European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E114113
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 5.054,04 EUR (darin 842,34 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Schuldnerin ist eine mittelgroße Kapitalgesellschaft im Sinne des § 221 Abs 1 UGB und seit 3. 9. 2002 im Firmenbuch eingetragen. Ab dem Geschäftsjahr 2003 fanden die gemäß § 268 Abs 1 UGB verpflichtenden Abschlussprüfungen statt.
Der Alleingesellschafter der Schuldnerin war auch deren einziger Geschäftsführer. Als solcher beauftragte er die Beklagte erstmals im November 2007 mit der Prüfung des Jahresabschlusses der Gesellschaft für das Geschäftsjahr 2006. Die Beklagte führte diese Prüfung in den Monaten Jänner bis Mai 2008 durch und erteilte am 14. 5. 2008 dem Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31. 12. 2006 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk.
Die Beklagte hat den Jahresabschluss 2006 und den Lagebericht der Gesellschaft in mehrfacher Hinsicht fachlich mangelhaft geprüft. Sie hat keine Erhebungen zum internen Kontrollsystem im Bereich des Rechnungswesens durchgeführt und keine hinreichenden Prüfungshandlungen zur elektronisch geführten Buchhaltung vorgenommen. Dadurch war es dem Geschäftsführer möglich, der Beklagten verfälschte Unterlagen und Auswertungen vorzulegen. Hätte sie sorgfältig geprüft, dann hätte sie erkannt, dass Bankverbindlichkeiten der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 4.672.024,83 EUR nicht im Jahresabschluss bilanziert waren.
Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen vom 15. 3. 2010, GZ 40 S 33/10s, der Konkurs eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die Schuldnerin war bereits zum Bilanzstichtag 31. 12. 2006 zahlungsunfähig. Sie konnte ihre Finanzierung nur mehr durch rechtswidriges Verhalten ihres Geschäftsführers aufrecht erhalten. Die positive Fortbestehensprognose beruhte auf Scheinrechnungen, die jedes Jahr erhöht wurden.
Die Bankverbindlichkeiten der Schuldnerin stiegen zwischen Mai 2008 und März 2010 um mehr als 2 Mio EUR, ihre übrigen Verbindlichkeiten um rund 3,4 Mio EUR, wobei diesem Anstieg keine nennenswerten Vermögenszuwächse gegenüberstanden. Hätte die Beklagte dem Rechnungsabschluss 2006 keinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt, wäre die Schuldnerin bereits im Mai 2008 gezwungen gewesen, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.
Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter aus dem Titel des Schadenersatzes die Zahlung des Höchstbetrags nach § 275 Abs 2 UGB von 2 Mio EUR sA in die Masse.
Die Beklagte habe ihre übernommene Vertragspflicht zur gewissenhaften Prüfung des Jahresabschlusses der Schuldnerin zum 31. 12. 2006 grob fahrlässig verletzt und sei nach § 1299 ABGB iVm § 275 UGB der geprüften Gesellschaft zum Ersatz des dadurch verursachten „Quotenschadens“ verpflichtet. Die Insolvenzquote habe sich im Zeitraum von Mai 2008 bis zur tatsächlichen Verfahrenseröffnung von geschätzten 50 % auf nunmehr voraussichtlich unter 3 % verringert. Dieser Vermögensverfall sei zwischen dem Abschluss der Prüfungshandlungen und der Insolvenzeröffnung eingetreten. Die Aktivlegitimation des Klägers resultiere aus seiner Stellung als Insolvenzverwalter.
Die Beklagte bestritt, mangelhaft geprüft zu haben. Jedenfalls sei das Prüfungsergebnis für den behaupteten Schaden nicht ursächlich. Der Kläger sei als Insolvenzverwalter zur Geltendmachung der von ihm als „Quotenschaden“ bezeichneten Klagsforderung nicht aktiv legitimiert. Beim Quotenschaden handle es sich um Schadenersatzansprüche von Gesellschaftsgläubigern gegen Personen, die der Gesellschaft Schaden zugefügt haben; solche Ansprüche seien von vornherein kein Bestandteil der Insolvenzmasse.
In jedem Fall treffe den Kläger ein Mitverschulden an der Quotenverringerung, weil er als Insolvenzverwalter teilweise unberechtigte Forderungen der Gläubigerbanken grob fahrlässig anerkannt habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bejahte die Aktivlegitimation des Klägers, weil er in Wahrheit keinen „Quotenschaden“, sondern einen eigenen Vermögensschaden der Schuldnerin geltend mache.
Der Beklagten sei angesichts der festgestellten schweren Mängel der Abschlussprüfung eine grob fahrlässige Vertragsverletzung vorzuwerfen. Sie hafte daher für den eingetretenen Vermögensschaden bis zum Grenzbetrag nach § 275 Abs 2 UGB. Einen Mitverschuldenseinwand könne der Abschlussprüfer gegenüber der geprüften Gesellschaft nicht erheben, davon abgesehen sei das darauf abzielende Vorbringen der Beklagten unsubstantiiert geblieben.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten nicht Folge.
Es verwarf die Mängel‑ und Tatsachenrügen und billigte die Rechtsausführungen des Erstgerichts.
Das Klagebegehren sei schlüssig. Der eingeklagte Schaden bestehe in einer Neuverschuldung der Gesellschaft ab Mai 2008, die nicht eingetreten wäre, wenn die Beklagte ihre Prüfung lege artis durchgeführt und der Bilanz 2006 den Bestätigungsvermerk versagt hätte. Die §§ 269 ff UGB hätten als Schutzgesetze zugunsten der geprüften Gesellschaft gerade den Zweck, diese vor Vermögensschäden zu schützen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage der Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung eines Quotenschadens gemäß § 69 IO gegen den Abschlussprüfer vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Klagsanspruch
Der Anspruch eines Gläubigers auf Ersatz des „Quotenschadens“ im Sinne des § 69 Abs 5 IO richtet sich gegen den Schuldner bzw dessen Vertreter und besteht dann, wenn dieser Personenkreis seine Verpflichtung nach Abs 2 leg cit, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ohne schuldhaftes Zögern, längstens aber sechzig Tage nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, verletzt hat und dadurch die Befriedigungsquote der Insolvenzgläubiger verschlechtert wurde.
Einen solchen „Quotenschaden“, der sich gegen die Organe der Schuldnerin selbst richten müsste, macht der Kläger offenkundig nicht geltend. Die Beklagte gehört als Abschlussprüferin auch nicht zum Kreis der nach § 69 Abs 5 IO antragspflichtigen Personen.
Der Kläger hat sein Begehren ausdrücklich auf die §§ 273 bis 275 UGB gestützt und einen Schadenersatzanspruch aus der Verletzung von Vertragspflichten erhoben. Die bloße Fehlbezeichnung des Anspruchsgrundes schadet nicht, wenn seine Rechtsnatur aus dem sonstigen Vorbringen des Klägers klar und eindeutig hervorgeht.
Bei den §§ 273 ff UGB handelt es sich nach herrschender Auffassung um Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB, die gerade den Zweck haben, die geprüfte Gesellschaft vor Vermögensschäden zu schützen (RIS‑Justiz RS0116079; RS0114297). Vom Schutzzweck der Vorschriften über die Abschlussprüfung ist auch die Aufdeckung einer vorsätzlich unrichtigen Rechnungslegung durch seine Organe und damit die Verhinderung einer weiteren Schädigung der Gesellschaft durch weiteres rechtswidriges Verhalten der Organe umfasst; wäre eine sorgfältige Prüfung geeignet gewesen, Maßnahmen auszulösen, die eine weitere Schädigung der Gesellschaft allenfalls verhindert hätten, ist es Sache des Prüfers, zu behaupten und zu beweisen, dass der Schaden auch bei rechtmäßigen Alternativverhalten des Prüfers eingetreten wäre (RIS‑Justiz RS0114296).
Der Kläger hat entgegen dem Beklagtenvorbringen auch nicht behauptet, dass die Voraussetzungen für eine Dritthaftung des Abschlussprüfers (RIS‑Justiz RS0129123; RS0128186 ua) gegenüber (auch nur) einem Konkursgläubiger erfüllt gewesen und daraus die Klagsansprüche mittelbar abzuleiten wären.
Der eingeklagte Vermögensnachteil wurde offenbar deswegen als „Quotenschaden“ bezeichnet, weil der Kläger davon ausgegangen ist, dass die Erhöhung der Passiven rechnerisch dem zusätzlichen Quotenausfall der Konkursgläubiger entspricht. Ob eine solche Berechnung im Allgemeinen bzw konkret im vorliegenden Fall richtig und schlüssig ist, kann dahingestellt bleiben, weil Ansprüche der Gläubiger nicht Verfahrensgegenstand sind.
2. Schadenshöhe
Die Berechnung des Schadens der Schuldnerin durch Vergleich des Unterschieds ihrer Aktiva minus Passiva an den zwei maßgeblichen Stichtagen ist rechnerisch nachvollziehbar. Diese Berechnung bildet die weitere Verringerung des (bereits im Zeitpunkt der Erteilung des Bestätigungsvermerks negativen) Vermögens der Gesellschaft bis zur Insolvenzeröffnung ab (vgl RIS‑Justiz RS0059733).
Unter den weiten Schadensbegriff des ABGB fällt jeder Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht, also nicht nur eine Verringerung der Aktiva, sondern auch das Entstehen von Verbindlichkeiten (RIS‑Justiz RS0022537 [T14]; RS0022518 [T4]; RS0022568).
3. Kausalität
Nach allgemeinen Beweislastregeln ist es Sache des Klägers, die Kausalität der schädigenden Handlung für den behaupteten Schaden zu beweisen. Die Vorinstanzen haben die Kausalität der Vertragsverletzung der Beklagten für den geltend gemachten Schaden bejaht, weil die Schuldnerin bei pflichtgemäßer Versagung des Prüfungsvermerks bereits im Mai 2008 gezwungen gewesen wäre, einen Insolvenzantrag zu stellen, wodurch es zum späteren Anhäufen von weiteren Verbindlichkeiten nicht mehr gekommen wäre.
An diese vom Berufungsgericht bestätigte Feststellung ist der Oberste Gerichtshof als reine Rechtsinstanz gebunden. Die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen kann im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft werden.
Entgegen den Revisionsausführungen ist die maßgebliche Feststellung auch nicht undeutlich, es liegt kein daraus ableitbarer rechtlicher Feststellungsmangel vor. Aus dem Entscheidungszusammenhang ergibt sich eindeutig, dass mit der Formulierung, die Schuldnerin wäre im Mai 2008 zum Insolvenzantrag „gezwungen gewesen“, gemeint ist, dass tatsächlich ein solcher Antrag gestellt worden und es schon damals zur Konkurseröffnung gekommen wäre.
Wäre eine sorgfältige Prüfung nach den Feststellungen geeignet gewesen, Maßnahmen auszulösen, die eine weitere Schädigung der Gesellschaft allenfalls verhindert hätten, ist es Sache des Prüfers, zu behaupten und zu beweisen, dass der Schaden auch bei rechtmäßigen Alternativverhalten des Prüfers eingetreten wäre (RIS‑Justiz RS0114296 = 8 Ob 141/99i; RS0027364). Im Revisionsverfahren kann die Feststellung der Tatsacheninstanzen, dass die Nettoerhöhung der Verbindlichkeiten der Schuldnerin um (mehr als) 2 Mio EUR im hier zu beurteilenden Fall unterblieben wäre, nicht mehr bekämpft werden.
4. Mitverschulden der Gesellschaft
Nach § 1304 ABGB kann die Haftung eines Schädigers in jenem Ausmaß entfallen, in dem ein Verschulden von Seiten des Geschädigten bei einer Beschädigung mitgewirkt hat; im Zweifel haften Schädiger und Geschädigter zu gleichen Teilen.
Nach der in Österreich herrschenden Rechtsansicht kann sich aber ein haftpflichtiger Abschlussprüfer zu seiner Entlastung gegenüber der Gesellschaft nicht auf vom Vorstand oder Geschäftsführer verschuldete Fehler berufen. Die Tätigkeit des Prüfers für die Gesellschaft besteht gerade in der Kontrolle ihrer Organe. Es entspricht gerade dem Schutzzweck der Abschlussprüfung, die Gesellschaft vor Schäden aus einer unrichtigen Rechnungslegung ihrer Organe zu bewahren (8 Ob 141/99i = ecolex 2002/345 = ÖBA 2001, 577 = ZIK 2001/65 = RdW 2001/82; Völkl/Lehner in Straube/Ratka/Rauter UGB II/RLG³ § 275 Rz 65 ff mwN; vgl aber Ebke in MüKomm HGB § 323 Rn 74 mwN). Der Abschlussprüfer kann sich lediglich intern an den schuldhaft handelnden Organmitgliedern regressieren (Völkl/Lehner aaO § 275 UGB Rz 66).
An dieser Auffassung ist auch festzuhalten, wenn der schuldtragende Geschäftsführer der geprüften Gesellschaft gleichzeitig deren einziger Gesellschafter ist. Objekt des Schutzgesetzes ist das eigene Vermögen der geprüften juristischen Person, das auch den Deckungsfonds für die Gesellschaftsgläubiger bildet. Soweit einem untreuen Geschäftsführer in seiner Rolle als Gesellschafter durch die Haftung des Abschlussprüfers mittelbar ein Vorteil erwachsen würde, kann dies nicht dem Schadenersatzanspruch der Gesellschaft entgegengehalten werden, sondern nur dem Organ im Rahmen des Regresses zwischen mehreren Haftpflichtigen.
5. Mitverschulden des Klägers
Für ein Mitverschulden des klagenden Insolvenzverwalters an der Entstehung von Verbindlichkeiten der Schuldnerin, die vor der Insolvenzeröffnung und damit vor Übernahme seines Amts begründet wurden, besteht keine Grundlage. Da der Kläger keinen Schaden der Gläubiger, sondern den Vermögensnachteil der Gesellschaft geltend gemacht hat, kommt es nicht darauf an, ob das Bestreiten des Rangs einzelner Forderungen zu einer Erhöhung der Quote führen hätte können.
Überhaupt ist mit der Behauptung, dass Gläubigerbanken der Schuldnerin aufgrund einer „laxen Vergabepraxis“ unter Missachtung einer hinreichenden Bonitätsprüfung und Außerachtlassung von Ordnungsnormen des BWG Kredite gewährt hätten, für den Standpunkt der Revisionswerberin nichts zu gewinnen. Selbst wenn eine vorwerfbare Sorglosigkeit der Banken in eigenen Angelegenheiten zu bejahen wäre, hätte dies nicht zur Folge, dass die Schuldnerin nicht zur Rückzahlung der erhaltenen Kreditmittel verpflichtet wäre. Aus welchen Rechtsnormen die Revision die gegenteilige Auffassung herleiten will, ist nicht nachvollziehbar.
6. Die Geltendmachung von behaupteten Mängeln des erstinstanzlichen Verfahrens muss im Revisionsverfahren scheitern, wenn sich die zweite Instanz ‑ wie hier ‑ mit der in der Berufung enthaltenen Mängelrüge befasst und sie nicht für begründet erachtet hat. Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren selbst sei ‑ weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei ‑ mangelhaft geblieben (RIS‑Justiz RS0043061 [T18]; RS0042963 [T58]).
7. Die Ausführungen der Beklagten zu allfälligen widersprüchlichen Beweisergebnissen erweisen sich als ‑ im Revisionsverfahren ‑ unzulässige Bekämpfung der Beweis‑ und Tatfragen (RIS‑Justiz RS0043371; RS0042903).
Die als vermeintlicher sekundärer Feststellungsmangel relevierte Frage, ob die Schuldnerin bereits zum Bilanzstichtag 31. 12. 2006 im insolvenzrechtlichen Sinn überschuldet und zahlungsunfähig war, ist nicht entscheidungserheblich. Weder würde eine Verneinung der rechtlichen Insolvenzreife der Schuldnerin zu diesem vergangenen Stichtag etwas an den zahlreichen festgestellten Mängeln der Prüfungstätigkeit der Beklagten ändern, noch wäre deswegen die Lage im Mai 2008, zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung des unrichtigen Bestätigungsvermerks, anders zu beurteilen.
Der Revision war daher keine Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.
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