OGH 6Ob88/13d

OGH6Ob88/13d28.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** S*****, vertreten durch Dr. Robert Kugler, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Herbert Felsberger, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Nichtigerklärung von Generalversammlungsbeschlüssen, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. Jänner 2013, GZ 4 R 214/12s‑12, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 6. Juni 2012, GZ 21 Cg 199/11s‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.974,60 EUR (darin 329,10 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die mit Gesellschaftsvertrag vom 22. 12. 1988 gegründete beklagte GmbH ist seit 30. 12. 1988 zu FN ***** (früher HRB *****) im Firmenbuch (Handelsregister) des Landesgerichts Klagenfurt eingetragen. Ihr Stammkapital beträgt 500.000 ATS. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31. 10. An der Gesellschaft sind der Kläger A***** S***** und Dr. A***** B***** mit einer Stammeinlage von jeweils 200.000 ATS (jeweils 40 %), sowie KR H***** S***** und Mag. M***** V***** S***** mit je 50.000 ATS (jeweils 10 %) beteiligt. Jeweils selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführer der Gesellschaft sind KR H***** S***** seit 30. 12. 1988 und Dr. A***** B***** seit 27. 4. 2005. In der ordentlichen Generalversammlung der beklagten Partei vom 14. 9. 2011 wurde über Antrag des Vorsitzenden Dr. H***** F***** einstimmig ‑ mit Zustimmung des Klägers ‑ beschlossen, getrennte Abstimmungen über die Entlastung der Geschäftsführer KR H***** S***** und Dr. A***** B***** für die jeweiligen Geschäftsjahre durchzuführen. Bei den Abstimmungen über die Entlastung des Geschäftsführers KR H***** S***** unter anderem für die Geschäftsjahre 2005/2006, 2007/2008, 2008/2009 und 2009/2010 stimmte Dr. A***** B***** als Gesellschafterin im eigenen Namen und im Vollmachtsnamen für Mag. M***** V***** S***** jeweils für die Entlastung des Geschäftsführers KR H***** S*****; der Kläger stimmte jeweils dagegen. KR H***** S***** enthielt sich als Gesellschafter bei den Abstimmungen über seine Entlastung als Geschäftsführer der Stimme. Nach der Abstimmung stellte der Vorsitzende Dr. F***** jeweils fest, dass der Antrag auf Entlastung des Geschäftsführer KR H***** S***** mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen ist. Der Rechtsvertreter des Klägers erklärte dagegen jeweils Widerspruch zu Protokoll wegen Gesellschaftsvertrags‑ bzw Rechtswidrigkeit. Das Protokoll der Generalversammlung vom 14. 9. 2011 wurde am 21. 11. 2011 an den Klagevertreter abgesandt.

Der Kläger begehrte mit der am 21. 12. 2011 erhobenen Klage, die in der Generalversammlung der beklagten Partei vom 14. 9. 2011 gefassten Beschlüsse, KR H***** S***** als Geschäftsführer für die Geschäftsjahre 2003/2004, 2004/2005, 2005/2006, 2007/2008, 2008/2009 und 2009/2010 die Entlastung zu erteilen, für nichtig zu erklären, in eventu festzustellen, dass die Beschlüsse auf Entlastung des Geschäftsführers nichtig seien. Mit Schriftsatz vom 12. 4. 2012 schränkte er das Klagebegehren auf die Geschäftsjahre 2005/2006, 2007/2008, 2008/2009 und 2009/2010 ein.

Die Beschlüsse seien gesetzwidrig zustande gekommen, weil die Gesellschafter‑Geschäftsführerin Dr. A***** B***** entgegen dem Verbot der Stimmrechtsausübung gemäß § 39 Abs 4 GmbHG an den Abstimmungen über die Entlastung des Geschäftsführers KR H***** S***** teilgenommen habe. Das Stimmrechtsverbot gelte sowohl bei einer Gesamtentlastung als auch bei Einzelentlastungen eines anderen Mitglieds desselben Organs. Der Kläger habe der getrennten Abstimmung über die Entlastung nur zugestimmt, weil er der Ansicht gewesen sei, dass das Stimmrechtsverbot auch bei Einzelentlastungen bestehe. Aufgrund der gesetzwidrig abgegebenen Stimme von Dr. A***** B***** ergebe sich keine Mehrheit für eine Entlastung des Geschäftsführers KR H***** S*****. In der Generalversammlung seien zahlreiche nicht zuordenbare auch private Rechnungen und Beschaffungen der klagsgegenständlichen Geschäftsjahre, insbesondere auch im Hinblick auf die operativ tätige KG, besprochen worden, die die Geschäftsführer entgegen den im Gesellschaftsvertrag verankerten Abstimmungsquoren in die Buchhaltung aufgenommen hätten. Die Geschäftsführer hätten sich geweigert, die in Frage gestellten Rechnungen und Posten aufzuklären.

Die beklagte Partei wandte ‑ soweit im Revisionsverfahren relevant ‑ ein, Dr. A***** B***** sei als Gesellschafter‑Geschäftsführerin zwar bei ihrer eigenen Entlastung, nicht jedoch bei der Entlastung des zweiten selbständigen Geschäftsführers KR H***** S***** vom Stimmrecht ausgeschlossen. Dies betreffe sie nicht unmittelbar. § 39 Abs 4 GmbHG enthalte nur ein Stimmrechtsverbot im Zusammenhang mit einer Vorteilszuwendung im eigenen oder fremden Namen. Gegen dieses Verbot sei nicht verstoßen worden. Die angefochtenen Beschlüsse bezögen sich nicht unmittelbar auf die mitstimmende selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführerin Dr. A***** B*****. Für diese liege auch aus diesem Grund kein Stimmrechtsverbot vor. Der Versuch des Klägers, ein Stimmrechtsverbot per analogiam zu konstruieren, sei unzulässig. Die vom Kläger zitierte Rechtsmeinung sei zwar auf kollektiv vertretungsbefugte Gesellschafter‑Geschäftsführer, nicht aber auf jeweils selbständig vertretungsbefugte Gesellschafter‑Geschäftsführer anzuwenden. Der Kläger habe in der Generalversammlung keine Fragen gestellt und keine Aufklärungen verlangt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne förmliche Beweisaufnahme ab. Dr. A***** B***** sei bei der Abstimmung über die Entlastung des Gesellschafter‑Geschäftsführers KR H***** S***** stimmberechtigt gewesen, weil die Abstimmungen über die Entlastung der selbständig vertretungsbefugten Geschäftsführer nicht gemeinsam, sondern getrennt durchgeführt worden seien. Die Geschäftsführer handelten nach außen hin vollkommen unabhängig und selbständig. Es wäre widersinnig, jeweils selbständig vertretungsbefugte Gesellschafter‑Geschäftsführer innerhalb der Gesellschaft derart zu beschränken, dass sie bei getrennten Abstimmungen über die Entlastung des jeweils anderen selbständigen Geschäftsführers nicht mitstimmen dürften. Der Schutzzweck des § 39 Abs 4 GmbHG liege darin, jenen Gesellschafter bei der Abstimmung über eine Entlastung auszuschließen, der dadurch einen eigenen Vorteil erlange. Im vorliegende Fall erlange jedoch der andere Geschäftsführer keinen Vorteil, wenn er bei der Entlastung des anderen selbständigen Geschäftsführers mitstimme. Die Entlastungsbeschlüsse beeinträchtigten die Interessen des Klägers auch nicht. Wären eine Schadenersatzverpflichtung der Geschäftsführer begründende Umstände zutagegetreten, hätte der Kläger andere Möglichkeiten gehabt, seine Interessen zu wahren. Gegen beide Geschäftsführer gerichtete Vorwürfe sorgfaltswidrigen Verhaltens, dass diese etwa bei der Abstimmung weitgehend von eigenen Interessen geleitet worden wären oder die Interessen der Gesellschaft hintangehalten hätten, habe der Kläger nicht erhoben.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Nach eingehender Darstellung des Meinungsstands gelangte es zu der Auffassung, dass der Kreis der von einem Stimmverbot betroffenen Personen nicht davon abhängen dürfe, ob einzeln oder im „Block“ abgestimmt werde. Da Stimmverbote Kollisionen zwischen den Interessen der Gesellschaft und denen der Gesellschafter neutralisieren sollten, fänden sie ihre Rechtfertigung in der Betroffenheit der eigenen Person. Mit dem bei der Abstimmung zur Anwendung gelangenden Verfahren hätten die Stimmverbote daher nichts zu tun. Das Stimmverbot solle nicht durch Teilung des Beschlussgegenstands umgangen werden können. Wer bei einer „Blockabstimmung“ aufgrund eines Stimmverbots nicht stimmberechtigt sei, könne ebenso wenig an den statt dessen durchgeführten Einzelabstimmungen teilnehmen. Aufgrund der Mitwirkung einer nicht stimmberechtigten Person sei der Kläger als Gesellschafter daher berechtigt, die beiden Beschlüsse gemäß § 41 GmbHG anzufechten.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob bei einer getrennten Abstimmung über die Entlastung mehrerer selbständig vertretungsbefugter Gesellschafter‑Geschäftsführer das Stimmverbot nur für den jeweils zur entlastenden Gesellschafter‑Geschäftsführer gelte oder aber die anderen Organmitglieder ihr Stimmrecht nicht ausüben dürften, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof billigt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass uneingeschränkt darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

2.1. Die Nichtigerklärung eines Beschlusses der Gesellschafter kann mittels Klage verlangt werden, wenn der Beschluss durch seinen Inhalt zwingende Vorschriften des Gesetzes verletzt (§ 41 Abs 1 Z 2 GmbHG). Hat ein vom Stimmrecht ausgeschlossener Gesellschafter an einer Beschlussfassung in der Generalversammlung der Gesellschaft mitgewirkt und wurde dessen Stimme bei der Beschlussfassung mitberücksichtigt, ist die Stimmabgabe nicht ungültig, sondern liegt ein anfechtbarer Beschluss vor (6 Ob 290/98k; 5 Ob 556/94; 1 Ob 573/85; RIS‑Justiz RS0059834; RS0060117). Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei der Klage nach § 41 GmbHG um eine Anfechtungsklage; das ihr stattgebende Urteil ist ein Rechtsgestaltungsurteil (RIS‑Justiz RS0060124 [T1]; Enzinger in Straube, GmbHG § 41 Rz 43). Gemäß § 41 Abs 2 GmbHG ist jeder Gesellschafter klageberechtigt, der in der Versammlung der Gesellschafter erschienen ist und gegen den Beschluss Widerspruch zu Protokoll gegeben hat.

2.2. Die Klage auf Nichtigerklärung eines Beschlusses der Gesellschafter muss gemäß § 41 Abs 4 GmbHG binnen einem Monat vom Tag der Absendung der Kopie des Protokolls über die Generalversammlung (§ 40 Abs 2 GmbHG) erhoben werden und ist gegen die Gesellschaft zu richten (RIS‑Justiz RS0060224). Da es sich um eine materiellrechtliche Ausschlussfrist handelt, ist die Wahrung der Frist von Amts wegen zu beachten. Die Anfechtungsfrist ist gewahrt, wenn die Klage spätestens am letzten Tag bei Gericht eingeht (Enzinger aaO § 41 Rz 71; Koppensteiner/Rüffler GmbHG³ § 41 Rz 52).

2.3. Das Generalversammlungsprotokoll vom 14. 9. 2011 wurde am 21. 11. 2011 an den Klagsvertreter abgesendet. Die am 21. 12. 2011 beim Erstgericht elektronisch eingebrachte Klage wurde somit fristgerecht erhoben.

3. Nach § 36 Abs 2 GmbHG hat mindestens einmal jährlich eine Generalversammlung stattzufinden. Beschlüsse über die Entlastung der Geschäftsführer sind in den ersten acht Monaten jedes Geschäftsjahres für das abgelaufene Geschäftsjahr zu fassen (§ 35 Abs 1 Z 1 GmbHG). Die angefochtenen Entlastungsbeschlüsse für die Geschäftsjahre 2005/2006, 2007/2008, 2008/2009 und 2009/2010 wurden (erst) am 14. 11. 2011 gefasst. Dem Klagebegehren ist aber nicht bereits aufgrund des Verstoßes gegen § 35 Abs 1 Z 1, § 36 Abs 2 GmbHG stattzugeben. Die zitierten Bestimmungen sind nämlich ‑ ungeachtet der Haftung der Geschäftsführer für den der Gesellschaft daraus entstandenen Schaden (§ 25 GmbHG) ‑ nicht als „zwingende Vorschriften“ iSd § 41 Abs 1 Z 2 GmbHG zu qualifizieren. Auch nach Ablauf der Frist des § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG ist es noch möglich, wirksame Beschlüsse zu fassen. Eine spätere Beschlussfassung macht den Gesellschafterbeschluss weder nichtig noch anfechtbar (OLG Wien 1 R 120/08m; Koppensteiner/Rüffler aaO § 35 Rz 5; Enzinger aaO § 35 Rz 5).

4.1. Stimmverbote sollen funktionell die verbandsinterne Willensbildung schützen, Schutzobjekt sind daher sowohl die Gesellschaft selbst als auch die Mitgesellschafter, nicht aber Dritte wie etwa Gläubiger der Gesellschaft (Enzinger aaO § 39 Rz 73). § 39 Abs 4 GmbHG verweigert demjenigen, der durch die Beschlussfassung von einer Verpflichtung befreit oder dem ein Vorteil zugewendet werden soll, sowohl im eigenen als auch im fremden Namen ein Stimmrecht. Das Gleiche gilt für eine Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit einem Gesellschafter oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der Gesellschaft betrifft. Die Bestimmung umschreibt Fälle der Interessenkollision zwischen Gesellschaft und Gesellschafter. Sie zu neutralisieren, ist Zweck der Vorschrift. Dieser lässt sich in zwei Unterzwecke aufspalten: Zum einen geht es um eine Variation der Regeln über das In‑Sich‑Geschäft, zum anderen um die Durchsetzung des Gedankens, dass niemand Richter in eigener Sache sein soll (6 Ob 49/09p mwN; 6 Ob 139/06v; Koppensteiner/Rüffler aaO § 39 Rz 31 mwN; Enzinger aaO § 39 Rz 72, 92 mwN). Der Stimmrechtsausschluss eines Gesellschafters bewirkt, dass der Beschluss mit der Mehrheit der übrigen an der Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter gefasst werden kann (RIS‑Justiz RS0059874 [T2]).

4.2. Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre erfasst § 39 Abs 4 GmbHG auch den Entlastungsbeschluss. Die Entlastung iSd § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG ist Bestandteil der allgemeinen Aufsicht der Gesellschafter über die Geschäftsführer (Enzinger aaO § 35 Rz 32). Mit der Entlastung der Geschäftsführer billigen die Gesellschafter deren Amtsführung für die Dauer der Entlastungsperiode und sprechen das Vertrauen für die zukünftige Geschäftsführung aus. Zugleich bringen sie zum Ausdruck, dass zumindest nach Ansicht der für die Entlastung stimmenden Gesellschafter keine Ersatzansprüche gegen die Geschäftsführer bestehen (Enzinger aaO § 35 Rz 31; Koppensteiner/Rüffler aaO § 35 Rz 17; Heidinger in GesRZ 1997, 238).

Die Befreiung bezieht sich auf solche Schadenersatzansprüche, die die Gesellschaft bei sorgfältiger Prüfung aller vorgelegten und vollständigen Unterlagen erkennen konnte. Ersatzansprüche gegen den Geschäftsführer können nach der Entlastung nur noch geltend gemacht werden, wenn sie aus den vorgelegten Unterlagen nicht erkennbar waren oder wenn die Unterlagen unvollständig waren (7 Ob 143/10w; 9 ObA 149/08; RIS‑Justiz RS0060019; RS0060007; RS0060000; OLG Wien 1 R 120/08m). Der Entlastungsbeschluss betrifft somit massiv die Interessen des zu entlastenden Geschäftsführers.

4.3. Der geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH darf zwar bei der Feststellung der Bilanz und des Geschäftsberichts, auch wenn ihn selbst betreffende Bemängelungen erhoben sind, mitstimmen, er besitzt aber jedenfalls kein Stimmrecht für den Beschluss, der ihm als Geschäftsführer die Entlastung ausspricht (6 Ob 49/09p; 6 Ob 139/06v; 1 Ob 573/85; 1 Ob 775/81; RIS‑Justiz RS0049411; Koppensteiner/Rüffler aaO § 39 Rz 40 mwN). Wird über die Entlastung des gesamten Organs ‑ aller Geschäftsführer gemeinsam ‑ abgestimmt (Gesamtentlastung), sind alle Gesellschafter, die dem Organ angehören, vom Stimmrecht ausgeschlossen (Enzinger aaO § 35 Rz 42 mwN; Koppensteiner/Rüffler aaO § 39 Rz 40). Das Gleiche gilt für die deutsche Rechtslage. Diese ist mit dem österreichischen Gesellschaftsrecht durchaus vergleichbar. § 47 dGmbHG umfasst ausdrücklich jenen Fall, dass ein Gesellschafter durch die Beschlussfassung entlastet werden soll (vgl K. Schmidt in Scholz, GmbHG10 § 46 Rz 97; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG18 § 47 Rz 77).

4.4. Es gibt aber die Möglichkeit, anstelle der Entlastung des gesamten Organs („der Geschäftsführung“) ‑ wie hier ‑ über die Entlastung einzelner Organmitglieder ‑ getrennt ‑ zu beschließen (Enzinger aaO mwN; Koppensteiner/Rüffler aaO § 35 Rz 17). Die hier relevante Frage, ob das Stimmverbot bei getrennter Abstimmung über die Entlastung selbständig vertretungsbefugter Gesellschafter‑Geschäftsführer gemäß § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG nur für den jeweils zu entlastenden Geschäftsführer gilt oder auch die anderen Organmitglieder ihr Stimmrecht nicht ausüben dürfen, hat der Oberste Gerichtshof noch nicht entschieden.

5.1. Das Oberlandesgericht Wien bejahte das Stimmverbot eines kollektiv vertretungsbefugten Gesellschafter‑Geschäftsführers bei der Abstimmung über die Entlastung des anderen Gesellschafter‑Geschäftsführers jedenfalls dann, wenn beiden Geschäftsführern eine gemeinschaftliche Pflichtverletzung vorgeworfen wird bzw sich daraus eine potentielle Solidarhaftung ergeben könnte (OLG Wien 1 R 120/08m; RIS‑Justiz RW0000432).

5.2. Im österreichischen Schrifttum sind die Ansichten darüber kontroversiell. Neumayr (JBl 1990, 273) lehnt ein Stimmverbot des Geschäftsführers (auch) bei einer ihn betreffenden Entlastung ab, weil ein Entlastungsbeschluss keine rechtlichen Wirkungen entfalte und somit kein Grund bestehe, weshalb ein betroffener Gesellschafter nicht mitstimmen solle. Allerdings geht Neumayr (aaO 282) davon aus, dass die Entlastung keinerlei Verzichtswirkung entfalte. Diese Prämisse trifft jedoch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zu (RIS‑Justiz RS0060019).

5.3. Demgegenüber vertritt Ch. Nowotny (RdW 1990, 2) die Position, alle „Organkollegen“ seien aufgrund ihrer gemeinsamen Verantwortung mittelbar betroffen, sodass ein Stimmrechtsausschluss vorliege. In diese Richtung tendieren auch Koppensteiner/Rüffler aaO GmbH³ § 39 Rz 40, wonach bei der Einzelentlastung „im Grundsatz“ alle geschäftsführenden Gesellschafter kein Stimmrecht hätten, und Enzinger in Straube, GmbHG § 39 Rz 95 und 108, der sich insbesondere dann für ein Stimmverbot aller Mitglieder der Geschäftsführung ausspricht, wenn über einen bestimmten Zeitraum oder die Entlastung der „Geschäftsführung“ entschieden wird. Ob eine Einzelentlastung oder Gesamtentlastung beschlossen werden soll, sei nicht entscheidend. Nur wenn über einzelne Maßnahmen zu befinden sei und eine gemeinschaftliche Verantwortung der Übrigen von vorne herein ausscheide, treffe das Stimmverbot nur den Betreffenden.

5.4. Auch Heidinger (GesRZ 1997, 237) bejaht einen Stimmrechtsausschluss aller Geschäftsführer nicht nur bei einer Gesamtentlastung, sondern auch bei der Einzelentlastung mit der Begründung, dass selbst bei strikter Ressortaufteilung der Geschäftsführer ein unteilbarer Bereich an zwingenden Mindest‑, insbesondere Überwachungspflichten verbleibe. Daraus resultiere eine potentielle Solidarhaftung der Geschäftsführer. Die unter den Geschäftsführern regelmäßig herrschende Solidarität bei der Abstimmung über einen Organkollegen lasse stets einen Interessenkonflikt befürchten.

5.5. Nach Vavrovsky (GES 2009, 135) sei in einem Beweisverfahren zu prüfen, ob zu erwarten sei, dass sich der abstimmende Geschäftsführer bei einem gegen ihn und seinem Mitgeschäftsführer gerichteten Vorwurf weitgehend von eigenen Interessen werde leiten lassen und die Interessen der Gesellschaft hintanstellen werde.

5.6. Nach Koppensteiner (wbl 2013, 61 [63]) ist ein Gesellschafter‑Geschäftsführer auch dann nicht stimmberechtigt, wenn über die Entlastung eines anderen zu beschließen ist. Der Grund bestehe darin, dass andernfalls mittelbar auch die eigene Wahrnehmung des Amts gebilligt werde.

5.7. Zur vergleichbaren Bestimmung des § 114 Abs 5 AktG idF vor dem AktRÄG 2009 BGBl I 2009/71 (nunmehr § 125 AktG idF BGBl I 2009/71) vertrat Strasser, dass das Stimmverbot bei mehreren der Aktiengesellschaft solidarisch verpflichteten Aktionären nur den betreffe, der aus der Haftung entlassen werden soll (Strasser in Jabornegg/Strasser 4 § 114 AktG Rz 22). S. Bydlinski/Potyka hingegen differenzieren, ob die Schuldbefreiung des Aktionärs zugleich das Erlöschen der Verbindlichkeit eines anderen mithaftenden Aktionärs bedeuten würde (so zB bei der Bürgschaft § 1363 ABGB), und sprechen sich in diesen Fall für ein Stimmverbot aus (S. Bydlinski/Potyka in Jabornegg/Strasser, AktG II5 § 125 Rz 6).

6.1. In Deutschland ist in § 47 Abs 4 dGmbHG der Stimmrechtsausschluss eines Gesellschafters, der durch die Beschlussfassung entlastet werden soll, ausdrücklich normiert. Nach Zöllner greift der Stimmrechtsausschluss auch bei Einzelentlastung für jedes Mitglied des Gremiums (Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG [2013] § 47 Rz 77).

6.2. Nach anderer Ansicht soll der Stimmrechtsausschluss dann nicht greifen, wenn der abstimmende Gesellschafter von der Beschlussfassung materiell nicht betroffen ist. Allerdings sei der Unterschied zur erstgenannten Ansicht nur theoretisch. Eine Einzelentlastung komme nämlich nur in Betracht, wenn über einzelne Maßnahmen einzelner Geschäftsführer beschlossen werde, bei denen der andere nicht einmal durch stillschweigende Zustimmung mitgewirkt habe (K. Schmidt in Scholz, GmbHG [2007] § 46 Rz 97).

6.3. Auch nach Drescher (MünchKomm GmbHG [2012] § 47 Rz 141 ff) ist für den Stimmrechtsausschluss eine gemeinschaftliche Betroffenheit erforderlich. Diese dürfe nicht nur ins Blaue hinein behauptet sein, könnte doch der Minderheitsgesellschafter andernfalls schon durch eine bloße Behauptung die Mitwirkungsrechte der Mitgesellschafter beschneiden, sondern müsse ernsthaft in Frage stehen.

6.4. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Gesellschafter auch dann von der Abstimmung ausgeschlossen, wenn Beschlussgegenstand ein pflichtwidriges Unterlassen eines Mitgeschäftsführers ist, dass beiden als Geschäftsführer aufgrund übereinstimmender Verhaltensweisen in gleicher Weise angelastet wird. Dies gilt auch dann, wenn beide das Unterlassen von Maßnahmen nicht miteinander abgestimmt haben (BGH 7. 2. 2012, II ZR 230/09; BGH 4. 5. 2009, II ZR 169/07).

Hingegen hat der Bundesgerichtshof in einer anderen Entscheidung für den Fall, dass dem abstimmenden Gesellschafter eine ganz andersartige als die zu beurteilende Pflichtverletzung des Gesellschafter‑Geschäftsführers angelastet wird, nämlich ein Kompetenzverstoß des Gesellschafter‑Geschäftsführers einerseits und ein Aufsichtsversäumnis des anderen Gesellschafters andererseits, mangels einer gemeinsam begangenen Pflichtverletzung ein Stimmverbot verneint (BGH 4. 5. 2009, II ZR 166/07).

7. Der Oberste Gerichtshof schließt sich der herrschenden Auffassung an. Demnach kommt das Stimmrechtsverbot des § 39 Abs 4 GmbHG bei der Abstimmung über die Entlastung eines Mitgeschäftsführers nur dann nicht zum Tragen, wenn ausnahmsweise nicht einmal eine Billigung des Verhaltens des betreffenden Gesellschafter‑Geschäftsführers durch den abstimmenden Mitgesellschafter in Rede steht.

Im vorliegenden Fall geht es um einen Beschluss, mit dem die Entlastung des Mitgeschäftsführers für einen vier Geschäftsjahre umfassenden Zeitraum erteilt wurde. Während des gesamten Zeitraums war die mitstimmende Gesellschafterin auch Geschäftsführerin.

Auch eine ‑ im vorliegenden Fall nicht behauptete - Arbeitsaufteilung zwischen mehreren Geschäftsführern bewirkt nicht, dass ein Geschäftsführer sich nur noch auf sein eigenes Arbeitsgebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Geschäftsführer nicht mehr zu kümmern braucht. Auch bei einer ‑ zulässigen ‑ Geschäftsverteilung obliegt jedem Geschäftsführer die Pflicht zur Überwachung der anderen Geschäftsführer. Von den jedem Geschäftsführer obliegenden gesetzlichen zwingenden Pflichten kann eine interne Geschäftsverteilung niemals befreien. Dazu gehören die Pflicht der Geschäftsführer, für die Führung der erforderlichen Bücher der Gesellschaft Sorge zu tragen, sowie die Pflichten zur Aufstellung des Jahresabschlusses (§ 222 UGB) und zur rechtzeitigen Anmeldung eines Insolvenzverfahrens nach § 69 Abs 4 IO (RIS‑Justiz RS0023825; Torggler in Straube, GmbH § 20 Rz 7; § 21 Rz 4, 9 und 16; Reich‑Rohrwig in Straube, GmbHG § 25 Rz 181).

Im Hinblick auf die auch bei Ressortverteilung verbleibende gemeinschaftliche Verantwortung von Geschäftsführern und den Umstand, dass hier die Entlastung nicht für einzelne Maßnahmen, sondern sämtliche Handlungen innerhalb eines vierjährigen Zeitraums erteilt wurde, ist daher von einem Ausschluss vom Stimmrecht auszugehen.

8. Damit erweist sich die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts als frei von Rechtsirrtum, sodass der unbegründeten Revision ein Erfolg zu versagen war.

9. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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