OGH 2Ob62/81

OGH2Ob62/8112.5.1981

SZ 54/70

Normen

ABGB §879
ABGB §1325
ABGB §879
ABGB §1325

 

Spruch:

Der Verdienstentgang einer Prostituierten ist ein nach den Grundsätzen des Schadenersatzrechtes zu ersetzender Schaden

OGH 12. Mai 1981, 2 Ob 62/81 (OLG Wien 16 R 194/80; LGZ Wien 34 Cg 814/78)

Text

Die Klägerin, die seit 1977 als Prostituierte registriert ist und unter gesundheitsbehördlicher Kontrolle steht, erlitt am 3. August 1978 bei einem Verkehrsunfall eine Verletzung des linken Mittelfußes. Daß der beklagte Haftpflichtversicherer dem Gründe nach für den Schaden der Klägerin haftet, ist unbestritten.

Die Klägerin begehrte nach mehrmaliger Klagsänderung 25 000 S Schmerzensgeld, 80 000 S Verdienstentgang sowie die Feststellung, daß ihr der beklagte Haftpflichtversicherer für jeden künftig aus dem Unfall zu erwartenden Schaden bis zur Höhe der Deckungssumme des Haftpflichtversicherungsvertrages hafte.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete zum Begehren auf Ersatz von Verdienstentgang ein, die Einkünfte der Klägerin aus der Tätigkeit als Prostituierte seien nicht als Einkommen im Sinne des Einkommensteuergesetzes aufzufassen. Der entgangene Verdienst der Klägerin könne sich nur auf den notdürftigen Unterhalt erstrecken.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin 95 000 S samt Zinsen zu bezahlen. Außerdem erkannte es im Sinne des Feststellungsbegehrens. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Als Folge des Unfalls ist bei der Klägerin eine Bereitschaft zum "Umkippen" gegeben und es entstehen beim Tragen hoher Absätze beim Gehen Schmerzen, wodurch es reflektorisch zu Schwellungen kommt, die die Zirkulation stören und zu Schmerzen führen. Als Dauerfolge sind eine Bewegungseinschränkung von 10% sowie die Lockerung des Sprunggelenkes vorhanden. Auf Grund der Verletzung konnte die Klägerin vier Wochen lang ihrer Tätigkeit als Prostituierte nicht nachgehen. Sie hatte damals einen Nettoverdienst von 2500 S pro Nacht.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Tätigkeit einer Prostituierten verstoße nicht gegen ein gesetzliches Verbot, verstoße aber gegen die guten Sitten, der Vertrag zwischen der Prostituierten und ihren "Kunden" sei gemäß § 879 ABGB nichtig. Dies sei aber nur eine Vorfrage, weil es darum gehe, ob das Ergebnis eines sittenwidrigen Leistungsaustausches von der Pflicht zum Ersatz des Verdienstausfalles ausgeschlossen sei. Auszugehen sei davon, daß dem Leistungsaustausch zwar der Rechtsschutz verwehrt sei, der freiwillig erfolgte Leistungsaustausch aber nicht verboten sei. Der "Kunde" könne das Entgelt nicht zurückfordern. Da kein schutzwürdiger Geschäftspartner oder Dritter vorhanden sei, könne weder der Staat noch eine Privatperson gegen die Abwicklung des Geschäftes einschreiten. Eine Zuerkennung des Verdienstentganges bedeutet daher nicht, daß dem sittenwidrigen Leistungsaustausch Rechtsschutz zukomme, es werde nur das wirtschaftliche Ergebnis, das ohne das schädigende Ereignis von der Rechtsordnung hingenommen worden wäre, gesichert. Das Zivilrecht habe nicht die Aufgabe, kriminalpolitische Zielsetzungen zu verfolgen, die auf strafrechtlichem Gebiet nicht wirksam erreicht werden könnten. Wenn die Rechtsordnung dulde, daß eine Prostituierte aus ihrer Tätigkeit Einkommen erziele, so könne sich der Schädiger nicht unter Hinweis auf die Sittenwidrigkeit des Vertrages, dessen Partner er nicht sei, seiner Ersatzpflicht entziehen. Die Zuerkennung eines Verdienstentganges an eine Prostituierte bedeute nicht, daß sie auf Grund der Schadensminderungspflicht angehalten werde, wieder ihrer Tätigkeit nachzugehen, sobald es ihr Gesundheitszustand zulasse. Die Rechtsfolge des § 1304 ABGB sei nur, daß ein Verdienstentgang bloß während der Erwerbsunfähigkeit begehrt werden könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, mit der der Zuspruch eines Betrages von 60 000 S an Verdienstentgang und der Ausspruch über das Feststellungsbegehren bekämpft worden war, nicht Folge. Es übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, das Feststellungsbegehren sei berechtigt, weil Spätfolgen nicht auszuschließen seien. Die Prostitution verstoße weder gegen ein strafrechtliches noch ein zivilrechtliches Verbot. Selbst wenn man sie als sittenwidrig qualifiziere, bedeute dies nicht, daß der daraus gezogene Gewinn rechtlich nicht geschützt sei. Der unfallskausale Wegfall eines derartigen Einkommens sei daher Verdienstentgang im Sinne des § 1325 ABGB. Nehme eine Prostituierte bei Wiedererlangen der Erwerbsfähigkeit nicht wieder ihren Beruf auf, so stehe ihr ein weiterer Anspruch auf Verdienstentgang nicht deshalb nicht zu, weil sie gegen die Schadenminderungspflicht verstoßen habe, sondern weil die mangelnde Erwerbstätigkeit auf ihrem freien Entschluß beruhe und nicht eine Folge des schädigenden Ereignisses sei. Für die Höhe des letzlich begehrten Verdienstentganges fehle es zwar an Behauptungen, das Erstgericht habe darüber jedoch Feststellungen getroffen und derartige überschießende Feststellungen seien beachtlich.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zur grundsätzlichen Frage des Verdienstentganges einer Prostituierten führt die Revisionswerberin aus, die Klägerin könne nur den Betrag verlangen, der sich aus der Höhe eines existenzdeckenden Einkommens ergebe, weshalb maximal 10 000 S gerechtfertigt seien. Nicht jeder Arbeitserwerb stelle Verdienst im Sinne des § 1325 ABGB dar. Dies gelte etwa für unerlaubte Beschäftigungen eines Beamten, Schmugglertätigkeit usw. Bei der Prostitution handle es sich um ein zivilrechtlich sittenwidriges Geschäft im Sinne des § 879 ABGB, eine klageweise Durchsetzung des Geschäftes sei nicht möglich. Die Prostitution sei zwar nicht verboten, werde aber keineswegs vom Gesetzgeber erwünscht. Der Bundesgerichtshof habe in einer richtungweisenden Entscheidung dargelegt, daß der Schadenersatz für entgangenen Dirnenlohn grundsätzlich für möglich gehalten, jedoch nach oben begrenzt werde durch die Höhe eines existenzdeckenden Einkommens. Beim Verdienstentgang der Klägerin handle es sich um einen abstrakten Anspruch, da die Höhe nicht genau festgelegt werden könne. Da der Geschädigte auf Grund der Schadensminderungspflicht verbunden sei, den Schaden so gering wie möglich zu halten, laufe die Anerkennung des Verdienstentganges einer Prostituierten auf das Gebot hinaus, daß sie so rasch als möglich ihrem keineswegs gewünschten Erwerb nachgehe. Die vom Berufungsgericht angeführten Gründe seien nicht überzeugend; nach der zutreffenden Judikatur des Bundesgerichtshofes stehe der Klägerin kein höherer Betrag als 10 000 S zu.

Die hier zu entscheidende Frage, ob und in welcher Höhe einer Prostituierten ein Verdienstentgang im Sinne des § 1325 ABGB zusteht, wurde in der Bundesrepublik Deutschland - im Gegensatz zu Österreich - in Rechtsprechung und Lehre wiederholt behandelt. Mehrere Oberlandesgerichte hatten sich mit dieser Frage zu beschäftigen und gelangten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Auch in der Lehre wurde die Erstattungsfähigkeit des Erwerbsausfalles einer Prostituierten teils bejaht (so etwa von Palandt und Wussow), von anderen Autoren aber verneint (vgl. Renate Born, "Entgangener Dirnenlohn als erstattungsfähiger Erwerbsschaden?" in VersR 1977, 118). Der Bundesgerichtshof befaßte sich im Urteil vom 6. Juli 1976 (VersR 1976, 941) mit dieser Frage und gelangte zu dem Ergebnis, der Anspruch auf Verdienstentgang habe zwar nicht zur Voraussetzung, daß der Erwerb das Entgelt für eine volkswirtschaftlich positiv zu bewertende Leistung darstelle, dieser Grundsatz finde seine Grenze aber dort, wo der Geschädigte an einer Erwerbshandlung gehindert worden sei, die nach allgemein gültigen Maßstäben hätte mißbilligt werden müssen. Dies gelte nicht nur, wenn der Erwerb nur durch Verletzung eines gesetzlichen Verbotes möglich gewesen sei, sondern auch, wenn das Verhalten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, also gegen die guten Sitten verstoßen hätte. Dabei, daß die Prostitution in der öffentlichen Meinung und im Rechtssinn als sittenwidrig angesehen werde, sei es im Kern auch heute trotz der veränderten Einstellung weiter Bevölkerungskreise zu sexuellen Fragen geblieben. Auch im politischadministrativen Bereich bestehe über den negativen Charakter der Prostitution weiterhin Einigkeit. Die Ersatzforderung sei daher auf die Behauptung gestützt, die Klägerin würde ohne die Verletzung auch weiterhin einer Betätigung oblegen haben, die gegen das anerkannte Sittenbewußtsein (Sittlichkeitsempfinden) verstoße und der die Rechtsordnung deshalb die Anerkennung als Rechtsgeschäft versage. Dies könne bei Beurteilung der Klagsforderung nicht außer acht gelassen werden. Der sittliche Unwert der Erwerbstätigkeit müsse jedoch nicht zur Abweisung der Klage im vollen Umfang führen. In dem Bereich, wo es vor allem darum gehe, "die Rechtswahrnehmung in ihre immanenten sozialethischen Gedanken zurückzuverweisen", erscheine es möglich und geboten, die Tragweite ihres Einwandes gegen die Ersatzforderung in billiger Berücksichtigung der beiderseitigen Belange abzugrenzen. Die gänzliche Ablehnung des Anspruches wäre in anderer Richtung anstößig, weil dem Schädiger aus der Anrüchigkeit des "Dirnengewerbes", vor deren Auswirkungen er geschützt werden solle, über diesen Schutz hinaus eine unverdiente Begünstigung, unter Umständen auf Kosten der Allgemeinheit, erwüchse. Dies gelte es zu vermeiden. Soweit es nur darum gehe, einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß der an seiner Gesundheit Geschädigte deshalb nicht mehr in der Lage sei, einen seinen notwendigen Existenzaufwand deckenden Erwerb zu erzielen, werde der Schädiger nicht eigentlich durch den Umstand berührt, daß der Geschädigte diesen Erwerb durch eine Tätigkeit erzielte, die mit einem sittlichen Unwerturteil belastet sei. Es sei der Teil des Dirnenlohnes zuzusprechen, den zu ersetzen dem Schädiger bei der gebotenen Interessenabwägung zugemutet werden könne und den die Gerichte der Geschädigten zuzusprechen vermögen, ohne sich damit zum mittelbaren Werkzeug der Gewerbsunzucht zu machen. Es sei daher angemessen, den Schadenersatz für entgangenen Dirnenlohn, der damit teilweise für möglich gehalten werde, nach oben zu begrenzen durch die Höhe eines existenzdeckenden Einkommens, das auch in einfachen Verhältnissen von jedem gesunden Menschen erfahrungsgemäß zu erreichen sei.

Diese Entscheidung wurde in der deutschen Lehre zum Teil zustimmend zur Kenntnis genommen (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß[17], 141), von anderen Autoren aber abgelehnt. So vertrat Born (a.a.O.) die Ansicht, der Prostituierten dürfe überhaupt kein Verdienstentgang zugesprochen werden; Stürner (DJZ 1977, 76) und der Münchner Kommentar (II, 335) wollen der Prostituierten hingegen den vollen Verdienstentgang zuerkennen.

Bei Beurteilung, ob der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Verdienstentganges berechtigt ist, muß davon ausgegangen werden, daß nach ständiger Rechtsprechung der Begriff "Verdienst" im Sinne des § 1325 ABGB nicht eng auszulegen ist und der Schädiger den Geschädigten so zu stellen hat, wie er ohne die Beschädigung gestellt wäre (ZVR 1964/228; ZVR 1978/165 u. a.). Es kann daher grundsätzlich nicht zweifelhaft sein, daß es sich auch beim Einkommen einer Prostituierten um einen Verdienst in diesem Sinne handelt, gleichgültig ob es sich um ein Einkommen im Sinne des Einkommensteuergesetzes handelt oder nicht. Die Frage, ob ein Verdienst aus einer verbotenen Tätigkeit nach § 1325 ABGB zu ersetzen wäre, ist hier nicht zu erörtern, weil die Prostitution in Österreich - ebenso wie in Deutschland - nicht verboten ist. Auch der Bundesgerichtshof hat diese Ansicht vertreten und weiters ausgeführt, ein Anspruch sei nicht nur dann ersatzfähig, wenn er das Entgelt für eine volkswirtschaftlich positiv zu bewertende Leistung darstelle. Der Ansicht des Bundesgerichtshofes, daß dieser Grundsatz dort seine Grenze finde, wo der Geschädigte an einer Erwerbshandlung gehindert worden sei, die nach allgemein gültigen Maßstäben hätte mißbilligt werden müssen, vermag sich der OGH jedoch nicht anzuschließen.

Ob der Vertrag zwischen der Prostituierten und ihrem Kunden gegen die guten Sitten im Sinne des § 879 ABGB verstößt, ist für die Entscheidung der Frage, ob ihr gegen einen Dritten ein Anspruch auf Ersatz eines Verdienstentganges zusteht, ohne Bedeutung. Die Prostituierte ist nicht verpflichtet, das für ihre Tätigkeit erhaltene Entgelt zurückzustellen; das von ihr durch ihre nicht verbotene Tätigkeit tatsächlich in Empfang genommene Einkommen ist von der Rechtsordnung nicht weniger geschützt als jedes andere Einkommen. Wird sie durch das vom Schädiger zu vertretende Ereignis außer Stand gesetzt, ein derartiges Einkommen zu erzielen, dann besteht kein Grund dafür, den Schädiger ganz oder teilweise von der Ersatzpflicht zu befreien, weil "in der öffentlichen Meinung das sittlich soziale Unwerturteil über prostituierte Personen und ihre Tätigkeit erhalten geblieben ist" und "auch im politischadministrativen Bereich über den negativen Charakter der Prostitution weiterhin Einigkeit besteht". Gründe der geschlechtlichen Moral reichen nicht hin, um den Anspruch der Klägerin zu verneinen, zumal nach herrschender Lehre der vom Gesetz verwendete Ausdruck "gute Sitten" mit Moral nicht gleichzusetzen ist (vgl. Koziol II, 75 f. und die dort angeführte weitere Literatur).

Der Anspruch einer Prostituierten auf Verdienstentgang ist daher grundsätzlich zu bejahen. Eine Begrenzung der Höhe nach aus den vom Bundesgerichtshof dargelegten Gründen ist auf Grund der konkret vorzunehmenden Schadensberechnung nicht möglich; die Annahme einer Obergrenze in der Höhe eines existenzdeckenden Einkommens kann aus der österreichischen Rechtsordnung nicht abgeleitet werden. Auf die Revisionsausführungen über die aus § 1304 ABGB abzuleitenden Schadensminderungspflicht braucht nicht eingegangen zu werden, weil eine Verletzung der Schadensminderungspflicht nicht behauptet wurde und die Klägerin ohnedies nur für die Zeit Verdienstentgang forderte, in der sie ihrer Tätigkeit nicht nachgehen konnte.

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