Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Begründung
Der Kläger war beim beklagten Verein ab 2002 zunächst als freier Dienstnehmer und ab 2005 bis zu seiner Entlassung am 5. 7. 2011 als angestellter Psychotherapeut angestellt. Der beklagte Verein befasst sich mit psychosozialer Betreuung, Familienberatung uä, wobei mehrere Mitarbeiter zu einem Team mit einem Teamleiter/einer Teamleiterin zusammengefasst werden. Über den Teamleitern steht das Leitungsteam des beklagten Vereins.
Die angestellten Psychotherapeuten können sich ihre Arbeitszeit grundsätzlich frei einteilen, müssen aber eine bestimmte Anzahl von Klienten betreuen und haben an Teamsitzungen sowie Teamsupervisionen teilzunehmen. Die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes müssen eingehalten werden. Der Kläger arbeitete üblicherweise an drei Wochentagen jeweils von 8:00 bis 18:00 Uhr mit einer Mittagspause und betreute dabei maximal sechs Stunden Klienten. Die restliche Arbeitszeit verbrachte er mit „Organisation, Fallbearbeitung, Supervision etc“. Die von ihm aufgezeichneten Arbeitszeiten wurden von der Teamleiterin unterfertigt und an das Leitungsteam weitergesendet.
Die Teamsupervisionen, die der Aufarbeitung von Konflikten innerhalb des Teams dienten, mussten vom zuständigen Mitglied des Leitungsteams genehmigt werden, das die Erforderlichkeit jedoch regelmäßig mit der Teamleitung erörterte. Darüber hinaus konnte der Kläger fünf Einzelsupervisionen von sich aus in Anspruch nehmen, die auch von der Beklagten bezahlt wurden.
Um Weihnachten 2010 entstand „Unruhe und Aufregung“ in der Belegschaft, weil ein Mitarbeiter der Beklagten wegen eines 10 Jahre zurückliegenden sexuellen Missbrauchs angezeigt wurde und die Beklagte darauf lediglich mit der Verpflichtung des Mitarbeiters zu einer Therapie reagierte. Der Kläger vermutete „massive Interventionen“ und hielt es für notwendig, dagegen etwas zu unternehmen, obwohl der betroffene Mitarbeiter an einer anderen Beratungsstelle tätig war. Als einige Mitarbeiter seiner Beratungsstelle den Wunsch nach einer Supervision in dieser Angelegenheit äußerten, stornierte der Kläger zwei von ihm bereits gebuchte Einzelsupervisionsstunden für den 25. 5., sodass die gebuchte Supervisorin nunmehr eine Gruppensupervision abhalten konnte. Der Antrag der Teamleiterin des Klägers auf Genehmigung der Supervision wurde aber vom Leitungsteam abgelehnt. Ein ausdrückliches Verbot, die Gruppensupervision durchzuführen oder die Teilnahme als Arbeitszeit zu verzeichnen, wurde allerdings nicht ausgesprochen. Die Teamleiterin informierte den Kläger und ihre Mitarbeiter dahin, dass es wohl besser sei, die Teilnahme an der Gruppensupervision nicht als Dienstzeit zu schreiben. Dass sie ihren Mitarbeitern den Tipp gab, die Teilnahme als „Organisationsarbeit“ einzutragen, ist nicht feststellbar.
Nachdem die Gruppensupervision unter Teilnahme des Klägers und der meisten Mitarbeiter, einschließlich des Betriebsratsobmanns, durchgeführt worden war, verzeichnete der Kläger die erste dafür in Anspruch genommene Stunde von 17:00 bis 18:00 Uhr als Arbeitszeit, und zwar als „Organisationsarbeit“. Auch davor hatte er eine Stunde „Organisationsarbeit“ geleistet (Vor- und Nachbereitung von Kundenbetreuungen, Gespräche mit Mitarbeitern, Arbeitszeiterfassung etc). Neben der Teamleiterin war auch eine Mitarbeiterin des Leitungsteams über die Abhaltung der Gruppensupervision informiert und hatte auf Anfrage die Zustimmung zur Durchführung in den Räumlichkeiten der Beratungsstelle der Beklagten gegeben. Die Gruppensupervision wurde nicht von der Beklagten, sondern letztlich vom Betriebsrat bezahlt.
Der Kläger verbuchte die Teilnahme für die erste Stunde als Arbeitszeit, weil er der Ansicht war, dass es um die Arbeit in der Beratungsstelle ging, dass Supervision grundsätzlich von seiner Arbeitszeit umfasst sei und dass er ja ursprünglich auch bereits eine Supervision gebucht hatte. Weil er davon ausging, dass die „Teamsupervision“ von der Leitung nicht „goutiert“ wurde, verbuchte er die Zeit als „Organisationsarbeit“. Dies wurde auch von der Teamleiterin abgezeichnet.
In der Woche ab 27. 6. 2011 stellte der Geschäftsführer der Beklagten bei Durchsicht der Arbeitszeitaufzeichnung fest, dass außer dem Kläger alle anderen Teilnehmer an der Gruppensupervision diese nicht als Dienstzeit verbucht hatten. Am 1. 7. 2011 erfuhr er, dass die Gruppensupervision bereits um 17:00 Uhr, also vor dem Ende der verzeichneten Arbeitszeit, begonnen hatte. Bei einer noch an diesem Tag einberufenen Krisensitzung des Leitungsteams wurde die Entlassung des Klägers beschlossen. Sie sollte am darauffolgenden Montag, dem 4. 7., ausgesprochen werden. Wegen Abwesenheit des Klägers infolge Erkrankung wurde die Entlassung aber schriftlich erklärt. Die nach Ansicht der Beklagten zu Unrecht verrechnete Arbeitsstunde kostete dieser rund 20 EUR brutto.
Eine Ermahnung des Klägers vor diesem Vorfall hat es nicht gegeben.
In weiterer Folge wurden die Missbrauchsvorwürfe und die Problematik der verpönten „Gruppensupervision“ in zwei langen Mediationssitzungen aufgearbeitet.
Der 1954 geborene Kläger hat keine Sorgepflichten mehr und durchschnittlich rund 1.070 EUR monatlich an Fixkosten. Genaue Feststellungen zu seiner Vermittelbarkeit wurden noch nicht getroffen.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung der ausgesprochenen Entlassung als sozialwidrig. Er sei im Hinblick auf sein Alter am Arbeitsmarkt nicht mehr entsprechend vermittelbar und könne seine monatlichen Fixkosten ohne eine angemessene Anstellung nicht tragen. Auch habe er keinen Entlassungsgrund gesetzt. Die strittige Arbeitsstunde habe er bereits davor als Supervisionsstunde gebucht und auch die Bezirksstellenleiterin entsprechend informiert. Auch sei die Entlassung verspätet ausgesprochen worden.
Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Korrekte Zeiterfassung und Abrechnung sei für die Beklagte wesentlich. Die falsche Verbuchung durch den Kläger stelle eine grobe Pflichtverletzung dar, die Vertrauensunwürdigkeit begründe; dies insbesondere auch deshalb, da damit auch der Subventionsgeber, das Land, getäuscht worden sei. Die Entlassung sei auch nicht sozial ungerechtfertigt, da es viele freie Stellen für Psychotherapeuten gebe und der Kläger jederzeit eine angemessene Anstellung erlangen könne.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging davon aus, dass das Verhalten des Klägers den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verwirkliche. Gerade den bei der Beklagten arbeitenden Psychotherapeuten komme eine besondere Vertrauensstellung zu, da deren Tätigkeit insbesondere auch in ihrer zeitlichen Dimension kaum überprüfbar sei. Der Kläger habe entgegen dem Rat seiner Teamleiterin die von der Betriebsleitung abgelehnte Supervision als „Organisationstätigkeit“ verzeichnet. Die Entlassung sei auch nicht verspätet, da der Sachverhalt letztlich erst am 1. 7. 2011 aufgeklärt worden sei.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es schloss sich im Wesentlichen der Beurteilung des Erstgerichts an und stützte sich vor allem darauf, dass es keine engmaschige Kontrolle des beklagten Vereins über die richtigen Arbeitsaufzeichnungen gebe. Auch der Verspätungseinwand sei unberechtigt, da der Geschäftsführer erst Ende Juni konkret von der falschen Arbeitszeitabrechnung Kenntnis erlangt habe.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als nicht zulässig, da nur ein Einzelfall zu beurteilen gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision ist zulässig und berechtigt. Das Berufungsgericht hat nicht ausreichend beachtet, dass bei Pflichtverstößen des Arbeitnehmers der Mangel an klaren Anweisungen durch den Arbeitgeber zu dessen Lasten ausgelegt wird (vgl etwa 9 ObA 211/00w oder 9 ObA 216/00f; ähnlich auch 8 ObA 226/00v).
Essentielles Tatbestandsmerkmal jeder gerechtfertigten Entlassung ist, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers wegen des Entlassungsgrundes so unzumutbar geworden ist, dass eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist (vgl RIS‑Justiz RS0029009 ua). Als ausschlaggebend wird angesehen, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise ‑ aber unabhängig vom subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers ‑ als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des Arbeitgebers so heftig erschüttert wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RIS‑Justiz RS0029323 ua).
Der hier ins Zentrum gestellte Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit des § 27 Z 1 letzter Fall AngG erfasst jene Handlungen oder Unterlassungen eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lassen, weil er befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde (RIS‑Justiz RS0029547). Dabei wird darauf abgestellt, ob vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass die Belange des Arbeitgebers durch den Angestellten gefährdet werden (RIS‑Justiz RS0029833). Nicht jeder geringfügige Verstoß gegen die Treuepflicht vermag einen Entlassungsgrund zu begründen, jedoch kann sich dies aus der Summe der Verstöße ergeben, wenn der Anlassfall eine gewisse Mindestintensität erreicht (RIS‑Justiz RS0029600).
Die Teilnahme an der Gruppensupervision wurde von der Beklagten nicht untersagt, vielmehr wurde deren Organisation sogar noch durch das Zurverfügungstellen der Räumlichkeiten unterstützt. Die Supervision wurde vom Betriebsrat unterstützt und finanziert. Der Teilnahme stand also im Ergebnis keine klare Anweisung des Arbeitgebers entgegen, sodass sie keinen Entlassungsgrund darstellt (vgl etwa 9 ObA 211/00w oder 9 ObA 216/00f; ähnlich auch 8 ObA 226/00v).
Der zentrale Entlassungsvorwurf liegt in der Verzeichnung eines Teils der bei der Supervision verbrachten Zeit als Arbeitszeit und einer dadurch begründeten Vertrauensunwürdigkeit.
Richtig ist, dass gerade bei Arbeitnehmern, bei denen die Einhaltung der Arbeitszeiten nicht einfach überprüft werden kann, sodass der Arbeitgeber auf die Richtigkeit der Berichte und Angaben des Angestellten angewiesen ist, die dienstliche Irreführung des Arbeitgebers nicht mehr als bloße Unkorrektheit angesehen werden kann, sondern die Entlassung rechtfertigt (RIS‑Justiz RS0029453).
Diese Situation lag aber hier nicht vor. Hier war sowohl der Vorgesetzten des Klägers als auch dem Leitungsgremium bekannt, dass die Gruppensupervision abgehalten wird und dass der Kläger daran teilnimmt. Das wesentliche Argument der Vorinstanzen, das Vertrauen des Arbeitgebers, das dieser dem Angestellten, der seine Arbeitszeit selbst erfasst, naturgemäß entgegenbringen muss, sei schwerwiegend enttäuscht worden, trifft daher im Ansatz nicht zu, weil der Kläger davon ausgehen musste, dass die für ihn maßgeblichen Ansprechpartner genaue Kenntnis davon hatten, um welche Art der Arbeitsleistung es sich gehandelt hat. Letztlich musste die Arbeitsstunde auch von der Vorgesetzten, die genau darüber Bescheid wusste, abgezeichnet werden. Auch im Leitungsgremium war die Abhaltung der Gruppensupervision bekannt. Die Vorgehensweise des Klägers, die Teilnahme an der Supervision als „Organisationszeit“ zu verbuchen, war also weder objektiv noch subjektiv nach dem Horizont des Klägers zu einer Täuschung der Beklagten geeignet. Der Kläger brachte durch die Verzeichnung der Zeit als „Organisationszeit“ zum Ausdruck, dass er trotz der Ansicht der Beklagten der Meinung war, dass es sich bei der Teilnahme an der Supervision um Arbeitszeit handelte. Das Verhalten des Klägers ist zwar objektiv betrachtet als Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren, weil sich die Beklagte die Bewilligungen von Gruppensupervisionen ausdrücklich vorbehalten hat und daher nur bewilligte Gruppensupervisionen als Arbeitsleistung qualifiziert werden können. Dies kann zwar eine Abmahnung rechtfertigen, aber für sich allein nicht den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verwirklichen.
Insgesamt war daher davon auszugehen, dass es der Beklagten nicht gelungen ist, das Vorliegen eines Entlassungsgrundes nachzuweisen.
Daher sind die übrigen Voraussetzungen für die Anfechtung nach den §§ 105, 106 ArbVG, insbesondere die Frage der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Klägers (und damit auch seine Vermittelbarkeit) zu prüfen.
Insoweit erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig, weshalb die Arbeitsrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen war.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 2 ASGG und § 52 ZPO.
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