OGH 3Ob45/12g

OGH3Ob45/12g18.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Mag. Karl Komann, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei C*****, vertreten durch Dr. Karl‑Heinz Kramer, Dr. Norbert P. Tischitz, Rechtsanwälte in Villach, wegen 11.998 EUR sA (Revisionsinteresse 8.998 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 5. Oktober 2011, GZ 5 R 109/11f‑35, womit über die Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 5. Mai 2011, GZ 26 Cg 215/08a‑27, bestätigt wurde,

I. zu Recht erkannt:

Der Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung eines Begehrens von 2.828 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. Dezember 2007 richtet, nicht Folge gegeben und die Urteile der Vorinstanzen in diesem Umfang als Teilurteil bestätigt, das insgesamt ‑ einschließlich der in Rechtskraft erwachsenen Teile ‑ zu lauten hat wie folgt:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 3.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. 12. 2007 zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 2.828 EUR samt 8 % Zinsen seit 18. 12. 2007 zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren 4 % Zinsen aus 9.170 EUR seit 18. 12. 2007 wird abgewiesen.

4. Die Entscheidung über die auf die Fällung des Teilurteils entfallenden Verfahrenskosten wird vorbehalten.“

II. den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Im Übrigen, somit in Ansehung der Abweisung eines Begehrens von 6.170 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. Dezember 2007 wird der Revision Folge gegeben, die Urteile der Vorinstanzen werden in diesem Umfang sowie im Umfang der Kostenentscheidung aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von etwa Juni 2007 bis April 2009 in einem in Villach gelegenen Nachtclub mit Bordellbetrieb beschäftigt. Er hatte die Aufgabe, den Gästen Getränke zu servieren und zu kassieren. Er nahm auch die für die im Betrieb als freie Mitarbeiterinnen beschäftigten Prostituierten und die für die Bereitstellung von Zimmern im Nachtclubbetrieb verrechneten Beträge entgegen. Grundsätzlich bezahlen die Gäste die Getränke bar. Die „Mädchenstunden“ werden aufgeschrieben und dem Gast bei Verlassen des Lokals verrechnet. Mit den Mädchen wird am nächsten Tag abgerechnet. Um sicherzustellen, dass die Mädchen ihr Geld bekommen, verfügt der jeweilige Kellner auch über Bargeld in Höhe von etwa 5.000 EUR, um diese Zahlungen leisten zu können.

Gewisse Stammgäste dürfen etwas schuldig bleiben. Lässt ein Gast seine Konsumation oder die „Mädchendienstleistungen“ anschreiben, werden Schuldzettel mit genauer Aufschlüsselung der Konsumation ausgestellt. Diese Zetteln unterschreiben die Gäste grundsätzlich. Bei späterer Bezahlung des offenen Betrags werden sie zerrissen.

Im Sommer 2007 besuchte der Beklagte erstmals den Nachtclub. Er bezahlte einen kleineren Betrag mit der Bankomatkarte seiner Mutter. Ab diesem Zeitpunkt suchte er das Lokal regelmäßig auf, leistete sich Zimmerstunden und lud auch regelmäßig sowohl den Kläger als auch andere Gäste und Mädchen auf Getränke ein. Nach kurzer Zeit wussten die Mädchen schon, dass der Beklagte ein großzügiger Gast ist und ihnen Sekt bezahlt. Der Beklagte begann zumeist mit einem Bier und stieg dann auf Bacardi‑Cola um. Er rauchte Marlboro rot oder Zigarillos, wobei er die Rauchwaren auch im Nachtclub kaufte. Wenn der Beklagte angetrunken war, ging er mit den Mädchen auf das Zimmer, wobei er ein Mädchen bevorzugte. Zumeist waren es gleich zwei Stunden. Danach kam er wieder an die Bar und tätigte weitere Bestellungen. Ab und zu ging er daraufhin nochmals mit einem Mädchen auf das Zimmer.

Mit der Zeit entstand zwischen dem Kläger und dem Beklagten ein Vertrauensverhältnis. Bei seinen Besuchen hatte der Beklagte selten Bargeld bei sich. Er ließ seine Konsumationen deshalb vom Kläger aufschreiben, wofür der Kläger gutstand. Der Beklagte hinterließ meistens die Bankomatkarte seiner Mutter und kam dann innerhalb der nächsten zwei bis drei Tage ab Lokalöffnung gegen 17 Uhr, um seine Schulden zu begleichen. Das erste Mal ließ er einen Betrag von 1.500 EUR aufschreiben. Die höchste angeschriebene offene Rechnungssumme betrug 6.800 EUR, die der Beklagte aber nachträglich zahlte.

Bei seinen Besuchen am 17. Dezember 2007 und am 23. Dezember 2007 bezahlte der Beklagte seine Schulden nicht. Er sagte dem Kläger, dass seine Mutter im Krankenhaus liege und er warten müsse, bis sie wieder entlassen werde. Deshalb ließ er am 17. Dezember 2007 1.806 EUR und am 23. Dezember 2007 1.658 EUR aufschreiben. Um die Mädchen trotzdem bezahlen zu können, verwendete der Kläger Geld von der Kassa des Bordellbetriebs.

Am 29. Jänner 2008 wurde die Bankomatkarte der Mutter des Klägers gesperrt. Nachdem der Beklagte am 5. Februar 2008 die Kosten für seine Konsumation und „Mädchendienstleistungen“ in Höhe von 2.593 EUR wieder nicht bezahlt hatte, wurde der Kläger von seinem Dienstgeber gerügt, weil ein so hoher Betrag offen war. Da der Kläger der Meinung war, dass der Beklagte seine Schulden bestimmt noch zahlen werde, ließ er ihn auch am 11. Februar 2008 3.750 EUR aufschreiben. Am 17. Februar 2008 kam der Beklagte wieder in den Nachtclub und fragte den Kläger gleich zu Beginn, ob er seine Konsumation noch einmal aufschreiben lassen könne. Da der Kläger dies nicht mehr verantworten konnte, verwies er ihn auf den Eigentümer und Verpächter des Nachtlokals. Nachdem der Beklagte diesem versicherte, dass er seine Schulden bis Anfang März begleichen würde, konnte er nochmals einen Betrag in Höhe von 2.154 EUR aufschreiben. Nach diesem Besuch betrugen die Gesamtschulden somit 11.998 EUR. Darauf entfielen nach einem Vermerk des Klägers 5.528 EUR (richtig: 5.828 EUR) für Konsumationen und 6.170 EUR für „Mädchendienstleistungen“. Wie hoch die Konsumation (gemeint: der Getränke und des Tabaks) tatsächlich war, erachtete das Erstgericht, nicht feststellen zu können. Es ging ‑ unter Anwendung des § 273 ZPO ‑ von einer Rechnungssumme im Bereich von 3.000 EUR aus.

Die ersten vier Schuldzettel schrieb der Kläger; den fünften Schuldzettel vom 17. Februar 2008 verfasste der damalige Barkeeper des Nachtclubs. Der Beklagte unterschrieb die Schuldzettel nicht.

Der Nachtclubbetreiber war an der Bereinigung der Situation interessiert. Er traf mit dem Kläger eine mündliche Vereinbarung, worin der Kläger sich verpflichtete, mittels Ratenzahlung die offene Summe aus seiner eigenen Tasche zu begleichen. Am 29. Mai 2008 wurde eine Abtretungsvereinbarung zwischen dem Kläger und dem Nachtclubbetreiber getroffen. Der Kläger zahlte in der Folge den gesamten rechnerisch offenen Betrag von 11.998 EUR.

Der Kläger begehrt Zahlung von insgesamt 11.998 EUR samt 8 % Zinsen seit 18. Dezember 2007. Der Beklagte habe an insgesamt fünf näher bezeichneten Tagen zwischen Dezember 2007 und Februar 2008 Getränke in Höhe von 5.828 EUR und „Mädchendienstleistungen“ in Höhe von 6.170 EUR nicht bezahlt. Aufgrund des bestehenden Vertrauensverhältnisses habe er dem Beklagten, der in der Vergangenheit immer verlässlich bezahlt habe, im Nachtclub „anschreiben“ lassen. Trotz Zusicherung, die offenen Beträge kurzfristig zu leisten, habe der Beklagte keine Zahlung geleistet. Am 17. Februar habe er dem Eigentümer des Nachtclubs gegenüber den offenen Saldo ausdrücklich anerkannt. In der Folge habe der Kläger die Forderung des Nachtclubbetreibers in Höhe des Klagebegehrens bezahlt und die Forderung somit eingelöst. Er habe auch eine entsprechende Abtretungsvereinbarung geschlossen. Der Kläger sei daher zur Geltendmachung der auf ihn übergegangenen Forderung legitimiert.

Der Beklagte wendet ein, er habe an keinem der vom Kläger bezeichneten Tage den Nachtclub aufgesucht. Bei seinen Besuchen im Lokal habe er sämtliche Leistungen bar bezahlt. Als Notstandshilfebezieher hätte er sich Konsumationen in der verzeichneten Höhe nicht leisten können. „Mädchendienste“ habe er nur für maximal eine Stunde zu einem Stundensatz von 275 EUR in Anspruch genommen. Auch hier sei die Bezahlung jeweils sofort erfolgt. Im Übrigen bestehe das Klagebegehren in diesem Umfang wegen Sittenwidrigkeit nicht zu Recht: Entgeltforderungen für sexuelle Handlungen begründeten einen Verstoß gegen die Sittlichkeit. Mit dem Kläger sei der Beklagte in keinem Vertragsverhältnis gestanden. Vertragspartner sei ausschließlich der Nachtclubbetreiber gewesen. Der Kläger, dem der Anspruch nie wirksam zediert worden sei, sei daher aktiv nicht legitimiert.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 3.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. Dezember 2007 und wies das Mehrbegehren über 8.998 EUR sowie das Zinsenmehrbegehren ab.

Es traf die eingangs wiedergegebenen Sachverhaltsfeststellungen und erachtete rechtlich zusammengefasst, dass der Kläger, der die Forderung des Nachtclubbetreibers eingelöst habe, gemäß § 1422 ABGB zur Geltendmachung aufgrund der Abtretungsvereinbarung vom 29. Mai 2008 legitimiert sei. Für die konsumierten Getränke sei unter Anwendung des § 273 ZPO ein Betrag von 3.000 EUR festzusetzen. In diesem Umfang sei das Klagebegehren berechtigt.

Hingegen gebühre der für die Inanspruchnahme von Prostituiertenleistungen begehrte Betrag nicht; insoweit sei die Vereinbarung sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB. Im konkreten Fall sei dem Beklagten im Umfang der in Anspruch genommenen Leistungen ein Darlehen gewährt worden. Die Gewährung eines Darlehens für die Inanspruchnahme sexueller Leistungen gegen Entgelt bewirke lediglich eine Naturalobligation.

Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen ‑ die das Ersturteil insgesamt zur Gänze bekämpften ‑ nicht Folge und änderte seinen Zulässigkeitsausspruch nachträglich dahin ab, dass es aussprach, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rechtsfrage bestehe, ob die Gewährung des Geschlechtsverkehrs gegen Entgelt eine einklagbare schuldrechtliche Verpflichtung begründe. Die Vorentscheidung, auf die sich das Berufungsgericht gestützt habe, datiere aus dem Jahr 1989.

Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen, billigte das Vorgehen des Erstgerichts nach § 273 ZPO in Ansehung der Rechnungssumme über die vom Beklagten im Lokal konsumierten Getränke und billigte im Übrigen auch die Rechtsmeinung des Erstgerichts. Der Einwand des Klägers, dass dem Klageanspruch ein für die Prostituiertenleistungen gegebenes Darlehen zugrunde liege, gehe schon deshalb ins Leere, weil neben dem Vertrag über die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt auch alle Verträge sittenwidrig seien, die eine Teilnahme am Profit kommerzieller Ausbeutung der Sexualität bezweckten.

Gegen die Abweisung des Zahlungsbegehrens von 8.998 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. Dezember 2007 (die Abweisung des Zinsenmehrbegehrens ist ebenso in Rechtskraft erwachsen wie der Zuspruch eines Betrags von 3.000 EUR) wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch teilweise im Sinne des Eventualantrags auf Aufhebung berechtigt.

In der Revision verweist der Kläger zusammengefasst darauf, dass weder nach heutigen Moralvorstellungen noch mit der „Wirklichkeit“ die Auffassung in Einklang zu bringen sei, dass alle Verträge sittenwidrig seien, die eine Teilnahme am Profit kommerzieller Ausbeutung der Sexualität bezweckten. Gewichtige Stimmen in der Lehre übten Kritik an der Entscheidung 3 Ob 516/89, auf die sich das Berufungsgericht gestützt habe.

Der Beklagte hält dem in seiner Revisionsbeantwortung entgegen, dass die Nichtigkeitssanktion auch den konkreten Schutz desjenigen bezwecke, der Prostitutionsdienstleistungen in Anspruch nehme.

Dazu wurde erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden hat, die für die Revisionszulässigkeit maßgebliche Grenze von 5.000 EUR übersteigt:

1.1 Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision sind verschiedene Forderungen (hier: Getränkekonsumation und „Mädchendienstleistungen“ an fünf verschiedenen Tagen) gemäß § 55 Abs 1 JN dann zusammenzurechnen, wenn zwischen diesen Forderungen ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht. Dabei ist vom Vorbringen des Klägers auszugehen (RIS‑Justiz RS0042741).

1.2 Ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn jeder der mehreren Ansprüche für sich und unabhängig von den anderen nicht bestehen kann oder wenn die Forderungen aus einer gemeinsamen Tatsache oder aus einem gemeinsamen Rechtsgrund entstanden sind (RIS‑Justiz RS0037905; RS0042741 [T2]).

1.3 Bei Zession von Einzelforderungen an einen Kläger ist maßgeblich, ob die einzelnen Forderungen ihrerseits zusammenzurechnen sind (5 Ob 548/95 mwN).

1.4 Hier stützt der Kläger sein Klagebegehren ua auf ein Anerkenntnis des Beklagten in Verbindung mit der Einlösung dieser dem Nachtclubbetreiber zustehenden Forderung durch den Kläger. Der Kläger behauptet somit einen gemeinsamen Rechtsgrund der dem Klagebegehren zugrundeliegenden Einzelforderungen. Daher sind die einzelnen Forderungen iSd § 55 Abs 1 JN zusammenzurechnen.

2. Inhaltlich beschäftigt sich die Revision ausschließlich mit der Abweisung des Klagebegehrens für in Anspruch genommene Prostitutionsleistungen, nicht aber mit der ‑ vom Berufungsgericht bestätigten ‑ Abweisung eines Mehrbegehrens für Getränkekonsumationen in Höhe von 2.828 EUR. Insoweit war daher das Urteil des Berufungsgerichts ‑ das im Umfang der Abweisung des Zinsenmehrbegehrens und des Zuspruchs von 3.000 EUR für Getränkekonsumation in Rechtskraft erwachsen ist ‑ als Teilurteil zu bestätigen.

3. Der Beklagte zieht in seiner Revisionsbeantwortung ‑ zutreffend ‑ die Legitimation des Klägers, der nach den erstgerichtlichen Feststellungen den Klagebetrag an den Nachtclubbetreiber zahlte, nicht mehr in Zweifel. Im Hinblick auf die festgestellte Abtretungsvereinbarung bedarf es keiner Auseinandersetzung damit, ob der Kläger für die Schuld des Beklagten persönlich haftete und damit § 1358 ABGB anwendbar ist oder ob er die Forderung iSd § 1422 ABGB einlöste.

4. Es ist daher die ‑ verfahrensentscheidende - Frage zu prüfen, ob einem Zuspruch des Klagebegehrens in Höhe von 6.170 EUR Sittenwidrigkeit iSd § 879 Abs 1 ABGB entgegensteht.

4.1 Verfahrensgegenstand ist nicht der Entgeltanspruch der Prostituierten für erbrachte sexuelle Handlungen: Die im Bordellbetrieb des Nachtclubbetreibers tätigen Prostituierten stehen vielmehr nur mit diesem als freie Mitarbeiterinnen in Vertragsbeziehung, der seinerseits mit den Kunden ‑ so auch dem Beklagten ‑ Vertragsverhältnisse begründet. Zu beurteilen ist daher das Vertragsverhältnis zwischen dem Bordellbetreiber und dem Kunden.

4.2 Ebenfalls klarzustellen ist, dass weder der Kläger noch der Nachtclubbetreiber mit dem Beklagten ‑ wie vom Kläger noch in der Berufung behauptet ‑ eine „Darlehensvereinbarung“ schloss. Vielmehr wurden dem Beklagten vom Kläger, der dabei in Vertretung des Nachtclubbetreibers handelte, Beträge für konsumierte Leistungen gestundet. Das in erster Instanz vom Kläger behauptete Anerkenntnis liegt nach den Feststellungen nicht vor.

4.3 Ein generelles gesetzliches Verbot der Prostitution besteht in Österreich ebenso wenig wie ein Verbot des Bordellbetriebs. So regeln die einschlägigen Landesgesetze ‑ im Anlassfall sind jene des Kärntner Prostitutionsgesetzes maßgebend ‑ unter welchen Bedingungen nach verwaltungsbehördlichen Gesichtspunkten ein Bordell betrieben werden darf.

Anders als in Deutschland, dessen am 1. Jänner 2002 in Kraft getretenes Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostitution (ProstG) ausdrücklich in § 1 Satz 1 bestimmt, dass bei Vornahme sexueller Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt diese Vereinbarung eine rechtswirksame Forderung begründet, existieren in Österreich jedoch keine vergleichbaren Vorschriften, die eine Aussage über die zivilrechtliche Wirksamkeit einer entsprechenden Entgeltvereinbarung beinhalten.

4.4 Die österreichische höchstgerichtliche Rechtsprechung enthält zu der hier interessierenden Frage folgende Aussagen:

4.4.1 Mit der Entscheidung 3 Ob 516/89 SZ 62/123 sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass ein Vertrag über die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt ebenso sittenwidrig sei wie Verträge, die eine Teilnahme am Profit kommerzieller Ausbeutung der Sexualität bezweckten (dort: Benützung einer Sauna, um die geschlechtliche Hingabe einer Prostituierten zu ermöglichen). Dabei wurde argumentiert, dass im Zusammenhang mit der Prostitution häufig der Leichtsinn, die Unerfahrenheit, die Triebhaftigkeit und die Trunkenheit von Personen ausgenützt werde. Wenn auch im Einzelfall diese Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt seien, mache schon die Gefahr der Ausnützung schutzwürdiger Personen solche Verträge bedenklich. Die Prostitution stelle eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes und eine Gefahr für familienrechtliche Institutionen dar.

4.4.2 In der Entscheidung 2 Ob 62/81 SZ 54/70 wurde erkannt, dass der Verdienstentgang einer Prostituierten nach den Grundsätzen des Schadenersatzrechts zu bemessen sei. Ob der Vertrag zwischen der Prostituierten und ihrem Kunden gegen die guten Sitten iSd § 879 ABGB verstoße, sei für die Entscheidung, ob der Prostituierten gegen einen Dritten ein Verdienstentgangsanspruch zustehe, ohne Bedeutung. Auf diese Frage wurde daher in der genannten Entscheidung nicht eingegangen.

4.4.3 Mit der Entscheidung 4 Ob 78/93 wurde einer registrierten Prostituierten ein Anspruch gegen zwei Prostituierte, gerichtet auf Unterlassung der Straßenprostitution, mit der Begründung zuerkannt, dass die Klägerin eine erlaubte Tätigkeit ausübe und demnach durch das Wettbewerbsrecht gegen unlautere Mitbewerber geschützt sei. Die Frage der Sittenwidrigkeit des Vertrags zwischen dem Kunden und der Prostituierten müsse nicht beantwortet werden.

4.4.4 Schließlich erachtete der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 1 Ob 244/02t, das gewichtige Gründe dafür sprächen, die Sittenwidrigkeit von Verträgen über „Telefonsex“ zu verneinen: Zwar existiere in Österreich keine dem mittlerweile in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getretenen Prostitutionsgesetz vergleichbare gesetzliche Regelung. Es sei jedoch der Wandel der Moralvorstellungen und die Tatsache hervorzuheben, dass bei Telefonsexdienstleistungen kein körperlicher Kontakt hergestellt und nicht der Intimbereich der Anbieterin zur Ware degradiert werde, sondern diese lediglich eine davon losgelöste „stimmlich darstellerische“ Leistung schulde.

4.4.5 In 2 Ob 23/03a wurde in Fortführung dieser Überlegungen die Sittenwidrigkeit von Verträgen über Telefonsexdienstleistungen verneint, wobei darauf verwiesen wurde, dass nicht alles, was als unmoralisch empfunden werde, deshalb schon sittenwidrig iSd § 879 ABGB und damit nichtig sei. Möge auch der Abschluss von solchen Verträgen moralisch bedenklich sein, so gehe die Missbilligung der Kommerzialisierung des Sexualtriebs nicht soweit, dass aus der Rechtsordnung ablesbare Wertungsgesichtspunkte gebieten würden, solche Vertragsabschlüsse als unter Nichtigkeitssanktion (mit Entgeltverlust) stehend zu qualifizieren. „Telefonsexverträge“ seien somit nicht generell sittenwidrig iSd § 879 ABGB, weshalb für die Inanspruchnahme solcher Dienste grundsätzlich das hiefür vorweg bekanntgegebene (und in der Regel schlüssig vereinbarte) Entgelt zu entrichten sei.

4.5 Während Krejci (in Rummel³ [2000] § 879 Rz 77 f) die Entscheidung 3 Ob 516/89 billigt (die Rechtsprechung lediglich referierend Apathy/Riedler in Schwimann³ [2006] § 879 Rz 11 und Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I13 180) stellt Gschnitzer (in Klang IV/1² 191 f) bereits 1968 in Frage, ob reglementierte Prostitution unter § 879 ABGB falle. Er bezweifelt, dass durch Bejahung der Sittenwidrigkeit etwas gewonnen sei und ob nicht vielmehr dadurch „zum unsittlichen Gewerbe noch unsittliche Ausbeutung“ hinzutrete.

K. Weitzenböck (Die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt, JAP 1990, 14) gelangt in kritischer Auseinandersetzung mit der Entscheidung 3 Ob 516/89 zum Ergebnis, dass zwar aus dem Grundrecht der sexuellen Selbstbestimmung abgeleitet werden müsse, dass eine vertragliche Verpflichtung zum sexuellen Verkehr nicht möglich sei. Dafür sei nicht ausschlaggebend, dass die Handlung selbst unsittlich sei, sondern dass der Zwang (als Eingriff in die Intimsphäre und die grundrechtlich gewährleistete körperliche Integrität) an sich verboten sei. Nur der Betroffene selbst habe das Recht, über seinen Körper zu verfügen. Er habe damit aber auch das Recht, eine einmal getroffene Entscheidung jederzeit zu widerrufen. Es biete sich das Rechtsinstitut der einseitigen Naturalobligation an: die Prostituierte sei zwar nicht verpflichtet, zu leisten; tue sie es aber, so könne sie das Entgelt für diese Leistung einklagen.

Auch Graf (in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.00 § 879 Rz 87) hält die Begründung der Entscheidung 3 Ob 516/89 nicht für überzeugend und erachtet einen besonderen, über § 879 Abs 2 Z 4 ABGB hinausgehenden Schutz des Kunden als Fiktion. Was den Schutz der Prostituierten betreffe, sei es offenkundig, dass diesen die Verweigerung eines Zahlungsanspruchs nicht diene, sondern ganz im Gegenteil hiedurch eine zusätzliche Möglichkeit zur Ausbeutung eröffnet werde.

4.6 Aus folgenden Überlegungen sieht sich der Senat veranlasst, von der in 3 Ob 516/89 vertretenen Auffassung abzugehen:

4.6.1 Die guten Sitten sind der Inbegriff der zwar im Gesetz nicht ausdrücklich normierten, sich aber aus der Gesamtbetrachtung der rechtlichen Interessen ergebenden Rechte. Dabei sind die Wertentscheidung und Grundprinzipien der Rechtsordnung für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit maßgebend (1 Ob 562/92 SZ 65/76; RIS‑Justiz RS0022864). Der Maßstab zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit muss daher aus der Rechtsordnung selbst gewonnen werden; dem entspricht die Aussage, die guten Sitten seien mit dem ungeschriebenen Recht gleichzusetzen (RIS‑Justiz RS0022866). Zwar wird auch vertreten, dass beim Verständnis der guten Sitten allgemein anerkannte Moralvorstellungen zu berücksichtigen seien (Apathy/Riedler in Schwimann³ IV § 879 Rz 8; RIS‑Justiz RS0022866). Das gilt allerdings mit der Einschränkung, dass Moralvorstellungen nur insoweit relevant sind, als sie in der Rechtsordnung Niederschlag gefunden haben (Graf in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.00 § 879 Rz 62; vgl auch Krejci in Rummel³ § 879 Rz 56 und 2 Ob 23/03a).

4.6.2 Bedenklich an allen Verträgen, die eine Vereinbarung der Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung gegen Entgelt vorsehen, ist die Überlegung, dass eine klagbare schuldrechtliche Verpflichtung zu sexuellen Handlungen mit dem durch Art 8 EMRK garantiertem Recht auf Achtung der sexuellen Selbstbestimmung (vgl dazu Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5 [2012] 230) in Widerspruch stünde (K. Weitzenböck, JAP 1990, 18). Die im Kern unverzichtbare Menschenwürde der Prostituierten wird allerdings auch dadurch gewahrt, dass ihre Bereitschaft zu sexuellen Handlungen widerruflich bleibt. Dem entspricht die Ausgestaltung des Vertrags in § 1 dProstG als einseitig verpflichtender Vertrag: Dem Kunden steht kein Anspruch auf Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung zu; wurde die Handlung mit vorheriger (zumindest schlüssiger) Entgeltabrede jedoch vorgenommen, besteht ein Entgeltanspruch der Prostituierten (Ambrüster in Münchener Kommentar6 [2012] § 1 ProstG Rz 7).

4.6.3 Eines weitergehenden Schutzes bedarf die Prostituierte in diesem Zusammenhang nicht: Ganz im Gegenteil würde die Nichtigkeitssanktion in Bezug auf den gesamten Vertrag die Position der Prostituierten schwächen und ihre Ausbeutung ermöglichen (Graf in Kletečka/Schauer, ABGB ON 1.00 § 879 Rz 87; vgl auch der Hinweis auf die „unsittliche Ausbeutung“ bei Gschnitzer in Klang IV/1² 191 f).

4.6.4 Schließlich ist aber auch ein über § 879 Abs 2 Z 4 ABGB hinausgehendes Schutzbedürfnis des Kunden nicht erkennbar: Liegen die dort genannten Voraussetzungen vor, ist der Vertrag ohnedies nichtig. Es mag zutreffen, wie die Revisionsbeantwortung hervorhebt, dass Kunden von Prostituierten häufiger als andere Vertragsschließende leichtsinnig handeln oder unter Alkoholeinfluss stehen. Das lässt aber noch nicht den generalisierenden Schluss zu, dass jeder Kunde eines über § 879 Abs 2 Z 4 ABGB hinausgehenden Schutzes bedürfte. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass ein entsprechender Vertrag nach den Umständen des Einzelfalls auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB (teil‑)nichtig sein könnte, etwa weil ein Gesamteindruck der konkreten Vertragsgestaltung eine grobe Verletzung von Interessen des Kunden ‑ zB im Zusammenhang mit der Entgeltabrede ‑ erkennen lässt (RIS‑Justiz RS0113653). Hier hat sich der Beklagte jedoch nur auf die generelle Sittenwidrigkeit, nicht aber auf besondere, seine Situation betreffende Umstände berufen.

4.6.5 Die Sittenwidrigkeit könnte daher im Anlassfall nur wegen allgemeiner Moralvorstellungen, die im geltenden Recht Niederschlag gefunden haben (vgl 4.6.1), bejaht werden. Berücksichtigt man allerdings, dass die Prostitution in Österreich nicht nur nicht verboten ist, sondern landesgesetzliche Vorschriften eingehend die Rahmenbedingungen für die Ausübung der Prostitution und des Bordellbetriebs regeln, lassen sich aus dem geltenden Recht keine Rückschlüsse auf für das Sittenwidrigkeitsurteil gemäß § 879 Abs 1 ABGB maßgebliche Moralvorstellungen ziehen. Nicht alles, was als potentielle Gefahr für familienrechtliche Institutionen (vgl dazu K. Weitzenböck, JAP 1990, 16) oder als unmoralisch empfunden wird, ist deshalb schon iSd § 879 Abs 1 ABGB sittenwidrig und damit nichtig (2 Ob 23/03a).

4.6.6 Diese Überlegungen gelten auch für das Vertragsverhältnis zwischen dem Nachtclub‑(bordell‑)be-treiber und dem Beklagten: Kann für die Ausübung der „klassischen“ Prostitution wirksam ein Entgeltanspruch begründet werden, gilt das auch für den Vertrag zwischen Bordellbetreiber und Kunden, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung erfordern (vgl dazu Armbrüster in Münchener Kommentar6 § 1 ProstG Rz 23, der davon ausgeht, dass Verträge mit Dritten zwar nicht unter das ProstG fielen, die Wertentscheidung, dass der Prostitutionsvertrag selbst nicht nichtig sei, aber auch diese Vertragsverhältnisse erfasse; ebenso BGH III ZR 102/07 zu Telefonsexdienstleitungen).

4.6.7 Daraus folgt zusammengefasst:

Die Vereinbarung zwischen einer Prostituierten und ihrem Kunden ist nicht generell sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB. Ein klagbarer Anspruch auf Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung besteht nicht. Wurde die sexuelle Handlung gegen vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen oder geduldet, so begründet diese Vereinbarung eine klagbare Entgeltforderung. Dieser Grundsatz gilt auch im Verhältnis zwischen Bordellbetreiber und Kunden.

5. Das Erstgericht hat sich mit der ‑ vom Beklagten ausdrücklich bestrittenen ‑ Höhe der „Mädchendienstleistungen“ nur am Rande befasst: Konkrete Feststellungen, welche Dienste der Beklagte in diesem Zusammenhang jeweils in Anspruch genommen hat, fehlen. Lediglich in der Beweiswürdigung erachtete das Erstgericht ‑ ohne dass sich diese Beweiswürdigung jedoch auf konkrete Feststellungen bezieht ‑ die Prozessbehauptungen des Klägers, der Beklagte sei sowohl am 5. Februar 2008 als auch am 17. Februar 2008 jeweils fünf Stunden mit einem Mädchen im Zimmer gewesen, als der Lebenserfahrung widersprechend. Diese Überlegungen des Erstgerichts zur Beweiswürdigung hat der Kläger zwar in seiner Berufung gerügt. Da allerdings ohnedies zum gesamten Komplex der vom Beklagten in Anspruch genommenen Prostituiertenleistungen Feststellungen fehlen, muss wegen dieser dem Ersturteil anhaftenden Feststellungsmängel eine Aufhebung in die erste Instanz erfolgen. Das Erstgericht wird zu diesem Thema ‑ allenfalls nach Ergänzung des Beweisverfahrens ‑ konkrete Feststellungen zu treffen haben.

6. Der Kostenvorbehalt gründet sich sowohl in Ansehung der Kosten des Teilurteils als auch in Ansehung der Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf § 52 ZPO.

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