OGH 16Ok10/15d

OGH16Ok10/15d20.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, Praterstraße 31, 1020 Wien, gegen die Antragsgegnerinnen 1. A***** Gesellschaft m.b.H., 2. A*****‑Aktiengesellschaft, 3. A***** GmbH, *****, vertreten durch Pepelnik & Karl Rechtsanwälte GmbH in Wien, 4. L***** Aktiengesellschaft, 5. G***** GmbH, *****, und 6. G***** GmbH, *****, vertreten durch Hausmaninger Kletter Rechtsanwälte ‑ Gesellschaft mbH in Wien, wegen Hausdurchsuchung (§ 12 WettbG), über den Rekurs I. der Erst- bis Drittantragsgegnerinnen gegen die Hausdurchsuchungsbefehle des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht 1.) vom 22. Mai 2015, GZ 26 Kt 13, 14, 15/15‑ 2, 2.) vom 14. Juli 2015, GZ 26 Kt 13, 14, 15, 31, 32, 33/15‑ 7, 3.) vom 14. Juli 2015, GZ 26 Kt 13, 14, 15, 31, 32, 33/15‑ 9 sowie 4.) vom 15. Juli 2015, GZ 26 Kt 13, 14, 15, 31, 32, 33/15‑ 12, sowie II. den Rekurs der Sechstantragsgegnerin gegen den Hausdurchsuchungsbefehl des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 14. Juli 2015, GZ 26 Kt 13, 14, 15, 31, 32, 33/15‑ 9, und III. den Rekurs der Sechstantragsgegnerin gegen den Hausdurchsuchungsbefehl vom 15. Juli 2015, GZ 26 Kt 13, 14, 15, 31, 32, 33/15‑ 12, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst :

 

Spruch:

Sämtlichen Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Replik der Erst- bis Drittantragsgegnerin vom 30. 9. 2015 auf die Rekursbeantwortung der Bundeswettbewerbsbehörde wird zurückgewiesen.

B e g r ü n d u n g :

Die Zweitantragsgegnerin (mit ihren Töchtern Erst- und Drittantragsgegnerin) und die Viertantragsgegnerin (mit ihrer Tochter Fünftantragsgegnerin und ihrer Enkeltochter Sechstantragsgegnerin) sind Unternehmen im Konzern der R***** reg.Gen.m.b.H..

Am 15. 5. 2015 beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls gegen die Erst‑ bis Drittantragsgegnerin an deren gemeinsamen Geschäftssitz. Im Rahmen der Ermittlungen im Lebensmitteleinzelhandel seien umfangreiche Beweismittel sichergestellt worden, aus denen sich der begründete Verdacht ableiten lasse, dass die Erstantragsgegnerin (im Folgenden auch: A*****) mit dem Einzelhandel kartellrechtswidrige vertikale Preisvereinbarungen im Bereich von Mehlprodukten getroffen und an horizontalen Preisabstimmungen des Einzelhandels, umgesetzt über die Erstantragsgegnerin, mitgewirkt habe. Es bestehe die Vermutung, dass sich bei der Erstantragsgegnerin sowie bei den am selben Geschäftssitz ansässigen Zweit‑ und Drittantragsgegnerinnen die zur Erlangung von Informationen notwendigen Geschäftsunterlagen befinden könnten. Gelindere Mittel, etwa in Form eines Auskunftsverlangens, seien zur Aufklärung des Sachverhalts nicht zielführend. Die Hausdurchsuchung sei erforderlich und angemessen, um Beweismittel zu erlangen.

Das Erstgericht erließ den beantragten Hausdurchsuchungsbefehl. Es stellte fest, dass vermutlich im Februar 2007 ein Schreiben (Beilage ./A), in dem ein Mitarbeiter der A***** einem Mitarbeiter der Lebensmittelhandelskette S***** mitgeteilt hat, dass wie besprochen ab Montag, 26. Februar für F***** Aktivbrot 500 Gramm, F***** Balancebrot 500 Gramm und F***** Vitalbrot 500 Gramm bis auf weiteres Sonderrabatte zwischen 10 % und 12 % bestätigt werden. Der VKP werde durchgängig auf ***** EUR gestellt. Bezugnehmend auf F***** Keimkraft werde noch mitgeteilt, dass M***** ***** EUR Verkaufspreis haben werde und B***** ***** EUR. Leider schreibe die interne Strategie einen Preisunterschied der beiden Handelsketten vor. Rechtlich führte das Erstgericht aus, es bestehe der begründete Verdacht einer vertikalen Preisabsprache der Erstantragsgegnerin mit dem Lebensmitteleinzelhandel sowie der Absprache künftiger Verkaufspreise zwischen A***** und den Einzelhandelsketten sowohl vertikal als auch horizontal. Der Hinweis auf die „interne Strategie“ könne nur bedeuten, dass die Praxis der Preisabsprachen bzw ‑abstimmungen laufend geübt werde und daher auch seither und auf unbestimmte Zeit stattfinde. Auch aus dem Verfahren des Kartellgerichts zu 27 Kt 80/13 ergebe sich der Verdacht, dass zwischen Lieferanten der Produktgruppe Mehl bzw Mehlprodukte und dem Lebensmitteleinzelhandel eine jahrelange Praxis von Preisabsprachen bestanden habe. In einem weiteren Verfahren betreffend diesen Produktbereich habe deswegen eine Hausdurchsuchung durchgeführt werden müssen (25 Kt 166/13). Dies lasse eine ähnliche Vorgangsweise der A***** als naheliegend erscheinen und begründe den Verdacht der Rechtsverletzung durch Absprachen jedenfalls noch zu einem Zeitpunkt, der weniger als fünf Jahre zurückliege, sodass Verfolgungsverjährung nicht eingetreten sei. Die Hausdurchsuchung sei sowohl erforderlich als auch verhältnismäßig im Sinne der Judikatur und sei, da alle drei Gesellschaften den selben Geschäftssitz hätten, auf alle diese Unternehmen zu erstrecken (ON 2).

Mit der Hausdurchsuchung wurde am 14. Juli 2015 begonnen. Mit E‑Mail vom 14. Juli 2015 beantragte die Antragstellerin die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls auch auf die Räumlichkeiten der Viert‑ und Fünftantragsgegnerin am selben Standort. Die A*****‑Vorstände hätten über Befragung mitgeteilt, dass die Aktivitäten im Bereich Mehl in der Gruppe der Fünftantragsgegnerin gebündelt würden und konkret auf die zu dieser Gruppe gehörende Viertantragsgegnerin übergegangen seien. Es bestehe daher der Verdacht, dass auch in den Räumlichkeiten der Viert‑ und Fünftantragsgegnerinnen relevante Unterlagen aufgefunden werden könnten.

Das Erstgericht schloss sich dieser Ansicht an. Aus einem Aktenvermerk vom 14. 6. 2015 über die Befragung der Vorstände der Erst- bis Drittantragsgegnerinnen ergebe sich in unbedenklicher Weise, dass bis 2009 ein Kooperationsvertrag (eine Vertriebsvereinbarung) zwischen der Drittantragsgegnerin und der V***** GesmbH bestanden habe. A***** habe für „F*****“ selbst den Vertrieb durchgeführt. Die Kooperation sei im Jahr 2008 gekündigt worden, seit 2009 werde der Vertrieb von der Viertantragsgegnerin und von „V*****“ (die letztlich in der Fünftantragsgegnerin aufgegangen sei) durchgeführt. Aufgrund der Unternehmensverflechtung und der räumlichen Nahebeziehung mit dem selben Geschäftssitz sei es erforderlich, die Hausdurchsuchung auf diese beiden Gesellschaften auszudehnen und den gesamten Gebäudekomplex in die Hausdurchsuchung einzubeziehen (ON 7).

Noch am selben Tag (dem 14. Juli 2015) beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde neuerlich die Ausdehnung des Hausdurchsuchungsbefehls nunmehr auch auf die Sechstantragsgegnerin . Die Viertantragsgegnerin sei über ein Unternehmensgeflecht indirekt an der Zweitantragsgegnerin beteiligt und andererseits zu 100 % Eigentümerin der Fünftantragsgegnerin, die wiederum zu 100 % Eigentümerin der Sechstantragsgegnerin sei. Die Befragung der Vorstände der Viert- und der Fünftantragsgegnerin habe ergeben, dass diese beiden Gesellschaften keine operativen Tätigkeiten im Vertrieb von Mehlprodukten entfalteten, sondern lediglich strategische Fragen der gesamten Gruppe behandelten. Das operative Geschäft werde von der Sechstantragsgegnerin geführt, weshalb die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls auf diese notwendig sei.

Mit Beschluss vom selben Tag erweiterte das Erstgericht den Hausdurchsuchungsbefehl räumlich auch auf die Sechstantragsgegnerin (ON 9). Bei Vollziehung der Hausdurchsuchung habe die Befragung der Vorstände der Viert- und der Fünftantragsgegnerin ergeben, dass nicht diese beiden Unternehmen, sondern die Sechstantragsgegnerin die operativen Tätigkeiten im Vertrieb von Mehlprodukten ausübten. Dies habe die Antragstellerin mit einem Aktenvermerk über die Befragung belegt. Es sei daher davon auszugehen, dass sich relevante Informationsquellen in den Geschäftsräumlichkeiten der Sechstantragsgegnerin an deren Standort befänden. Zur Erreichung des Zwecks der Hausdurchsuchung sei daher die Erweiterung auf die Räumlichkeiten der Sechstantragsgegnerin erforderlich.

Am 15. Juli 2015 beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde letztmals die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls, diesmal in Richtung des Verdachts gegen die Sechstantragsgegnerin betreffend vertikale Preisabsprachen mit dem Lebensmitteleinzelhandel sowie horizontale Preisabstimmungen des Einzelhandels über die Sechstantragsgegnerin. Im Zuge der Hausdurchsuchung hätte sich der Verdacht ergeben, dass die Sechstantragsgegnerin bzw ihre Rechtsvorgängerin selbst derartige Preisabstimmungen getroffen habe.

Das Erstgericht gab auch diesem Antrag statt. Hinreichend bescheinigt sei der geltend gemachte Verdacht gegen die Sechtsantragsgegnerin durch einen Aktenvermerk über Gesprächszusammenfassungen zu Terminen mit R***** aus August und September 2010, wonach „V*****“ Verkaufspreiserhöhungen einzelner Lebensmitteleinzelhändler koordiniert und weiters besprochen habe, dass „Verkaufspreise unverändert bleiben“ würden. Von der Verfolgungsbehörde im Rahmen einer Hausdurchsuchung aufgefundene Unterlagen, die einen weiteren Wettbewerbsverstoß vermuten ließen (Zufallsfunde), könnten dann, wenn die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen, Anlass zu weiteren Ermittlungen in einem neuen Verfahren geben (ON 12).

Gegen alle vier Hausdurchsuchungsbefehle richtet sich der Rekurs der Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen.

Die Sechstantragsgegnerin erhebt einen Rekurs gegen den Hausdurchsuchungsbefehl ON 9 sowie einen weiteren gegen den Hausdurchsuchungsbefehl ON 12. Die Rekurswerberinnen streben jeweils die Abweisung der Anträge auf Erlassung der bezeichneten Hausdurchsuchungsbefehle an.

Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragt in ihren Rekursbeantwortungen jeweils, den Rekursen nicht Folge zu geben.

Sämtliche Rekurse sind nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

I. Zum Rekurs der Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen:

I.1. Mangelhaftigkeit des Verfahrens:

Unter diesem Rekursgrund erstatten die Rechtsmittelwerberinnen umfangreiches Vorbringen. Es erscheint daher angezeigt, eingangs darauf hinzuweisen, dass es eine gesetzmäßige Ausführung dieses Rechtsmittelgrundes erfordert, eine Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuzeigen (vgl Kodek in Rechberger , ZPO 4 Vor § 461 ZPO Rz 14), die abstrakt geeignet ist, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0043027 [T1, T10, T12]; 16 Ok 8/10).

Zu den einzelnen Argumenten:

I.1.1. Kein begründeter Verdacht:

Eingangs stellen die Rechtsmittelwerberinnen die Echtheit des ‑ die Grundlage des ursprünglichen Hausdurchsuchungsbefehls bildenden ‑ E‑Mail aus dem Jahr 2007 in Frage. Auch seien vertikale Preisabstimmungen nicht generell mit Art 101 AEUV und § 1 KartG unvereinbar, so zB nicht bei kurzfristigen Sonderangeboten. Eine Verjährung wäre nur dann nicht anzunehmen, wenn die im E‑Mail erwähnte Preisaktion mehr als drei Jahre gedauert hätte. Dafür gebe es keine Indizien. Außerdem habe die Erstantragsgegnerin bereits Ende 2008 den Vertrieb von Mehl und Mehlprodukte beendet, sodass insgesamt ein begründeter Verdacht für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls gefehlt habe.

Eine Urkunde ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht „echt“, wenn sie von dem in ihr angegebenen Aussteller stammt ( Höllwerth in Rechberger/Höllwerth AußStrG, § 31 Rz 27; Rechberger in Rechberger ZPO, Vor § 292 Rz 14). Die Rekurswerberinnen bestätigen in ihrem Rechtsmittel ausdrücklich, dass der im E‑Mail angegebene Absender im fraglichen Zeitraum bei der Erstantragsgegnerin tätig war. Warum das hier zu beurteilende E‑Mail daher nicht vom darin angegebenen Absender stammen sollte, wird allein mit der Behauptung, es im Unternehmen nicht auffinden zu können, nicht nachvollziehbar dargetan. Im Übrigen ist diesem Vorbringen ein dem Erstgericht vorgeworfener Verfahrensfehler nicht zu entnehmen.

Als Rechtsrüge gedeutet (vgl Kodek in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 47 Rz 9), ist diesem Vorbringen entgegenzuhalten, dass das Kartellgericht ‑ was dem ursprünglichen Hausdurchsuchungsbefehl ON 2 eindeutig zu entnehmen ist ‑ aufgrund des Hinweises des E‑Mails aus 2007 auf eine „interne Strategie“ der Preisunterschiede bei den Handelsketten den Verdacht einer methodischen Preisabsprache auch in den nachfolgenden Jahren begründet sah, was es mit Hinweisen auf weitere Verfahren im Lebensmitteleinzelhandel noch untermauerte. Deshalb ging das Erstgericht nachvollziehbar davon aus, dass Verfolgungsverjährung noch nicht eingetreten war. Mögen auch einzelne Preisaktionen nur für kurze Zeit angesetzt werden, entspricht es doch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass diese immer wieder und nicht nur einmalig durchgeführt werden, sodass das Vorbringen der Rechtsmittelwerberin nicht geeignet ist, den vom Erstgericht angenommenen begründeten Verdacht zu beseitigen. Die Bezugnahme auf einen Aktenvermerk vom 2. 7. 2015 ist schon deshalb nicht zielführend, weil der Hausdurchsuchungsbefehl ON 2 vom 22. Mai 2015 stammt.

I.1.2. Unzulässige gemeinsame Verfahrens‑ führung:

Die Rechtsmittelwerberinnen meinen, dass die verbundene Führung des kartellgerichtlichen Verfahrens gegen die ‑ unterschiedlichen Konzernen zuzuordnenden ‑ Unternehmensgruppen der Erst‑ bis Drittantragsgegnerin einerseits und der Viert‑ bis Sechstantragsgegnerin andererseits rechtswidrig sei. Es diene nicht der Verfahrensvereinfachung, wenn kartellgerichtliche Verfahren gegen völlig unterschiedliche Unternehmen miteinander verbunden würden, überdies verhindere dies den Schutz von Geschäftsgeheimnissen und konterkariere den Zweck des Verwertungsverbots.

Die Rechtsmittelwerberinnen übersehen mit diesem Vorbringen, dass hier der ursprüngliche Hausdurchsuchungsbefehl ON 2 und seine ersten beiden Erweiterungen ON 7 und ON 9 lediglich aufgrund des Verdachts eines Kartellrechtsverstoßes gegenüber der Erstantragsgegnerin erlassen wurden. Die Zweit- und die Drittantragsgegnerin waren zwar Adressatinnen des Hausdurchsuchungsbefehls, nicht aber des Verdachts des Kartellrechtsverstoßes. Der Adressat eines Hausdurchsuchungsbefehls selbst muss nämlich nicht eines Kartellrechtsverstoßes verdächtig sein (vgl 16 Ok 5/11, 16 Ok 7/11, 16 Ok 7/13). Insoweit wurde auch kein kartellrechtliches Verfahren gegen die Zweit‑ und Drittantragsgegnerin geführt.

Dass aber sämtliche einen bestimmten Verdacht eines Kartellverstoßes gegen einen bestimmten Verdächtigen betreffende Hausdurchsuchungen ‑ mögen sie auch bei Dritten durchgeführt werden ‑ in einem gemeinsamen Akt geführt werden, begründet keinen Verfahrensmangel.

I.1.3. Hier kommen die Rechtsmittelwerberinnen darauf zurück, dass sie keine Tätigkeit in dem vom Tatverdacht umfassten Bereich des Vertriebs von Mehl und Mehlprodukte (mehr) ausüben.

Soweit sie in diesem Zusammenhang auch auf den zurückgezogenen Antrag auf Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls vom 25. Juni 2015 verweisen, ist ihnen zu erwidern, dass dieser Antrag aber am 14. Juli 2015 erneuert wurde. Der folgende Hausdurchsuchungsbefehl erging daher keineswegs ohne Antrag.

Im Übrigen ist der Umstand, das sie ab Anfang 2009 nicht mehr im relevanten Produktbereich tätig waren, lediglich eine Behauptung der mit dem Verdacht eines Kartellrechtsverstoßes der Erstantragsgegnerin konfrontierten Vorstände der Rekurswerberin und keineswegs eine feststehende Tatsache, wie die Rekurswerberinnen in ihrem Vorbringen jedoch regelmäßig unterstellen. Dass aufgrund dieser Angaben einerseits der räumliche Untersuchungsbereich auf weitere Unternehmen (nämlich jene, die nach den Aussagen der betroffenen Vorstände ab dem behaupteten Zeitpunkt im relevanten Produktbereich Vertriebstätigkeiten ausgeführt haben) erweitert wurde und andererseits auch der Verdacht gegenüber der Sechstantragsgegnerin entstand, bedeutet allerdings entgegen der Meinung der Rechtsmittelwerberinnen nicht, dass damit automatisch die Verdachtslage gegenüber der Erstantragsgegnerin entfallen wäre.

Soweit sich die Rechtsmittelwerberinnen darauf berufen, dass die Erst‑ und Zweitantragsgegnerin keine Lieferantinnen des Einzelhandels seien und überhaupt nicht im Verkauf von Waren aktiv seien bzw dass die Drittantragsgegnerin den Geschäftsbereich Zucker im Konzern der Rechtsmittelwerberinnen abdecke, ist wieder darauf zu verweisen, dass der kartellrechtliche Verdacht, aufgrund dessen die Hausdurchsuchungsbefehle ON 2, 7 und 9 ergingen, gegen die Erstantragsgegnerin gerichtet war und nur der räumliche Untersuchungsbereich im Sinne der Judikatur aufgrund der räumlichen Nähe ihrer Geschäftssitze an der selben Adresse auf die Zweit‑ und Drittantragsgegnerin ausgedehnt wurde. Der Verdacht eines Kartellrechtsverstoßes gegenüber der Erstantragsgegnerin beruht aber nachvollziehbar auf dem bereits erwähnten E‑Mail eines ihrer Mitarbeiter.

I.1.4. Die Rechtsmittelwerberinnen bestreiten die Erforderlichkeit der Hausdurchsuchung und wiederholen, dass die Erstantragsgegnerin seit Ende 2008 nicht mehr im Vertrieb von Mehl und Mehlprodukten tätig gewesen sei. Das dem ursprünglichen Hausdurchsuchungsbefehl zugrunde liegende E‑Mail stamme aus dem Jahr 2007. Der Bundeswettbewerbsbehörde wäre eine schonendere und ebenso effiziente Ermittlungsmaßnahme durch Ausstellung eines „Auskunftsbescheids“ möglich gewesen.

Wiederum setzen die Rekurswerberinnen den ‑ nicht feststehenden ‑ Übergang der Vertriebstätigkeit per Ende 2008 unzulässig als gegeben voraus. Dass deshalb ‑ mangels Verdunkelungsgefahr ‑ die Erforderlichkeit der Hausdurchsuchung nicht anzunehmen sei, ist nicht richtig.

Die Erweiterungen der Hausdurchsuchungs‑ befehle ON 7 und ON 9 betrafen allein die Viert‑ und Fünftantragsgegnerinnen bzw die Sechstantragsgegnerin; in Bezug auf die Rechtsmittelwerberinnen, die bereits Adressatinnen des ursprünglichen Hausdurchsuchungsbefehls ON 2 waren, bewirkten sie hingegen keine Änderung. Insofern fehlt es ihnen daher an der Beschwer, weil insoweit nicht in ihre geschützte Rechtssphäre eingegriffen wurde (RIS‑Justiz RS0006497).

I.1.5. Der Vorwurf, dass die BWB alle E‑Mails eines Verkaufsmitarbeiters der Drittantragsgegnerin, die im Produktbereich Zucker und Zuckerprodukte tätig sei, sicherte, betrifft eine Maßnahme der Durchführung des Hausdurchsuchungsbefehls und ist nicht Gegenstand des kartellgerichtlichen Rechtsmittelverfahrens über den Hausdurchsuchungsbefehl (siehe dazu auch I.1.7. erster Absatz und I.2.1. zweiter Absatz).

Aufgrund der Konzernzugehörigkeit der Rechtsmittelwerberinnen und ihrem gemeinsamen Geschäftssitz entsprach die Ausdehnung des Hausdurchsuchungsbefehls auf den gesamten Gebäudekomplex der Judikatur des Senats (16 Ok 7/13, 16 Ok 8/13, 16 Ok 5/11).

Hätte die BWB die von den Rekurswerberinnen vorgeschlagenen „gelinderen Mittel“ (Auskunftsverlangen über den aktuellen Vertrieb von Mehl und Mehlprodukten, Vorlage des Vertriebsvertrags der Erstantragsgegnerin, Zeugeneinvernahme der „Autors“ des den ursprünglichen Tatverdacht begründenden E‑Mails) angewendet, hätte ‑ sowohl aufgrund der räumlichen Nähe als auch der konzernmäßigen Verflechtung ‑ die eminente Gefahr bestanden, dass das tatsächlich vertriebsführende Unternehmen von den Aktivitäten der BWB gewarnt und damit das Ziel der Untersuchung möglicherweise vereitelt worden wäre.

I.1.6. Zur Erweiterung des Tatverdachts auf die Sechstantragstellerin ist neuerlich darauf zu verweisen, dass die Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen dadurch nicht beschwert sind.

I.1.7. Kein faires Verfahren:

Richtig ist, dass nach der Judikatur Hausdurchsuchungen einen schweren Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen bewirken, sodass an das Interesse an der Sachaufklärung ein strengerer Maßstab anzulegen ist als bei Auskunftsverlangen (RIS‑Justiz RS0127268). Das Rechtsmittelverfahren an das Kartellobergericht hat aber ausschließlich den Hausdurchsuchungsbefehl zum Gegenstand und nicht die konkrete Durchführung der Hausdurchsuchung bzw das vorgelagerte Vorgehen der BWB (16 Ok 7/11). Auf das diesbezügliche Vorbringen ist daher nicht weiter einzugehen.

Weiter führen die Rechtsmittelwerberinnen aus, dass „angesichts der vor‑ und nachgelagerten Regelungs‑ und insbesondere Rechtsschutzdefizite“ allein der Senatsvorsitzende des Kartellgerichts damit belastet sei, dennoch ein faires Verfahren sicherzustellen. Hier sei ein solches Verfahren verabsäumt worden, insbesondere seien nicht im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes von Amts wegen alle Beweise aufgenommen und adäquate und ausreichende Untersuchungen dahingehend durchgeführt worden, ob die Erstantragsgegnerin überhaupt noch im Bereich Mehl und Mehlprodukte tätig sei.

Mit diesen Ausführungen verkennen die Rechtsmittelwerberinnen die Rechtslage:

Das Kartellgericht hat gemäß § 12 Abs 1 WettbG dann, wenn dies zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist, auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde bei Vorliegen des begründeten Verdachts einer Zuwiderhandlung gegen das Kartellgesetz bzw die Art 101 oder 102 AEUV, eine Hausdurchsuchung anzuordnen.

Dass dieser Anordnung ‑ ohne jedwede Anhaltspunkte ‑ amtswegige Untersuchungen des Gerichts voranzugehen hätten, verlangt das Gesetz nicht. Um die Tatbestandsmerkmale des Gesetzes zu prüfen, ist es daher für das Kartellgericht im Tatsachenbereich erforderlich, aber auch ausreichend, das Vorliegen eines begründeten Verdachts einer Zuwiderhandlung gegen Wettbewerbsnormen festzustellen. Es stellt sich daher im Anlassfall lediglich die Frage, ob ein E‑Mail aus dem Jahre 2007 acht Jahre später einen ausreichenden Tatverdacht begründen konnte.

Nach 16 Ok 3/14 kann eine Hausdurchsuchung grundsätzlich auch in Bezug auf ein beendetes Verhalten angeordnet werden, sofern es noch als kartellrechtswidrig verfolgt werden kann (RIS‑Justiz RS0129421). Das Erstgericht hat dies auch erkannt und ausdrücklich ausgeführt, dass aufgrund der im relevanten E‑Mail angeführten internen Strategie von Preisunterschieden zwischen den Handelsketten und der aus anderen Verfahren des Kartellgerichts bekannten Situation im Bereich der Produktgruppe Mehl bzw Mehlprodukte der Verdacht begründet sei, dass die Rechtsverletzung der Erstantragsgegnerin durch Absprachen auch noch zu einem Zeitpunkt stattgefunden habe, der noch nicht von der Verfolgungsverjährung betroffen sei.

Entgegen den Ausführungen der Rechtsmittelwerberinnen hat das Erstgericht daher für die Begründung seines Verdachts keineswegs nur das E‑Mail aus 2007 herangezogen und so den begründeten Verdacht im Sinne der Judikatur (RIS‑Justiz RS0125748 [T1]) nachvollziehbar dargetan. In der Unterlassung weiterer Beweisaufnahmen liegt damit keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens.

Die unterlassene amtswegige Aufklärung über die aktuelle Situation der Vertriebstätigkeit im untersuchten Markt vor Erlassung der Hausdurchsuchungsbefehle ist kein Verfahrensmangel, weil einerseits durch das Ergebnis derartiger Erhebungen der begründete Verdacht einer Zuwiderhandlung in einem verfolgungsrelevanten zurückliegenden Zeitraum nicht ausgeräumt werden könnte und andererseits auch die Beendigung ihrer Vertriebstätigkeit keineswegs ausschließt, dass die Erstantragsgegnerin darüber hinaus ihre bestehenden Kontakte und Informationen in diesem Produktbereich in kartellrechtswidriger Weise weiter nutzte bzw ihre Nachfolgerin im Vertrieb einschlägig unterstützte.

I.1.8. Inwiefern das E‑Mail mangels einer Datumsleiste in entscheidungsrelevanter Weise unvollständig sein soll, ist im Hinblick auf seinen festgestellten Inhalt nicht nachvollziehbar.

I.1.9. Zur sachlichen und persönlichen Reichweite führen die Rechtsmittelwerberinnen wieder ins Treffen, dass die Drittantragsgegnerin nur im Bereich Zucker und Zuckerprodukte aber nicht Mehl und Mehlprodukte tätig sei, und dass mangels Durchführung eines Verfahrens nicht klar sei, aufgrund welcher Erwägungen die Hausdurchsuchung bei der Drittantragsgegnerin angeordnet worden sei. Es liege kein rational nachvollziehbarer Verdacht dahingehend vor, dass in den Räumlichkeiten der Drittantragsgegnerin relevante Unterlagen vorhanden sein könnten.

Wie bereits dargelegt ist es nach der Judikatur aber zulässig, eine Hausdurchsuchung auf den gesamten Standort des eines Wettbewerbsverstoßes verdächtigen Unternehmens und auch allfälliger am selben Standort befindlicher verbundener Unternehmen auszudehnen, um der Gefahr der Verbringung relevanter Unterlagen bzw der willkürlichen Zuordnung von Räumlichkeiten, die von den Ermittlern nicht überprüft werden können, entgegenzuwirken (16 Ok 7/13).

Dass keine besondere Eilbedürftigkeit bestanden habe, weil zwischen der Beantragung bzw Erlassung des ursprünglichen Hausdurchsuchungsbefehls bis zum Beginn der Hausdurchsuchung rund zwei Monate verstrichen seien, bedeutet entgegen der Meinung der Rechtsmittelwerberinnen nicht, dass die BWB verpflichtet gewesen wäre, die Antragsgegnerinnen von Untersuchungen, insbesondere der bevorstehenden Hausdurchsuchung, vorab zu unterrichten.

I.1.10. Den Ausführungen über die unzulässige Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls auf die Viert‑ bis Fünftantragsgegnerinnen ist wieder zu entgegnen, dass den Rechtsmittelwerberinnen insoweit die Beschwer fehlt.

I.1.11. Zum Verhältnis zwischen § 12 WettbG und § 15 AußStrG hat der Senat bereits in 16 Ok 8/13 und 16 Ok 5/11 ausgesprochen, dass es sich bei ersterer Bestimmung um eine Spezialnorm zu § 15 AußStrG handelt, die die Verteidigungsrechte und die Mitwirkungspflicht der betroffenen Unternehmen im Fall einer Hausdurchsuchung regelt. Der von der Hausdurchsuchung Betroffene ist erst unmittelbar vor deren Beginn zu ihren Voraussetzungen zu befragen und auch dies nur, sofern dadurch nicht der Ermittlungserfolg wegen Gefahr in Verzug gefährdet wird. Im Fall der Hausdurchsuchung steht dem Betroffenen somit das in § 15 AußStrG geregelte Recht der Kenntnis‑ und Stellungnahme vor Erlassung der gerichtlichen Entscheidung ‑ und insoweit das rechtliche Gehör ‑ nur eingeschränkt zu. Den Betroffenen ist auch keine besondere Vorbereitungsfrist einzuräumen (vgl auch 16 Ok 5/13).

I.2. Unrichtige rechtliche Beurteilung:

I.2.1. Unter diesem Rechtsmittelgrund werfen die Rechtsmittelwerberinnen dem Erstgericht vor, verfassungsrechtliche Prinzipien, insbesondere jene auf Anspruch auf ein faires Verfahren im Sinne des Art 6 EMRK, verkannt zu haben. Die Vorgangsweise der BWB widerspreche nämlich rechtsstaatlichen Grundsätzen: Sie habe trotz Mitteilung, dass die Erstantragsgegnerin seit 31. 12. 2008 keinerlei Aktivitäten in Bezug auf Mehlprodukte mehr durchführe und die Zweit‑ und Drittantragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt in diesem Produktfeld tätig gewesen seien, die Mailbox eines Mitarbeiters der Drittantragsgegnerin kopiert. Ein solches Kopieren „in Bausch und Bogen“ sei nicht statthaft, weil damit die Wahrnehmung legitimer Verteidigungsrechte unmöglich werde, und widerspreche auch der EMRK. Der mit einer Hausdurchsuchung verbundene Eingriff in das Hausrecht und in das Grundrecht auf Datenschutz sei nur zulässig, wenn der Eingriff für einen präzise festgelegten Zweck erfolgt; die Daten dürften nur für diesen Zweck verwendet werden.

Die Rechtsmittelwerber sprechen damit Maßnahmen im Vollzug des gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehls an, die nach der Rechtsprechung des Senats nicht Gegenstand der Überprüfung des Hausdurchsuchungsbefehls im kartellgerichtlichen Rechtsmittelverfahren sind. Eine gerichtliche Überprüfung der tatsächlichen Vorgangsweise der Bundeswettbewerbs‑ behörde bei Durchführung einer kartellgerichtlich angeordneten Hausdurchsuchung kommt nicht in Betracht, weil die Durchführung einer derartigen Hausdurchsuchung eine verwaltungspolizeiliche Maßnahme einer Verwaltungsbehörde ist (RIS-Justiz RS0128003). Ob eine Behörde ihre Befugnisse rechtmäßig ausgeübt oder überschritten hat, ist aber von den Verwaltungsgerichten zu prüfen.

I.2.2. Verstoß gegen das Verwertungsverbot:

Die Rechtsmittelwerberinnen werfen der BWB vor, mit ihren ständigen Anträgen auf Erweiterung gegen § 11 Abs 1 WettbG verstoßen zu haben, wonach Erhebungsergebnisse nur zu dem mit der Ermittlungshandlung verfolgten Zweck verwertet werden dürfen.

Dem ist zu entgegnen, dass die BWB nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich berechtigt war, Zufallsfunde zum Anstoß für die Einleitung eines neuen Verfahrens zu nehmen (16 Ok 5/13). Nach der Entscheidung des EuGH vom 16. 7. 1992, C‑67/91, AEB, sind die Wettbewerbsbehörden nämlich nicht verpflichtet, ihnen übermittelte Informationen zu ignorieren und unter „akuter Amnesie“ zu leiden. Solche Informationen sind vielmehr Indizien, die berücksichtigt werden können, um die Einleitung eines nationalen Verfahrens zu begründen. Sie dürfen daher intern in der Sphäre der Behörde zur Beurteilung der Frage verwendet werden, ob ein nationales Verfahren einzuleiten ist.

Auch das Beweisverwertungsverbot des § 11 Abs 1 WettbG soll keineswegs Wettbewerbsverstöße schützen oder nicht verfolgbar machen. Für den Geheimnisschutz und den Schutz des Verteidigungsrechts nach § 11 WettbG ist es nicht erforderlich, dass anlässlich einer Hausdurchsuchung aufgefundene Unterlagen, die auf andere Verletzungen des Kartellgesetzes als die untersuchten schließen lassen, alleine aufgrund dieses Umstands nicht mehr verwendet werden dürften (16 Ok 5/13 mwN).

Soweit die Rechtsmittelwerberinnen in diesem Zusammenhang vorbringen, dass das Beweismittel Beilage ./A aus der Hausdurchsuchung bei der S***** AG stamme und daher gemäß § 11 Abs 1 WettbG nur im Rahmen der Ermittlungen bei dem mit dieser Hausdurchsuchung verfolgten Zweck verwertet hätte werden dürfen, sind sie auf diese Judikatur zu Zufallsfunden zu verweisen. Solche Zufallsfunde können demnach als Grundlage der Einleitung eines neuen Verfahrens herangezogen werden und rechtswirksam Gegenstand des nationalen Verfahrens sein, sofern der Nachweis für das Vorliegen des Wettbewerbsverstoßes nicht durch die so erlangten Unterlagen und Informationen erfolgt (EuGH vom 16. 10. 1992, C‑67/91, AEB, Rz 42 f). Mit ihrem Antrag auf Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls hat die BWB aber gerade ein solches weiteres nationales Prüfungsverfahren eingeleitet.

I.2.3. Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit:

Eine Hausdurchsuchung muss zur Erfüllung der den Wettbewerbsbehörden übertragenen Aufgaben erforderlich sein, also die Prüfung der vermuteten Zuwiderhandlung ermöglichen. Wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen (16 Ok 5/11). Im Gegensatz zur Hausdurchsuchung, die zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen angeordnet werden kann, ermöglicht ein Auskunftsverlangen nach § 11a WettbG kein Suchen nach Unterlagen, sondern setzt vielmehr voraus, dass die geschäftlichen Unterlagen entweder bereits bekannt sind oder freiwillig zur Verfügung gestellt werden. Zur Erreichung des Zwecks der Aufklärung des begründeten Verdachts ist eine Hausdurchsuchung daher immer dann geeignet und erforderlich, wenn erst nach zur Aufklärung geeigneten Informationsquellen gesucht werden muss und allenfalls auch dann, wenn die Vollständigkeit bereits vorhandener Unterlagen überprüft werden muss (16 Ok 5/11). Die Erforderlichkeit ist daher anhand des verfolgten und dem Adressaten bekannt gegebenen Zwecks zu beurteilen. Die Ermittlungen sind aber nicht auf Tatsachen beschränkt, die unmittelbar die Tatbestandsvoraussetzung eines Wettbewerbsverstoßes betreffen, sondern umfassen auch Informationen über den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, indem der Verfahrensgegenstand beurteilt werden muss (16 Ok 7/11, 16 Ok 7/06 mwN).

Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelwerberinnen ist es keineswegs notwendig, dass die BWB zuvor andere Ermittlungsschritte setzt, wie zB die vorgeschlagene Einvernahme des Verfassers jenes E‑Mails, das eine der Grundlagen für die Erlassung des Hausdurchsuchungsbefehls war. Eine hierarchische Ordnung der Ermittlungsbefugnisse besteht nämlich nicht (16 Ok 7/13; 16 Ok 5/13, RIS‑Justiz RS0127267).

Dass nicht angenommen werden könnte, nach mehr als sieben Jahren bei der Antragsgegnerin noch Unterlagen aufzufinden, weshalb Verdunkelungsgefahr nicht vorgelegen habe, geht an der Tatsache vorbei, dass Gegenstand des Verdachts eines Kartellrechtsverstoßes vermutete spätere Absprachen waren.

Inwiefern im vorliegenden Fall ein Auskunftsverlangen allein die notwendige Aufklärung bringen hätte können, erklären die Rechtsmittelwerberinnen nicht nachvollziehbar. Dem Vorbringen, dass die Verdachtslage umso schwächer wird, je länger der betroffene Zeitraum zurückliegt, ist entgegenzuhalten, dass gerade im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels in den letzten Jahren von den Kartellbehörden umfangreiche Ermittlungsverfahren ‑ auch in Zusammenhang mit Hausdurchsuchungen ‑ durchgeführt wurden, auf die das Erstgericht in der hier betroffenen Produktgruppe auch ausdrücklich Bezug genommen und dargelegt hat, inwiefern diese auch in die jüngste Zeit fortgewirkt haben. Aus der Unschuldsvermutung ist jedenfalls nicht abzuleiten, dass die dazu zuständigen Behörden deshalb keine Ermittlungen durchführen dürfen.

I.2.4. Zuletzt nehmen die Rechtsmittel‑ werberinnen auf die Judikatur des Senats Bezug, wonach ausforschende Nachprüfungen unzulässig sind. Solches ergebe sich auch aus dem Zweckbeschränkungsprinzip des § 6 Abs 1 Z 2 DSG und dem Verwertungsverbot in § 11 Abs 1 WettbG. Hier liege ein unzulässiger Erkundungsbeweis vor, weil es an einem begründeten Verdacht im Sinne des § 12 WettbG mangle. Auch seien Gegenstand und Zweck der Hausdurchsuchung nicht präzise bestimmt.

Richtig ist, dass sowohl nach dem EU‑Wettbewerbsrecht als auch nach dem nationalen Kartellrecht eine ausforschende Nachprüfung („fishing expedition“) unzulässig ist (16 Ok 2/10 mwN). Dies bedeutet aber lediglich, dass unmissverständlich klar gemacht werden muss, welchen Vermutungen nachgegangen werden soll und welchen Gegenstand und Zweck die Nachprüfung daher hat. Grundsätzlich kann aber durchaus auch nach Informationsquellen gesucht werden, die noch nicht bekannt sind. Lediglich bloße Spekulationen oder offensichtlich unbegründete oder zu vage gehaltene Verdachtsmomente reichen nicht aus (16 Ok 2/10). Eine Hausdurchsuchung kann aber bei entsprechendem Verdacht auch als erstes Instrument zur Gewinnung von Beweismitteln eingesetzt werden (16 Ok 2/12, RIS‑Justiz RS0127267).

Ein Erkundungsbeweis liegt nur dann vor, wenn eine Beweisaufnahme beantragt wird, um erst aufgrund der dadurch erzielten Ergebnisse die rechtlich erheblichen Tatsachen vorbringen zu können (RIS‑Justiz RS0039881, RS0039973) bzw wenn erst abgeklärt werden soll, ob von bestimmten Beweisen eine weitere Aufklärung zu erwarten ist (RIS‑Justiz RS0118123; RS0099421, RS0099353).

Davon kann hier aber nicht die Rede sein, ergibt sich doch sowohl aus dem Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde als auch aus dem Hausdurchsuchungsbefehl klar, was Gegenstand und Zweck der Hausdurchsuchung ist und auf welche bereits vorliegenden Verdachtsmomente sich dies stützt.

Zu dem an dieser Stelle wiederholten Hinweis, dass die Drittantragsgegnerin im Bereich Zucker und Zuckerprodukte tätig sei, wird auf die oben angeführte Begründung (Pkt. I.1.2., I.1.5. und I.1.9.) im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Geschäftssitz und die Judikatur hingewiesen, wonach sich die Hausdurchsuchung nicht nur gegen den Adressaten des Verdachts des Wettbewerbsverstoßes richten darf.

I.3. Dem Rechtsmittel der Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen ist daher der Erfolg zu versagen.

II. Rekurs der Sechstantragstellerin gegen den Hausdurchsuchungsbefehl ON 9:

II.1. Die Sechstantragsgegnerin macht in ihrem Rechtsmittel Verfahrensmängel und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend, ohne diese Rekursgründe getrennt auszuführen. Im Einzelnen sind folgende Argumente zu prüfen:

II.2. Keine konkreten Verdachtsmomente gegen die Sechstantragsgegnerin:

Das Schreiben, das die BWB und das Kartellgericht dem Hausdurchsuchungsbefehl zugrunde gelegt hätten, stamme von einem Mitarbeiter der Erstantragsgegnerin. Es gebe keine konkreten Anhaltspunkte, dass auch Mitarbeiter der Sechstantragsgegnerin ähnliche Schreiben gesendet hätten. Soweit sich das Kartellgericht darauf stütze, dass dem Schreiben aus 2007 kein Hinweis zu entnehmen sei, dass eine Beendigung der Methode der Preisabsprachen in den nachfolgenden Jahren beabsichtigt gewesen sei, reiche dies nicht aus, einen Verdacht gegen die Sechstantragsgegnerin zu begründen.

Mit diesen Ausführungen übersieht die Sechstantragsgegnerin einerseits, dass die Erweiterung der Hausdurchsuchung mit ON 9 gegen die Sechstantragsgegnerin (noch) keinen Verdacht gegen diese selbst zum Gegenstand hatte und andererseits, dass sich ein Hausdurchsuchungsbefehl gegen jede Person richten kann, in deren Geschäftsräumlichkeiten oder Wohnung relevante Informationsquellen erlangt werden können (16 Ok 5/11, 16 Ok 7/11, 16 Ok 7/13). Wurde aber der Vertrieb von Mehl und Mehlprodukten ab 2009 von der Erstantragsgegnerin auf die Sechstantragsgegnerin übertragen, liegt nahe bzw ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass im Zuge dessen auch relevante Unterlagen und Informationen über die näheren Details der Vetriebsaktivitäten weitergereicht wurden und daher bei der Sechstantragsgegnerin aufzufinden sind.

II.3. Widersprüchliche Zeitangaben:

Die Sechstantragsgegnerin hält die Angaben des Kartellgerichts über den Zeitraum des Vertriebs von Mehlprodukten durch die Erstantragsgegnerin für widersprüchlich. Das Kartellgericht führe im Durchsuchungsbefehl ON 9 einmal aus, dass der Vertrieb 2007/2008 übergegangen sei, an anderer Stelle hingegen, dass die Viert‑ und Fünftantragsgegnerinnen „seit 2008 bis 2009“ den Vertrieb der Mehlprodukte besorgten. Aus einem Aktenvermerk vom 2. 7. 2015 ergebe sich aber, dass die Erstantragsgegnerin lediglich bis 31. 12. 2008 im Vertrieb von Mehl tätig gewesen sei. Der Untersuchungszeitraum für bei der Hausdurchsuchung einzusehende Dokumente wäre daher entsprechend einzugrenzen gewesen.

Dem ist zu erwidern, dass es sich bei den Angaben über den Zeitpunkt der Übergabe des Vertriebs von Mehl und Mehlprodukten zwischen den Antragsgegnerinnen lediglich um Angaben der Vertreter der Antragsgegnerinnen handelt, deren Richtigkeit erst durch die Ergebnisse der Hausdurchsuchung zu bestätigen sein wird. Selbst wenn sich der Zeitpunkt aber genauer bestimmen lassen sollte, ist damit noch keineswegs bewiesen, dass die Erstantragsgegnerin danach keine für den hier zu behandelnden Verdacht relevante Handlungen mehr gesetzt haben kann; zu denken wäre etwa an eine Unterstützung bei der Einarbeitung der später für den Vertrieb zuständigen Sechstantragsgegnerin. Schon deshalb war das Kartellgericht nicht gehalten, den Untersuchungszeitraum mit dem behaupteten Endzeitpunkt der Vertriebszuständigkeit der Erstantragsgegnerin für Mehl und Mehlprodukte zu begrenzen.

II.4. Verfolgungsverjährung:

Einerseits wird der Zeitpunkt der Übergabe des Vertriebs im laufenden Verfahren noch zu erheben sein, andererseits fehlen Hinweise darauf, dass die Erstantragsgegnerin ihr unter dem Verdacht der Kartellrechtswidrigkeit stehendes Verhalten schlagartig beendet hätte. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung konnte das Kartellgericht daher keineswegs ausschließen, dass auch in Bezug auf die Erstantragsgegnerin nicht verjährtes kartellrechtswidriges Verhalten vorlag.

II.5. Zweckmäßigkeit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Hausdurchsuchungsbefehls:

II.5.1. Auch unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Zweckmäßigkeit macht die Sechstantragsgegnerin unter Hinweis auf den Zeitpunkt des Übergangs des Mehl- bzw Mehlproduktevertriebs geltend, der Untersuchungsgegenstand des Hausdurchsuchungsbefehls hätte auf einen beschränkten Zeitraum eingegrenzt werden müssen.

Entgegen dieser Auffassung war das Erstgericht nicht gehalten, den Hausdurchsuchungsbefehl auf einen bestimmten Untersuchungszeitraum einzuschränken. Wie bereits zuvor ausgeführt, war der Zeitpunkt des Vertriebsübergangs bei erstinstanzlicher Beschlussfassung lediglich behauptet, aber keineswegs nachgewiesen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Untersuchungsbehörden im Zeitpunkt der Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls noch nicht über sämtliche Informationen verfügen, die eine eindeutige und umfassende Beurteilung des Falls ermöglichen, der gerade durch die angeordnete Nachprüfung aufgeklärt werden soll. Zweck der Untersuchungshandlung ist gerade die Aufklärung des Sachverhalts (16 Ok 5/13).

Zweckmäßig ist eine Nachprüfung im Übrigen ua dann, wenn aus Sicht der Behörde Verdunkelungsgefahr besteht, insbesondere also, wenn belastende Unterlagen beiseite geschafft werden könnten, was hier angesichts der (wenn auch nur losen) Konzernverflechtung der betroffenen Unternehmen keineswegs von der Hand zu weisen war. Deshalb besteht kein Zweifel, dass die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls auf die Sechstantragsgegnerin ‑ entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel ‑ zweckmäßig war.

II.5.2. Soweit die Rechtsmittelwerberin (wieder unter Hinweis auf den Zeitpunkt des Übergangs des Vertriebs) die Verhältnismäßigkeit der bekämpften Maßnahme bestreitet, ist ihr zuzugestehen, dass auch ohne Hierarchie unter den Ermittlungsinstrumenten der Wettbewerbsbehörden zu berücksichtigen ist, dass Hausdurchsuchungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen bilden, und deshalb an das Interesse an der Sachaufklärung durch eine Hausdurchsuchung ein strengerer Maßstab anzulegen ist als bei Auskunftsverlangen und, dass sich im Einzellfall unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit daher eine Einschränkung der Wahlfreiheit ergeben kann (16 Ok 5/11 mwN).

Im Anlassfall hatte das Kartellgericht aber im Zeitpunkt seiner Entscheidung aufgrund umfangreicher Verfahrensführung im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels und seiner Zulieferbetriebe, insbesondere auch bei Mehl und Mehlprodukten, Kenntnis von Verdachtsmomenten, die bereits in vergleichbaren anderen Fällen zur Erlassung von Hausdurchsuchungsbefehlen geführt hatten, sodass ein gleiches Vorgehen auch hier nicht als unverhältnismäßig angesehen werden kann.

Soweit die Rechtsmittelwerberin zuletzt ihr Argument der Unverhältnismäßigkeit darauf stützt, dass der im ursprünglichen Hausdurchsuchungsbefehl bezeichnete Untersuchungsgegenstand sich ausschließlich auf Preisabsprachen der Erstantragsgegnerin bezogen habe, also nicht eine Hausdurchsuchung betreffend Preisabsprachen der Sechstantragsgegnerin decke, ist sie darauf zu verweisen, dass mit diesem Hausdurchsuchungsbefehl die Aufklärung eines Verdachts gegen die Erstantragsgegnerin angeordnet wurde und dass der Adressat des Hausdurchsuchungsbefehls nicht der Verdächtige des Wettbewerbsverstoßes sein muss (16 Ok 5/11, 16 Ok 7/11, 16 Ok 7/13).

II.5.3. Die Sechstantragsgegnerin macht weiters geltend, dem Beschluss über die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls sei auch in Verbindung mit dem ursprünglichen Hausdurchsuchungsbefehl nicht zu entnehmen, auf welche Punkte sich die Nachprüfung beziehe und wonach genau gesucht werde.

Wenn auch § 11 WettbG nichts Näheres zu Inhalt und Voraussetzungen der Anordnung einer Hausdurchsuchung enthält, sind in der korrespondierenden Bestimmung des Art 20 VO (EG) 1/2003 die Inhaltserfordernisse eines solchen Auftrags dahin bestimmt, dass Gegenstand und Zweck der Nachprüfung bezeichnet werden müssen. Der Prüfungsauftrag muss demnach möglichst genau angeben, wonach gesucht wird und auf welche Punkte sich die Nachprüfung bezieht. Allerdings ist zu bedenken, dass (insbesondere weil auch nach Informationsquellen gesucht werden darf, die noch nicht bekannt sind) keine Verpflichtung besteht, bestimmte Unterlagen zu nennen, auf die sich die Nachprüfung bezieht (16 Ok 2/10 mwN).

Im Anlassfall nennt der ursprüngliche Hausdurchsuchungsbefehl zwar nur die Sicherstellung von physischen und elektronischen Kopien. Dass es sich dabei aber um physische und elektronische Kopien von Geschäftsunterlagen oder Geschäftsbüchern und sonstigen Unterlagen (wie mitunter formuliert wird) handeln muss, die in Bezug zu vertikalen bzw horizontalen Preisabstimmungen in dem im Hausdurchsuchungsbefehl ON 2 genannten Produktbereich stehen, ergibt sich hinreichend erschließbar aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungen bei vernünftiger Betrachtung. Einer näheren Spezifizierung der gesuchten Geschäftsunterlagen bedurfte es nicht, weil ja auch nach unbekannten Informationsquellen gesucht werden darf.

II.5.4. Die Sechstantragsgegnerin meint weiters, es habe keine Veranlassung bestanden anzunehmen, dass sie die Beantwortung von Fragen im Zuge eines förmlichen Auskunftsverfahrens verweigert hätte, und es gäbe auch keine Anhaltspunkte, dass sie versucht hätte, Unterlagen zu unterschlagen oder zu verweigern, sondern sie habe vielmehr in jedem Zeitpunkt höchste Kooperationsbereitschaft gezeigt.

Diese Argumente übersehen, dass die Gründe für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls regelmäßig ex ante zu beurteilen sind. Ein nachträgliches Kooperieren des betroffenen Unternehmens kann deshalb die Anordnung selbst nicht unrechtmäßig machen. Gerade im vorliegenden Fall bestand Gefahr in Verzug, hatte doch die Hausdurchsuchung gegenüber den Erst‑ bis Fünftantragsgegnerinnen bereits begonnen, also auch gegenüber der Konzernmutter und Konzerngroßmutter der Rechtsmittelwerberin, ein Umstand, der der Sechstantragsgegnerin bei lebensnaher Betrachtung umgehend bekannt werden musste, betraf er doch die von ihr vertriebene Produktpalette. Gerade deshalb musste die Verbringung bzw Zerstörung von Unterlagen befürchtet und daher das Bestehen von Verdunkelungsgefahr angenommen werden. Schon aus diesem Grund wäre die Vorschaltung eines formellen Auskunftsverfahrens gegenüber der Sechstantragsgegnerin unzweckmäßig gewesen.

II.6. Dem Rekurs ist deshalb nicht Folge zu geben.

III. Zum Rekurs der Sechstantragsgegnerin gegen die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls ON 12:

III.1. Mit der Entscheidung ON 12 wurde der Hausdurchsuchungsbefehl auch wegen des Verdachts vertikaler und horizontaler Preisabstimmungen auch der Sechstantragsgegnerin selbst im Produktbereich Mehl und Mehlprodukte angeordnet. Aufgrund eines vorgelegten Aktenvermerks der BWB über aufgefundene Unterlagen betreffend Gesprächszusammenfassungen zu Terminen mit R***** im September 2010 und August 2010 wurde der Verdacht als bescheinigt angenommen, dass Verkaufspreiserhöhungen einzelner Lebensmitteleinzelhändler koordiniert wurden und besprochen wurde, dass „Verkaufspreise unverändert bleiben“. Inwiefern es angesichts dieser Ausführungen an einer Begründung der Hausdurchsuchung fehlt, ist nicht nachvollziehbar.

III.2. In ihren Ausführungen zur Unzweckmäßigkeit bzw Unverhältnismäßigkeit des bekämpften Beschlusses ON 12 unterstellt die Rechtsmittelwerberin unzutreffend, dass sich der ursprüngliche Hausdurchsuchungsbefehl und seine Erweiterungen ON 7 und ON 9 ausschließlich auf das vermeintlich wettbewerbswidrige Verhalten der Erst‑ bis Drittantragsgegnerin bis Ende 2008 bezogen hätten. Die BWB bleibe eine Begründung schuldig, weshalb sich relevante Informationsquellen betreffend Verhaltensweisen der Erst‑ bis Drittantragsgegnerin vor 2009 bei der Sechstantragsgegnerin befinden sollten.

Der ursprüngliche Hausdurchsuchungsbefehl und seine Erweiterungen haben sich aber keineswegs auf ein kartellrechtswidriges Verhalten der Erstantragsgegnerin innerhalb eines eingeschränkten Zeitraums bezogen, sondern die Anordnungen haben die Dauer des vermuteten Kartellrechtsverstoßes offen gelassen. Die Ausführungen der Rechtsmittelwerberin laufen daher insofern ins Leere.

Das Argument, dass für die Suche nach Unterlagen ab 2009 schon deshalb keine Grundlage bestehe, weil die Erstantragsgegnerin damals nicht mehr in den Mehlvertrieb eingebunden und deshalb eine Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls auf die Sechstantragsgegnerin nicht gerechtfertigt gewesen sei, wurde bereits im Zusammenhang mit dem Rekurs der Sechstantragsgegnerin gegen ON 9 behandelt, soweit es die räumliche Ausdehnung betrifft (II.3. und II.4.). Im Übrigen bildet der Hausdurchsuchungsbefehl ON 12 die Grundlage für die Suche nach Unterlagen ab 2009 wegen des Verdachts auf Kartellverstöße der Sechstantraggsgegnerin selbst.

Auch das weitere Argument des Rechtsmittels, dass sich aus dem Hausdurchsuchungsbefehl nicht ergebe, wonach genau gesucht werde, und dass die Sechstantragsgegnerin sich höchst kooperationsbereit gezeigt habe, wurde bereits bei Erledigung des Rekurses gegen den Beschluss ON 9 widerlegt (II.5.3. und II.5.4.).

III.3. Soweit die Rechtsmittelwerberin nunmehr vorbringt, dass sich der ursprüngliche Hausdurchsuchungsbefehl und der dort bezeichnete Untersuchungsgegenstand ausdrücklich auf Preisabsprachen der Erstantragsgegnerin bezogen habe und somit eine Hausdurchsuchung betreffend Preisabsprachen der Sechstantragsgegnerin nicht decke, ist dem zwar insofern zuzustimmen, als bis zum Hausdurchsuchungsbefehl ON 12 bei der Sechstantragsgegnerin nicht nach Unterlagen betreffend den Verdacht eigener kartellrechtswidriger Aktivitäten, sondern nach Unterlagen der Erstantragsgegnerin gesucht wurde. Mit dem Hausdurchsuchungsbefehl ON 12 wurden sodann erstmals eigene kartellrechtswidrige Verhaltensweisen der Sechstantragsgegnerin Gegenstand der Untersuchung. Inwiefern dies bestätige, dass der Hausdurchsuchungsbefehl ON 9 unverhältnismäßig und unzulässig gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar.

III.4. Die Sechstantragsgegnerin meint weiter, das Kartellgericht könne sich zur Begründung des Hausdurchsuchungsbefehls nicht auf einen Aktenvermerk der BWB stützen, sondern hätte die BWB zur Vorlage der entsprechenden Unterlagen anhalten müssen. Sie sieht darin eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und einen Verstoß gegen die Verfahrensgrundsätze im Außerstreitverfahren und im Kartellrecht, ohne diese These durch Literatur oder Judikatur zu untermauern.

Die Rechtsmittelwerberin übersieht, dass der Unmittelbarkeitsgrundsatz weder dem AußStrG 1854 allgemein noch dem Kartellverfahren im Speziellen immanent war ( Solé , Das Verfahren vor dem Kartellgericht, Rz 117). Auch das AußStrG 2005 hat, wie die Materialien (224 BlgNR 22. GP 8) erläutern, bewusst von einer strikten Einführung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes Abstand genommen ( Fucik/Kloiber , AußStrG § 31 Rz 4 mwN, Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG, § 20 AußStrG Rz 17, Solé , Das Verfahren vor dem Kartellgericht, Rz 118).

Den Vorwürfen der Rekurswerberin, das Erstgericht hätte weitere Beweise aufnehmen müssen, ist überdies entgegenzuhalten, dass die Prüfung der Frage, ob zur Gewinnung der erforderlichen Feststellungen noch weitere Beweise notwendig sind, ein Akt der Beweiswürdigung ist (RIS‑Justiz RS0043414) und der Oberste Gerichtshof auch als Kartellobergericht in kartellgerichtlichen Verfahren als Rechtsinstanz tätig wird und nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung berufen ist (RIS‑Justiz RS0119972 [T1]).

III.5. Weiters argumentiert die Rechtsmittelwerberin, dass kein kartellrechtlich vorwerfbares Verhalten erkennbar sei. Allein aus der Wendung in der Gesprächszusammenfassung von August 2010, wonach „Verkaufspreise unverändert bleiben“, lasse sich nicht der begründete Verdacht auf ein kartellrechtlich relevantes Verhalten ableiten, zumal nicht klar sei, ob es sich dabei um Einkaufspreise oder Verkaufspreise von R***** handle. Das Kartellgericht habe in diesem Zusammenhang die Pflicht gehabt, den gesamten Inhalt des Aktenvermerks der BWB kritisch zu hinterfragen.

Diese Argumentation wäre allenfalls dann zielführend, falls die genannte Gesprächszusammenfassung vom August 2010 das einzige Beweismittel gewesen wäre. Das Erstgericht hat die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls ON 12 aber weiters darauf gestützt, dass aus einer Gesprächszusammenfassung aus September 2010 auch der Verdacht einer Verkaufspreiserhöhung einzelner Lebensmittelhändler und deren Koordinierung hervorgehe, nicht nur die unveränderten Verkaufspreise. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Sechstantragsgegnerin, worauf sie wiederholt hinweist, ab 2009 die Vertriebstätigkeit der Erstantragsgegnerin übernommen hat. Nun ist in dem E‑Mail, das den Anfangsverdacht gegenüber der Erstantragsgegnerin begründete, aber ausdrücklich von Verkaufspreisen in Bezug auf Endverkäufer, nämlich jene bei M***** und B***** sowie S***** die Rede. Im Gesamtkontext gesehen ist daher ‑ entgegen dem Standpunkt des Rechtsmittels ‑ keineswegs „eindeutig“, dass es sich bei dem Begriff „VK“ nur um Verkaufspreise an R***** handeln kann, sondern vielmehr naheliegend (und daher einen begründenden Verdacht auslösend), dass es sich um Endkundenverkaufspreise und deren Koordinierung und Festlegung handelt.

III.6. In der Folge legt die Rechtsmittelwerberin dar, dass es sich bei den von der BWB als Zusammenfassung von Gesprächsterminen behandelten Aktenvermerken „ganz offensichtlich“ um eine Präsentation in Vorbereitung der Gesprächstermine gehandelt und die BWB es unterlassen habe nachzufragen, ob diese Präsentation überhaupt verwendet wurde. Auch beziehe sich die betreffende Folie auf Weizengrieß und Polenta und nicht Mehl und Mehlprodukte, die wiederum alleine vom Hausdurchsuchungsbefehl umfasst gewesen seien. Beim zweiten Dokument, auf das die BWB Bezug nehme, handle es sich um ein Schreiben des ehemaligen Vertriebs‑ und Marketingleiters der Sechstantragsgegnerin an einen Mitarbeiter von S***** und nicht an R*****.

Auch mit diesen Ausführungen bekämpft die Sechstantragsgegnerin einerseits in unzulässiger Weise die Beweiserhebung bzw Beweiswürdigung des Erstgerichts. Aus rechtlicher Sicht macht es für die Begründung eines Verdachts einer Kartellrechtswidrigkeit keinen Unterschied, ob das fragliche Dokument in Vorbereitung eines Gesprächstermins mit R***** die Ankündigung unveränderter Verkaufspreise enthielt oder als Zusammenfassung des Ergebnisses dieses Gesprächs entstand. In beiden Varianten liegt nämlich der Verdacht nahe, dass die Sechstantragsgegnerin darauf abzielte, Preise in wettbewerbswidriger Art und Weise zu beeinflussen und zu koordinieren. Letztlich bleibt die Rechtsmittelwerberin auch eine nachvollziehbare Begründung dafür schuldig, warum sich ein allgemein gehaltener Hinweis wie „Verkaufspreise bleiben unverändert“ nur ganz eingeschränkt auf Weizengrieß und Polenta bezogen haben und die hier untersuchte Produktgruppe von solchen Koordinierungsversuchen nicht umfasst gewesen sein soll. Auch dass sich das zweite Dokument an einen Mitarbeiter von S***** und nicht von R***** richtete, ändert am grundsätzlichen Verdacht einer wettbewerbswidrigen Absprache bzw dem Versuch einer solchen nichts.

III.7. Soweit sich die Rechtsmittelwerberin zuletzt wieder auf ihre Kooperationsbereitschaft beruft und meint, die BWB wäre sogar verpflichtet gewesen, allfällige Fragen mit den anwesenden Geschäftsführern ihres Unternehmens zu besprechen, ist auf die vorigen Ausführungen (I.1.11. und II.5.4.) zu verweisen. Dass ein Hausdurchsuchungsbefehl bzw die Erweiterung eines solchen auch ohne vorherige Befragung und Einräumung von rechtlichem Gehör zulässig ist, weil § 12 Abs 5 WettbG eine Spezialnorm zum AußStrG ist, wurde auch bereits in 16 Ok 8/13 ausgesprochen.

III.8. Es ist daher auch diesem Rechtsmittel der Erfolg zu versagen.

IV. Dem Rechtsmittel bzw dessen Gegenschrift nachfolgende Eingaben der Parteien sind im Hinblick auf den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, der auch im Außerstreitverfahren gilt (vgl RIS‑Justiz RS0007007), unzulässig. Die Replik der Erst- bis Drittantragsgegnerin vom 30. 9. 2015 auf die Rekursbeantwortung der BWB ist daher zurückzuweisen.

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