OGH 11Os33/15k

OGH11Os33/15k2.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ableidinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Islam M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems als Schöffengericht vom 19. September 2014, GZ 16 Hv 19/14v‑39, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00033.15K.0602.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die (verbleibenden) Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

G r ü n de:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Islam M***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er im Oktober 2013 in S***** Marian S*****

I./ durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, nämlich der Ankündigung, er werde ihn töten, und mit Gewalt zur Vornahme des Oralverkehrs genötigt, indem er ihn an den Haaren packte und seinen Kopf festhielt;

II./ durch die Äußerung, er werde „ihn tot machen“, sollte er etwas über das Geschehene (Schuldspruch I./) erzählen, zur Unterlassung der Mitteilung dieses Sachverhalts an Dritte genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10 StPO gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung der in der Hauptverhandlung am 19. September 2014 gestellten Anträge auf Vernehmung zweier namentlich genannter Justizwachebeamten zum Beweis dafür, dass der Angeklagte „gearbeitet hat, als der Zeitpunkt der Vergewaltigung angesetzt wird“, auf Ausforschung des Mithäftlings „Zlatko … zum Beweis dafür, dass das Opfer nicht die Wahrheit sagt“ sowie Vernehmung weiterer „noch namhaft zu machender Zeugen zum Beweis dafür, dass Marian S***** regelmäßig sexuelle Kontakte mit Häftlingen hatte“ (ON 38 S 7), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Der erstgenannte Antrag legte nämlich nicht dar, weshalb die begehrte Beweisaufnahme unter Bedachtnahme auf die Verantwortung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung (ON 38 S 4 [„Ich habe jeden Tag im Oktober gearbeitet, und zwar bis 14.15 Uhr, bis zum Einschluss“]) das intendierte Ergebnis eines lückenlosen Alibis für die Zeit vor 14.30 Uhr an jedem Tag im Oktober (US 8)(von Beendigung der Arbeit bis zum Einschluss in der Zelle) erwarten lasse. Dieser Antrag zielt daher ebenso wie jener auf „Beischaffung der Unterlagen, wann und wie lange der Angeklagte im Betrieb ... gearbeitet hat“ (ON 38 S 9) auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS‑Justiz RS0118444; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330). Der Antrag auf Ausforschung des Mithäftlings als Zeugen beinhaltete keine Darlegung, welche relevanten Wahrnehmungen diese Person gemacht haben soll, jenem mit Bezug auf angebliche sexuelle Kontakte des Opfers zu anderen Häftlingen mangelte es am Konnex zu entscheidenden oder erheblichen Tatsachen (RIS‑Justiz RS0118319).

Das in der Rechtsmittelschrift als Versuch einer Fundierung der Anträge jeweils erstattete weitere Vorbringen ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618; Ratz WK‑StPO § 281 Rz 325).

Die Mängelrüge (nominell Z 5 zweiter Fall) spricht mit dem Vorwurf, das Erstgericht hätte nicht erörtert, weswegen „an S***** eine Freiheitsstrafe vollzogen“ worden ist, keine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0118316; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 420 f) an und legt auch nicht dar, aus welchem Grund dies „für die Beurteilung der inneren Glaubwürdigkeit seiner Aussage im Lichte des § 281 Abs 1 Z 5a StPO wesentlich“ wäre.

Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist ausschließlich der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz hätte abgeleitet werden sollen (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581).

Weder die Rechts‑ noch die Subsumtionsrüge halten aber an den erstgerichtlichen Konstatierungen fest.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst Feststellungen dazu, ob „das Handanlegen des Angeklagten … fest“ war und übergeht die Konstatierung, der Angeklagte habe S***** durch die Äußerung, er werde ihn töten „derart in Angst versetzen [wollen …], dass er die geschlechtliche Handlung durchführt bzw duldet“ (US 3 iVm US 4); sie verfehlt daher mit der Behauptung, es mangle an einer darauf abzielenden Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, den gesetzlichen Bezugspunkt. Sie verkennt im Übrigen, dass bei einem alternativen Mischdelikt die rechtliche Annahme nur einer von mehreren (hier: auch Gewalt [US 3 und 9 f]) als verwirklicht angesehenen Alternativen nicht angefochten werden kann (RIS‑Justiz RS0116655). Dass das konstatierte Packen des Opfers am Kopf, Ziehen zum entblößten Penis und Festhalten zur Durchführung des Oralverkehrs nicht den nach § 201 Abs 1 StGB maßgeblichen Gewaltbegriff erfülle (Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 13 mwN), stellt eine nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitete Rechtsbehauptung dar, die sich einer Erwiderung entzieht.

Die die rechtliche Einordnung der Schuldspruch 2./ zugrunde liegenden Tat (auch) unter § 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB kritisierende Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet, die „Justizanstalt S***** wäre eines der sichersten Gefängnisse Österreichs, weswegen kein Insasse damit rechnen müsse, von einem anderen Häftling umgebracht zu werden“, verfehlt gänzlich die Bezugnahme auf die Feststellungen des Erstgerichts (US 4 iVm US 5; auch US 7 f und 10 f) und übersieht, dass die Feststellung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung eine im Rahmen der Beweiswürdigung zu lösende Tatfrage ist (RIS‑Justiz RS0092437, RS0092588).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (ON 38 S 12; vgl Fabrizy, StPO12 § 464 Rz 1) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§ 296 Abs 2 StPO) bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die übrigen Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt dafür anzumerken, dass die Wertung der „außerordentlichen Schulduneinsichtigkeit“ des Angeklagten als eine für die Nichtgewährung bedingter Strafnachsicht (primär mit‑)entscheidende Tatsache (US 11) eine iSd § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO unrichtige Gesetzesanwendung darstellt (RIS‑Justiz RS0090897; anders gelagert 12 Os 31/07m, 11 Os 119/11a [RIS‑Justiz RS0090897, T3 u T5]). Diesem von der Nichtigkeitsbeschwerde nicht aufgegriffenen Umstand

wird das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten (so in diese Richtung ergänzend ausgeführt) Rechnung zu tragen haben (RIS‑Justiz RS0122140).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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