OGH 2Ob79/11y

OGH2Ob79/11y16.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sol, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Angelika E*****, vertreten durch Hengstschläger Lindner und Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei Sabine L*****, vertreten durch Mag. Gerlach Bachinger, Rechtsanwalt in Traun, wegen 14.957,31 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 7.500 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. März 2011, GZ 3 R 34/11g-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 22. Dezember 2010, GZ 1 Cg 210/09m-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.410,40 EUR (darin 529,40 EUR USt und 1.234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 8. 1. 2008 kam die Klägerin gegen 18:30 Uhr beim Verlassen des im Eigentum der Beklagten stehenden Hauses in dessen auf dem Grundstück gelegenen eisglatten Eingangsbereich zu Sturz. Sie hatte ihre Tochter, eine Schulfreundin der Tochter der Beklagten, abgeholt.

Das Einfamilienhaus ist umzäunt. Vor dem Haus befindet sich ein größerer Vorplatz mit einer Doppelgarage, von dem aus man entweder durch das Garagentor oder durch die Eingangstür, die über einen weiteren (kleineren) Vorplatz erreichbar ist, in das Innere des Hauses gelangt. Die Sturzstelle befand sich auf dem Vorplatz vor der Eingangstür, auf dem Steinplatten aus Gneis polygonal verlegt sind. Die Beklagte bezeichnet diesen Bereich selbst als „heimtückisch“, da er sich teilweise unter Dach befindet und daher trocken ist, teilweise aber auch glatt sein kann. Sie selbst betritt ihr Haus grundsätzlich über die Garage. Die Räumung und Streuung jenes Bereichs, in dem die Klägerin stürzte, übernimmt der Ehemann der Beklagten, wenn dies aufgrund der Witterungsverhältnisse notwendig ist. Dabei wird nicht der gesamte Vorplatz, sondern nur ein Zugangsweg zur Haustür geräumt und gestreut. An Tagen ohne Schneefall wird nicht gestreut.

Am Tag des Unfalls lagen die Temperaturen zwischen -4° und +8° Celsius, es war trocken und sonnig. An den beiden Tagen davor hatte es jedoch gefrierenden Regen, Nebel und Glatteis gegeben. Trotz dieser Witterungsverhältnisse war der Zugangsweg zur Unfallszeit nicht gestreut und deshalb eisig.

Die Klägerin, die wegen der Eisglätte festes Schuhwerk (Einsatzschuhe für Rettungshunde mit dicker, etwas höherer Gummisohle) trug, erlitt bei dem Sturz einen Bruch des Rabenschnabelfortsatzes des rechten Schulterblatts sowie Prellungs- oder Stauchungsverletzungen an beiden Ellenbogen, woraus sich vor allem am rechten Ellenbogengelenk chronische Beschwerden entwickelten. Spätfolgen oder Komplikationen, wie eventuell nachfolgende operative Eingriffe, können nicht mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

Die Klägerin begehrte zuletzt Zahlung von 14.957,31 EUR (Schmerzengeld: 14.600 EUR; „Sachschaden“: 357,31 EUR) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfall. Die Beklagte habe als Hauseigentümerin ihre gesetzliche Pflicht zur Räumung des Wegs von Schnee und Eis verletzt.

Die Beklagte wandte ein, der Unfall sei auf die Unachtsamkeit der Klägerin zurückzuführen. Sie habe sich zur Schneeräumung ihres Ehemanns bedient, sodass sie allenfalls nach § 1315 ABGB hafte. Eine solche Haftung bestehe jedoch nicht, da ihr Ehemann weder ein offenbar untüchtiger noch ein gefährlicher Gehilfe sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei es sich zum Unfallshergang im Wesentlichen auf die eingangs wiedergegebenen, teilweise auch in der rechtlichen Beurteilung enthaltenen Feststellungen stützte.

In rechtlicher Hinsicht erörterte es, für innerhalb eines Privatgrundstücks zum Haus führende Wege gelange § 93 StVO nicht zur Anwendung. Es liege auch kein Weg iSd § 1319a ABGB vor. Die Beklagte, die sich der Gefährlichkeit der Sturzstelle bewusst gewesen sei, hätte jedoch allgemeine Verkehrssicherungspflichten getroffen, weil sie auf ihrem Grundstück einen Zugang zum Haus eröffnet habe. Sie habe gewusst, dass die Klägerin ihr Kind abholen werde, weswegen sie im Hinblick auf die Witterungsverhältnisse an den Tagen davor verpflichtet gewesen wäre, den Zugangsbereich auf Glätte zu kontrollieren und entsprechend zu bestreuen. Sie hätte auch die Möglichkeit gehabt, die Klägerin auf die Gefahr hinzuweisen oder ihr anzubieten, ebenfalls den Weg über die Garage zu nehmen. Der Ehemann der Beklagten sei nicht Besorgungsgehilfe, es liege bloß eine übliche familiäre Arbeitsaufteilung vor. Hinweise auf ein unbedachtes oder leichtfertiges Verhalten der Klägerin lägen nicht vor. Es treffe sie daher kein Mitverschulden.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, dass der Ehemann der Beklagten die Räumung und Streuung des gegenständlichen Bereichs übernommen habe, sodass die Beklagte nur nach § 1315 ABGB hafte. Selbst wenn ihr Ehemann nur familiäre Beistands- und Mitwirkungspflichten wahrgenommen habe, ändere dies nichts daran, dass sich die Beklagte seiner zur Erfüllung der sie treffenden Verkehrssicherungspflicht bedient habe. Ein Abhängigkeitsverhältnis sei nicht erforderlich. Da die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren weder ein der Beklagten vorzuwerfendes Auswahl- oder Überwachungsverschulden noch die Verletzung einer Hinweispflicht behauptet habe, habe die Beklagte für die Sturzfolgen der Klägerin nicht einzustehen. Auf die in der Rechtsrüge behaupteten sekundären Feststellungsmängel im Zusammenhang mit dem eingewendeten Mitverschulden der Klägerin müsse nicht eingegangen werden.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die zwecks Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

Die Klägerin macht geltend, das Berufungsgericht habe den festgestellten Sachverhalt nicht auch nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung geprüft. Es sei allgemein üblich, dass der Ehemann die körperlich anstrengenden Arbeiten übernehme. Bei dieser Form der Arbeitsaufteilung unter Ehegatten, die für einen außenstehenden Dritten nicht abschätzbar sei, komme - wie sich aus einzelnen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs ergebe - auch die Repräsentantenhaftung in Frage. Jedenfalls sei die Beklagte im Sinne der Ausführungen des Erstgerichts selbst verpflichtet gewesen, den Zugangsbereich auf Glätte zu kontrollieren und zu bestreuen. Daraus folge für den Anlassfall auch ein Überwachungsverschulden iSd § 1315 ABGB.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Die Sturzstelle liegt auf einem Zugangsweg innerhalb des Grundstücks der Beklagten, sodass weder § 93 Abs 1 StVO noch § 1319a ABGB als taugliche Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen (vgl 2 Ob 217/08p; RIS-Justiz RS0023322, RS0109222, RS0030061). Dies hat bereits das Erstgericht richtig erkannt und wird in der Revision nicht mehr in Frage gestellt. Da zwischen den Streitteilen auch kein Vertragsverhältnis bestand, bleibt zu prüfen, ob die Beklagte für den Schaden der Klägerin wegen Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten deliktisch haftet.

2. Verkehrssicherungspflichten treffen denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann, also jenen, der die Gefahr beherrscht. Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (vgl 2 Ob 89/07p mwN; RIS-Justiz RS0023251, RS0022778, RS0023719). In diesem Sinne hat nach ständiger Rechtsprechung insbesondere derjenige, der auf einem ihm gehörenden oder seiner Verfügung unterstehenden Grund und Boden einen - wenn auch nur auf einen bestimmten Personenkreis beschränkten - Verkehr eröffnet, für die Verkehrssicherung zu sorgen (RIS-Justiz RS0023355 [T10, T19]).

Das Ausmaß der Verkehrssicherungspflicht orientiert sich an der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen (RIS-Justiz RS0023397). Der Verkehrssicherungspflichtige hat die verkehrsübliche Aufmerksamkeit anzuwenden und die notwendige Sorgfalt zu beachten, wenn auch die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden darf (RIS-Justiz RS0023487). Er kann seinen Sorgfaltspflichten auch dadurch nachkommen, dass er eine andere geeignete Person (sei es einen Gehilfen oder einen eigenverantwortlich Handelnden) mit der Durchführung der erforderlichen Verkehrssicherungmaßnahmen betraut, wobei dann - wenn die Gehilfenhaftung nach § 1315 ABGB nicht zum Tragen kommt - eine Haftung nur für eigenes Verschulden besteht (vgl 1 Ob 121/08p; auch 2 Ob 217/08p mwN; RIS-Justiz RS0023841, RS0030159).

Der Verkehrssicherungspflichtige hat zu beweisen, dass er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich diese Pflicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder aus einem Vertrag ergibt (RIS-Justiz RS0022476).

3. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist davon auszugehen, dass die Beklagte um die grundsätzliche Gefährlichkeit der Sturzstelle Bescheid wusste, die sie selbst mied und als „heimtückisch“ bezeichnete. Darauf, dass diese Stelle am Unfallstag gestreut sein würde, durfte sie nicht vertrauen, steht doch fest, dass ihr Ehemann an Tagen ohne Schneefall (generell) nicht streut, obwohl es auch an solchen Tagen eisig sein kann. Dass ihr dies verborgen geblieben wäre, hat die Beklagte nicht einmal behauptet. Den ihr obliegenden Beweis für die regelmäßige und zuverlässige Betreuung der Sturzstelle hat sie somit nicht erbracht.

Unter diesen Umständen wäre die Beklagte ungeachtet der familieninternen Aufgabenverteilung dazu verpflichtet gewesen, im Hinblick auf die prekären Witterungsbedingungen und den erwarteten Besuch der Klägerin den Eingangsbereich zu kontrollieren und für dessen gefahrlose Begehbarkeit zu sorgen, zumindest aber die Klägerin vor der Gefahr zu warnen und ihr den - ungefährlicheren - Weg über das Garagentor zu offerieren. Dass sie diese ihr zumutbaren Maßnahmen unterlassen hat, begründet ihre Haftung wegen schuldhafter Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.

Da die Beklagte für ihr eigenes Fehlverhalten einzustehen hat, kann die Frage auf sich beruhen, ob ihr Ehemann als Besorgungsgehilfe zu qualifizieren wäre. Auch auf die in der Revision relevierten Fragen der Repräsentantenhaftung ist nicht weiter einzugehen.

4. Der in diesem Zusammenhang geäußerten Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe kein ausreichendes Vorbringen erstattet, ist nicht zu folgen. Die Klägerin hat sich vielmehr in der Klage ganz allgemein auf die Verletzung der die Beklagte als Hauseigentümerin treffende „gesetzliche Pflicht“ zur Räumung des Wegs von Schnee und Eis gestützt. Darunter sind im Zweifel sämtliche in Betracht kommende Pflichten zu verstehen. Auch eine Beschränkung auf einen bestimmten Rechtsgrund ist aus dem Prozessvorbringen der Klägerin nicht ableitbar (vgl 2 Ob 217/08p mwN).

5. Unbedenklich ist schließlich auch die erstinstanzliche Verneinung eines Mitverschuldens der Klägerin. Das Erstgericht hat klar zum Ausdruck gebracht, dass für ein unbedachtes oder leichtfertiges Verhalten der Klägerin keine Hinweise bestünden. Bei dieser Sachlage ist aber der Klägerin keine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorwerfbar (vgl 2 Ob 86/06w). Der in der Revisionsbeantwortung gerügte Feststellungsmangel liegt nicht vor.

Die Schadenshöhe ist in dritter Instanz nicht mehr strittig.

6. Aus den dargelegten Erwägungen ist in Stattgebung der Revision das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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