OGH 4Ob33/14b

OGH4Ob33/14b25.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** F*****, vertreten durch Mag. H. Martin Lehner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Peter Abmayer, Rechtsanwalt in Mödling, wegen 25.132,60 EUR sA und Feststellung (Gesamtstreitwert 30.132,60 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien vom 29. November 2013, GZ 12 R 45/13w‑15, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 21. Dezember 2012, GZ 24 Cg 130/12a‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00033.14B.0325.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.680,84 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 280,14 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Beklagte betreibt im Auftrag einer niederösterreichischen Gemeinde eine Müllsammelstelle. Die Klägerin kam dort auf schneeglattem Boden zu Sturz. Sie begehrt Schadenersatz und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, weil deren Mitarbeiter den Bereich vor den Müllcontainern nicht ausreichend geräumt und gestreut hätten.

Das Berufungsgericht sprach mit Teil-Zwischenurteil aus, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe, weil der Vertrag zwischen der Gemeinde und der Beklagten Schutzwirkungen zugunsten der Klägerin entfaltet habe, weswegen die Beklagte nach § 1313a ABGB für das im konkreten Fall fahrlässige Verhalten ihrer mit der Schneeräumung betrauten Mitarbeiter hafte. Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil Rechtsprechung zu den Fragen fehle, ob sich der Nutzer einer Müllsammelstelle auf Schutzwirkungen des Vertrags zwischen deren Betreiber und der Gemeinde berufen könne und welche konkreten Räum- und Streupflichten den Betreiber in diesem Fall träfen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ungeachtet dieses den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs nicht zulässig.

1. Die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter beruht auf gesicherter Rechtsprechung.

1.1. Schutz- und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis bestehen nicht nur zwischen den Vertragsparteien, sondern auch gegenüber dritten Personen, die durch die Vertragserfüllung erkennbar in erhöhtem Maße gefährdet werden und der Interessensphäre eines Vertragspartners angehören. Begünstigt sind Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung beim Vertragsabschluss vorhersehbar war und die der Vertragspartner entweder erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigte, an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist (7 Ob 514/91 = SZ 64/15; 2 Ob 226/05g mwN; RIS-Justiz RS0020769 [T1]; zuletzt etwa 2 Ob 210/10m, 2 Ob 4/13x und 4 Ob 157/13m; vgl auch RIS‑Justiz RS0034594). Ein Schuldner haftet bei Verletzung vertraglicher Schutzpflichten, die ihn gegenüber einem Dritten treffen, auch dem Dritten nach § 1313a ABGB für seinen Gehilfen (RIS-Justiz RS0017185; zuletzt etwa 2 Ob 191/12w mwN).

1.2. Im konkreten Fall war die Gemeinde nach § 9 Abs 3 nö AWG verpflichtet, für die „Erfassung und Behandlung des nicht gefährlichen Siedlungsabfalls zu sorgen und Einrichtungen zu schaffen oder anzubieten“. Diese im Interesse der Gemeindebürger liegende Verpflichtung erfüllte sie durch den Auftrag an die Beklagte, eine Müllsammelstelle einzurichten und zu betreiben. Die Hauptleistung des zu diesem Zweck geschlossenen Vertrags kam daher erkennbar den Gemeindebürgern zugute. Am Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter - hier der Klägerin - besteht daher kein Zweifel. Die Klägerin kann daher vertragliche Ansprüche geltend machen, weswegen die Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit in § 1319a ABGB nicht greift (RIS-Justiz RS0023459).

1.3. Die gegen diese Auffassung gerichteten Einwände der Beklagten überzeugen nicht. Zwar ist richtig, dass die Müllentsorgung in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs als hoheitlich zu besorgende Aufgabe angesehen wird (RIS‑Justiz RS0050144; zuletzt 8 Ob 28/13w; vgl für die Wasserversorgung 1 Ob 256/05m), was aufgrund der konkreten Regelungen im nö AWG wohl auch für die Abfallbeseitigung in Niederösterreich gelten wird. Das führt aber im konkreten Fall nicht zur Anwendung des Amtshaftungsrechts, weil die hier strittige Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten auch dann zur Privatwirtschaftsverwaltung gehört, wenn sie im räumlichen Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Tätigkeit steht (1 Ob 5/91 mwN, 1 Ob 55/09h; RIS-Justiz RS0049735). Die Verkehrssicherheit des Zugangs zu Müllcontainern ist insofern nicht anders zu beurteilen als jene des Zugangs zu einer Polizeidienststelle (1 Ob 55/09h). Es trifft auch nicht zu, dass die Auslagerung der Abfallsammlung zu einer Besserstellung der Klägerin führte, weil damit vertragliche Verkehrssicherungspflichten begründet würden und § 1313a ABGB anwendbar werde. Denn hätte die Gemeinde die Sammelstelle selbst betrieben, wäre § 1313a ABGB wegen des Bestehens einer öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung ebenfalls anwendbar gewesen (1 Ob 5/91 mwN, 1 Ob 55/09h). Auch die Gemeinde hätte daher für fahrlässiges Verhalten ihrer Mitarbeiter gehaftet.

1.4. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung ein schutzwürdiges Interesse des Dritten zu verneinen, wenn er kraft eigener rechtlicher Sonderverbindung mit seinem Vertragspartner, der seinerseits den späteren Schädiger vertraglich als Erfüllungsgehilfen beizog, einen deckungsgleichen Anspruch auf Schadenersatz hat (1 Ob 601/92; RIS-Justiz RS0022814; zuletzt etwa 2 Ob 4/13x und 4 Ob 157/13m). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, weil die Klägerin in keiner Vertragsbeziehung mit der Gemeinde steht und dem nö AWG auch nicht zu entnehmen ist, dass die Gemeinde die Verkehrssicherung auch dann selbst besorgen müsste, wenn sie den Betrieb der Müllsammelstelle an ein drittes Unternehmen ausgelagert hat (was allenfalls über die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung zu einer Haftung der Gemeinde nach § 1313a ABGB führen könnte). Die Rechtslage ist hier nicht anders als beim Betrieb eines Pflegeheims durch eine Gesellschaft, die damit vom - öffentlich-rechtlich zur Leistung von Hilfe verpflichteten – Sozialhilfeträger beauftragt wurde; auch hier haftet die Gesellschaft einer betreuten Person aufgrund der Schutzwirkungen ihres Vertrags mit dem Sozialhilfeträger (7 Ob 175/06w). Zudem hat die Beklagte in erster Instanz gar nicht behauptet, dass die Klägerin einen deckungsgleichen Anspruch gegen die Gemeinde habe.

2. Der Umfang der Verkehrssicherungspflichten hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher - von einer groben Fehlbeurteilung abgesehen - regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0023487, RS0110202, RS0029874). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der von den Nutzern befahrene und begangene Bereich unmittelbar vor der Halle mit den Müllcontainern vor der morgendlichen Öffnung der Sammelstelle zur Gänze vom in der Nacht gefallenen Schnee zu räumen war, weil dort sonst das Festfahren von Schnee und dadurch besondere Glätte drohte, ist jedenfalls vertretbar.

3. Aus diesen Gründen ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Da die Klägerin auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, ist die Beklagte zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung verpflichtet.

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