierten Schreiben lediglich die Absicht des Beklagten zu entnehmen sei, die weitere Zusammenarbeit auf eine neue Basis zu stellen. Von der Beendigung des Dienstverhältnisses bei Ablehnung der angebotenen Kündigung sei allerdings ausdrücklich nicht die Rede. Auch finde sich im Schreiben weder eine Kündigungsfrist noch ein Endigungstermin. Es sei daher ein eindeutiger Sinngehalt in der Richtung, daß mit dem Schreiben die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits ausgesprochen worden sei, nicht erschließbar. Da somit eine Beendigungswirkungen entfaltende Erklärung des Dienstgebers nicht vorliege, sei eine Anfechtung gemäß § 105 ArbVG nicht möglich.

Das Gericht zweiter Instanz wies die dagegen erhobene Berufung des Beklagten zurück. Nach ständiger Rechtsprechung und überwiegender Lehre setze jedes Rechtsmittel eine Beschwer voraus. Beschwer lediglich durch die Begründung - nicht aber durch den Spruch - einer gerichtlichen Entscheidung werde nur bei Rekursen gegen Aufhebungsbeschlüsse und bei Zwischenurteilen anerkannt, sonst aber grundsätzlich abgelehnt. Der im erstinstanzlichen Verfahren obsiegende Beklagte sei durch den - zur Beurteilung seines Anfechtungsinteresses allein maßgeblichen - Spruch des Ersturteils nicht beschwert.

Rechtliche Beurteilung

Dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs des Beklagten kommt Berechtigung zu.

Voraussetzung jeder Rechtsmittelzulässigkeit ist das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses. Jedes Rechtsmittel setzt eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse, voraus, ist es doch nicht Sache der Rechtsmittelinstanzen, rein theoretische Fragen zu entscheiden (SZ 61/6; SZ 67/230; 2 Ob 2277/96h; uva). Der Rechtsmittelwerber muß nach ganz herrschender Auffassung grundsätzlich formell beschwert sein. Formelle Beschwer ist dann gegeben, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrundeliegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht. Materiell beschwert ist hingegen derjenige, dessen materielle oder prozessuale Rechtsstellung durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, für den die Entscheidung somit ungünstig ausfällt. Widerspricht zwar die angefochtene Entscheidung dem in der Vorinstanz gestellten Antrag des Rechtsmittelwerbers, wird damit aber seine Rechtsstellung nicht beeinträchtigt, dann ist sein Rechtsmittel dennoch trotz formeller, jedoch mangels materieller Beschwer zurückzuweisen (SZ 67/230; 1 Ob 146/98x; ua; Kodek in Rechberger ZPO Rz 10 vor § 461).

Es ist einhellige Rechtsprechung, daß nur der durch den Spruch im dargestellten Sinne Beschwerte ein Rechtsmittel ergreifen kann. Allein aus den Gründen einer Entscheidung kann eine Beschwer nicht abgeleitet werden (SZ 7/353; SZ 21/2; 7 Ob 2070/96d; 2 Ob 71/98z; uva). Diese Judikaturlinie gründet sich allerdings zumindest überwiegend - soweit überblickbar - auf die Überlegung, daß aus der jeweils gegebenen Verfahrenskonstellation heraus die Entscheidungsbegründung keine Bindungswirkung entfalten könne (vgl 4 Ob 534/90: Abänderung einer Klagszurückweisung a limine; 1 Ob 2058/96w: Abweisung eines Unterbrechungsantrags; 2 Ob 71/98z:

klagsstattgebendes Teilurteil). Ausdrücklich wurde jeweils festgehalten, daß die Rechtslage bei Aufhebungsbeschlüssen oder Zwischenurteilen grundlegend anders sei, weil die in einem Aufhebungsbeschluß geäußerte Rechtsansicht das Erstgericht binde (§ 499 Abs 2 ZPO) und einem Zwischenurteil insoweit Bindungswirkung zukomme, als Gericht und Parteien die Frage des Anspruchsgrundes nicht mehr neuerlich aufrollen dürfen (VersRdSch 1990, 95; 4 Ob 1645/95; 1 Ob 2058/96w; Kodek aaO).

Offenkundig unbeachtet blieb bisher, daß die Rechtsprechung neben den genannten Aufhebungsbeschlüssen und Zwischenurteilen eine inhaltliche Bindungswirkung des Vorverfahrens für den Folgeprozeß annimmt, wenn zwar keine Identität der Begehren vorliegt, aber gewisse Fälle der Präjudizialität gegeben sind (siehe die ausführliche Darstellung der Rechtsprechung in der Entscheidung des verstärkten Senates SZ 70/60). Ist ein im Vorverfahren als Hauptfrage entschiedener Anspruch für den in einem weiteren Verfahren zwischen denselben Parteien geltend gemachten Anspruch eine Vorfrage (ein bedingendes Rechtsverhältnis), so entfaltet die Vorentscheidung insoweit aufgrund ihrer materiellen Rechtskraft jedenfalls Bindungswirkung (SZ 68/103; SZ 70/60; 1 Ob 330/98f; ua). Diese Bindungswirkung schließt die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung des bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruchs aus, dieser ist vielmehr ohneweiteres der neuen Entscheidung zugrundezulegen (1 Ob 40/95; Fasching ZPR2 Rz 1501). Die Wirkungen der materiellen Rechtskraft erfassen nach ihren subjektiven Grenzen jedenfalls die Prozeßparteien, weil diese als Verfahrensbeteiligte vor der Entscheidung im Vorprozeß rechtliches Gehör fanden und dadurch an der Stoffsammlung und Entscheidungsfindung mitwirkten (SZ 70/60; SZ 70/262; 1 Ob 330/98f).

Im allgemeinen wird zwar das Ausmaß der Bindungswirkung nur durch den Urteilsspruch bestimmt, doch sind die Entscheidungsgründe - soweit erforderlich - zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs heranzuziehen (SZ 55/74; NZ 1994, 228; 1 Ob 574/95; 1 Ob 40/95; ua). Dies gilt vor allem, wenn der Umfang der Rechtskraftwirkung einer abweisenden Entscheidung festzustellen ist (SZ 55/74; NZ 1994, 228; 9 ObA 203/91; 1 Ob 40/95; 4 Ob 132/98k).

Nur wenn eine bestimmte Tatsache nicht den Hauptgegenstand des Vorverfahrens bildete, sondern dort lediglich als Vorfrage zu beurteilen war, kommt dieser Vorfragenentscheidung keine Bindungswirkung für den Folgeprozeß zu (JBl 1990, 52; NZ 1994, 228; JBl 1995, 458; 1 Ob 40/95; 6 Ob 211/98t; ua). In diesem Zusammenhang wurde mehrfach ausgesprochen, daß es für die Beurteilung der Qualität als Hauptfrage ausschlaggebend darauf ankomme, ob ein bestimmtes Rechtsverhältnis als Ganzes Gegenstand der Entscheidung im ersten Prozeß gewesen sei (8 ObA 291/95; 4 Ob 132/98k).

Es bedarf im Rahmen dieser Rechtsausführungen keiner grundlegenden Überlegungen zur Abgrenzung von Haupt- und Vorfrage im allgemeinen (vgl insbesondere die eher enge Sicht in 9 ObA 205/98g und 6 Ob 59/99s), weil in dem hier zu beurteilenden Fall eine Rechtsgestaltungsklage gemäß § 105 ArbVG vorliegt, deren Ziel es gerade ist, die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung geltend zu machen. Gegenstand des Verfahrens ist somit die Wirksamkeit der Kündigung und nicht der sich lediglich als Folgerung ergebende aufrechte Bestand des Arbeitsverhältnisses, weshalb die Frage der Wirksamkeit der Kündigung im Anfechtungsprozeß jedenfalls die Hauptfrage darstellt. Hat das Erstgericht - wie hier - entschieden, daß eine anfechtbare Kündigung gar nicht vorliege, wird der Hauptgegenstand des Verfahrens unmittelbar berührt. Diese enge untrennbare Verbindung wird nicht zuletzt durch die in den §§ 105 Abs 4, 107 ArbVG festgelegten Klagefristen dokumentiert. Wollte man die Bindungswirkung leugnen, könnte in einem Folgeprozeß, etwa jenem des Klägers auf Entgeltzahlung, der Beklagte die rechtswirksame Kündigung durch das hier strittige Schreiben einwenden und wäre, betrachtete nunmehr das Gericht die Kündigungserklärung als erfolgt, das Anfechtungsrecht des Klägers verfristet.

Weil somit die Begründung des Erstgerichts, das Schreiben des Beklagten vom 2. 7. 1997 sei keine anfechtbare Kündigung gewesen, Bindungswirkung für allfällige Folgeprozesse entfalten und damit die Rechtsposition des Beklagten - der dem Anfechtungsbegehren nicht mit dem Einwand entgegengetreten ist, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei nicht erfolgt - ungünstig beeinflussen kann, kann dem Beklagten trotz Abweisung des Klagebegehrens die Rechtsmittellegitimation nicht abgesprochen werden.

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil Kosten nicht verzeichnet wurden.

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