OGH 10ObS99/17g

OGH10ObS99/17g13.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. F*****, vertreten durch Dr. Burghard Seyr, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1080 Wien, Josefstädterstraße 80, wegen Gewährung des Krankenversicherungsschutzes, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Jänner 2017, GZ 25 Rs 100/16s‑7, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00099.17G.0913.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 25. 7. 2016 wurde aufgrund des Antrags des Klägers vom 4. 7. 2016 festgestellt, dass

1. dessen Anspruchsberechtigung als pflegender Angehöriger seiner Mutter mit deren Tod am 26. 5. 2016 geendet hat (§ 56 Abs 6b B-KUVG);

2. er ab 27. 5. 2016 Anspruch auf Leistungen aus der Krankenversicherung hat, wenn der Versicherungsfall während der Anspruchsberechtigung eingetreten ist oder mit Beginn der Anspruchsberechtigung bereits bestanden hat, solange es sich um ein und denselben Versicherungsfall handelt (§ 55 Abs 1 B-KUVG) und

3. er Anspruch auf Leistungen aus dem Versicherungsfall der Krankheit sowie auf Leistungen der chirurgischen und konservierenden Zahnbehandlung auch dann hat, wenn die Erkrankung innerhalb von 6 Wochen nach dem Ende der Anspruchsberechtigung, das heißt längstens bis zum 7. 7. 2016 eingetreten ist (§ 55 Abs 1a B-KUVG).

In seiner beim Arbeits- und Sozialgericht gegen diesen Bescheid rechtzeitig eingebrachten Klage wendet sich der Kläger gegen die „zeitliche, umfängliche und rechtliche Einschränkung seines Anspruchs auf Krankenversicherung“. Wegen seiner permanenten gesundheitlichen Gefährdung infolge einer seit langem bestehenden Parkinsonerkrankung gehe es ihm vor allem um Klarheit hinsichtlich des Umfangs seines Krankenversicherungsschutzes. Er stelle daher das Urteilsbegehren,

1. der Bescheid werde hinsichtlich der zeitlichen, umfänglichen und rechtlichen Einschränkungen aufgehoben;

und es möge festgestellt werden,

2. dass er bei der beklagten Partei zumindest ab 27. 8. 2014 in vollem Umfang anspruchsberechtigt sei;

3. dass die Anspruchsberechtigung gegen die beklagte Partei bereits seit 1. 3. 2012 gegeben sei;

4. er von der Rezeptgebühr befreit werde und

5. er bei der beklagten Partei alle Leistungen, die er selbst bis 1. 3. 2012 erbracht hat, refundiert erhalte, soweit sie nach den gesetzlichen Bestimmungen zu ersetzen seien und dies noch nicht erfolgt sei.

Mit dieser Klage verband der Kläger einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf Aufhebung des Bescheids sowie darauf, die beklagte Partei möge unverzüglich dafür sorgen, dass ihm seine e-card uneingeschränkten Versicherungsschutz in der Krankenversicherung bescheinige.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren sowie den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Es handle sich nicht um eine in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallende Sozialrechtssache im Sinn des § 65 ASGG.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

I. Zu Punkt 1 bis 3 des Klagebegehrens:

I.1. Gemäß § 65 Abs 2 ASGG fallen unter die Sozialrechtssachen auch Klagen auf Feststellung. Dies gilt für alle von § 65 Abs 1 ASGG erfassten Rechtssachen (RIS‑Justiz RS0114923).

I.2 Der hier in Betracht kommende § 65 Abs 1 Z 1 ASGG erfasst Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungs- oder Pflegegeldleistungen, soweit hiebei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen.

I.3 § 65 Abs 1 Z 1 ASGG verweist auf § 354 Z 1 ASVG, wodurch klargestellt wird, dass alle jene Streitigkeiten erfasst werden sollen, die im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren als Leistungssachen einzustufen sind. Auch nach der – teilweise mit § 65 Abs 1 Z 1 korrelierenden – Definition der Leistungssachen nach § 354 Z 1 ASVG muss eine Rechtsstreitigkeit über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen vorliegen. Eine Leistungssache setzt somit voraus, dass zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherungsträger entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruchs auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruchs streitig ist (RIS‑Justiz RS0085473). Der Kern ist demnach die Frage der Gewährung oder Nichtgewährung von– gemeint: bestimmten – Versicherungsleistungen (RIS‑Justiz RS0085473 [T1]).

I.4 Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, es liege keine Leistungssache bzw Sozialrechtssache im Sinn des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vor, weil weder im Bescheid über einen Anspruch des Klägers auf eine konkrete Versicherungsleistung aus der Krankenversicherung deren Bestand oder Umfang abgesprochen wurde, noch mit der vorliegenden Klage ein Anspruch auf eine konkrete Versicherungsleistung (wie etwa auf Ersatz der Kosten einer Krankenbehandlung) geltend gemacht wird, weicht von dieser Rechtsprechung nicht ab. Vielmehr will der Kläger losgelöst von einem konkreten Versicherungsfall der Krankheit das uneingeschränkte Bestehen seines Kranken-versicherungsschutzes festgestellt haben. In einem solchen Fall liegt eine Verwaltungssache im Sinn des § 355 ASVG über die Feststellung der Versicherungsberechtigung und des Beginns und Endes der Versicherung vor (§ 355 Z 1 ASVG). Über diese Frage hat aber nicht (im Rahmen der sukzessiven Kompetenz) das Arbeits- und Sozialgericht, im Beschwerdeweg das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden (§ 355 iVm § 414 ASVG).

II. Zu Pkt 4 und 5 des Klagebegehrens:

II.1 Mit dem auf Feststellung der Befreiung von der Rezeptgebühr gerichteten Feststellungsbegehren ficht der Kläger nicht den bekämpften Bescheid an, sondern begehrt etwas anderes, als worüber mit dem Bescheid entschieden wurde. Dies trifft in gleicher Weise auf Pkt 5 des Klagebegehrens (Anspruch auf Leistungsrefundierung) zu. Die Ansicht des Rekursgerichts im Hinblick auf das Fehlen eines meritorisch über diese Frage absprechenden Bescheids sei Unzulässigkeit des Rechtswegs auch für diese beiden Begehren gegeben, findet in der dazu vorhandenen bisherigen Rechtsprechung Deckung (RIS-Justiz RS0085867).

II.2 Wollte man im Hinblick auf das Klagevorbringen, über den Antrag auf Rezeptgebührenbefreiung sei im Bescheid nicht entschieden worden, vom Vorliegen einer Säumnisklage ausgehen, wäre die Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs darin begründet, dass die ohne Geltendmachung des Eintritts des Versicherungsfalls und ohne jede Bezugnahme auf eine konkrete, vom Versicherungsträger erbrachte oder verweigerte Versicherungsleistung beantragte Befreiung von der Rezeptgebühr keine Streitigkeit über den Umfang eines Anspruchs auf Versicherungsleistung im Sinn des § 354 Z 1 ASVG und § 65 Abs 1 Z 1 ASGG darstellt (10 ObS 130/00s, SSV‑NF 14/62).

III. Gehört der Hauptanspruch nicht vor die Gerichte, steht auch dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (RIS-Justiz RS0004913 [T4]). Soweit dieser Grundsatz in der Entscheidung 4 Ob 168/07w relativiert wurde (siehe Fuchs, Gerichtliche Kontrolle der Sperre vor Fußballspielern, Zak 2008/329, 188 [191]), ist dem Kläger entgegenzuhalten, dass der Zulässigkeit des Rechtswegs hier nicht nur ein temporäres, sondern ein dauerndes Hindernis entgegensteht.

IV. Die Ansicht der Vorinstanzen, dass die Klage gemäß § 73 ASGG insgesamt zurückzuweisen sei, bedarf daher keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof (RIS‑Justiz RS0042080).

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