European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00003.17G.0228.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger ist bei der Beklagten seit Jänner 2010 als Vertragsbediensteter (Lehrer) beschäftigt.
Aufgrund des Bescheides des Bundessozialamtes Kärnten vom 23. 10. 2010 gehört der Kläger dem Kreis der begünstigten Behinderten nach § 2 Abs 1 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) an, wobei der Grad seiner Behinderung 70 % beträgt.
Im Sommer 2013 entschloss sich die Beklagte ua wegen zahlreicher Pflichtverletzungen des Klägers zur Auflösung des Dienstverhältnisses. Mit Bescheid vom 17. 12. 2013 gab der Behindertenausschuss beim Bundessozialamt Steiermark dem Antrag der Beklagten auf Zustimmung zur Kündigung des Klägers unter Einhaltung einer Mindestkündigungsfrist von vier Wochen gemäß § 8 Abs 2 BEinstG statt. Die Weiterbeschäftigung des Klägers sei für die Beklagte unzumutbar.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Klägers wurde nach Durchführung von zwei mündlichen Verhandlungen mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. 7. 2015 mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Spruch zu lauten hat: „Der Kündigung wird gemäß § 8 Abs 2 BEinstG zugestimmt.“ Das Bundesverwaltungsgericht traf detaillierte Feststellungen zu den Fehlverhalten des Klägers und kam in Gesamtbetrachtung sämtlicher Umstände sowie unter Abwägung einerseits der Interessen der Beklagten als Dienstgeberin und andererseits der besonderen Schutzbedürftigkeit des Klägers als begünstigter Behinderter zum Ergebnis, dass der Beklagten die Fortsetzung des Dienstverhältnisses mit dem Kläger nicht mehr zugemutet werden könne.
Die vom Kläger dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 31. 8. 2015 mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B‑VG zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 25. 8. 2015 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis des Klägers zum 30. 11. 2015 gemäß § 32 Abs 2 Z 1, 3 und 6 VBG auf. In diesem Schreiben legte es die näheren Verhaltensweisen des Klägers dar (ua zahlreiche gröbliche Dienstpflichtverletzungen trotz mehrfacher Weisungen und Ermahnungen), die die Kündigungsgründe verwirklicht hätten.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 30. 11. 2015 hinaus. Die behaupteten Kündigungsgründe lägen nicht vor.
Die Beklagte wendete zunächst die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein und beantragte die Zurückweisung der Klage. Über die Kündigung sei durch die Zustimmung des Behindertenausschusses schon entschieden worden. Eventualiter beantragte die Beklagte das Klagebegehren abzuweisen. Die Kündigung sei berechtigt erfolgt, weil der Kläger durch sein Verhalten die Kündigungsgründe des § 32 Abs 2 Z 1, 3 und 6 VBG verwirklicht habe. Der Kläger habe schon in den Jahren 2012/13 massive Dienstpflichtverletzungen begangen, Schüler und Vorgesetzte beschimpft und beleidigt, Weisungen beharrlich nicht befolgt und sich nicht in den Dienstbetrieb eingegliedert.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Beweisaufnahme ab. Der Kündigungsschutz nach § 32 VBG stelle keinen zusätzlichen Kündigungsschutz iSd § 8 Abs 5 BEinstG dar. Die Kündigungsgründe des § 32 Abs 2 Z 1, 3 und 6 VBG würden sich inhaltlich weitgehend mit den Zustimmungsgründen des § 8 Abs 2 BEinstG decken. Da der stärkere Kündigungsschutz den schwächeren verdränge, seien die geltend gemachten Kündigungsgründe nicht neuerlich materiell zu überprüfen.
Dass der Rechtsweg nicht unzulässig sei, ergebe sich schon daraus, dass zu diesen Fallkonstellationen etliche oberstgerichtliche Entscheidungen ergangen seien, ohne dass eine solche Unzulässigkeit angenommen worden sei.
Das Berufungsgericht gab der ausschließlich gegen die Klagsabweisung erhobenen Berufung des Klägers Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete es für zulässig, weil das Berufungsgericht von der Entscheidung 8 ObA 99/97k abgewichen sei und die hier maßgeblichen Fragen letztlich in der Entscheidung 9 ObA 42/10g offen geblieben seien.
Das Berufungsgericht vertrat – unter Darlegung von Rechtsprechung und Lehrmeinungen – zusammengefasst die Auffassung, dass sich aus dem Wortlaut des § 8 Abs 5 BEinstG ableiten lasse, dass die gesetzlichen Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpften, weiter bestehen blieben, also zusätzlich anzuwenden seien. Eine Ausnahme beziehe sich lediglich auf den allgemeinen Kündigungsschutz des § 105 Abs 2 bis 6 ArbVG. Arbeitnehmer, die einem besonderen Kündigungsschutz unterlägen, seien somit, wenn sie zusätzlich unter den Kündigungsschutz nach dem Behinderteneinstellungsgesetz fielen, doppelt geschützt. § 32 Abs 1 und 2 VBG knüpfe gegenüber § 8 Abs 5 BEinstG an zusätzliche formelle und materielle Voraussetzungen für eine Kündigung an, die einer Überprüfung durch das Arbeits- und Sozialgericht zugänglich seien.
Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils. Hilfsweise wird die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht, eventualiter an das Erstgericht, beantragt.
Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung , dem Rekurs der Beklagten nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
1. Die Kündigung eines begünstigten Behinderten (§ 2 BEinstG) darf von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss (§ 12 BEinstG) nach Anhörung des Betriebsrates, der Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) oder der Personalvertretung im Sinne des Bundes-Personalvertretungsgesetzes bzw der entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften zugestimmt hat (§ 8 Abs 2 erster Satz BEinstG). Mit dieser Zustimmung wird das Kündigungsverbot des § 8 Abs 2 BEinstG aufgehoben. Der Dienstgeber erhält damit konstitutiv die nach den Bestimmungen des Privatrechts zustehende Befugnis zur Kündigung des Dienstverhältnisses zurück. Dem Arbeitgeber wird die Erlaubnis zur Ausübung seines Kündigungsrechts gegeben und so eine neue Rechtslage begründet (9 ObA 42/10g; RIS‑Justiz RS0077667).
§ 8 Abs 3 BEinstG normiert die Verpflichtung des Behindertenausschusses, bei seiner Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten die besondere Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers zu berücksichtigen und unter Beachtung des § 6 BEinstG (Angemessene Vorkehrungen und Förderungsmaßnahmen) zu prüfen, ob dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes zugemutet werden kann. Bei der Ermessensentscheidung über die Zustimmung hat die Behörde das berechtigte Interesse des Dienstgebers an der Beendigung eines Dienstverhältnisses und die besondere soziale Schutzbedürftigkeit des zu kündigenden Dienstnehmers im Einzelfall gegeneinander abzuwägen (9 ObA 127/12k mwN = SZ 2013/21).
§ 8 Abs 4 BEinstG sieht darüber hinaus eine demonstrative Aufzählung von Gründen, aus denen dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden wird können, vor. Gemäß lit c dieser Bestimmung ist dies insbesondere dann der Fall, wenn der begünstigte Behinderte die ihm aufgrund des Dienstverhältnisses obliegenden Pflichten beharrlich verletzt und der Weiterbeschäftigung Gründe der Arbeitsdisziplin entgegenstehen.
Gemäß § 8 Abs 5 erster Satz BEinstG bleiben gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unberührt. Finden auf die Kündigung eines begünstigten Behinderten § 8 Abs 2 bis 4 BEinstG Anwendung, gelten die Bestimmungen des § 105 Abs 2 bis 6 ArbVG bzw die in Ausführung der Bestimmungen des § 210 Abs 3 bis 6 des Landarbeitsgesetzes 1984 erlassenen landesrechtlichen Vorschriften nicht (§ 8 Abs 5 zweiter Satz BEinstG).
2. Der Kläger genießt aber nicht nur den besonderen Kündigungsschutz des BEinstG, sondern in seiner Eigenschaft als Vertragsbediensteter auch jenen des § 32 VBG 1948. Gemäß § 32 Abs 1 VBG kann der Dienstgeber ein Dienstverhältnis, das ununterbrochen ein Jahr gedauert hat, nur schriftlich und mit Angabe des Grundes kündigen. Der besondere (8 ObA 26/07t) oder auch als erhöht bezeichnete (8 ObA 30/16v) Kündigungsschutz von Vertragsbediensteten zeichnet sich darin aus, dass eine Kündigung an das Vorliegen bestimmter Gründe gebunden ist (§ 32 Abs 2 VBG). Ein Grund, der den Dienstgeber nach Ablauf der im § 32 Abs 1 VBG genannten Frist zur Kündigung berechtigt, liegt insbesondere dann vor, wenn der Vertragsbedienstete seine Dienstpflicht gröblich verletzt, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt (§ 32 Abs 2 Z 1 VBG).
3. Zur Frage des Verhältnisses des besonderen Kündigungsschutzes nach dem Behinderteneinstellungsgesetz zu jenem nach dem Vertragsbedienstetengesetz hat der Oberste Gerichtshof bislang noch nicht Stellung bezogen.
3.1. In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 8 ObA 99/97k wurde ausgesprochen, dass einer nochmaligen Abwägung des Auflösungsinteresses des beklagten Dienstgebers (Kündigungsrechtfertigungsgründe) gegenüber dem Bestandinteresse des Klägers der Wortlaut des § 8 Abs 2 letzter Satz BEinstG entgegenstünde. Eine Nachprüfung der bereits vom Behindertenausschuss vorgenommenen Interessenabwägung verstieße auch gegen den Trennungsgrundsatz des Art 94 B-VG, da eine sukzessive Zuständigkeit des Gerichts nicht vorliege.
Die Entscheidung 8 ObA 272/97a, auf die im Rechtssatz RIS‑Justiz RS0107562 Bezug genommen wird, ist schon deshalb nicht einschlägig, weil das Dienstverhältnis der dortigen Klägerin zum Kündigungszeitpunkt weniger als ein Jahr gedauert hat und sie damit nicht dem besonderen Bestandschutz des NÖ Gemeindevertragsbedienstetengesetzes für sich in Anspruch nehmen konnte.
3.2. In einem Fall, in dem ein begünstigter Behinderter neben dem BEinstG noch durch einen besonderen Kündigungsschutz nach einem Kollektivvertrag geschützt war, führte der Oberste Gerichtshof aus, dass sich § 8 Abs 5 BEinstG ausdrücklich nur auf gesetzliche Bestimmungen beziehe. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, mit dieser Regelung auch Bestandschutzregelungen in Kollektivverträgen erfassen zu wollen oder auf solche vergessen zu haben, weshalb keine Gesetzeslücke bestünde. Daraus folge, dass zumindest dann, wenn sich der Kündigungsschutz des Dienstnehmers auf die Bestimmung eines Kollektivvertrags gründe, das Gericht die Kündigungsgründe selbständig zu prüfen habe, selbst wenn im Verfahren nach § 8 BEinstG ein gleichartiger Kündigungsgrund bereits von der Verwaltungsbehörde bejaht und der Zustimmung zur Kündigung zu Grunde gelegt wurde (9 ObA 42/10g). Die Frage, ob dies bedeute, dass den Arbeits- und Sozialgerichten eine neuerliche materielle Prüfung schon vom Behindertenausschuss geprüfter Kündigungsgründe versagt ist und nur die Einhaltung zusätzlich erforderlicher Schritte des Kündigungsvorgangs, wie zum Beispiel besonderer Formerfordernisse, vom Arbeits- und Sozialgericht geprüft werden dürfen, ließ der Oberste Gerichtshof hingegen in dieser Entscheidung ausdrücklich offen.
4. Die Gesetzesmaterialien zu den einschlägigen Bestimmungen tragen zur Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage wenig bei. Die nunmehr in § 8 Abs 5 erster Satz BEinstG enthaltene Regelung, dass gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unberührt bleiben, war vor der Änderung des BEinstG durch BGBl 1999/17 in § 8 Abs 2 letzter Satz BEinstG enthalten. Eingeführt wurde diese in der Stammfassung des InvEG 1969 (BGBl 1970/22) noch nicht enthaltene Regelung durch BGBl 1979/111. Nach den Materialien zu dieser Novelle (ErläutRV 1158 BlgNR 14. GP , 13) sollte damit zum Ausdruck gebracht werden, dass auch bei Befassung des Invalidenausschusses alle übrigen gesetzlichen Bestimmungen, die dem besonderen Schutz des Behinderten bei einer vom Dienstgeber beabsichtigten Beendigung des Dienstverhältnisses dienen, voll wirksam bleiben. Die Aufzählung der Kündigungsgründe in § 32 VBG war schon in der Stammfassung des VBG enthalten. Über das Verhältnis des Kündigungsschutzes nach diesem Gesetz zu jenem nach anderen Rechtsvorschriften enthalten die Materialien jedoch keine Ausführungen (vgl ErläutRV 544 BlgNR 5. GP 19).
5. Hingegen finden sich im Schrifttum zahlreiche – kontroversielle – Stellungnahmen, die sich mit der Abwicklung von Verfahren beschäftigen, in denen zwei oder mehrere Regelungen über den besonderen Kündigungsschutz zusammentreffen:
5.1. Ausführlich beschäftigte sich Schrank (Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjekt der Rechtsordnung [1982], 232 ff) mit der gegenständlichen Frage. Seiner Ansicht nach verdränge ganz allgemein die stärkere Einzelschutznorm die schwächere, wenn einzelfunktionell vergleichbare Schutzmaßnahmen konkurrieren. Doppelgleisigkeiten sollten nämlich vermieden werden. Bei Konkurrenz von Kündigungsgründen verschiedener Gesetze verdränge also der jeweils schutzintensivere Grund den schwächeren. Lediglich Formbindungen würden durch den stärkeren Bestandschutz nicht mitverdrängt. Finde hingegen eine Verfahrensbindung kein Gegenstück, so werde sie selbst dann nicht verdrängt, wenn der inhaltliche Schutz des konkurrierenden verfahrensfreien Bestandschutzes stärker sei. In einem solchen Fall habe die Behörde bei ihrer Entscheidung diesen stärkeren Inhaltsschutz wahrzunehmen. Zum konkreten Verhältnis zwischen dem (damaligen) InvEG und dem VBG führte Schrank aus, dass auch der Inhaltsschutz des VBG durch die weitgehende, für den Vertragsbediensteten sehr günstige Determinierung (§ 32 Abs 2 VBG) jenem des InvEG überlegen sei und diesen daher verdränge, müsse doch die Verfahrensbindung des InvEG mangels einzelfunktionellen Gegenstücks aufrecht bleiben. Materiell habe aber der Invalidenausschuss den durch § 32 Abs 2 VBG gewährten Inhaltsschutz bei seiner Entscheidung wahrzunehmen. In seinem Résumé musste Schrank jedoch selbst zugestehen, dass im Einzelfall aber schwierige Wertungen hinsichtlich der Stärke oder Kongruenz des Schutzes nicht erspart blieben und erhebliche Unsicherheitsfaktoren zurückblieben (aaO 234).
5.2. Die Ansicht von Schrank teilen Schrammel (in Tomandl/Schrammel, Arbeitsrecht II7 [2011] 276) und Windisch-Graetz (in Arbeitsrecht II9 [2015] 296).
5.3. Gerhartl (Kündigungsschutz von Behinderten: Doppelte Prüfung gleicher Kündigungsgründe? RdW 2011, 547 f; allgemein dazu siehe auch ders, Kündigungsschutz begünstigter Behinderter, ASoK 2016, 179 [180 f]) stellt für die Lösung der Frage nicht nur systematische Erwägungen (zB Vermeiden von Doppelgleisigkeiten, aber auch von Schutzdefiziten), sondern auch verfassungsrechtliche Überlegungen an. Da die Kündigungsschutzbestimmungen der § 8 Abs 4 lit b BEinstG und § 32 Abs 2 Z 2 VBG einen weitgehend identen Inhalt hätten, sei es mit dem in Art 94 B-VG verankerten Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung unvereinbar, wären ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde zur Entscheidung in derselben Sache berufen. Die Entscheidung 9 ObA 42/10g überzeuge daher nicht.
5.4. Nach Jabornegg/Resch (Arbeitsrecht5 [2014] Rn 847) und Zankel (Kündigung eines begünstigten Behinderten bei Erreichen des Pensionsalters, ASoK 2015, 289 [293]) bestünden hingegen die Kündigungsschutzbestimmungen des BEinstG und des VBG nebeneinander, weshalb bei der Beendigung des Dienstverhältnisses beide Kündigungsschutzbestimmungen kumulativ zur Anwendung kämen.
5.5. Floretta (in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I3 [1988] 294) und Grillberger (in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 [1998] 402) führen im Zusammenhang mit dem besonderen Kündigungsschutz von Invaliden und Opferbefürsorgten aus, dass neben dem Sonderkündigungsschutz auch den anderen besonderen Kündigungsschutzbestimmungen Bedeutung zukomme, wenn nach ihnen die Kündigung absolut verboten (§ 102 LandArbG) oder eine eigene behördliche Erlaubnis für die Wirksamkeit der Kündigung notwendig sei (§ 10 MSchG, § 18 Abs 3 BAG, § 6 APSG).
5.6. Spitzl/Kürner (Ausgewählte Probleme zum Behinderteneinstellungsgesetz [Teil II], ZAS 1995, 145 ff) schließen sich dieser Meinung an und halten angesichts der weitreichenden Folgen für den Dienstnehmer ein „Doppelverfahren“ für unverzichtbar.
5.7. Auchnach Thomasberger (in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Thomasberger, Mutterschutzgesetz und Väterkarenzgesetz2 [2015] § 10 MSchG 240) seien bei Zusammentreffen von zwei oder mehreren Regelungen über den Kündigungsschutz alle Verfahren abzuwickeln. Diese Rechtsansicht sei durch die Novellen zum BEinstG (BGBl 1992 und BGBl 1999/17) untermauert worden.
5.8. Löschnigg (Arbeitsrecht 112 [2015] Rz 8/217) führt zum Verhältnis des Mutter- und Vaterschutzes zu den anderen besonderen Bestandschutzregelungen aus, dass dieser zwar den Bestandschutz nach dem APSG verdränge, ansonsten jedoch parallel zu anderen besonderen Bestandschutzregelungen zu beachten sei. Das Nebeneinanderbestehen könne dazu führen, dass sowohl eine gerichtliche als auch eine behördliche Erlaubnis (zB Behindertenausschuss) einzuholen sei. Die Nichteinhaltung auch nur eines der Kündigungsschutzverfahren habe die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung zur Folge.
5.9. Nach Ernst/Haller (Behinderten‑einstellungsgesetz6 [2005] § 8 Erl 9, 115), Widy/Ernst (Behinderteneinstellungsgesetz7 [2011] § 8 Erl 10, 144) und Widy (Widy/Auer‑Mayer/Schrattbauer, Behinderteneinstellungsgesetz8 [2016] § 8 Erl 10, 165) fänden beim Zusammentreffen des besonderen Kündigungsschutzes des BEinstG und jenem des MSchG beide Gesetze Anwendung. Der Dienstgeber müsse daher bei Kündigung einer schwangeren begünstigten Behinderten sowohl die Zustimmung des Behindertenausschusses als auch jene des Gerichts einholen. Der gegenteiligen Ansicht von Schrank und ihm folgend Tomandl/Schrammel, wonach das Verfahren nach jenem Gesetz abgewickelt werden solle, dessen materieller Schutz die Oberhand behalten habe, sei nicht zu folgen. Diese hätte die Ausschaltung des Behindertenausschusses sowie der diversen Anhörungsrechte des § 8 Abs 2 BEinstG zur Folge und widerspräche dem Wortlaut des § 8 Abs 5 erster Satz BEinstG. Der besondere Kündigungsschutz nach dem BEinstG finde auch auf kündbare Dienstverträge im öffentlichen Dienst Anwendung. Die in § 32 Abs 2 VBG 1948 aufgezählten Kündigungsgründe würden das freie Ermessen des Behindertenausschusses nicht einschränken.
5.10. Mayr (in ZellKomm2 § 8 BEinstG Rz 2) will im Hinblick auf § 8 Abs 5 zweiter Satz BEinstG ebenfalls sowohl im Falle des Zusammentreffens von MSchG und BEinstG als auch von APSG und BEinstG beide Verfahren eingehalten wissen.
5.11. Nach Weiß (in Mazal/Risak, Das Arbeitsrecht, System- und Praxiskommentar Kap XIX Rz 132) blieben im Bereich des besonderen Bestandschutzes von Behinderten gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unberührt (§ 8 Abs 5 Satz 1 BEinstG), sodass der Schutz der Eltern, Lehrlinge und Präsenz- und Zivildiener bzw Zeitsoldaten parallel anwendbar sei. Der Bestandschutz für Belegschaftsfunktionäre genieße hingegen gemäß § 8 Abs 6 lit a BEinstG Vorrang.
6. Der Oberste Gerichtshof hält es in Anknüpfung an die Entscheidung 9 ObA 42/10g nur für konsequent, dass auch wenn im Zustimmungsverfahren nach § 8 Abs 2 BEinstG ein gleichartiger Kündigungsgrund bereits von der Verwaltungsbehörde bejaht und der Zustimmung zur Kündigung zu Grunde gelegt wurde, das Arbeits- und Sozialgericht die Kündigungsgründe nicht nur in den Fällen selbständig zu prüfen hat, in denen sich der Kündigungsschutz des Dienstnehmers auf die Bestimmung eines Kollektivvertrags gründet, sondern auch in jenen, in denen der besondere Kündigungsschutz im Gesetz – wie hier dem VBG – normiert ist. Die Arbeits- und Sozialgerichte haben dabei nicht nur die formale, sondern auch die materielle Kündigungsberechtigung zu überprüfen. Lediglich eine Nachprüfung der bereits vom Behindertenausschuss vorgenommenen Interessenabwägung iSd § 8 Abs 3 und 4 BEinstG ist den Arbeits- und Sozialgerichten untersagt.
Diese Beurteilung trägt auch der Wortlaut des § 8 Abs 5 Satz 1 BEinstG, wonach (grundsätzlich) gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unberührt bleiben. § 8 Abs 5 Satz 2 BEinstG nimmt in Fällen der Anwendung der Abs 2 bis 4 des § 8 BEinstG lediglich die Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 105 Abs 2 bis 6 ArbVG sowie die in Ausführung der Bestimmungen des § 210 Abs 3 bis 6 des Landarbeitsgesetzes 1984 erlassenen landesrechtlichen Vorschriften aus. Hätte der Gesetzgeber eine „Doppelgleisigkeit“ auch im Falle des Zusammentreffens zwischen dem besonderen Kündigungsschutz nach dem BEinstG und jenem nach dem VBG vermeiden wollen, hätte dies wohl ausdrücklich Eingang in den Ausnahmetatbestand des § 8 Abs 5 Satz 2 BEinstG gefunden.
Dazu kommt, dass das im § 8 Abs 2 BEinstG normierte Kündigungsverbot mit der Zustimmung des Behindertenausschusses aufgehoben wird und damit der Dienstgeber konstitutiv die nach den Bestimmungen des Privatrechts zustehende Befugnis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurück erhält. Erst wenn der Dienstgeber diese Befugnis wahrnimmt, der Dienstnehmer aber die Kündigung beim Arbeits- und Sozialgericht anficht, tritt das Kündigungsverfahren in die Phase der arbeitsgerichtlichen Prüfung, im Zuge derer (erstmals) der gesetzlich normierte Bestandschutz des VBG zu beachten ist. Für die Arbeits- und Sozialgerichte ist dann auch nur der Spruch über den Bescheidgegenstand bindend, nicht aber die Bescheidbegründung der Verwaltungsbehörde (RIS‑Justiz RS0037051 [T1]; RS0036948). Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin hat der Gesetzgeber im Bereich des Behinderteneinstellungsgesetzes das Kündigungsverfahren nicht bloß zeitlich vorgelagert, sodass der Dienstnehmer nach rechtskräftiger Entscheidung des Behindertenausschusses über kein Abwehrmittel in Ansehung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfügen würde.
7. Zusammengefasst haben die Arbeits- und Sozialgerichte nach Zustimmung des Behindertenausschusses zur Kündigung eines begünstigten Behinderten gemäß § 8 Abs 2 erster Satz BEinstG in einem vom gekündigten Dienstnehmer eingeleiteten arbeitsgerichtlichen Kündigungsanfechtungsverfahren sowohl die materiellen als auch die formellen Voraussetzungen einer Kündigung nach § 32 VBG 1948 selbständig zu prüfen. Die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils durch das Berufungsgericht zur Überprüfung dieser Voraussetzungen erfolgte daher zu Recht.
Dem Rekurs der Beklagten ist danach keine Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO (RIS‑Justiz RS0035976).
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