OGH 7Ob59/16a

OGH7Ob59/16a27.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** F*****, Deutschland, vertreten durch die Tramposch & Partner Rechtsanwälte KG in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Dipl. Finanzwirt M***** B*****, Deutschland, vertreten durch Dr. Günther Riess und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 9.272,34 EUR und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 1. Dezember 2015, GZ 1 R 273/15a‑22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 30. Juni 2015, GZ 3 C 7/14d‑15, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00059.16A.0427.000

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Zwischenurteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung hinsichtlich des Leistungsbegehrens als Teil‑ und Teilzwischenurteil lautet:

1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 9.272,34 EUR samt 4 % Zinsen seit 27. 12. 2012 zu zahlen, besteht dem Grunde nach im Ausmaß von 50 % zu Recht.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 4.636,17 EUR samt 4 % Zinsen seit 27. 12. 2012 zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Die Entscheidung über die Kosten aller drei Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger und der Beklagte sind deutsche Staatsangehörige. Der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers während der Wintersaison 2012/2013 ‑ insbesondere zum Vorfallszeitpunkt ‑ war in Österreich. Er war vom 4. 12. 2012 bis zum Vorfall am 27. 12. 2012 als Kellner und Barkeeper in einem österreichischen Hotel beschäftigt. Der Beklagte verbrachte in diesem Hotel seinen Weihnachtsurlaub. Am Abend des 27. 12. 2012 hatte der Kläger im Barbereich Dienst.

Im Lauf des Abends versuchte der Beklagte mit einem Champagnersäbel eine Champagnerflasche zu öffnen, wobei ihm der Geschäftsführer der Hotelbetriebsgesellschaft und der Kläger (dieser als „Glasträger“) behilflich waren. Beim „Sabrieren“, dem Köpfen einer Flasche mit dem Champagnersäbel, wird der Säbel mit der Schneide am Bauch der Flasche in Fingerbreite über dem Etikett angesetzt. Unter einem Winkel von ca 20 Grad wird der Säbel in einer fließenden Bewegung auf den Flaschenhals zubewegt und schlägt von unten gegen den Wulst des Flaschenkopfes, möglichst an der Stelle, wo die Längsnaht in den Querwulst übergeht. Dabei wird der Kopf der Champagnerflasche mit dem Wulst und dem Korken abgeschlagen. Er kann dabei bis zu 20 Meter weit fliegen. Eventuelle Glassplitter werden durch den Druck des austretenden Schaumweins weggeschleudert.

Der Geschäftsführer des Hotels war auf den Beklagten zugekommen und hatte ihn animiert, das sogenannte „Ritual“, nämlich das Sabrieren der Champagnerflasche mit dem Säbel, zu absolvieren, „damit er zum Tiroler“ werde. In der Folge bestellte der Hotelchef an der Bar eine Champagnerflasche, ließ den Champagnersäbel bringen und deutete dem Kläger, er möge mit einem Champagnerglas kommen, um den aus der Flasche auslaufenden Champagner aufzufangen. Der Kläger verstand dies als Anweisung im Rahmen seines Dienstverhältnisses und befolgte diese. Der Geschäftsführer des Hotels stand rechts hinter dem Beklagten und zeigte ihm, wie er die Champagnerflasche und in welche Richtung er sie zu halten habe; ebenso wie der Säbel zu führen sei. Der Kläger kniete links vor dem Beklagten und hielt mit der rechten Hand in unmittelbarer Nähe zur Flasche das Champagnerglas hoch, wobei er sich mit seiner linken Hand auf dem (linken) abgewinkelten Knie abstützte.

Der Beklagte zog dann zwei Mal den Säbelrücken über die Champagnerflasche. Nachdem sie beim ersten Mal verschlossen blieb, schlug er beim zweiten Mal den Hals ab. Zuvor waren die Korkensicherung aus Draht und die Banderole um den Korken und den Hals der Flasche entfernt worden. In dem Augenblick, in dem der Flaschenhals abgeschlagen und weggeschleudert wurde, drehte sich der Kläger automatisch weg und hielt sich die Hand vor das Gesicht. Danach realisierte er, dass er an der rechten Hand verletzt worden war. Er erlitt eine Teildurchtrennung des musculus extensor pollicis und war deshalb danach arbeitsunfähig. Die Champagnerflasche ist beim Vorgang nicht explodiert. Das Champagnerglas, das der Kläger hochhielt, war ‑ nachdem ein Teil des Flaschenhalses weggeschleudert wurde ‑ noch intakt. Mit dem Champagnersäbel wurde der Kläger nicht berührt. Nicht festgestellt werden kann, in welche Richtung und wie weit der Korken mitsamt dem Teil des Flaschenhalses weggeschleudert wurde. Nicht festgestellt werden kann außerdem, wodurch (genau) und wie die Schnittwunde des Klägers verursacht wurde.

Für den Hotelchef war das Sabrieren der Champagnerflasche nichts Außergewöhnliches. Das kam im Hotel seit 1997/1998 immer wieder vor, bisweilen auch mehrmals die Woche. Das Sabrieren entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem „Ritual“, die geköpften Korken wurden aufbewahrt und den Gästen, insbesondere den Stammgästen, danach als Geschenk mitgegeben. Bisweilen wurden diese „Rituale“ auch von den Barkeepern selbständig auf Wunsch mit den Stammgästen und anderen Gästen durchgeführt. Der Verletzungsvorfall war der erste seiner Art seit Einführung des „Rituals“.

Der Beklagte befolgte die Anweisungen, die er vom Hotelchef erhielt, genauestens und ihm gelang beim zweiten Versuch des Streichens mit dem Säbelrücken über die 0,75 Liter‑Champagnerflasche, den oberen Bereich des Flaschenhalses mitsamt dem Korken abzutrennen, wobei die Champagnerflasche nicht ungewöhnlich zerbrach oder gar explodierte.

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung von 9.272,34 EUR sA (darin unter anderem 6.000 EUR an Schmerzengeld und 3.000 EUR an Verdienstentgang) sowie die Feststellung dessen Haftung für sämtliche künftige Schäden aus dem Vorfall. Der Beklagte habe mit einem Säbel eine Champagnerflasche geöffnet und ihn dabei an der rechten Hand verletzt. Der teilweise durchtrennte musculus extensor pollicis habe genäht werden müssen. Aufgrund der Schwere der Verletzung sei er bis zum 27. 2. 2013 arbeitsunfähig gewesen, wodurch ihm ein Verdienstentgang von 3.000 EUR (monatlich 1.500 EUR) entstanden sei. Zur Behandlung der Verletzungsfolgen seien mehrere ärztliche Kontrollen erforderlich gewesen, welche für ihn mit Fahrtkosten von 242,34 EUR verbunden gewesen seien. Aufgrund der teilweisen Muskeldurchtrennung sei mit Spätfolgen bzw einer dauerhaften Einschränkung der rechten Hand zu rechnen. Der Beklagte komme nicht in den Genuss des § 333 ASVG, weil er nicht in den Hotelbetrieb des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers eingegliedert, sondern nur Gast gewesen sei. Den Beklagten treffe das Alleinverschulden an der vom Kläger erlittenen Verletzung, weil er dafür Sorge tragen hätte müssen, dass sich der Kläger vor dem Öffnen der Flasche mit dem Säbel aus dem Gefahrenbereich entferne.

Der Beklagte wendete zusammengefasst ein, auf ihn komme das Haftungsprivileg des § 333 Abs 4 ASVG zur Anwendung. Der Arbeitgeber des Klägers habe ihn im konkreten Fall für einen „Betriebsvorgang“ ‑ ein offenbar im Hotel übliches Ritual des Flaschenöffnens mit einem Säbel ‑ eingesetzt, weshalb er als eine dem Arbeitgeber gleichgestellte Person zu behandeln sei. In den letzten 15 Jahren habe es bei derartigen Öffnungsvorgängen von Champagnerflaschen im Hotel nie einen vergleichbaren Vorfall gegeben und es sei auch noch nie jemand dabei verletzt worden. Für das Ritual werde vom Hotel ein spezieller (Champagner‑)Säbel zur Verfügung gestellt. Er sei vom Hotelchef genau instruiert worden, was er konkret zu machen habe. Er habe sich an alle Anweisungen gehalten. Für ihn sei nicht absehbar gewesen, dass die Champagnerflasche plötzlich explodieren würde. Offenbar sei ihm eine für den Vorgang ungeeignete Flasche zur Verfügung gestellt worden. Dies habe er aber nicht wissen und somit eine Verletzung des Klägers auch nicht vorhersehen können. All diese Umstände seien ausschließlich der Sphäre des Klägers, des Hotels oder aber dem Hotelchef selbst zuzurechnen. Außerdem wäre der Kläger im Hinblick auf seine Sorgfaltspflicht gegenüber eigenen Rechtsgütern verpflichtet gewesen, ihm bekannten Gefahrenquellen aus dem Weg zu gehen, weshalb ihn das Alleinverschulden an den erlittenen Verletzungen treffe. Dem Beklagten sei nicht vorwerfbar, dass er den Anweisungen des Hotelchefs Folge geleistet habe. Die Verletzung des Klägers sei auf einen atypischen Verlauf und eine schicksalshafte Verkettung zurückzuführen. Als Barkeeper im Hotel sei der Kläger offenbar mit dem „Ritual“ vertraut gewesen. Somit hätte er den Beklagten informieren oder veranlassen müssen, den Öffnungsversuch abzubrechen. Er selbst habe hingegen darauf vertrauen dürfen, dass er, wenn er beim Öffnungsvorgang etwas falsch machen würde, darauf hingewiesen werde.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Dem Kläger sei zwar der Beweis der auf Beklagtenseite liegenden Ursache für den Schadenseintritt gelungen; eine rechtswidrige und schuldhafte Handlungsweise des Beklagten habe das Beweisverfahren aber nicht ergeben, zumal der Beklagte die ihm gegebenen Anweisungen und Instruktionen genauestens befolgt habe, die Champagnerflasche nicht explodiert und auch ihr Hals nicht ungewöhnlich abgebrochen sei. Wie und wodurch die Schnittwunde letztlich entstanden sei, habe nicht geklärt werden können.

Über Berufung des Klägers änderte das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil mit Zwischenurteil dahin ab, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkannt wurde. Im Übrigen wurde das bekämpfte Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung (über das Feststellungsbegehren sowie die Anspruchshöhe) nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, gemäß Art 4 Abs 1 Rom II‑VO komme aufgrund des Schadenseintrittsorts und des Umstands, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt des Schadenseintritts in Österreich hatte, österreichisches Schadenersatzrecht zur Anwendung. Als unmittelbar schadensauslösendes Ereignis für die Verletzung des Klägers komme nur der Kontakt mit wegschleudernden Glassplittern/Scherben in Frage. Dies sei beim Sabrieren typischerweise der Fall. Der Kläger sei bei einer vom Beklagten ausgeübten gefahrengeneigten Tätigkeit erheblich am Körper verletzt worden. Die für die Sportausübung geltenden Grundsätze des Handelns auf eigene Gefahr ließen sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen, zumal der Kläger als Dienstnehmer von seinem Arbeitgeber angewiesen worden sei, den nach dem Öffnen der Flasche austretenden Champagner mit einem Glas aufzufangen. Wenn auch die vom Abschlagen des Flaschenkopfs mit einem Säbel ausgehende Gefahr für beide Parteien erkennbar gewesen sei, so könne auf Seiten des von seinem Arbeitgeber grundsätzlich weisungsabhängigen Dienstnehmers (Kläger) grundsätzlich nicht von einem Handeln auf eigene Gefahr ‑ vergleichbar mit einem Sportler, der aus freiem Willen eine Risikosportart ausübe ‑ gesprochen werden. Stelle man den Interessen des Klägers an seiner körperlichen Unversehrtheit jene des Beklagten am Sabrieren gegenüber, sei die Rechtswidrigkeit des Handelns des Beklagten zu bejahen. Dass in Champagnerflaschen ein hoher Druck herrsche, sei allgemein bekannt. Ein durchschnittlich einsichtiger und urteilsfähiger Erwachsener habe grundsätzlich damit zu rechnen, dass beim Abschlagen des Kopfes einer Champagnerflasche mit einem Säbel Glassplitter frei und durch den Druck des austretenden Schaumweins weggeschleudert würden. Wenn nun der Umstand, dass das Sabrieren im Hotel seit vielen Jahren unfallfrei und regelmäßig praktiziert worden sei und der Kläger darauf vertraut habe, wenn er die Anweisungen des Hotelchefs befolge, was er auch getan habe, nichts passieren würde, das Verschulden des Beklagten zweifellos mildere, so mache dies die Ausübung der an sich (sehr) gefährlichen Tätigkeit in unmittelbarer Nähe des Klägers aber noch nicht völlig entschuldbar. Vielmehr wäre es dem Beklagten durchaus zumutbar gewesen, den Kläger zu ersuchen, sich vor dem Abschlagen des Flaschenhalses aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich zu begeben oder zumindest einen (einen ausreichenden Schutz bietenden) Handschuh zu verwenden. Der Kläger habe sich sehr nah mit seiner Hand (und sogar mit seinem Gesicht) am Säbel und der Flasche befunden. Damit lägen alle Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten nach den §§ 1293 ff ABGB dem Grunde nach vor. Ein Mitverschulden des Klägers könne im vorliegenden Fall (gerade noch) vernachlässigt werden, weil in den vergangenen 15 Jahren, in denen im Hotel das „Ritual“ des Sabrierens praktiziert worden sei, noch nie ein derartiger Unfall passiert sei, der Kläger erst seit drei Wochen im Hotel gearbeitet habe und von seinem Chef zur Mitwirkung aufgefordert worden sei.

Das Berufungsgericht sprach nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO aus, dass die ordentliche Revision gegen das Zwischenurteil doch zulässig sei, weil eine ‑ auch hinsichtlich der Beurteilung eines allfälligen Mitverschuldens des Klägers ‑ besondere Fallkonstellation vorliege, der über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukomme.

Gegen das Zwischenurteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, das Rechtsmittel des Prozessgegners zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Berechtigung zuzuerkennen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und teilweise auch berechtigt.

1. Der behauptete Verstoß nach § 498 Abs 1 ZPO liegt nicht vor. Selbst dann, wenn das Berufungsgericht aus den erstgerichtlichen Feststellungen andere tatsächliche (und nicht nur andere rechtliche) Schlüsse zieht als das Erstgericht, ist eine Beweiswiederholung oder Beweisergänzung in einer Berufungsverhandlung nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0118191; vgl RS0043165). Die Negativfeststellung des Erstgerichts zur Verursachung der Schnittwunde des Klägers bezieht sich auf deren exaktes Zustandekommen. Fest steht, dass der Kläger durch den Champagnersäbel nicht verletzt wurde, die Korkensicherung aus Draht und die Banderole entfernt waren und der Kläger unmittelbar nach Abschlagen des Flaschenhalses die Verletzung erlitt. Wenn das Berufungsgericht daraus den Schluss zieht, dass als unmittelbar schadensauslösendes Ereignis der Verletzung nur der Kontakt mit wegschleudernden Glassplittern oder Scherben in Frage kommt, ist ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht zu erkennen. Die Mutmaßung des Beklagten über den allfälligen Verletzungshergang ‑ nachträgliches Aufheben der Scherben oder des Flaschenhalses durch den Kläger ‑ entfernt sich vom festgestellten Sachverhalt.

2. Die Parteien gehen wie das Berufungsgericht von der Maßgeblichkeit österreichischen Schadenersatzrechts aus. Dies entspricht der Regelung des Art 4 Abs 1 Rom II‑VO, wonach an das Recht des Schadenseintritts (des Erfolgsorts) anzuknüpfen ist (vgl Neumayr in KBB4 Art 4 Rom II‑VO Rz 3).

3.1. Nach dem im österreichischen Schadenersatzrecht geltenden Ingerenzprinzip hat derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer abzuwenden. Die Verursachung einer Gefahrensituation rechtfertigt die Auferlegung verstärkter Sorgfaltspflichten (RIS‑Justiz RS0022778 [insbes T5]). Voraussetzung ist das bei gehöriger Sorgfalt mögliche Erkennen einer Gefahrenlage. Diese Sorgfaltspflicht darf allerdings nicht überspannt werden. Die Grenzen des Zumutbaren sind zu beachten. Im Einzelfall kommt es auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung an (RIS‑Justiz RS0023487 [insbes auch T5, T6, T7]).

Der Kläger wurde bei der vom Beklagten ausgeübten gefahrengeneigten Tätigkeit ‑ Abschlagen des Kopfes einer Champagnerflasche mit einem Säbel ‑ am Körper verletzt. Für den Beklagten musste klar sein, dass sich der unmittelbar vor ihm knieende Kläger aufgrund der zu erwartenden Glassplitter beim Abschlagen des Flaschenkopfes in einer gefährlichen Situation befand. Ihm wäre zumutbar gewesen, die Handlung nicht im Nahbereich des Klägers vorzunehmen oder ihn zu ersuchen, diesen Bereich zu verlassen.

3.2. Der Beklagte bezieht sich hinsichtlich der Frage der Rechtswidrigkeit auf die Rechtsprechung, wonach der, der an einer sportlichen Veranstaltung teilnimmt, das damit verbundene in der Natur der Veranstaltung liegende Risiko auf sich nimmt und insoweit auf eigene Gefahr handelt (RIS‑Justiz RS0023006; RS0023039 [T8]; RS0023400 [T5]).

Handeln auf eigene Gefahr kann die Rechtswidrigkeit ausschließen. Ein echtes Handeln auf eigene Gefahr ist aber nur gegeben, wenn dem Gefährder keine Schutzpflichten gegenüber jenem obliegen, der die Gefahr kannte oder erkennen konnte, und dem daher eine Selbstsicherung zugemutet werden konnte. Unechtes Handeln auf eigene Gefahr liegt dagegen dann vor, wenn den Gefährder Schutzpflichten gegenüber der sich selbst gefährdenden Person treffen. Bei Nichteinhaltung dieser Pflichten handelt der Gefährder rechtswidrig (RIS‑Justiz RS0023101). Bei echtem Handeln auf eigene Gefahr ist aufgrund einer umfangreichen Interessenabwägung zu beurteilen, ob die Rechtswidrigkeit des Handelns des Gefährders entfällt (RIS‑Justiz RS0023006 [T2, T5]). Liegt hingegen unechtes Handeln auf eigene Gefahr vor, ergibt sich die Rechtswidrigkeit schon aus der Verletzung der dem Gefährder obliegenden Schutzpflichten und die Selbstgefährdung des Geschädigten kann nur als Mitverschulden über § 1304 ABGB zu einer Einschränkung der Haftung führen (2 Ob 283/06s mwN = RIS‑Justiz RS0023101 [T4, T5]).

Der Kläger hat sich als Dienstnehmer im Hotel über Veranlassung des Geschäftsführers der Betreibergesellschaft auf diese gefährliche „Veranstaltung“ eingelassen. Er wurde von seinem Arbeitgeber angewiesen, den nach dem Öffnen der Flasche austretenden Champagner mit einem Glas aufzufangen. Damit liegt ein unechtes Handeln auf eigene Gefahr vor. Dass dem Kläger das „Ritual“ bekannt war, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Er war erst seit drei Wochen im Hotel beschäftigt und es steht nicht fest, dass er in der Zwischenzeit an einem „Ritual“ teilnahm. Wird überdies die Interessenabwägung im Hinblick auf die Verletzung fremder absolut geschützter Rechte vorgenommen, ist die Rechtswidrigkeit des Handelns des Beklagten zu bejahen, wiegt doch das Interesse des Klägers an seiner körperlichen Unversehrtheit weit höher als jenes des Beklagten am Sabrieren des Champagners.

4. Wenn der Beklagte mit dem Haftungsprivileg argumentiert, ist darauf zu verweisen, dass der Aufseher im Betrieb im Sinn des § 333 Abs 4 ASVG eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung zur Zeit des Unfalls innehaben muss. Er muss die Verantwortung für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte tragen (RIS‑Justiz RS0085519; RS0088337). Aufseher im Betrieb im Sinn des § 333 Abs 4 ASVG kann nur der sein, der andere Betriebsangehörige oder wenigstens einen Teil des Betriebs zu überwachen hat (RIS‑Justiz RS0085510). Das ist nur eine Person, die über die Durchführung von Betriebsvorgängen bestimmen kann (RIS‑Justiz RS0085418 [T1]). Es kommt nicht auf die Stellung im Unternehmen im Allgemeinen oder die Ausübung der Aufseherfunktion auf Dauer an, sondern darauf, ob jemand bezüglich einer bestimmten, ihm aufgetragenen Arbeit entscheidungsbefugt ist, also die Verantwortung für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte trägt (RIS‑Justiz RS0085329 [T3]; RS0088337 [T15]). Es muss sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit handeln (RIS‑Justiz RS0083555 [T10]).

Diesen Anforderungen wird die Tätigkeit des Beklagten in keinster Weise gerecht. Das Sabrieren erfolgte ausschließlich zu seiner Belustigung und hatte keinerlei Zusammenhang mit einer dem Hotel dienenden Tätigkeit. Eine Tätigkeit des Beklagten als Aufseher im Sinn des § 333 Abs 4 ASVG liegt damit nicht vor.

5. Das Mitverschulden im Sinn des § 1304 ABGB setzt kein Verschulden im technischen Sinne voraus. Auch Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr eine Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit fällt (RIS‑Justiz RS0022681). Bei Schadenersatzansprüchen wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt ein Mitverschulden nur dann vor, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig erkennen konnte, dass Anhaltspunkte für eine solche Verletzung bestehen, und die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen; erkennbaren Gefahrenstellen muss grundsätzlich ausgewichen werden (RIS‑Justiz RS0023704).

Für den Kläger war ‑ ebenso wie für den Beklagten ‑ die Gefahr erkennbar, dass beim Köpfen der Champagnerflasche mit einem Säbel durch wegschleudernde Glassplitter oder Scherben für ihn eine konkrete Verletzungsgefahr bestand. Dennoch begab er sich in den unmittelbaren Gefahrenbereich, wenn auch nach vorangegangener Anweisung des Geschäftsführers des Hotels, den auslaufenden Champagner mit einem Glas aufzufangen. Eine konkrete Anweisung, sich in den Nahbereich zu begeben, wurde nicht festgestellt. Dass der Kläger nicht die Möglichkeit hatte, sich vom Gefahrenbereich fernzuhalten, behauptet er nicht.

Die Abwägung der beiderseitigen Fehlverhalten der Parteien rechtfertigt hier eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1:1.

6. Infolge des Mitverschuldens des Klägers im Ausmaß von 50 % ist das Zwischenurteil des Berufungsgerichts hinsichtlich des Leistungsbegehrens als Teilzwischenurteil in diesem Umfang zu bestätigen. Im Übrigen, hinsichtlich der Abweisung des Leistungsmehrbegehrens, ist jedoch das Klagebegehren mit Teilurteil abzuändern.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 4 ZPO, hinsichtlich des Teilzwischenurteils iVm § 393 Abs 4 ZPO.

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