OGH 5Ob69/13b

OGH5Ob69/13b17.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers C***** W*****, vertreten durch Winkler Reich‑Rohrwig Illedits Wieger Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, gegen die Antragsgegnerin *****, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, unter Beteiligung der übrigen Mieter des Hauses *****, wegen § 37 Abs 1 Z 6 MRG iVm § 9 MRG, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. November 2012, GZ 40 R 483/11t‑14, womit infolge Rekurses des Antragstellers der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 19. September 2011, GZ 28 Msch 2/11s‑6, bestätigt wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Antragstellers wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 299,57 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin 49,93 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Der Antragsteller ist Mieter der Wohnung top Nr 1 im Haus *****, das im Eigentum der Antragsgegnerin steht.

Der Antragsteller beabsichtigt die Anbringung einer Videokamera außenseitig am Türstock seiner Wohnungstür, um den Gangbereich vor seiner Wohnung überwachen zu können. Neben seiner Wohnung liegt am selben, nur 1,15 m breiten Gang die vermietete Wohnung top Nr 2. Für Personen, die die Wohnung top Nr 2 betreten oder verlassen wollen, ist es praktisch unvermeidbar, nicht in den Überwachungsbereich der Videokamera zu geraten, es sei denn, man hielte sich peinlich an eine „gedachte Demarkationslinie“ außerhalb deren Sichtbereichs.

Der Mieter der Wohnung top Nr 2 hat der Anbringung einer Videokamera nicht zugestimmt.

Mit dem verfahrenseinleitenden Antrag begehrt der Antragsteller, die Antragsgegnerin als Vermieterin zur Zustimmung zu der von ihm beabsichtigten Anbringung einer Videokamera zu verpflichten. Weil seine Wohnung in einer Nische im Erdgeschoss liege, sei sie stark einbruchsgefährdet. In vergleichbaren Objekten in der Wohnhausanlage hätten bereits mehrere Einbruchsversuche stattgefunden. Beabsichtigt sei eine Videokamera, die keine Bilder aufzeichne, sondern in „Echtzeitübertragung“ lediglich an einen Bildschirm im Inneren der Wohnung des Antragstellers angeschlossen werde. Somit bestünden keine datenschutzrechtlichen Bedenken gegen die Anbringung der Kamera. Die Antragsgegnerin habe bereits Mietern in anderen Wohnhausanlagen die Anbringung von Kameras an der Außenseite des Türstocks genehmigt. Sie führe auch selbst in 23 städtischen Wohnhausanlagen Videoüberwachungen durch, sodass sie sich gegenüber dem Antragsteller nicht darauf berufen könne, die Installation einer Videokamera stelle einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre von Mietern dar.

Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Antrags. Durch die beabsichtigte Veränderung würden schutzwürdige Interessen der Vermieterin und anderer Mieter beeinträchtigt. Eine systematische Videoüberwachung stelle stets einen Eingriff in das durch § 16 ABGB iVm Art 8 EMRK garantierte Persönlichkeitsrecht auf Achtung des Privatbereichs und der Geheimsphäre einer Person dar. Es sei im berechtigten Interesse jedes Mieters, dass das Betreten oder Verlassen der Wohnung durch ihn, Mitbewohner oder Gäste nicht lückenlos überwacht und aufgezeichnet werde. Bereits durch das Vorhandensein einer Videokamera entstehe ein ständiger Überwachungsdruck, weshalb es auch nicht darauf ankomme, ob eine funktionsfähige Videokamera oder nur eine als solche nicht zweifelsfrei erkennbare Attrappe angebracht werde. Deshalb sei es rechtlich nicht relevant, ob der Antragsteller beabsichtige, die Daten aufzuzeichnen oder nicht. Die Antragsgegnerin habe als Vermieterin die Rechte ihrer Mieter zu wahren.

Ausgehend von den oben wiedergegebenen Feststellungen wies das Erstgericht den Antrag ab. Bereits die mögliche Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen auch nur eines anderen Mieters des Hauses, hier die Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitsrechte iSd § 16 ABGB iVm Art 8 EMRK auf Achtung der Privatsphäre, verhindere die Ersetzung der Zustimmung der Antragsgegnerin zu der vom Antragsteller beabsichtigten Veränderung.

Dem dagegen vom Antragsteller erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge. Der Oberste Gerichtshof habe erst jüngst wieder in der Entscheidung 8 Ob 125/11g die Ansicht bekräftigt, dass selbst der durch eine Videokameraattrappe geschaffene Überwachungsdruck auf einen Nachbarn als Eingriff in dessen Privatsphäre zu beurteilen sei. Bei Nachbarn bzw anderen Mietern dürfe nicht der Eindruck des Überwachtwerdens entstehen. Ihnen sei ein berechtigtes Interesse daran zuzubilligen, dass derartige Überwachungs‑ bzw Aufzeichnungsmaßnahmen unterblieben. Dass der Antragsteller keine Aufzeichnungen der Videoaufnahmen beabsichtige, sei daher nicht relevant. Es komme auch nicht darauf an, ob eine Videokamera objektiv als Maßnahme zur Einbruchsbekämpfung geeignet sei, weil dem die Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen von Wohnungsnachbarn in einem nicht unbeachtlichen Ausmaß entgegenstehe.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR nicht übersteigt, der ordentliche Revisionsrekurs jedoch zulässig sei, weil Rechtsprechung des Höchstgerichts zur Frage der Zulässigkeit einer Echtzeitüberwachung fehle. Gemäß § 50c Abs 2 Z 1 DSG 2000 sei eine Echtzeitüberwachung, wie hier vom Antragsteller geplant, weder melde‑ noch registrierungspflichtig. § 50a Abs 4 Z 3 DSG 2000 schließe diesfalls die Verletzung von Geheimhaltungsinteressen Dritter ausdrücklich aus.

Gegen diesen Sachbeschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Sachbeschlusses im Sinne einer Stattgebung seines Antrags; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben, allenfalls das bisherige Verfahren wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs für nichtig zu erklären.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Duldungspflicht eines Vermieters hinsichtlich einer beabsichtigten Videoüberwachung durch einen Mieter besteht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt.

1. Das Begehren eines Mieters, die verweigerte Zustimmung des Vermieters zur Anbringung einer Videokamera außerhalb seines Bestandobjekts zu ersetzen, ist § 9 MRG zu unterstellen (6 Ob 229/11m Zak 2013/19, 20 = wobl 2013/3; 5 Ob 115/11i wobl 2012/68 [Außensirene] jeweils mwN; Prader/Kuprian , Videoüberwachung im wohnrechtlichen Bereich [WEG, MRG, WGG], immolex 2005, 230 [232]; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch , Österr. Wohnrecht § 9 MRG Rz 13; zum Umfang des Gebrauchsrechts: vgl auch RIS‑Justiz RS0020548) und damit im Verfahren außer Streitsachen zu erledigen (§ 37 Abs 1 Z 6 MRG; RIS‑Justiz RS0069665).

2. Hinsichtlich der Frage, ob ein Vermieter seine Zustimmung zu einer vom Mieter beabsichtigten wesentlichen Veränderung verweigern darf, regelt § 9 Abs 1 Z 1 bis 7 MRG sowohl positive als auch negative Voraussetzungen. Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass für die negative Voraussetzung des § 9 Abs 1 Z 5 MRG (keine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen des Vermieters oder eines anderen Mieters) die Behauptungs‑ und materielle Beweislast den Vermieter trifft (RIS‑Justiz RS0069725). Dass eine Maßnahme kumulativ sowohl der Übung des Verkehrs entspricht als auch einem wichtigen Interesse des Mieters dient, ist hingegen vom Mieter zu behaupten und zu erweisen. Fehlt hingegen auch nur eine der gesetzlichen Voraussetzungen (RIS‑Justiz RS0069662) oder ist eine negative Voraussetzung gegeben, ist ohne Zweckmäßigkeitserwägungen und ohne Interessenabwägung eine verweigerte Zustimmung des Vermieters bindend (5 Ob 7/86 MietSlg 38/13; 5 Ob 38/90 WoBl 1991/155; 5 Ob 1093/92 WoBl 1993, 80/59; 5 Ob 33/93 MietSlg 45/18; RIS‑Justiz RS0069551). Die für das Vorliegen der Zustimmungspflicht maßgeblichen Voraussetzungen werden nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nämlich durch die Regelungen des § 9 Abs 1 Z 1 bis 7 MRG ohnedies bereits in einem angemessenen Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen bestimmt, sodass keine weiteren Kriterien mehr zu berücksichtigen sind, vor allem keine darüber hinausgehende Interessenabwägung mehr stattzufinden hat ( Vonkilch in Hausmann/Vonkilch , Österr. Wohnrecht § 9 MRG Rz 21 mwN).

3. Dass der vom Antragsteller geltend gemachte Schutz seines Eigentums vor Einbrechern durchaus ein geeignetes Schutzziel im Sinn eines wichtigen Interesses des Mieters ist, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen (5 Ob 85/87 SZ 60/196 = JBl 1988, 112: Sicherheitstür; 5 Ob 233/99x wobl 2001/25: Sicherheitsgitter; 8 Ob 125/11g wobl 2012/125 = JBl 2012, 242 = EvBl 2012/87: Videokameraattrappen; 5 Ob 115/11i wobl 2012/68: Alarmanlage). Anders zu beurteilen ist die kumulativ dazu zu fordernde Orts‑ bzw Verkehrsüblichkeit der Anbringung von Videokameras in Wohnhäusern. Diese lässt sich entgegen der Ansicht des Antragstellers weder aus der von derselben Vermieterin in einer bestimmten Anzahl von Fällen bereits erteilten Genehmigung der Anbringung von Videokameras schließen (was im Übrigen nicht festgestellt wurde), noch aus der von der Vermieterin selbst durchgeführten Videoüberwachung an verschiedenen Stellen im Wohnbereich (vgl Anm Thiele zu 8 Ob 125/11g in jusIT 2012, 56).

4. Berechtigt ist der Einwand der Antragsgegnerin im Sinn des § 9 Abs 1 Z 5 MRG dahin, dass durch die beabsichtigte Anbringung einer Videokamera über der Wohnungstür eines Mieters eine Beeinträchtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Interessen, aber auch der eines anderen Mieters erfolgt:

Ungeachtet eigener rechtlicher Möglichkeiten, gegen einen Störer vorzugehen, haben Mieter zufolge § 1096 ABGB den Anspruch, dass der Vermieter Störungen vorbeugt ( Stabentheiner , Zur Reichweite des § 1096 ABGB im Besonderen beim Störungsschutz, Zak 2013, 391 [392]). Der Vermieter handelt insoweit auch im eigenen Interesse, als er verpflichtet ist, im Rahmen des § 9 Abs 1 Z 5 MRG Interessenbeeinträchtigungen seiner Mieter bei Ausübung ihres Bestandrechts zu verhindern. Eine stattgebende Entscheidung im Verfahren nach § 9 MRG würde hingegen einer allfälligen auf § 1096 ABGB gestützten Klage des beeinträchtigten Mieters entgegenstehen (5 Ob 7/86 MietSlg 38/13).

Bildaufnahmen im Privatbereich, fortdauernde unerwünschte Überwachungen und Verfolgungen stellen eine Verletzung des durch Art 8 EMRK geschützten Persönlichkeitsrechts auf Achtung des Privatbereichs und der Geheimsphäre eines Menschen dar. Der Schutz der Privatsphäre eines Mieters vor solchen Maßnahmen endet auch nicht an der inneren Wohnungstür. Es ist ein durchaus berechtigtes Interesse daran zuzubilligen, dass das Betreten oder Verlassen einer Wohnung durch den Mieter, seine Mitbewohner oder Gäste nicht lückenlos überwacht und aufgezeichnet wird (RIS-Justiz RS0107155; zuletzt 6 Ob 38/13a Zak 2013/503, 277).

Dabei geht es maßgeblich nicht darum, ob eine solche Überwachung auch aufgezeichnet wird, weil es bereits eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Privatsphäre (Geheimsphäre) darstellt, wenn sich ein Betroffener durch die Art der Anbringung und den äußeren Anschein einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt fühlt. Diese schwerwiegende Beeinträchtigung der Privatsphäre wird schon dann bejaht, wenn es sich nicht um eine echte Videokamera, sondern eine als solche nicht erkennbare Kameraattrappe handelt (6 Ob 6/06k; 8 Ob 125/11g; RIS‑Justiz RS0127583). Es ist daher ohne Bedeutung, dass der Antragsteller (derzeit) bloß die Genehmigung einer Echtzeitüberwachung durch eine Videokamera und keine darüber hinausgehenden Bildaufzeichnungen, die selbstverständlich jederzeit möglich wären, anstrebt.

5. Anders als bei Durchsetzung von Abwehransprüchen eines in seiner Privatsphäre Verletzten gegen den Verletzer (vgl RIS-Justiz RS0120423; Gerhartl , Zivilrechtliche Aspekte der Videoüberwachung, Zak 2010/34, 23), findet bei Prüfung der Duldungspflicht eines Vermieters keine derartige Interessenabwägung statt (vgl bereits Pkt 2.). Steht fest, dass es durch die beabsichtigte Veränderung ‑ hier Anbringung einer Videokamera ‑ zu einem Eingriff in die Privatsphäre auch nur eines anderen Mieters kommt, liegt die negative Voraussetzung des § 9 Abs 1 Z 5 MRG vor, ohne dass Zweckmäßigkeitserwägungen oder Interessenabwägungen vorzunehmen wären (RIS‑Justiz RS0069551).

6. Bei der hier vorzunehmenden mietrechtlichen Beurteilung der Duldungspflicht kommt es auf die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen nicht entscheidend an. Im Übrigen verbietet § 50a Abs 5 DSG eine Videoüberwachung auch in Form einer bloßen Echtzeitwiedergabe dann, wenn davon höchstpersönliche Lebensbereiche eines Betroffenen erfasst sind.

7. Die Antragsgegnerin hat daher zu Recht ihre Zustimmung zur Anbringung einer Videokamera an der Außenseite der Wohnung des Antragstellers verweigert, sodass dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG.

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