European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00018.15T.0324.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs der Betroffenen wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sachwalterschaftssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Begründung:
Die 1926 geborene Betroffene, die an einer altersbedingten Demenzerkrankung leidet, lebt in einem Seniorenheim in Salzburg. Ihr Ehegatte verstarb 2011. Aufgrund eines wechselseitigen Testaments ist sie nach ihrem Ehegatten Alleinerbin und gemäß Amtsbestätigung vom 18. 10. 2011 zur Vertretung der Verlassenschaft iSd § 810 ABGB berechtigt (ON 32, AS 126).
Mit Beschluss vom 21. 5. 2012 wurde für die Betroffene deren Tochter Silvia D***** jun (geboren am *****) als Sachwalterin bestellt, wobei der dieser übertragene Wirkungsbereich die Besorgung der finanziellen Angelegenheiten einschließlich der Einkommens‑ und Vermögensverwaltung sowie die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten umfasst.
Die Einschreiterin Stefanie D***** ist die Tochter des Sohnes der Betroffenen. Wie sich aus der Aktenlage ergibt, erschien sie am 1. 10. 2013 und am 5. 8. 2014 beim Erstgericht und legte der Sachwalterin (ihrer Tante) jeweils Betreuungsmängel zur Last. Sie brachte unter anderem vor, der Betroffenen stünden nur 20 EUR Taschengeld wöchentlich zur Verfügung, sie trage kaputte Schuhe und sei schon mehrere Jahre nicht in ohrenärztlicher und gynäkologischer Betreuung gestanden. Darüber hinaus erhob sie den Vorwurf, es sei ein Wüstenrotkonto mit einem Guthaben von zumindest 6.700 EUR „abgeräumt worden“. Weiters müssten in der Verlassenschaft nach dem Ehemann der Betroffenen zwei Sparbücher und ein Bankguthaben mit jeweils erheblichem Einlagestand bzw Guthaben vorhanden sein. Beim Jahresausgleich 2011 müsste sich ein Guthaben von ca 2.500 EUR ergeben haben. Es werde in den Raum gestellt, ob die Sachwalterin das „angegeben“ habe. Es werde daher eine Überprüfung „der Finanzen“ angeregt. Sie selbst habe ‑ entgegen den ihr gegenüber erhobenen Anschuldigungen der Sachwalterin ‑ die Betroffene niemals bestohlen. Vielmehr habe sie der Betroffenen Schuhe gekauft und ihr Geld für Taxifahrten geliehen. Sie „beantrage“ eine Umbestellung in der Person der Sachwalterin dahin, dass jemand „Neutraler“ die Sachwalterschaft ausüben solle. Eine derartige neutrale Person sei die ihr bekannte Rechtsanwältin Dr. Doris G*****.
Auf Aufforderung des Erstgerichts hin nahm die bisherige Sachwalterin zu den Aussagen und Vorwürfen der Stephanie D***** Stellung (Protokoll ON 69, AS 277 ff). Diese Stellungnahme lässt sich im Wesentlichen dahin zusammenfassen, dass die Betroffene laut einer Bestätigung des Seniorenheims über ausreichend Kleidung und Schuhe in gutem Zustand verfüge, bei der täglichen Auswahl der Kleidung aber nicht beeinflusst werde. Es würden monatlich auf ein Depotkonto 300 EUR einbezahlt und daraus die Kosten für Friseur, Fußpflege etc abgedeckt. Von diesem Betrag würden der Betroffenen wöchentlich 20 EUR ausgefolgt, welche Vorgangsweise von Seiten des Seniorenheims als sinnvoll erachtet wurde. Die Betroffene werde vom Hausarzt im Seniorenheim regelmäßig betreut und sei in den letzten drei Jahren zwei Mal beim Ohrenarzt und vor vier Jahren zuletzt beim Gynäkologen gewesen; eine medizinische Notwendigkeit häufigerer gynäkologischer Kontrollen sei im Alter der Betroffenen nicht ersichtlich. Deren verstorbener Ehemann habe einen Wüstenrot-Bausparvertrag mit einem Guthabensstand von etwa 6.700 EUR gehabt. Dieser Betrag sei zum Großteil für dessen Begräbnis verwendet worden. Der noch vorhandene Restbetrag sei sowohl dem Gerichtskommissär als auch im Sachwalterschaftsverfahren bekanntgegeben worden. Die von Stefanie D***** genannten Sparbücher seien zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers nicht bekannt oder nicht mehr vorhanden gewesen. Seit Beginn der Sachwalterschaft habe die Tochter der Betroffenen als Sachwalterin aus ihrem eigenen Vermögen 13.237,81 EUR für die Sachwalterschaft ausgegeben und etwa 17.000 EUR vorgeschossen.
Mit Beschluss vom 6. 11. 2014 übertrug das Erstgericht die Sachwalterschaft von der bisherigen Sachwalterin auf die Rechtsanwältin Dr. Doris G*****. Es legte seiner Entscheidung zu Grunde, dass seit dem Tod des Ehemanns der Betroffenen zwischen Stefanie D***** und der bisherigen Sachwalterin mehrere Meinungsverschiedenheiten bestünden, die (auch) im Rahmen von gerichtlichen Auseinandersetzungen ausgetragen werden. So sei jeweils beim Bezirksgericht Salzburg zu 12 C 1322/11d ein Verfahren der Betroffenen gegen Stefanie D*****, zu 26 C 758/11s ein Verfahren der Stefanie D***** gegen die Betroffene, zu 26 C 419/14t ein Verfahren der mj Antonia D***** vertreten durch deren Mutter Stefanie D***** gegen die Verlassenschaft nach Johann D*****, sowie jeweils beim Landesgericht Salzburg zu 5 Cg 189/12h ein Verfahren der Verlassenschaft nach Johann D***** gegen Stefanie D***** und zu 9 Cg 92/14a ein Verfahren zwischen Stefanie D***** und der Verlassenschaft nach Johann D***** anhängig. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, um die Betroffene soweit wie möglich aus diesen Konflikten „herauszunehmen“, scheine es für deren Wohl am Besten, eine außenstehende neutrale Person zur Sachwalterin zu bestellen. Die Rechtsanwältin Dr. G***** habe sich zur Übernahme dieses Amtes bereit erklärt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betroffenen nicht Folge. Sowohl die nach den Grundsätzen der Prioritätenregelung des § 279 ABGB getroffene Auswahl des Sachwalters als auch die im Hinblick auf innerfamiliäre Spannungen und Interessensgegensätze (ausnahmsweise) Bestellung eines Rechtsanwalts oder Notars sei vertretbar. Zudem habe sich die Betroffene nicht gegen die Betrauung der Rechtsanwältin ausgesprochen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Rechtsmittel ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt. Wenngleich die jeweils einzelfallbezogene Beurteilung der Notwendigkeit der amtswegigen Umbestellung eines Sachwalters in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung betrifft (RIS‑Justiz RS0117813 [T2]), liegt ein korrekturbedürftiger Fehler bei der Auslegung des § 278 Abs 1 ABGB insofern vor, als bisher keine ausreichenden Tatsachengrundlagen vorhanden sind, aus denen ableitbar wäre, dass die Ausübung der Sachwalterschaft durch die Rechtsanwältin Dr. G***** dem Wohl der Betroffenen besser entspricht.
Die Rechtsmittelwerberin macht in ihrem Revisionsrekurs im Wesentlichen geltend, eine Umbestellung habe nur dann zu erfolgen, wenn es zu einer Verbesserung der Situation des Pflegebefohlenen komme. Eine solche werde aber nicht aufgezeigt. Die Betroffene stehe im Verlassenschaftsverfahren (als erbserklärte und zur Vertretung des Nachlasses befugte Alleinerbin) Stefanie D***** (ihrer Enkelin) in fünf Zivilverfahren als Prozessgegnerin gegenüber, ohne dass Feststellungen zum Gegenstand dieser Verfahren getroffen worden seien. Es handle sich um zwei Besitzstörungsverfahren wegen Austausch eines Wohnungsschlosses, eine Klage der Verlassenschaft gegen die Enkelin auf Rückzahlung eines Darlehens und Herausgabe eines PKWs, eine Klage der Enkelin gegen die Verlassenschaft auf Rechnungslegung und Bezahlung von Pflichtteilsforderungen sowie eine Klage der Enkelin namens deren mj Tochter gegen die Verlassenschaft auf angebliche Schenkung. Auch ein neu bestellter Sachwalter hätte in diesen Verfahren die Interessen der Betroffenen genauso wahrzunehmen wie der derzeit beauftragte Rechtsvertreter. Inhaltlich würden diese Verfahren durch eine Umbestellung keine Änderung erfahren. Die Umbestellung hätte daher auch auf die Parteistellung der Betroffenen keinen Einfluss. Sollte die von der Enkelin namhaft gemachte Anwältin zur Sachwalterin bestellt werden, bestünde aber aufgrund der damit verbundenen Entscheidungsbefugnis/Mitentscheidungsbefugnis objektiv die Möglichkeit einer Interessenkollision. Zudem seien die Vorinstanzen vom gesetzlich vorgegebenen Stufenbau in der Auswahl des Sachwalters abgegangen, weil der in der Stufe als letzter stehende Rechtsanwalt zum Sachwalter bestellt werde, ohne die Notwendigkeit dafür zu begründen oder eine solche Notwendigkeit überprüft zu haben. Der Hinweis, dass sich die Betroffene nicht gegen die Betrauung eines Rechtsanwalts ausgesprochen habe, vermöge eine Begründung nicht zu ersetzen.
Dazu ist auszuführen:
1. Voranzustellen ist, dass auf ein Verfahren, das lediglich den Wechsel in der Person des Sachwalters zum Gegenstand hat, § 128 iVm §§ 117 ff AußStrG nicht anzuwenden sind. Dritte Personen ‑ wie die Einschreiterin ‑ können ein entsprechendes Verfahren nur anregen und haben (auch im Rechtsmittelverfahren) keine Parteistellung ( Schauer in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 128 Rz 29 mwN).
2. Gemäß § 278 Abs 1 ABGB hat das Gericht die Sachwalterschaft auf Antrag oder von Amts wegen einer anderen Person ua dann zu übertragen, wenn der Sachwalter nicht die erforderliche Eignung aufweist, ihm die Ausübung des Amtes nicht zugemutet werden kann, die bestellte Person ihre Eigenberechtigung verliert, etwa wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung eine dem Wohl des Pflegebefohlenen förderliche Ausübung der Sachwalterschaft nicht mehr zu erwarten ist oder das Wohl des Pflegebefohlenen dies aus anderen Gründen erfordert. Eine Sachwalterumbestellung setzt also voraus, dass das Wohl des Betroffenen eine solche Maßnahme erfordert (RIS‑Justiz RS0117813). Diese Verknüpfung zeigt, dass der Gesetzgeber stabile Betreuungssituationen für wünschenswert erachtete und es nur aus besonderen Gründen zu einer Sachwalterumbestellung kommen soll (10 Ob 72/14g mwN).
3. Zu den von Stefanie D***** behaupteten Betreuungsmängeln und zu den weiters erhobenen Vorwürfen hat das Erstgericht weder positive noch negative Feststellungen getroffen, sodass derzeit nicht beurteilbar ist, ob die bisherige Sachwalterin dem Wohl der Betroffenen entspricht oder ob dies im Hinblick auf die erhobenen Anschuldigungen nicht der Fall ist. Es handelt sich jedenfalls nicht bloß um „Meinungsverschiedenheiten“ zwischen der Sachwalterin und einer Angehörigen, sondern um das Aufzeigen behaupteter Missstände, zu denen das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren entsprechende Feststellungen zu treffen haben wird.
4.1 Das ‑ als oberstes Gebot anzusehende ‑ Wohl des Betroffenen ist bei einer Umbestellung nicht allein von einem materiellen Gesichtspunkt aus zu beurteilen, sondern es ist auch auf den psychischen Zustand des Betroffenen abzustellen (3 Ob 75/02d).
4.2 Wenngleich im vorliegenden Fall nicht fest steht, ob und allenfalls in welchem Ausmaß die Betroffene durch die anhängigen Gerichtsverfahren materiell oder psychisch belastet ist, legten die Vorinstanzen ihren Entscheidungen das Bestehen einer derartigen Belastung zu Grunde. Sie führten diese darauf zurück, dass die Betroffene als Partei bzw Verfahrensbeteiligte in gerichtliche Auseinandersetzungen „hineingezogen“ werde und gingen davon aus, dass diese Situation durch die Bestellung einer „neutralen“ Sachwalterin vermeidbar wäre. Zutreffend wird im Revisionsrekurs aber geltend gemacht, es werde nicht aufgezeigt, inwiefern eine Verbesserung der Belastungssituation für die Betroffene durch die Umbestellung eintreten sollte, weil die bereits anhängigen Gerichtsverfahren durch die Umbestellung inhaltlich keine Änderung erfahren würden und auch ein neu bestellter Sachwalter in diesen Verfahren die Interessen der Betroffenen entsprechend wahrzunehmen hätte. Das Argument, im Falle der Umbestellung wäre die Betroffene weniger belastet, indem sie als Partei bzw Verfahrensbeteiligte nicht weiter in die gerichtlichen Auseinandersetzungen „hineingezogen“ bzw aus diesen Konflikten „herausgenommen“ würde, erweist sich deshalb als nicht tragfähig.
5. Die Kriterien für die erstmalige Auswahl der Person des Sachwalters sind auch auf jenen Fall zu übertragen, in dem eine Umbestellung des Sachwalters zu erfolgen hat (3 Ob 195/13t). Nach den Gesetzesmaterialien verfolgt § 279 ABGB unter anderem das Ziel, jene Personenkreise abschließend zu regeln, die für die Bestellung als Sachwalter potenziell in Frage kommen. Dabei ist ein Stufenbau vorgesehen. Primär ist als Sachwalter eine von der betroffenen Person selbst gewählte oder von einer nahestehenden Person empfohlene Person (§ 279 Abs 1 Satz 2 ABGB) heranzuziehen. Sekundär (mangels Wahl beziehungsweise Anregung oder bei fehlender Eignung der vorgeschlagenen Person) ist ein der betroffenen Person nahe stehender Mensch zum Sachwalter zu bestellen (§ 279 Abs 2 ABGB). Ist eine solche geeignete Person nicht verfügbar, ist (mit dessen Zustimmung) der örtlich zuständige Sachwalterverein nach § 1 VSPBG zu bestellen (§ 279 Abs 3 Satz 1 ABGB). Ist ein Vereinssachwalter nicht verfügbar (etwa mangels freier Kapazitäten), so ist ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder eine andere geeignete Person mit deren Zustimmung zu bestellen (§ 279 Abs 3 Satz 2 ABGB). Um den grundsätzlich zum Sachwalter zu bestellenden nahen Angehörigen übergehen zu können, müssen mögliche Interessenkollisionen wahrscheinlich sein (RIS‑Justiz RS0049104 [T9]). Nur wenn die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person besondere Fachkenntnisse erfordert, ist von vornherein ‑ je nach der notwendigen Expertise ‑ ein Rechtsanwalt oder Notar bzw der Sachverwalterverein zu bestellen (RIS‑Justiz RS0123297).
6. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass eine Umbestellung dem Wohl der Betroffenen besser entspricht, wird das Erstgericht im Sinne der dargelegten Überlegungen zum Stufenbau bei Auswahl der Person des Sachwalters zu überprüfen haben, ob aus dem persönlichen Umfeld der Betroffenen ein anderer geeigneter Sachwalter zu finden ist oder welche besonderen Anforderungen allenfalls an die Person des Sachwalters zu stellen sind. Insbesondere wird festzustellen sein, ob die Interessen der Betroffenen in den anhängigen Gerichtsverfahren durch rechtsanwaltliche Vertretung gewahrt werden und ob (allenfalls dennoch) juristische Fachkenntnisse erforderlich sind, die die Bestellung eines Rechtsanwalts als Sachwalter rechtfertigen können.
Dem Revisionrekurs war aus diesen Gründen im Sinne des Aufhebungsantrags Folge zu geben.
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