OGH 14Os30/17v

OGH14Os30/17v4.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Juli 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Limberger, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef Z***** und eine Angeklagte wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3 Z 1 erster Fall, Abs 4 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Josef Z***** und Claudia Z***** gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 26. Jänner 2017, GZ 38 Hv 13/16a‑66, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00030.17V.0704.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Josef Z***** (zu 1) und Claudia Z***** (zu 2) jeweils mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3 Z 1 erster Fall, Abs 4 vierter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben Josef Z***** (1/a und b) und Claudia Z***** (2/a und b) in K***** und an anderen Orten gegen unmündige Personen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie diese durch nahezu tägliche Schläge mit der flachen Hand gegen das Gesicht (Josef Z***** auch gegen den Hinterkopf und das Gesäß) der Opfer am Körper misshandelten, wobei die Gewalt länger als ein Jahr ausgeübt wurde, nämlich hinsichtlich des am 26. Februar 2003 geborenen David Z***** von Herbst 2009 bis März 2013, hinsichtlich des am 1. März 2004 geborenen Matthias Z***** von Herbst 2010 bis März 2013.

Die dagegen von Josef Z***** aus Z 5, 5a und 10, von Claudia Z***** aus Z 5, 5a, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO, ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden sind nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Josef Z*****:

Die Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem „äußeren Geschehensablauf“ (US 11), der zuvor detailliert dargestellt wurde (US 3 ff) ist der Mängelrüge (Z 5 erster und vierter Fall) zuwider weder undeutlich noch offenbar unzureichend (RIS-Justiz RS0098671).

Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) aus vom Erstgericht ohnehin erörterten Prämissen (dem Mitschnitt eines Gesprächs zwischen den Angeklagten und den beiden Opfern, in welchem diese ihre in den kontradiktorischen Vernehmungen getätigten Aussagen widerriefen [ON 24] sowie einem Protokoll über die Vernehmung des Matthias Z***** durch die Kriminalpolizei mit ähnlichem Inhalt [ON 64]) für den Beschwerdeführer günstigere Schlussfolgerungen zieht, weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen, sondern bekämpft bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung (RIS‑Justiz RS0099674).

Gleiches gilt für die Subsumtionsrüge (Z 10), welche – gestützt auf das Gutachten des vom Gericht beigezogenen Sachverständigen, der dem Beschwerdeführer mehrere (die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließende) Persönlichkeitsstörungen attestierte (ON 41 S 18) – die Feststellungen in Bezug auf die „qualifikationsbegründenden Vorsätze“ bekämpft und solcherart den vom Gesetz geforderten tatsächlichen Bezugspunkt des materiellen Nichtigkeitsgrundes verfehlt (RIS-Justiz RS0099810).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Claudia Z*****:

Feststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge bekämpfbar, als sie entscheidende Tatsachen betreffen (RIS‑Justiz RS0117499). Solche spricht das Vorbringen, die Konstatierungen seien insofern undeutlich oder widersprüchlich (Z 5 erster und dritter Fall), als der Beschwerdeführerin einerseits „bloß“ (mit der Zufügung von Schmerzen verbundene) Schläge mit der flachen Hand gegen das Gesicht der Opfer (US 5 f), andererseits (in einer pauschal beide Angeklagten betreffenden Passage) auch Schläge gegen Hinterkopf und Gesäß der Opfer (US 6) vorgeworfen würden, nicht an (zum tatbildlichen Begriff der Misshandlung vgl Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 14 ff; Winkler , SbgK § 107b Rz 34 ff; vgl auch RIS-Justiz RS0092867). Gleiches gilt für die Behauptung, das Urteil lasse offen, ob die Beschwerdeführerin ihre Kinder „mehrmals täglich“ oder „nahezu täglich“ geschlagen und diese dabei „nur misshandelt oder auch verletzt haben soll“.

Da die Zufügung von Verletzungen – wie die Beschwerdeführerin selbst einräumt – nicht essentielles Element tatbildlicher Misshandlung ist und die einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität der festgestellten Gewaltausübung hier deren Tatbildmäßigkeit unabhängig derartiger Tatfolgen ergibt, entzieht sich die Urteilspassage, „Verletzungen wie Hämatome oder derartiges“ seien durch die inkriminierten Schläge „zumeist nicht entstanden, jedoch Rötungen und Schmerzen“ (US 6) ebenfalls einer Anfechtung mit Mängelrüge.

Die Ableitung der Konstatierungen zur subjektiven Tatseite aus dem äußeren Geschehensablauf begegnet – wie bereits zur Mängelrüge des Mitangeklagten ausgeführt – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken.

Das Erstgericht stützte die Feststellungen zum hier relevanten Tatgeschehen insbesondere auf die Aussagen der kontradiktorisch vernommenen Zeugen David Z***** und Matthias Z*****, auf Grund derer es die leugnende Verantwortung der Beschwerdeführerin für widerlegt erachtete (US 7). Dieses zentrale Begründungselement übergeht die weitere Mängelrüge (RIS-Justiz RS0119370), wenn sie kritisiert (Z 5 vierter Fall), die von den Tatrichtern bloß im Zusammenhang mit Annahmen zu – die Lebensumstände der Angeklagten und ihrer Kinder illustrierenden – Begleitumständen zitierten Zeugenaussagen gäben „keine Begründung dafür ab, dass die Angeklagte die ihr zur Last gelegten Tathandlungen begangen hätte“.

Die Angaben der Tatopfer in den kontradiktorischen Vernehmungen gibt die Urteilspassage, beide hätten übereinstimmend ausgesagt, die Beschwerdeführerin habe die beiden nicht so oft wie der Mitangeklagte und überdies „nur“ mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen (US 7) – dem Einwand von Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) zuwider – in ihren wesentlichen Teilen richtig wieder (RIS-Justiz RS0099431 [T1]). Dass Matthias Z***** einmal deponierte (ON 17 S 9), die Beschwerdeführerin habe seinen Bruder auch auf den Hinterkopf und das Gesäß geschlagen, ist (wie bereits oben ausgeführt) nicht erheblich, weshalb aus unterlassener Wiedergabe dieses Aussagedetails keine Aktenwidrigkeit resultiert (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 466).

Mit dem insgesamt schwankenden Aussageverhalten der Tatopfer (welche die Belastungen der Angeklagten bei verschiedenen Gelegenheiten relativierten oder widerriefen) haben sich die Tatrichter beweiswürdigend auseinandergesetzt und mängelfrei dargelegt, weshalb sie den im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmungen getätigten Angaben größere Glaubwürdigkeit beimaßen (US 8). Davon ausgehend waren sie mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe nicht verhalten, in diesen auf sämtliche – von der Beschwerdeführerin unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ins Treffen geführte – Aussagedetails einzugehen (RIS-Justiz RS0106642).

Das Erstgericht hat ohnehin festgestellt, dass bei beiden Tatopfern „der Verdacht auf ADHS“ bestehe und Matthias Z***** überdies unter Neurofibromatose leide, worauf unter anderem eine Überforderung der Angeklagten „mit der Pflege und der Erziehung“ zurückzuführen sei (US 5). Weshalb die – begründend für die Feststellungen zu den vorgeworfenen Tathandlungen angestellte – Überlegung, dass die Angeklagten „ihre Tage in Ruhe vor dem Computer oder Fernseher verbringen wollten und ihre Kinder dabei lediglich Störfaktoren waren“ (US 7), dazu im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) stehen soll, wird ebenso wenig klar wie die behauptete Notwendigkeit einer weitergehenden Auseinandersetzung mit diesen (möglichen) Erkrankungen im Rahmen der beweiswürdigenden Erwägungen.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit dem Hinweis auf – im Urteil ohnehin erörterte – Zeugenaussagen ohne Bezug zum eigentlichen Tatgeschehen sowie auf (Details betreffende) Abweichungen in den Angaben der beiden Tatopfer keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu wecken.

Gleiches gilt für die – zudem ohne den erforderlichen Aktenbezug angestellten (RIS-Justiz RS0117446) – spekulativen Überlegungen, mit denen die Glaubwürdigkeit der Tatopfer (insbesondere von David Z*****) in Zweifel gezogen wird.

Gänzlich unverständlich ist das Vorbringen, das aus einer – korrekten, der gerichtlichen Beweiswürdigung nicht vorgreifenden – Formulierung im schriftlichen Sachverständigengutachten (Zurechnungsfähigkeit sei zu bejahen, „sofern die gegenständlichen Handlungen stattgefunden haben“ [ON 42 S 16]), erhebliche Bedenken ableitet.

Die Behauptung der Rechtsrüge (Z 9 lit a), „selbst eine tägliche Ohrfeige mit der flachen Hand ohne erhebliche Verletzungsfolgen erfüllt bereits den Grundtatbestand des § 107b Abs 1 und 2 StGB nicht“, wird nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet (RIS-Justiz RS0116565). Zur Tatbestandsmäßigkeit des festgestellten Verhaltens wird im Übrigen auf die Ausführungen zur Mängelrüge verwiesen.

Die Sanktionsrüge (Z 11) entzieht sich, soweit sie die Höhe der gesetzlichen Strafdrohung beklagt und anregt, der Oberste Gerichtshof möge die Bestimmung des § 107b StGB „zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit und des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz dem Verfassungsgerichtshof vorlegen“, einer inhaltlichen Erwiderung (vgl RIS-Justiz RS0053859). Dies selbst zu tun, wäre der Beschwerdeführerin aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde nach Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG im Übrigen offen gestanden.

Mit der Kritik, das Erstgericht habe Milderungsgründe zu Unrecht nicht angenommen und von der Möglichkeit außerordentlicher Strafmilderung (§ 41 StGB) nicht Gebrauch gemacht, wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet (RIS-Justiz RS0099911).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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