OGH 2Ob70/12a

OGH2Ob70/12a29.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. W***** N*****, vertreten durch Dr. Frank Riel und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei A***** P*****, vertreten durch Rechtsanwaltspartner Haftner + Schobel, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen 8.847,50 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 1.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 12. Jänner 2012, GZ 21 R 291/11v‑40, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 29. August 2011, GZ 5 C 805/10z‑33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten hat:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 8.847,50 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 5. 2010 zu bezahlen und es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für alle künftigen Schäden aus dem Sturz vom 7. 1. 2010 haftet, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.309,44 EUR (darin 829,57 EUR USt und 2.332 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kam am 7. 1. 2010 gegen 10:30 Uhr auf einer schneeglatten Stelle im Innenhof des Hauses ***** in St. Pölten zu Sturz. Er war auf dem Weg zu seinem Internisten, der im 2. Stock des Hauses in gemieteten Räumen eine Ordination betreibt. Eigentümerin des Hauses und Vermieterin ist die Beklagte.

Für die Schneeräumung in besagtem Innenhof ist seit 1994 ein‑ und dieselbe Hausbesorgerin zuständig, die ihre Arbeit stets gewissenhaft verrichtet hat. Sie wohnt „vor Ort“ und verfolgt die Wetterberichte in den Medien. Wenn es die Verhältnisse erfordern, beginnt sie ihre Arbeit bereits um 4:30 Uhr, räumt den Innenhof vom Schnee und streut danach Salz und Splitt. Bei trockenem Wetter mit hohen Minusgraden streut sie in der Früh Salz. Sie ist sich aufgrund der hohen Fußgängerfrequenz ihrer Verantwortung bewusst und kontrolliert üblicherweise zusätzlich mindestens einmal und ‑ wenn es die Witterung erfordert ‑ auch mehrmals täglich den Zustand des Hofs.

Auch am Morgen des 7. 1. 2010 kontrollierte die Hausbesorgerin den Hof. Es herrschte trockenes Wetter bei starker Bewölkung und einer Lufttemperatur von ‑3° C, weshalb sie eine Streuung des Hofs nicht für erforderlich hielt. Gegen 9:30 Uhr setzte leichter Schneefall ein, der bis zum Unfallszeitpunkt anhielt. Da die Hausbesorgerin weiterhin nicht streute, wurde der Innenhof „teilweise schneeglatt“. Für einen durchschnittlich sorgfältigen Fußgänger war nicht erkennbar, an welchen Stellen noch (altes) Streugut vorhanden war und der Hof sicherer begehbar gewesen wäre.

Der Kläger hatte um 10:30 Uhr einen Termin bei seinem Internisten, bei dem er schon seit längerer Zeit in Behandlung stand. Obwohl er Winterschuhe mit griffiger Sohle trug und langsam und vorsichtig ging, kam er in besagtem Innenhof auf Höhe eines Schachtdeckels zu Sturz.

Der Kläger zog sich dabei eine Zerrung der Halswirbelsäule und zahlreiche Prellungen zu, die weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge hatten. Spätfolgen können nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Kläger bedurfte vorübergehend der Pflege, es entstanden ihm unfallskausale Fahrtspesen.

Der Kläger begehrte von der Beklagten den Ersatz seines zuletzt mit 8.847,50 EUR bezifferten Schadens sowie die Feststellung ihrer Haftung für alle künftigen Folgen des Sturzes vom 7. 1. 2010. Er brachte vor, der Innenhof sei zum Unfallszeitpunkt nicht gestreut gewesen, obwohl es die Witterungsverhältnisse erfordert hätten. Der Kläger sei als Patient des Facharztes von den Schutzwirkungen des zwischen diesem und der Beklagten abgeschlossenen Mietvertrags erfasst gewesen. Darüber hinaus stütze er sein Begehren auf die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten und jeden erdenklichen Rechtsgrund.

Die Beklagte wandte ein, der Kläger habe vertragliche Ansprüche aus dem Behandlungsvertrag, weshalb das Klagebegehren nicht auf einen Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter gestützt werden könne. Eine Wegehalterhaftung der Beklagten scheitere mangels groben Verschuldens. Die Hausbesorgerin habe ihre Aufgaben stets gewissenhaft erfüllt, so auch am Unfallstag. Der Sturz sei auf die Ungeschicklichkeit des Klägers zurückzuführen.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Umfang von 8.347,50 EUR sA und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Das Zahlungsmehrbegehren von 500 EUR sA wies es ab.

Es stützte sich auf den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt und bejahte die Voraussetzungen für eine vertragliche Haftung der Beklagten. Schon bei Abschluss des Mietvertrags sei mit einem Patientenzustrom zu rechnen gewesen, sodass der räumliche Kontakt dieser Personen zur vertraglichen Hauptleistung für die Beklagte vorhersehbar gewesen sei. Dazu komme, dass der Arzt seinen Patienten gegenüber aus dem Behandlungsvertrag zur Fürsorge verpflichtet sei. Eine Differenzierung bei der zeitlichen Komponente des Kontakts mit der Hauptleistung erscheine zwischen Wohnungs‑ und Geschäftsraummiete durchaus sachgerecht. Da der Mieter eines Geschäftsraums überhaupt nur wegen der Kunden, Klienten oder Patienten in der Lage sei, den typischerweise höheren Mietzins aufzubringen, könnten diese nicht mit Handwerkern, Lieferanten oder Besuchern von Wohnungsmietern gleichgesetzt werden. Ein direkter eigener Schadenersatzanspruch gegen den Arzt stehe dem Kläger aus dem Behandlungsvertrag nicht zu. Ursache des Unfalls sei die Unterlassung einer erneuten Kontrolle des Innenhofs gewesen, weshalb die Beklagte für den Schaden des Klägers hafte. Ein Mitverschulden des Klägers liege nicht vor.

Dieses Urteil erwuchs in seinem abweisenden Teil in Rechtskraft.

Das im Übrigen von der Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR nicht übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Der Oberste Gerichtshof habe bisher offen gelassen, ob der Patient eines Arztes, der in angemieteten Räumlichkeiten seine Ordination betreibe, zum Kreis der Begünstigten aus dem Mietvertrag zwischen Arzt und Vermieter zähle. Die Kurzfristigkeit des Aufenthalts könnte zwar gegen die Einbeziehung des Patienten sprechen. Allerdings sei der Abschluss eines Mietvertrags über die Ordination eines Arztes darauf ausgerichtet, den Kontakt der Patienten zur Hauptleistung des Vertrags zu ermöglichen; er sei geradezu Geschäftszweck. Nach Auffassung des Berufungsgerichts entfalte daher der zwischen Vermieter und Arzt abgeschlossene Mietvertrag über Ordinationsräumlichkeiten Schutzwirkungen zugunsten der Patienten, die dem Kreis der Begünstigten typischerweise zuzurechnen seien. Der gegenteiligen Ansicht der deutschen Lehre könne nicht gefolgt werden. Auch der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 4 Ob 223/10p bereits darauf verwiesen, dass hier ein gewisses Spannungsverhältnis bestehe. Das Bestreben, ein grenzenloses Ausufern der vertraglichen Haftung durch Einbeziehung eines unüberschaubaren Personenkreises hintanzuhalten, sei zwar berechtigt, könne aber nicht dazu führen, dem typischerweise angesprochenen Personenkreis die aus dem zugrunde liegenden Vertrag entspringenden Schutzwirkungen zu versagen.

Zur Frage der Subsidiarität des Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter sei festzuhalten, dass die Gewährleistung eines gefahrlosen Zugangs des Patienten zur Ordination lediglich als vertragliche Nebenpflicht des Arztes zu qualifizieren sei. Es sei zumindest zweifelhaft, ob sich diese Nebenpflicht auch auf die nicht angemieteten Flächen erstrecke. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte gar nicht behauptet, dass der Arzt zur Räumung und Streuung des Hofs verpflichtet gewesen sei. Für den Kläger mache es keinen Unterschied, ob er vor oder nach dem Betreten des Innenhofs zu Sturz gekommen sei. Es könne ihm nicht zugemutet werden, danach differenzieren zu müssen, dass in einem Fall die Beklagte (gemäß § 93 StVO), im anderen der Arzt haftbar sei. Wäre ein vorrangiger Anspruch gegen den Arzt anzunehmen, müsste eine weitere Unterscheidung danach getroffen werden, ob der Patient bereits in einem Behandlungsverhältnis stehe oder den Arzt erstmals aufsuche. Im letzteren Fall stünde ihm kein deckungsgleicher Anspruch, sondern nur ein solcher aus culpa in contrahendo zu. Auch dabei handle es sich lediglich um ein Institut der erweiterten Vertragshaftung, das dem Anspruch aus Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter rangmäßig nicht vorgehe.

Der Hausbesorgerin sei als fahrlässiges Fehlverhalten vorwerfbar, dass sie den Hof lediglich in der Früh kontrolliert habe. Die Kontrolle habe mehrere Stunden vor dem Unfall stattgefunden, danach habe sie der weiteren Wetterentwicklung nicht mehr die erforderliche Beachtung geschenkt. Dies habe zu der unfallskausalen Schneeglätte geführt.

Die Revision sei zulässig, weil die Frage, ob der Patient zum Kreis der Begünstigten aus einem Mietvertrag über Ordinationsräume zähle, vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden worden sei. Es sei auch unklar, inwiefern direkte Ansprüche aus einem Behandlungsvertrag einem schutzwürdigen Interesse des Geschädigten entgegenstehen könnten. Schließlich stelle sich die Frage, ob ein Anspruch aus culpa in contrahendo einem Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter vorgehe, bzw ob die Unterscheidung zwischen potentiell neuen und schon länger in Behandlung stehenden Patienten sachgerecht sei.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem ersten der vom Berufungsgericht genannten Gründe zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Die Beklagte macht geltend, die Unterscheidung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung wäre aufgehoben, würde man die Patienten von Mietern in die vertragliche Haftpflicht des Vermieters einbeziehen. In diesem Fall wären etwa die Klienten von Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Notaren ebenso zu schützen wie die Kunden von Fußpflegern, Friseuren etc, was zu einer völlig unüberschaubaren Ausdehnung der Anspruchsberechtigten führen würde. Der Kläger sei auch deshalb nicht schutzbedürftig, weil er direkte Ansprüche gegen seinen Vertragspartner geltend machen könne. Schließlich fehle es an einem fahrlässigen Fehlverhalten der Hausbesorgerin. Es könne nicht verlangt werden, dass sie bei grundsätzlich trockenem Wetter ununterbrochen an Ort und Stelle aufhältig sei.

Hierzu wurde erwogen:

I. Zur vertraglichen Haftung:

1. In Lehre und Rechtsprechung ist heute allgemein anerkannt, dass Schutz- und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis nicht nur zwischen den Vertragsparteien, sondern auch gegenüber bestimmten dritten Personen bestehen, die durch die Vertragserfüllung erkennbar in erhöhtem Maße gefährdet werden und der Interessensphäre eines Vertragspartners angehören (2 Ob 226/05g; Karner in KBB³ § 1295 Rz 19). In diesem Fall erwirbt der Dritte unmittelbare vertragliche Ansprüche gegen den Schuldner (vgl RIS‑Justiz RS0037785), der dann auch gemäß § 1313a ABGB für das Verschulden jener Personen haftet, deren er sich zur Erfüllung bediente (2 Ob 226/05g mwN). Begünstigte Personen in diesem Sinne sind Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung beim Vertragsabschluss vorhersehbar war und die der Vertragspartner entweder erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigte oder an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat, oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist („Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter“; 2 Ob 210/10m mwN; RIS‑Justiz RS0034594; grundlegend F. Bydlinski, Vertragliche Sorgfaltspflichten zugunsten Dritter, JBl 1960, 359 [363]; vgl ferner Karner aaO § 1295 Rz 19). Der begünstigte Personenkreis ist aufgrund einer objektiven Auslegung des Vertrags zu bestimmen (2 Ob 210/10m; RIS‑Justiz RS0017195). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof stets betont, dass zur Hintanhaltung einer uferlosen Ausweitung der Vertragshaftung der Kreis der geschützten Personen eng zu halten ist (vgl 7 Ob 281/04f mwN).

2. Bei einem Bestandvertrag besteht gemäß § 1096 Abs 1 Satz 1 ABGB die Hauptleistungspflicht des Bestandgebers darin, dem Bestandnehmer den bedungenen Gebrauch der Bestandsache zu gewähren und sie in brauchbarem Zustand zu erhalten (vgl RIS‑Justiz RS0020724; Iro in KBB³ § 1096 Rz 1). Die Instandhaltungspflicht des Vermieters umfasst nicht nur das eigentliche Bestandobjekt oder mitgemietete, außerhalb davon gelegene Räumlichkeiten oder Flächen, sondern auch die allgemeinen Teile des Hauses, die der Mieter nach Vertrag oder Verkehrsübung benützen darf (2 Ob 60/08z mwN; RIS‑Justiz RS0106104).

Neben diesen Hauptleistungspflichten treffen den Vermieter als vertragliche Nebenpflichten gegenüber dem Mieter Schutz‑ und Sorgfaltspflichten, vor allem, wenn es um Gefahrenquellen geht, die mit der Beschaffenheit des Bestandobjekts im Zusammenhang stehen. Der Vermieter hat dafür zu sorgen, dass der Mieter durch Gefahrenquellen, die mit dem Bestandobjekt, seiner Beschaffenheit bzw der Art des Gebrauchs zusammenhängen, nicht geschädigt wird (2 Ob 335/97x; 2 Ob 60/08z; 2 Ob 206/08w; RIS‑Justiz RS0020884). Dies umfasst jedenfalls die Verpflichtung des Vermieters, eine Schädigung des Mieters durch unterlassene Erhaltungs‑ und Betreuungsmaßnahmen ‑ wozu in weiterem Sinn auch die Schneeräumung und Streupflicht gehören ‑ an allgemeinen Teilen der Liegenschaft zu verhindern (2 Ob 60/08z mwN). Diese Säuberungs- und Streupflicht wird als vertragliche Nebenpflicht aus § 1096 ABGB abgeleitet (2 Ob 47/07m; 2 Ob 60/08z; RIS‑Justiz RS0021318, RS0023235). Die vertragliche Haftung des Vermieters erstreckt sich daher auf Unfälle des Mieters, die sich auf nicht ordnungsgemäß geräumten oder gestreuten allgemeinen Teilen des Hauses ereigneten, wie zB in Innenhöfen (2 Ob 60/08z mwN). Eine vertragliche Verkehrssicherungspflicht trifft den Vermieter auch insoweit, als er den Zugang zu einem vermieteten Objekt während der gesamten Bestandzeit in einem sicheren Zustand zu erhalten hat (2 Ob 60/08z mwN; Iro aaO § 1096 Rz 15).

3. Der Oberste Gerichtshof vertritt seit der Entscheidung 2 Ob 335/97x = JBl 1998, 655 (zust Dullinger) in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass sich die Nebenpflichten des Vermieters aus dem Bestandvertrag auch auf die zur Hausgemeinschaft des Mieters gehörenden Personen erstrecken, nicht aber auf Personen, die sich in den Mieträumen nur kurzfristig aufhalten, wie Gäste, Lieferanten und Handwerker oder bloße Besucher und zu Besuch weilende Angehörige des Mieters (2 Ob 206/08w mwN; 2 Ob 137/11b; RIS‑Justiz RS0023168; vgl auch Iro aaO § 1096 Rz 15; Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2a § 1295 Rz 31e; Harrer in Schwimann, ABGB³ VI § 1295 Rz 113; zur vergleichbaren deutschen Rechtslage: Jagmann in Staudinger, BGB [2009] § 328 Rn 201; Gottwald in MünchKomm BGB6 [2012]§ 328 Rn 228; Janoschek in Bamberger/Roth, BGB³ [2012] § 328 Rn 70). Die gegenteilige Lehrmeinung von F. Bydlinski (aaO 363) wurde ausdrücklich abgelehnt (2 Ob 216/03h mwN).

Diese Rechtsprechung wurde zuletzt in der Entscheidung 4 Ob 223/10p (obiter) in Frage gestellt. Die Auffassung, dass bloße Besucher von den Schutzwirkungen eines Mietvertrags nicht umfasst seien, stehe in einem „gewissen Spannungsverhältnis“ zum Grundsatz, wonach die Schutzwirkungen eines Vertrags im Allgemeinen solche dritte Personen erfassen, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung bei Vertragsabschluss vorhersehbar war und an denen der eigentliche Vertragspartner ein sichtbares eigenes Interesse hat oder gegenüber denen er offenkundig selbst zur Fürsorge verpflichtet ist. Das scheine auch bei (bloßen) Besuchern zuzutreffen.

In der Entscheidung 2 Ob 137/11b musste auf die vom 4. Senat geäußerten Zweifel nicht näher eingegangen werden, weil in dem zu beurteilenden Anlassfall die Eigenschaft des Geschädigten als „Besucher“ mit vertretbarer Begründung verneint worden war. Es könne ‑ so der 2. Senat ‑ daher auf sich beruhen, ob das Konstrukt des Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter immer weitere Personenkreise (für deren Rechtsschutz im Fall des Winterdienstes die gesetzlichen Regelungen gemäß § 1319a ABGB und § 93 StVO vorgesehen sind) erfassen soll.

4. Im Falle der Miete von Geschäftsräumlichkeiten sind nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs jedenfalls alle Arbeitnehmer geschützt, die dort ihren Dienst verrichten (2 Ob 216/03h; 2 Ob 60/08z; Iro aaO § 1096 Rz 15). Ob dies auch auf die Kunden, Klienten oder Patienten eines Geschäftsraummieters zutrifft, musste bisher noch nicht entschieden werden. Es wurde aber bereits angedeutet, dass die Kurzfristigkeit des Aufenthalts dieser Personen im Bestandobjekt dagegen sprechen könnte (2 Ob 216/03h; vgl auch 7 Ob 281/04f; Reischauer aaO § 1295 Rz 31e; Jagmann aaO § 328 Rn 201; Gottwald aaO§ 328 Rn 229; Janoschek aaO § 328 Rn 70).

5. Die bisherige Rechtsprechung lässt sich somit jedenfalls dahin zusammenfassen, dass nur solche Dritte von den Schutzwirkungen eines Bestandvertrags erfasst sein sollen, die das Bestandobjekt in ähnlicher Intensität und Häufigkeit nutzen, wie der Mieter selbst (vgl auch 7 Ob 151/00g [Pflegeperson]). In ihr kommt ferner zum Ausdruck, dass ein nur kurzfristiger Aufenthalt im Bestandobjekt nicht ausreicht, um die geforderte Nähe zur vertraglich geschuldeten Hauptleistung des Vermieters herzustellen. Daran ist festzuhalten, ist doch zu bedenken, dass die Hauptleistung ‑ wie erörtert ‑ in der Gewährung des ungestörten Gebrauchs des Bestandobjekts zu Wohn- oder Geschäftszwecken liegt. Es entspricht dem Wesen des Bestandvertrags als Dauerschuldverhältnis, dass das Kriterium der Vertragsnähe nicht nur ein räumliches, sondern auch ein zeitliches Element enthält.

Die diesen Aspekt offenbar nicht berücksichtigenden Bedenken, die der 4. Senat in der Entscheidung 4 Ob 223/10p in den Raum gestellt hat, werden vom erkennenden Senat nicht geteilt. Da die obigen Erwägungen für Wohnungs‑ und Geschäftsraummiete gleichermaßen zu gelten haben, bedeutet dies, dass die Kunden, Klienten und Patienten von Geschäftsraummietern ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zur Interessensphäre des Mieters und dessen allfälligen Fürsorgepflicht den kurzfristigen Besuchern von Wohnungsmietern gleichzuhalten sind. Eine andere Beurteilung würde zu einer uferlosen Ausweitung der Vertragshaftung beitragen. Abhilfe ist nicht in der Erfindung immer neuer Anwendungsfälle des erwähnten Konstrukts, sondern in einer gesetzlichen Neuregelung der Gehilfenhaftung zu suchen.

Demnach kann auch der Kläger die vertragliche Haftung der Beklagten nicht in Anspruch nehmen. Auf die weiteren vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfragen ist mangels Entscheidungserheblichkeit nicht weiter einzugehen.

II. Zur deliktischen Haftung:

1. Da die Sturzstelle in einem Innenhof liegt, kommt § 93 Abs 1 StVO als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht (2 Ob 335/97x; 2 Ob 202/00w).

2. Bei einer in einem Innenhof gelegenen Fläche wird im Allgemeinen auch davon ausgegangen, dass kein Weg iSd § 1319a Abs 2 ABGB vorliegt, sofern nicht aufgrund besonderer Umstände das Gegenteil angenommen werden kann (2 Ob 335/97x; 8 Ob 93/04s; 5 Ob 117/07b; RIS‑Justiz RS0109222; Reischauer aaO II/2b § 1319a Rz 3). Derartige Umstände haben die Parteien nicht vorgebracht, sie gehen auch aus den Feststellungen nicht hervor. Das führt dazu, dass auch eine Haftung nach § 1319a ABGB nicht in Frage kommen kann.

3. Es bleibt daher zu prüfen, ob die Beklagte für den Schaden des Klägers wegen einer Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten einzustehen hat (vgl 8 Ob 93/04s; 5 Ob 117/07b; 2 Ob 79/11y):

3.1 Verkehrssicherungspflichten treffen denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann, also jenen, der die Gefahr beherrscht. Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (vgl 2 Ob 79/11y mwN; RIS-Justiz RS0022778, RS0023251, RS0023719). In diesem Sinne hat nach ständiger Rechtsprechung insbesondere derjenige, der auf einem ihm gehörenden oder seiner Verfügung unterstehenden Grund und Boden einen ‑ wenn auch nur auf einen bestimmten Personenkreis beschränkten ‑ Verkehr eröffnet, für die Verkehrssicherung zu sorgen (RIS‑Justiz RS0023355 [T10, T19]).

Der Verkehrssicherungspflichtige kann seinen Sorgfaltspflichten auch dadurch nachkommen, dass er eine andere geeignete Person ‑ sei es einen Gehilfen oder einen eigenverantwortlich Handelnden ‑ mit der Durchführung der erforderlichen Verkehrssicherungmaßnahmen betraut (2 Ob 79/11y mwN). Für den Gehilfen haftet er nur nach § 1315 ABGB (RIS‑Justiz RS0023938), wenn also der eingesetzte Gehilfe für die ihm übertragene Aufgabe ungeeignet war.

3.2 Hier hat das Erstgericht festgestellt, dass sich die für die Betreuung des Innenhofs zuständige Hausbesorgerin ihrer Verantwortung bewusst ist und ihre Aufgaben seit dem Jahr 1994 stets gewissenhaft erfüllte. Unter diesen Umständen ist als erwiesen anzusehen, dass die Hausbesorgerin nicht „untüchtig“ iSd § 1315 ABGB ist. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Unfall des Klägers, selbst wenn der Hausbesorgerin an diesem Tag ausnahmsweise eine Nachlässigkeit unterlaufen wäre (was hier nicht weiter zu überprüfen ist). Die Beklagte haftet somit auch nicht nach § 1315 ABGB.

III. Ergebnis und Kosten:

Da sich der Kläger weder auf eine vertragliche noch auf eine deliktische Anspruchsgrundlage stützen kann, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die neu zu fassende Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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