OGH 12Os153/12k

OGH12Os153/12k13.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Dezember 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fruhmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas M***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Aniko S***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Jugendschöffengericht vom 13. Juli 2012, GZ 621 Hv 6/12y-21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas M***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./1./ bis 3./) und Aniko S***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 2, 12 dritter Fall, 206 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach haben in S***** (zusammengefasst) im Zeitraum zwischen 21. und 28. Jänner 2012

I./ Andreas M***** mit einer unmündigen Person, nämlich der am 10. Februar 1998 geborenen Bianca M*****, insgesamt drei Mal den Beischlaf unternommen (1./ bis 3./);

II./ Aniko S***** zu den unter Punkt I./ genannten Handlungen beigetragen, indem sie es unterließ, die geschlechtliche Beziehung zwischen ihrer Tochter Bianca M***** und Andreas M***** zu unterbinden, wozu sie nach dem Gesetz verpflichtet war.

Rechtliche Beurteilung

Die von Aniko S***** gegen den Schuldspruch II./ gerichtete und aus Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Der Verfahrens- und Mängelrüge sind zur Klarstellung Ausführungen zum Wesen des Vorsatzes voranzustellen.

Der Vorsatz besteht im Wissen und Wollen der zum gesetzlichen Tatbild gehörenden objektiven Merkmale. Das Wollen des objektiven Tatbilds schließt in sich, dass der Täter den konkreten Sachverhalt bedacht, also ihn sich vorgestellt hat. Nach dem Grad des Wissens und Wollens wird zwischen Absicht, Wissentlichkeit, unbedingtem und bedingtem Vorsatz unterschieden.

Einem Täter, der wissentlich (§ 5 Abs 3 StGB) handelt, kommt es nicht notwendig auf eine Verwirklichung des tatbildmäßigen Unrechts oder des Umstands, bezüglich dessen das Gesetz Wissentlichkeit verlangt, an. Er rechnet aber mit Gewissheit mit dem Eintreten dieses Erfolgs oder dem Vorliegen dieses Umstands, wenn er unter Umständen auch ein anderes, vielleicht rechtlich sogar gebilligtes Ziel erreichen will.

An der Untergrenze des Vorsatzes liegt der bedingte Vorsatz (Eventualvorsatz). Auch hier strebt der Täter die Verwirklichung des Unrechts des Sachverhalts nicht an, er rechnet nicht einmal mit Bestimmtheit mit dem Erfolg, hält ihn aber für möglich. Bedingter Vorsatz ist dann gegeben, wenn der Täter die Verwirklichung des deliktischen Sachverhalts ernstlich für möglich hält, demnach das Risiko so hoch einschätzt, dass er die Möglichkeit der Verwirklichung des Tatbilds als naheliegend ansieht, sich aber dennoch zur Tat entschließt, weil er auch einen solchen nachteiligen Ablauf der Ereignisse hinzunehmen gewillt ist. Eine Bejahung des Handlungsergebnisses durch den bedingt vorsätzlich Handelnden ist nicht erforderlich, auch bewusste Gleichgültigkeit stellt bedingten Vorsatz her. Es genügt, wenn der Täter sich mit der Sachverhaltsverwirklichung, sei es auch bedauernd und mit Unlust, abgefunden hat. Nicht aber, wenn er sich nur im Vertrauen auf den Nichteintritt des deliktischen Erfolgs zum Handeln entschließt; denn dann handelt er bewusst fahrlässig (zur Differenzierung Fabrizy, StGB10 § 5 Rz 1 ff).

Der Vorsatz des Unterlassungstäters muss sich auf das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Situation sowie auf die Möglichkeit einer eigenen erfolgsabwendenden Handlung beziehen und auch die eigene Garantenstellung umfassen (RIS-Justiz RS0089546).

Nach den entscheidungswesentlichen (hier zusammengefasst wiedergegebenen) Feststellungen zur subjektiven Tatseite wusste Aniko S***** über ihre Garantenstellung als Mutter und das Alter ihrer Tochter Bescheid. Zum Zeitpunkt der mit ihrem Wissen erfolgten Übernachtungen des 18-jährigen Andreas M***** im Zimmer der Unmündigen, das lediglich eine Schlafgelegenheit aufwies (US 4), hatte sie zwar keine Gewissheit darüber, ob dieser mit ihrer Tochter auch vor dem 14. Geburtstag den Beischlaf vollziehen würde und wollte dies auch nicht, hielt es aber dennoch jedes Mal ernstlich für möglich und fand sich auch damit ab, weil ihr lediglich wichtig war, dass ihre Tochter nicht schwanger werden würde. Es war ihr auch bewusst, dass es ihre Pflicht wäre, zu verhindern, dass der von ihr vertraut als „Schwiegersohn“ angesprochene Andreas M***** im Schlafzimmer ihrer Tochter übernachtet und derart Gelegenheit erhielt, insgesamt drei Mal den Beischlaf mit der Unmündigen zu vollziehen. Es wäre ihr auch ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, den Erstangeklagten entweder zur Übernachtung überhaupt außer Hauses oder aber zumindest zu einer solchen auf der Couch im Wohnzimmer aufzufordern und allfälligen entgegenstehenden Bitten ihrer Tochter energisch entgegenzutreten (US 6).

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) durfte der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Gernot T***** zum Beweis dafür, dass die Angeklagte nicht wusste, dass zwischen Andreas M***** und ihrer Tochter eine sexuelle Beziehung bestanden habe (ON 20 S 60), schon deshalb ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden, weil die Tatrichter das unter Beweis gestellte Thema ohnehin als erwiesen ansahen (US 6). Darüber hinaus betrifft das angestrebte Beweisziel keine entscheidende Tatsache, weil der inkriminierte Tatbestand (§§ 2, 12 dritter Fall, 206 Abs 1 StGB) keine Wissentlichkeit verlangt. Im Übrigen legte der Beweisantrag auch nicht dar, weshalb Gernot T***** in der Lage sein sollte, über einen negativen Vorstellungsinhalt der Angeklagten Auskunft zu geben (RIS-Justiz RS0099453 [T2]; RS0097540 [T17]).

Mit der Behauptung der Undeutlichkeit der Feststellungen zur subjektiven Tatseite wird der Sache nach ein Rechtsfehler mangels Feststellungen geltend gemacht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird die Beschwerdeführerin mit ihren nominell unter dem Aspekt der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Vorwürfen auf die Erledigung der Rechtsrüge (Z 9 lit a) verwiesen.

Widersprüchlichkeit im Sinn der Z 5 dritter Fall des § 281 Abs 1 StPO liegt dann vor, wenn Aussprüche über entscheidende Tatsachen unter Einbeziehung von Erfahrungswerten als zueinander im Widerspruch stehend, somit also nach den Denkgesetzen unvereinbar zu bewerten sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 439; RIS-Justiz RS0117402 [T10]).

Die Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) behauptet unter Bezugnahme auf das konstatierte Nichtwissen und Nichtwollen der Angeklagten, bei gleichzeitiger Annahme der Billigung und des sich damit Abfindens, zu Unrecht eine Divergenz in Bezug auf die Feststellungen zur subjektiven Tatseite, und zwar deshalb, weil dadurch lediglich der für tatbestandsmäßiges Handeln erforderliche aber auch ausreichende Eventualvorsatz (bei gleichzeitiger Verneinung der Absicht und Wissentlichkeit) zum Ausdruck gebracht wurde.

Davon, dass Aniko S***** lediglich eine Präsenz in der Vorstellung, aber keine Gewissheit darüber hatte, dass ihre unmündige Tochter mit Andreas M***** geschlechtlich verkehrte, ging das Erstgericht aus (US 6).

Soweit die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) auf die Frage der Wissentlichkeit rekurriert, spricht sie, wie bereits im Rahmen der Verfahrensrüge dargelegt, keine entscheidende Tatsache an. § 206 Abs 1 StGB fordert (hier im für das Erkennen der tatbestandsmäßigen Situation von Bedeutung) eine billigende innere Bewertung der als naheliegend erkannten Tatbildverwirklichung nämlich gar nicht, sondern lässt es hinreichen, dass sich die Angeklagte mit der Verwirklichung des Sachverhalts abfindet (RIS-Justiz RS0088986). Darüber hinaus ist die innere Einschätzung der subjektiven Tatseite der Beschwerdeführerin durch Dritte schon deshalb nicht erörterungsbedürftig, weil nur Wahrnehmung von Tatsachen Gegenstand einer Zeugenvernehmung sind, nicht aber Äußerungen zur Einschätzung des Wissens und Wollens der Angeklagten (RIS-Justiz RS0097540 [T17]).

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite leiteten die Tatrichter zunächst daraus ab, dass sich das für die Angeklagte erkennbar verliebte junge Pärchen in das mit nur einem Bett ausgestattete Zimmer zurückzog, um dort die Nacht zu verbringen (US 10), letztlich aber als Abrundung auch daraus, dass die Beschwerdeführerin ihre Tochter mit dem Mitangeklagten einmal „beim Sex erwischt“ und sich unverzüglich mit dem Kommentar entfernt habe, „sie wolle nicht stören“. Dass das letztgenannte Ereignis erst nach der Vollendung des 14. Lebensjahres der Minderjährigen stattfand, wurde vom erkennenden Gericht mitbedacht und die dennoch zugebilligte Bedeutung damit erklärt, dass sich die Angeklagte damit verantwortet habe, davon überzeugt gewesen zu sein, dass freie sexuelle Kontakte erst mit dem Erreichen der Volljährigkeit stattfinden dürfen (US 9). Diese Begründung steht mit den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang.

Mit dem Vorbringen (Z 5a), wonach nicht nur die Angeklagte, sondern auch der Mitangeklagte und die Zeugin Bianca M***** ausgesagt hätten, dass die Beschwerdeführerin zwar wusste, dass der Andreas M***** im Haus schlafe, vom Bestand einer sexuellen Beziehung aber erst zum Zeitpunkt der Mitteilung der Schwangerschaft erfahren habe, gelingt es der Tatsachenrüge nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Feststellungen zu wecken.

Die Angeklagte wurde schuldig erkannt, unter Vernachlässigung ihrer im Gesetz statuierten Erfolgsabwendungspflicht (§ 2 StGB) den an ihrer unmündigen Tochter begangenen schweren sexuellen Missbrauch trotz bestehender Möglichkeit nicht verhindert zu haben.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdeführerin nicht gerecht.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) Feststellungen zur Wissens- und Wollenskomponente vermisst, legt sie nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, welcher zusätzlicher Konstatierungen (vgl US 6) es zur Annahme des tatbestandsmäßigen Vorsatzes (§ 5 Abs 1 zweiter Halbsatz; US 6) noch bedurft hätte (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584). Lediglich der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass nur derjenige bewusst fahrlässig handelt, der mit dem schädigenden Erfolg zwar rechnet, sich mit diesem aber - im Unterschied zur Angeklagten - nicht abfindet.

Soweit die Beschwerdeführerin entgegen den Urteilsannahmen vorbringt (Z 9 lit a), wenn sie etwas nicht wisse, könne sie sich damit auch nicht abfinden, verfehlt sie den gesetzlichen Bezugspunkt der Anfechtung. Dass die Verneinung der Wissentlichkeit der Annahme des voluntativen Vorsatzelements entgegenstehen soll, wird im Übrigen ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz lediglich behauptet. Zur Klarstellung sei dennoch festgehalten, dass auf Basis der tatsächlichen Urteilsannahmen nicht nur die Wissenskomponente, sondern gleichermaßen auch die für bedingt vorsätzliches Handeln nötige Willenskomponente frei von Rechtsirrtum bejaht wurde.

Wenn die Beschwerdeführerin dem Sinn nach einwendet, mangels konkreten Wissens hätten keine Rückschlüsse auf ihre Willensbildung gezogen werden können, vermag sie auch weder einen Begründungsmangel (Z 5) aufzuzeigen, noch erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Tatsachen (Z 5a) zu erwecken.

Die Behauptung, das Beweisverfahren habe ergeben, dass selbst das vom Erstgericht gedachte aktive Tun den Erfolg nicht verhindert hätte, geht nicht von den Urteilsannahmen aus (US 6). Lediglich der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Tathandlung des unechten Unterlassungsdelikts in der Nichtvornahme des gebotenen Tuns besteht. Geboten ist stets ein solches Tun, das darauf gerichtet ist, den tatbestandsmäßigen Erfolg möglichst rasch und sicher abzuwenden. Dabei wird nicht gefordert, dass es dem Verpflichteten gelingt, den Erfolg effektiv abzuwenden. Voraussetzung ist allerdings, dass er unter den konkreten Umständen alles getan hat, was nach objektiver Sachlage zur best-/ und raschestmöglichen Erfolgsabwendung geboten war (Kienapfel/Höpfel/Kert AT14 Z 29 Rz 3 ff).

Aus welchem Grund der Umstand, dass Bianca M***** „tage- und wochenlang“ auf Andreas M***** eingeredet hat und dieser den Tatbestand des § 206 StGB ganz bewusst verwirklicht hat, der Verurteilung der Angeklagten als Unterlassungstäterin entgegenstehen sollte, bzw weshalb die Unterlassung der Erfolgsabwendung hier der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes durch ein Tun nicht gleichzuhalten ist, legt die Rechtsrüge (Z 9 lit a), obwohl geboten, nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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