Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht seinen am 30. 4. 2013 zur selben Aktenzahl erlassenen Hausdurchsuchungsbefehl dahin erweitert, dass die Durchsuchung der Geschäftsräumlichkeiten sowie Fahrzeuge der Antragsgegnerinnen und die Sicherstellung von physischen und elektronischen Kopien auch wegen des Verdachts der vertikalen Preisabstimmung der Antragsgegnerinnen mit dem Lebensmittelgroßhandel angeordnet wurde. Der ursprüngliche Hausdurchsuchungsbefehl war wegen des Verdachts der Teilnahme an wettbewerbswidrigen Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen betreffend vertikale Preisabsprachen zwischen der Erstantragsgegnerin und Lebensmitteleinzelhändlern sowie horizontaler Preisabstimmungen des Lebensmitteleinzelhandels über die Erstantragsgegnerin angeordnet worden.
Mit dem Vollzug dieser Hausdurchsuchung wurde am 15. 5. 2013 begonnen. Am 16. 5. 2013 beantragte die BWB die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls auf vertikale Preisabstimmungen der Antragsgegnerinnen mit dem Lebensmittelgroßhandel. Der entsprechende Verdacht habe sich im Zuge der Hausdurchsuchung bei der Durchsicht von Unterlagen ergeben. Danach hätten die Antragsgegnerinnen regelmäßig die Endverkaufspreise mit dem Lebensmittelgroßhandel abgestimmt.
Das Erstgericht sah aufgrund eines Aktenvermerks vom 15. 5. 2013 als hinreichend bescheinigt an, dass die die Hausdurchsuchung vollziehenden Mitarbeiter der Bundeswettbewerbsbehörde bei der Sichtung von Unterlagen auf Urkunden gestoßen waren, die vertikale Preisabstimmungen zwischen den Antragsgegnerinnen und dem Lebensmittelgroßhandel belegten. Der ursprüngliche Hausdurchsuchungsbefehl decke diesen Verdacht nicht. Es sei daher die beantragte Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls anzuordnen. In Bezug auf Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Hausdurchsuchung habe sich im Vergleich zum ursprünglichen Hausdurchsuchungsbefehl nichts geändert.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerinnen mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben.
Die Antragstellerin und der Bundeskartellanwalt streben in ihren Rekursbeantwortungen jeweils an, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
I. Rekursvorbringen:
Die Rechtsmittelwerberinnen halten den Beschluss über die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls für einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Hausrecht. Es sei fraglich, ob die Bundeswettbewerbsbehörde einen solchen Zufallsfund in einem Aktenvermerk dokumentieren dürfe, und ob ein solcher Aktenvermerk eine taugliche Grundlage für die Erweiterung eines Hausdurchsuchungsbefehls sein könne. Dies führe zu einer Art „Dominosystem“: Ein einmal erlangter Hausdurchsuchungsbefehl wäre eine unlimitierte „Eintrittskarte“ in die Räumlichkeiten und Geschäftsunterlagen des betroffenen Unternehmens. Dies sei aber sowohl nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs als auch des Verfassungsgerichtshofs wegen des schwerwiegenden Eingriffs in die Individualsphäre des Betroffenen unzulässig. Der anzuwendende strenge Maßstab würde nicht eingehalten, wenn aufgrund von Zufallsfunden während einer Hausdurchsuchung jederzeit eine Erweiterung des ursprünglichen Ermittlungsgegenstands möglich wäre. Das Instrument der Maßnahmenbeschwerde gehe ins Leere, wenn die BWB Zufallsfunde nicht einfach mitnehme, sondern davon Abschriften erstelle und auf dieser Grundlage noch an Ort und Stelle eine Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls erwirke. In diesem Sinne habe auch das Gericht der Europäischen Union erst kürzlich dargelegt, dass die Hausdurchsuchung nicht über den vom Anfangsverdacht betroffenen Geschäftszweig hinaus ausgedehnt werden dürfe, weil sonst die Begründung des ursprünglichen Hausdurchsuchungsbefehls zur bloßen Formsache werde. Auch der Oberste Gerichtshof habe in 16 Ok 2/12 ausgesprochen, dass für nicht vom Hausdurchsuchungsbefehl gedeckte Ergebnisse ein Beweisverwertungsverbot nach § 11 Abs 1 WettbG bestehe. Der Zufallsfund dürfe nicht zum Gegenstand eines neuerlichen Hausdurchsuchungsantrags gemacht werden. Zwar müsse die BWB den Zufallsfund nicht aus ihrem Gedächtnis „ausblenden“, doch sei angesichts des Gebots der Verhältnismäßigkeit eine Ausdehnung des Grundrechtseingriffs nicht gestattet, sondern die BWB könne den Zufallsfund (nur) zum Anlass nehmen, um nach Abschluss der Hausdurchsuchung die fraglichen Unterlagen mit Hilfe eines Auskunftsverlangens herauszufordern oder um im Hinblick auf den erweiterten Sachverhalt die handelnden Personen gemäß § 11 Abs 2 WettbG zu sich zu laden.
Letztlich legen die Rekurswerberinnen dar, dass vertikale Preisabstimmungen nicht generell mit Art 101 AEUV und § 1 KartG unvereinbar seien und daher für die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls kein hinreichend begründeter Verdacht bestanden habe. Auch in den Leitlinien für vertikale Beschränkungen der Europäischen Kommission sei festgehalten, dass vertikale Preisbindungen insbesondere im Zuge der Markteinführung neuer Produkte oder kurzfristiger Sonderangebotskampagnen unter die Ausnahmeregel des Art 101 Abs 3 AEUV fallen können. Eine bloße Preisabstimmung, wie von der BWB im Aktenvermerk Beilage ./K dokumentiert, sei keine Kernbeschränkung. Ihre Gesetzwidrigkeit könne daher nicht von vornherein unterstellt werden.
II. Inhalt und Voraussetzungen eines Hausdurchsuchungsbefehls
Rechtliche Beurteilung
II.1. Österreichisches Kartellrecht:
Im Hinblick auf § 21 Abs 5 WettbG ist auf den hier vorliegenden Sachverhalt bereits das WettbG in der Fassung der Novelle BGBl I Nr 13/2013, in Kraft getreten mit 1. 3. 2013, anzuwenden.
Gemäß § 12 Abs 1 WettbG hat das Kartellgericht unter anderem dann, wenn dies zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist, auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde bei Vorliegen des begründenden Verdachts einer Zuwiderhandlung gegen §§ 1, 5 oder 17 KartG 2005, Art 101 oder 102 AEUV eine Hausdurchsuchung anzuordnen. Nach der nunmehrigen Fassung des § 12 Abs 5 WettbG ist unmittelbar vor einer solcherart angeordneten Hausdurchsuchung der Betroffene zu den Voraussetzungen zu befragen, sofern nicht Gefahr in Verzug besteht. Widerspricht er im Rahmen der Prüfung von Unterlagen, unabhängig davon, in welcher Form diese vorliegen, der Einsichtnahme in bestimmte, einzeln bezeichnete Unterlagen oder ihrer Beschlagnahme unter Berufung auf eine ihn treffende gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit oder ein ihm zustehendes Recht zur Verweigerung der Aussage gemäß § 157 Abs 1 Z 2 bis 5 StPO, so sind diese Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und dem Kartellgericht vorzulegen. Zuvor dürfen sie nicht eingesehen werden. Das Kartellgericht hat dann über die Einsicht in diese Unterlagen zu entscheiden. Ist die Bezeichnung einzelner Unterlagen im Zuge der Hausdurchsuchung nicht möglich, sind sie zu sichern und getrennt vom Ermittlungsakt zu hinterlegen. Der Betroffene kann innerhalb einer Frist von mindestens zwei Wochen die Unterlagen einzeln bezeichnen. Unterlässt er dies, werden sie Bestandteil des Ermittlungsakts. Die bezeichneten Unterlagen sind dagegen in sinngemäßer Anwendung des Abs 5 dem Kartellgericht vorzulegen.
Näheres zum Inhalt bzw den Voraussetzungen der Anordnungen einer Hausdurchsuchung enthält das Wettbewerbsgesetz nicht.
Nach den Erläuternden Bemerkungen zu § 12 Abs 5 WettbG war das vor der Novelle bestehende unbegrenzte Widerspruchsrecht nicht praktikabel und wurde daher mit der eingangs genannten Novelle auf die gesetzlich anerkannten Pflichten der Verschwiegenheit, wie Berufsgeheimnisse, und das Recht der Verweigerung der Zeugenaussagen, wie es in der StPO bei sonstiger Nichtigkeit vorgesehen ist, eingeschränkt. Ausdrücklich erwähnen die Erläuternden Bemerkungen auch, dass aufgefundene Beweisstücke für nicht vom Gegenstand und Zweck der Hausdurchsuchung umfasste Verstöße gegen nationales oder europäisches Wettbewerbsrecht Anstoß für die Einleitung eines neuen Verfahrens sein können. Es wird dazu ausdrücklich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs C‑85/87, Dow Benelux NV verwiesen (s dazu unten Pkt IV.2.).
II.2. Österreichisches Strafrecht:
Eingriffsvoraussetzung für eine nach nationalem Strafrecht durchgeführte Hausdurchsuchung ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sowohl was ihre Voraussetzungen als auch ihre Durchführung betrifft. Konkretisiert wird dieses Gebot insbesondere in § 121 Abs 1 und 3 StPO. Bei Durchsuchungen ist möglichst schonend vorzugehen, Aufsehen, Belästigungen, Störungen sind auf das unvermeidbare Maß zu beschränken. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird nach folgenden Kriterien überprüft:
Der Zweck des Eingriffs muss eindeutig sein, die Durchsuchung muss einer bestimmten Angelegenheit dienen.
Die gesuchten Gegenstände müssen bereits vor dem Eingriff bestimmt sein.
Zur bloßen Gewinnung von Verdachtsgründen und nach Abschluss der Untersuchung sind die Maßnahmen grundsätzlich unzulässig.
Die Durchsuchung muss geeignet sein, ihren Zweck zu erreichen. Das Gesuchte muss den untersuchten Verdacht bestätigen oder entkräften können.
Der Eingriff muss außerdem im überwiegenden öffentlichen Interesse gerechtfertigt sein.
Bei einer Durchsuchung im strafrechtlichen Zusammenhang besteht weiters der Grundsatz der Subsidiarität. Die Durchsuchung ist daher nur grundrechtlich einwandfrei, wenn keine weniger einschneidende Maßnahme mit derselben Erfolgsaussicht zur Verfügung steht (zu allen Tipold/Zerbes, WK‑StPO Vor §§ 119 ‑ 122 Rz 10 f).
II.3. Europäisches Wettbewerbsrecht:
Im europäischen Wettbewerbsrecht sind die Nachprüfungsbefugnisse der Kommission in Art 20 VO (EG) 1/2003 abschließend aufgezählt.
Gemäß Art 20 Abs 2 und 3 der genannten VO umfasst die Begründungspflicht die Angabe von Gegenstand und Zweck der Nachprüfung. Die Kommission hat alle Tatsachen, von denen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme abhängt, sowie die Erwägungsgründe anzuführen, die sie zum Erlass des Beschlusses veranlasst haben. Daraus soll der Betroffene den Umfang der Duldungs‑ und Mitwirkungspflicht erkennen können (De Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, Art 20 Rz 3).
Eine rechtliche Qualifikation oder die Bekanntgabe sämtlicher der Kommission vorliegenden Informationen ist nicht erforderlich. Es muss aber eine Beschreibung der wesentlichen Merkmale der behaupteten Zuwiderhandlung gegeben und der betroffene Markt und die Natur der behaupteten Wettbewerbsbeschränkung angegeben werden. Auch muss erläutert werden, in welcher Form das von der Nachprüfung betroffene Unternehmen in die Zuwiderhandlung verwickelt sein soll und wonach gesucht wird. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Kommission im Zeitpunkt des Erlasses eines Nachprüfungsbeschlusses in der Regel noch nicht über die Informationen verfügt, die eine eindeutige und umfassende Beurteilung des Falles ermöglichen, der gerade durch die angeordnete Nachprüfung ermittelt werden soll (vgl auch jüngst EuG, 6. 9. 2013, T‑289/11 ‑ Deutsche Bahn, Rz 74 ff).
Zweck der Untersuchungshandlung ist die Aufklärung des Sachverhalts, auf den sich der Verdacht der Zuwiderhandlung stützt.
Der Gegenstand bezeichnet die Bücher oder sonstigen Geschäftsunterlagen, die der Nachprüfung unterworfen werden. Es muss zwar der Informationsstand der Kommission nicht vollständig offengelegt, aber unmissverständlich klargemacht werden, welchen Vermutungen nachgegangen werden soll. Eine ausforschende Nachprüfung („Fishing‑Expedition“) ist unzulässig (16 Ok 2/10; Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG‑Kartellrecht, Art 20 VO 1 2003 Rz 4 mwN; Burrichter in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 24, Art 20 VO [EG] 1/2003 Rz 7).
Die Nachprüfung nach Art 20 Abs 1 VO (EG) 1/2003 muss zur Erfüllung der Aufgabe erforderlich sein. Dies ist der Fall, wenn bei objektiver Beurteilung die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen bestimmten Geschäftsunterlagen im vermuteten Besitz des Adressaten der Ermittlungsmaßnahme und dem Zweck und Gegenstand der Nachprüfung nicht ausgeschlossen werden kann. Tatsachen, die den im Nachprüfungsbeschluss bezeichneten Verfahrensgegenstand betreffen und zum rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang gehören, innerhalb dessen dieser beurteilt werden muss, stehen in einem solchen Zusammenhang (De Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, Art 20 Rz 5).
III. Ermittlungsbefugnisse
III.1. Europäische Kommission:
In der Regel stellen die Inspektoren der Kommission den Adressaten den Nachprüfungsbeschluss unmittelbar vor Beginn der Nachprüfung zu. Mit diesem Zeitpunkt entstehen die Duldungs‑ und Mitwirkungspflichten des Adressaten, die unverzüglich zu erfüllen sind und mit Zwangsmitteln nach Art 20 Abs 6 VO (EG) 1/2003 durchgesetzt werden können. Die mit Beschluss angeordneten Nachprüfungen erfolgen daher in der Regel ohne vorherige Ankündigung, damit die Adressaten keine oder nur eine beschränkte Möglichkeit haben, Geschäftsunterlagen der Nachprüfung zu entziehen. Dieser beabsichtigte Überraschungseffekt wäre gefährdet, wenn der Adressat den Beginn der Nachprüfung verzögern könnte (De Bronett aaO Rz 18). In der spezifischen Situation der Nachprüfung hängt der Erfolg wesentlich vom Überraschungsmoment ab, und ein vorgeschalteter einfacher Prüfungsauftrag würde die Unternehmen warnen und ihnen die Möglichkeit geben, Beweismaterial beiseite zu schaffen (Schütz in Kölner Komm z Kartellrecht Art 20 VO [EG] 1/2003 Rz 8). Die Entscheidung über den Nachprüfungsauftrag ergeht auch ohne vorherige Anhörung des betroffenen Unternehmens (Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, VO [EG] 1/2003 Art 20 Rz 2).
Im Zusammenhang mit der Prüfung der Geschäftsunterlagen erlangt die Kommission zwangsläufig auch Kenntnis von Geschäftsunterlagen, die in keinem Zusammenhang mit Gegenstand und Zweck der Nachprüfung stehen. Es kann daraus aber nicht geschlossen werden, dass Kopien zwingend nur von Geschäftsunterlagen angefertigt und erlangt werden dürfen, die mit Gegenstand und Zweck der Nachprüfung im Zusammenhang stehen. Dies ist an Ort und Stelle bei umfangreichen Unterlagen nicht feststellbar, und es ist auch zu berücksichtigen, dass die an der Nachprüfung beteiligten Inspektoren nicht zur Gruppe der Bediensteten gehören müssen, die mit der Fallbearbeitung beauftragt und daher mit allen Einzelheiten des Falles vertraut ist. Es besteht daher keine zwingende zeitliche Reihenfolge der Befugnisse in Bezug auf das Prüfen von Geschäftsunterlagen und das Anfertigen von Kopien (De Bronett aaO Rz 17). Der Zweck der Ausübung jeder Ermittlungsbefugnis der Kommission nach den Art 17 bis 22 VO (EG) 1/2003 ist die Konkretisierung einer Aufgabe, deren Erfüllung ihr durch Verordnung übertragen ist, das heißt die Aufklärung eines bestimmten Sachverhalts, auf den sich der Verdacht einer Zuwiderhandlung gegen die Art 101 und 102 AEUV stützt.
Unternehmen dürfen sich der Anfertigung von Kopien daher selbst dann nicht widersetzen, wenn sie den Zusammenhang zwischen Zweck und Gegenstand der Nachprüfung und einem Dokument nicht erkennen oder ausschließen (Sura aaO Rz 19).
III.2. BWB:
Zwischen den der Bundeswettbewerbsbehörde zustehenden Ermittlungsbefugnissen nach dem WettbG besteht nach ständiger Rechtsprechung keine hierarchische Ordnung. Es ist daher weder die Durchführung eines Auskunftsverlangens noch dessen Ankündigung Voraussetzung für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls. Auskunftsverlangen und Nachprüfung sind vielmehr zwei voneinander unabhängige Ermittlungsinstrumente zur Sachverhaltsaufklärung (RIS‑Justiz RS0127267; 16 Ok 1/13). Weil Hausdurchsuchungen aber einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen darstellen, ist hier an das Interesse an der Sachverhaltsaufklärung ein strenger Maßstab anzulegen.
Weiters ist im Hinblick auf die Verteidigungsrechte bzw das Erkennen der Mitwirkungspflicht der betroffenen Unternehmen in § 12 WettbG geregelt, dass der Betroffene unmittelbar vor der angeordneten Hausdurchsuchung zu ihren Voraussetzungen zu befragen ist, außer es besteht Gefahr in Verzug.
Dass dem betroffenen Unternehmen eine weitere Vorbereitungsfrist, zB für Überlegungen, ob ein Kronzeugenantrag gestellt werden soll, zu geben wäre, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
IV. Zweckbindung der erlangten Informationen/Verwertungsverbot
IV.1. Rechtslage in der EU:
Nach Art 28 der VO (EG) 1/2003 dürfen unter anderem die bei Nachprüfungen erlangten Informationen nur zu dem Zweck verwendet werden, zu dem sie eingeholt wurden.
IV.2. Urteil des Europäischen Gerichtshofs C‑85/87, Dow Benelux:
In dieser Entscheidung hatte sich der EuGH unter anderem mit der Rüge zu befassen, die Kommission habe die streitige Nachprüfungsentscheidung aufgrund von Kenntnissen erlassen, die sie bei einer anderen Nachprüfung erlangt habe, und damit Kenntnisse zu einem anderen als mit dieser ursprünglichen Nachprüfung verfolgten Zweck verwertet.
Der EuGH sprach aus, dass das Verwertungsverbot neben dem Berufsgeheimnis auch die Verteidigungsrechte der Unternehmen schützen soll. Diese Rechte würden in schwerwiegender Weise beeinträchtigt, wenn die Europäische Kommission gegenüber den Unternehmen bei einer Nachprüfung erlangte Beweise anführen könnte, die in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand und Zweck dieser Nachprüfung stünden. Dies bedeutet aber nicht, dass es der Kommission verwehrt wäre, ein Untersuchungsverfahren einzuleiten, um Informationen, die sie bei einer früheren Nachprüfung zufällig erlangt hat, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen oder zu vervollständigen, wenn diese Informationen einen Hinweis auf Verhaltensweisen lieferten, die gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrags verstoßen. Ein solches Verbot ginge über das hinaus, was zum Schutz des Berufsgeheimnisses und der Verteidigungsrechte notwendig sei und würde die Kommission in unzulässiger Weise bei der Erfüllung ihrer Aufgaben behindern.
IV.3. Europäische Literatur:
Auch unter Hinweis auf diese Entscheidung wird in der Literatur vertreten, dass Informationen, die zufällig erlangt wurden, auf ihre Richtigkeit überprüft und vervollständigt werden dürfen. Allerdings dürften die Unterlagen als solche nicht als Beweismittel verwertet werden, sondern es sei nur die Kenntnis ihrer Existenz, die zum Anlass neuer Ermittlungen genommen werden könne. Würden Ermittlungen bei einem Unternehmen vorgenommen, das einer Zuwiderhandlung noch nicht verdächtig sei und damit die Stellung eines von dem Verfahren nicht betroffenen Dritten habe, dürften die erlangten Kenntnisse zur Einleitung eines Verfahrens und zur Feststellung einer Zuwiderhandlung gegenüber diesem Unternehmen nur verwertet werden, wenn dessen Verteidigungsrechte im vollen Umfang gewahrt seien (Ritter in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 24 Art 28 VO [EG] 1/2003 Rz 9).
Art 28 Abs 1 VO (EG) 1/2003 und das darin enthaltene Verwertungsverbot schließen ebenfalls nicht aus, dass die Kommission oder die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten Informationen, die zB während einer Nachprüfung und somit zu einem bestimmen Zweck eingeholt werden, zum Anlass nehmen, neue Ermittlungen durchzuführen, um die aufgrund dieser neuen Ermittlungen erlangten Beweismittel in einem weiteren Verfahren mit einem anderen Verfahrensgegenstand zu verwerten. Ein diesbezügliches Verwertungsverbot ginge über das hinaus, was zum Schutz des Berufsgeheimnisses und der Verteidigungsrechte notwendig ist und würde die Kommission und die Wettbewerbsbehörden in unzulässiger Weise bei der Erfüllung ihrer Aufgaben behindern (De Bronett Art 28 Rz 3).
Auch nach Sura (in Langen/Bunte, Komm z deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 211 Rz 5 zu Art 28 VO [EG] 1/2003) verstoße es im Hinblick auf Dow Benelux (so Pkt IV.2.) und AEB (su Pkt VII.3.) nicht gegen das Verwertungsverbot, wenn gewonnene Erkenntnisse zum Anlass genommen werden, neue Ermittlungen mit anderem Untersuchungsgegenstand durchzuführen und anschließend die so gewonnenen Ermittlungsergebnisse zweckentsprechend zu verwenden. Bei den Nachprüfungsbefugnissen bestehe ein echtes Wahlrecht der Kommission, weil die Mittel der Nachprüfung in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stünden. Die Wahl des konkreten Mittels habe nach Zweckmäßigkeits‑ und Rechtmäßigkeitsgesichtspunkten zu erfolgen. Die Nachprüfung müsse erforderlich sein, dabei handle es sich aber um einen Teilaspekt der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung, die einen Anfangsverdacht voraussetze. Ein solcher sei zu bejahen, wenn unter Berücksichtigung des Verfahrensstandes bei objektiver Beurteilung die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen bestimmten Geschäftsunterlagen und dem Zweck und Gegenstand der Nachprüfung nicht ausgeschlossen werden könne.
Nur Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, VO (EG) 1/2003 Art 20 Rz 2 hegen Bedenken gegen die Auffassung, dass Informationen zum Anlass genommen werden können, in einem anderen Verfahren neue Ermittlungen aufzunehmen, und dass in diesem neuen Verfahren Verdachtsmomente aus den übermittelten Informationen Neuermittlungen stützen können, weil das Verwendungs‑ und Verwertungsverbot des Art 28 Abs 1 VO (EG) 1/2003 damit ausgehöhlt werden könne.
IV.4. Österreich:
In Österreich bestimmt § 11 Abs 1 WettbG, dass die Bundeswettbewerbsbehörde alle Ermittlungen führen kann, die ihr zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben gemäß diesem Bundesgesetz zukommen. Die im Rahmen von Ermittlungen erlangten Kenntnisse dürfen ‑ sofern nicht eine Berechtigung zur Zusammenarbeit nach § 10 Abs 1 WettbG besteht ‑ nur zu dem mit der Ermittlungshandlung verfolgten Zweck verwertet werden.
Matousek (in Petsche/Urlesberger/Vartian, Kartellgesetz, § 10 WettbG Rz 3 und § 11 WettbG Rz 6) sieht hier ein Verwertungsverbot, dem nicht nur die BWB, sondern auch die empfangende Stelle aus dem Kreis der Berechtigten im Sinne des § 10 Abs 1 WettbG unterliege.
Müller (in Petsche/Urlesberger/Vartian, Kartellgesetz, § 12 WettbG Rz 44) meint, dass sogenannte Zufallsfunde, also Beweisstücke für nicht vom Gegenstand und Zweck der Hausdurchsuchung umfasste Verstöße gegen nationales und europäisches Wettbewerbsrecht, im Rahmen des Verfahrens, zu dessen Behufe die Hausdurchsuchung stattgefunden hat, nicht verwertet werden dürfen. Sie könnten allerdings Anstoß für die Einleitung eines neuen Verfahrens sein.
V. Zufallsfunde:
V.1. Mit Angabe des Zwecks einer Ermittlung nach der VO (EG) 1/2003 werden die Verwendungsmöglichkeiten der erlangten Informationen bestimmt, weil sie nur zu dem Zweck verwertet werden können, zu dem sie eingeholt wurden. Dies bedeutet gleichzeitig, dass zufällig durch eine Ermittlung erlangte Informationen nicht im Rahmen des Verfahrens verwertet werden dürfen, aufgrund dessen die Ermittlung erfolgte. Ein Verwertungsverbot von Zufallsfunden besteht aber nicht. Die Kommission kann diese vielmehr zum Anlass nehmen, ein weiteres Verfahren einzuleiten (Burrichter/Hennig in Immenga/Mestmäcker Wettbewerbsrecht Band 1. EU Teil 25 Vor Art 17 bis 22 VO [EG] 1/2003 3 Rz 67 f).
V.2. In der Praxis ist die Grenzziehung zwischen Unterlagen, die dem Zweck der Untersuchung unterfallen, und solchen, auf die dies nicht zutrifft, schwer durchzuführen.(Burrichter/Hennig aaO Art 20 VO [EG] 1/2003, Rz 52).
Im Zusammenhang mit der Prüfung von Unterlagen gelangen die Inspektoren zwangsläufig in Kenntnis von Informationen, die zu Gegenstand und Zweck der Nachprüfung keinen Bezug aufweisen. Es liegt auf der Hand, dass das Unternehmen aus diesem Grund die Prüfung von Unterlagen nicht verweigern kann oder die Prüfung nur bezüglich von Unterlagen zulassen kann, von denen sie aufgrund einer eigenen Vorauswahl der Meinung ist, dass ein solcher Zusammenhang vorliege (De Bronett aaO Rz 22).
Dies muss für den österreichischen Rechtsbereich umso mehr gelten, als hier das in § 12 Abs 4f WettbG vorgesehene Widerspruchsverfahren ‑ wenn auch seit der Novelle eingeschränkten ‑ Rechtsschutz und Prüfung durch eine unabhängige Kontrollinstanz in Form des Kartellgerichts gewährt.
VI. „Dominosystem“:
Ob angesichts dieser Rechtslage eine gewisse Gefahr des vom Rekurs geschilderten „Dominosystems“ besteht, braucht aber insofern nicht näher untersucht werden, als sich im vorliegenden Fall aus den Unterlagen, insbesondere der Niederschrift über die Hausdurchsuchung, Beilage ./L ‑ unabhängig von der Nähe des von den Zufallsfunden betroffenen Markts des Großhandels im Verhältnis zum untersuchten Markt des Einzelhandels für dieselben Milchprodukte ‑ ohnehin ergibt, dass für Groß‑ und Einzelhandel teilweise dieselben Angestellten der Antragstellerinnen zuständig waren und die Verdachtsmomente über Absprachen auch im Großhandelsbereich sich zumindest teilweise auf dieselben Urkunden stützen (als solche gemischte Urkunden werden in der Niederschrift die Dokumente 50167 bis 50179, 51066 bis 51073 angeführt).
Ergibt sich der Verdacht eines weiteren Verstoßes gegen das Kartellgesetz bzw das europäische Wettbewerbsrecht aber aus Urkunden, die auch zum ursprünglich untersuchten Verdacht Bezug haben, kann von einer Untersuchung von Geschäftsunterlagen des Unternehmens ohne inhaltliche Beschränkung und damit von einem Grundrechtseingriff selbst bei einem ‑ vom Rechtsmittel geforderten - strengen Prüfungsmaßstab nicht gesprochen werden.
Solcherart im Rahmen der Hausdurchsuchung aufgefundene Unterlagen, die einen weiteren Wettbewerbsverstoß vermuten lassen, also sogenannte Zufallsfunde, können deshalb unter diesen Umständen Anlass zu weiteren Ermittlungen in einem neuen Verfahren geben.
VII. Erweiterung des Hausdurchsuchungsbe-fehls:
VII.1. Im Zusammenhang mit der im Anlassfall von der ermittelnden Behörde gewählten Vorgangsweise stellt sich die Frage, ob es sich dabei unbedingt um ein neues Verfahren handeln muss, oder ob eine Verfolgung neu aufgetauchter Verdachtsmomente auch im Rahmen des ursprünglichen Verfahrens ‑ eben durch Erweiterung des dort ergangenen Hausdurchsuchungsbefehls in diese Richtung ‑ bei korrespondierender Erweiterung des Ermittlungsverfahrens erfolgen darf.
VII.2. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Frage, ob Verfahren getrennt oder verbunden geführt werden sollen, in der ‑ an der Verfahrensvereinfachung bzw -beschleunigung zu messenden - Ingerenz der Behörde bzw des Gerichts liegt (vgl etwa für das zivilgerichtliche Verfahren § 187 ZPO).
Im Zusammenhang mit Hausdurchsuchungsbefehlen ist dies dahingehend einzuschränken, dass die durch den Zweck des Verwertungsverbots nach Art 11 Abs 1 WettbG bzw Art 28 der VO (EG) 1/2003 garantierten Rechte durch eine Verbindung von Verfahren, hier Hausdurchsuchungen, nicht beeinträchtigt werden dürfen.
VII.3. Nach der Entscheidung des EuGH vom 16. 7. 1992, C‑67/91, AEB, im Zusammenhang mit der Verwendung von in einem Antrag an die Europäische Kommission enthaltenen Informationen durch eine nationale Wettbewerbsbehörde ging der EuGH zwar davon aus, dass es das Verwertungsverbot und die Verteidigungsrechte verbieten, anlässlich eines Auskunftsverlangens erlangte Informationen später außerhalb des Auskunftsverlangens zu verwenden. Die Mitgliedstaaten sind aber nicht verpflichtet, die ihnen übermittelte Information zu ignorieren und unter „akuter Amnesie“ zu leiden. Diese Informationen stellen vielmehr Indizien dar, die gegebenenfalls berücksichtigt werden können, um die Einleitung eines nationalen Verfahrens zu begründen (Rz 39). Derartige Informationen dürfen weder in einem Voruntersuchungsverfahren noch zur Begründung einer Entscheidung herangezogen werden. Sie müssen in der internen Sphäre der Behörde verbleiben und dürfen nur zur Beurteilung der Frage verwertet werden, ob es angebracht ist, ein nationales Verfahren einzuleiten. Eine solche Tatsache kann rechtswirksam Gegenstand eines nationalen Verfahrens sein, sofern der Nachweis für ihr Vorliegen nicht durch die von der Kommission erlangten Unterlagen und Informationen, sondern unter Beachtung der im nationalen Recht vorgesehenen Garantien mit den diesem Recht eigentümlichen Beweismitteln erbracht wird (Rz 42 f).
VII.4. Nun hat im hier zu beurteilenden Fall die Bundeswettbewerbsbehörde nicht jene Urkunden und Unterlagen, die die Zufallsfunde bildeten, verwertet, indem sie diese als Beweismittel für die Erlangung eines (erweiterten) Hausdurchsuchungsbefehls verwendete, sondern sie hat vielmehr die dadurch erlangten Informationen intern belassen und die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls aufgrund eines Aktenvermerks beantragt, in dem vier Mitarbeiter der Bundeswettbewerbsbehörde, die dem Hausdurchsuchungsteam angehörten, erklärten, Unterlagen, die vertikale Preisvereinbarungen zwischen dem Großhandel und den Antragsgegnerinnen belegten, gesichtet zu haben. Dies wird von der Niederschrift zur ursprünglichen Hausdurchsuchung bestätigt.
Damit hat sich die Antragstellerin aber im Rahmen der oben dargestellten - von der Judikatur des EuGH gezogenen - Grenzen bei der Verwertung von Zufallsfunden für die Einleitung eines weiteren Verfahrens gehalten.
Eine solche Vorgangsweise ist der BWB zuzugestehen, weil sie andernfalls den intern vorhandenen Beweis (Zufallsfund) im Hinblick auf die referierte Judikatur nicht verwenden darf und anders keine Grundlage für die Beantragung eines (egal ob neuen oder erweiterten) Hausdurchsuchungsbefehls hätte.
VII.5. Das Vorgehen der BWB im Anlassfall ist auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes des Geheimnisschutzes und des Schutzes der Verteidigungsrechte der von der Hausdurchsuchung betroffenen Unternehmen nicht zu beanstanden.
Wie zuvor dargelegt, muss einer Hausdurchsuchung keine Vorbereitungsphase vorangehen, und schon gar keine Vorabinformation. Insbesondere ist dem vom Hausdurchsuchungsbefehl betroffenen Unternehmen auch ‑ im Gegensatz zu den Ausführungen des Rekurses ‑ keine Gelegenheit zu geben, zu prüfen, ob eine Erlangung des Kronzeugenstatus angestrebt werden soll oder nicht. Vielmehr ist es umgekehrt üblich, dass ‑ um die Zwecke der Hausdurchsuchung nicht zu vereiteln ‑ solche Untersuchungen unangekündigt stattfinden und sofort mit Zustellung des Hausdurchsuchungsbefehls effektuiert werden.
Im vorliegenden Fall haben daher die Antragsgegnerinnen ‑ im Gegensatz zur üblichen Vorgangsweise ‑ ohnehin über eine Vorbereitungszeit bis zur Erlassung des erweiterten Hausdurchsuchungsbefehls verfügt. In ihre Verteidigungsrechte ist daher nicht eingegriffen worden.
VII.6. Ist somit die den Rahmen der Judikatur des EuGH nicht überschreitende Vorgangsweise der Bundeswettbewerbsbehörde grundsätzlich berechtigt, und waren die Zufallsfunde zur Einleitung eines neuen Verfahrens geeignet, obliegt es allein der diskretionären Gewalt der Behörde zu entscheiden, ob ein Verfahren aus Zweckmäßigkeitsgründen (zB wegen der Nähe der zu untersuchenden Wettbewerbsverstöße) getrennt oder gemeinsam mit einem anderen geführt wird, und ob deshalb ein neuer Hausdurchsuchungsbefehl für ein eigens einzuleitendes Verfahren oder die Erweiterung des bestehenden Hausdurchsuchungsbefehls samt Erweiterung des bereits eingeleiteten Verfahrens beantragt wird.
VII.7. Die von den Rekurswerberinnen zitierte Entscheidung des EuG vom 14. 11. 2012, C‑135/09 Nexans steht dem nicht entgegen.
Einerseits war im vorliegenden Fall sowohl der ursprüngliche Hausdurchsuchungsbefehl als auch der erweiterte Hausdurchsuchungsbefehl ausreichend konkretisiert und keineswegs uferlos im Sinne einer „Fishing Expedition“. Im Übrigen ist es, wie ebenfalls bereits oben dargelegt, im Rahmen einer Hausdurchsuchung grundsätzlich unvermeidbar und zulässig, auch nicht zum Untersuchungszweck gehörende Unterlagen zu sichten, um beurteilen zu können, ob auch alle vom eigentlichen Gegenstand des Hausdurchsuchungsbefehls umfassten Unterlagen gefunden wurden.
Im Gegensatz zum europäischen Rechtsbereich ist dies innerstaatlich auch insofern unbedenklich, als den betroffenen Unternehmen Rechtsschutzmöglichkeiten im Rahmen des Widerspruchsrechts gemäß § 12 Abs 5 WettbG zur Verfügung stehen.
VII.8. Keineswegs ist es für den Geheimnisschutz und den Schutz des Verteidigungsrechts nach § 11 WettbG erforderlich, dass anlässlich einer Hausdurchsuchung aufgefundene Unterlagen, die auf andere Verletzungen des Kartellgesetzes als die untersuchten schließen lassen, alleine aufgrund dieses Umstands nicht mehr verfolgt werden dürften.
Das Beweisverwertungsverbot des § 11 Abs 1 WettbG soll keineswegs Wettbewerbsverstöße schützen oder unverfolgbar machen. Plakativ formuliert: Wird bei einer wegen Diebstahls angeordneten Hausdurchsuchung eine Leiche gefunden, darf dieser Zufallsfund unter den allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen zur Einleitung eines Untersuchungsverfahrens wegen Mordverdachts führen.
Dass die Behörde den Zufallsfund zum Anlass nehmen könnte, nach Abschluss der ursprünglichen Hausdurchsuchung mit Hilfe eines Auskunftsverlangens die fraglichen Unterlagen herauszufordern, wie der Rekurs zugesteht, hindert ‑ wenn die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen ‑ keineswegs die von der Bundeswettbewerbsbehörde gewählte Vorgangsweise, einen (erweiterten) Hausdurchsuchungsbefehl betreffend den neu hervorgekommenen Untersuchungsgegenstand zu erwirken.
Weshalb Verdunkelungsgefahr nicht mehr vorliegen soll, wenn die Behörde faktisch von bestimmten Geschäftsabläufen Kenntnis hätte, wie der Rekurs behauptet, ist nicht nachvollziehbar, könnten doch sonst der Behörde gerade die Beweismittel für das ihr bereits bekannte Verhalten vorenthalten werden.
VIII. Wettbewerbsverstoß der Vertikalverein-barung:
Soweit die Rekurswerberinnen letztlich auf dem Standpunkt stehen, dass vertikale Preisabstimmungen nicht generell unter Art 101 AEUV und § 1 KartG fielen, und daher kein hinreichend begründeter Verdacht für die Erweiterung des Hausdurchsuchungsbefehls bestanden habe, ist einerseits klar zu stellen, dass die Frage, ob ein hinreichend begründeter Verdacht in tatsächlicher Hinsicht vorliegt, eine solche der Beweiswürdigung ist, die im kartellgerichtlichen Rechtsmittelverfahren nicht bekämpfbar ist (RIS‑Justiz RS0109206; RS0043414; RS0043320).
In rechtlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass es Umstände geben mag, unter denen eine vertikale Preisbindung keinen Verstoß gegen Art 101 AEUV bzw das KartG bewirkt, so etwa bei Vorliegen der Ausnahmebestimmung des Art 101 Abs 3 AEUV bzw § 2 Abs 1 KartG und bei ganz bestimmten Varianten von Preisabsprachen, nämlich Höchstpreisvereinbarungen. Dass hier solche ausnahmsweisen Umstände vorlägen, ist allerdings nicht erwiesen.
Auch dass der erweiterte Hausdurchsuchungsbefehl vom Verdacht vertikaler Preisabstimmungen und nicht Preisbindungen spricht, bedeutet nicht das Fehlen eines hinreichend begründeten Verdachts für einen Verstoß gegen Art 101 AEUV oder § 1 KartG, weil bisher nicht geklärt ist, worin diese vermuteten Preisabstimmungen bestanden haben. Keineswegs kann gesagt werden, dass mit dieser Wortwahl eine Kernbeschränkung im Sinne einer Preisbindung im Vertikalverhältnis ausgeschlossen wäre.
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