OGH 2Ob23/03a

OGH2Ob23/03a12.6.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Franz E*****, vertreten durch Dr. Robert Mayrhofer und Dr. Johann Köpplinger, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wegen EUR 6.482,33 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 1. Oktober 2002, GZ 6 R 193/02b-17, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis vom 9. April 2002, GZ 2 C 975/00d-13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 5. 8. 1998 beantragte der Beklagte bei der klagenden Partei die Erstellung eines Festnetztelefonanschlusses an seiner Wohnadresse, indem er ein vorgedrucktes Antragsformular der klagenden Partei ausfüllte und unterschrieb. Mit der Unterzeichnung bestätigte der Beklagte auch die Kenntnisnahme von den umseitig genannten rechtlichen Voraussetzungen und die Richtigkeit der Angaben auf diesem Bestellformular. Auf der Rückseite des Formulars befindet sich unter der Überschrift "Kundeninformation" der Hinweis: "Die Vertragsabwicklung erfolgt zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB Telefon) der PTA einschließlich der Leistungsbeschreibungen (LB) und Entgeltbestimmungen (EB) in ihrer jeweils gültigen Fassung. Die AGB einschließlich der LB und EB sind im Post- und Telegrafenverordnungsblatt veröffentlicht und liegen bei den Dienststellen der PTA zur Einsicht bereit." In der Folge wurde der Anschluss in der Wohnung des Beklagten antragsgemäß eingerichtet.

Die klagende Partei begehrte vom Beklagten die Bezahlung zweier Telefonrechnungen und zwar den Betrag von S 77.567,20 (EUR 5.637,03) aus einer Rechnung vom 3. 5. 1999 und den Betrag von S 11.631,60 (EUR 845,30) aus einer Rechnung vom 1. 7. 1999. Zum größten Teil handelt es sich hiebei um das Entgelt für "besondere Dienste" im Nummernbereich 0930.

Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, dass die in den Rechnungen angeführten Verbindungsentgelte aus Telefonsexgesprächen resultieren würden. Inhalt der Telefonate sei jeweils tabuloser, obszöner und ordinärer Sex gewesen, wobei der Beklagte von seinen Gesprächspartnerinnen immer wieder zur Selbstbefriedigung animiert worden und dieser Aufforderung auch nachgekommen sei. Die Telefonsexverträge seien sittenwidrig und nichtig. Die klagende Partei habe keinen durchsetzbaren Anspruch auf Bezahlung der Telefongebühren, weil sie sich in vorwerfbarer Weise an der kommerziellen Ausnutzung eines bestimmten Sexualverhaltens beteilige. Ihr sei nämlich sehr wohl bekannt, dass im Nummernbereich 0930 Telefonsex angeboten und somit sittenwidrige Geschäfte über das Netz der klagenden Partei abgewickelt würden. Die klagende Partei treibe beim Anrufer in solchen Fällen im eigenen Namen nicht nur die Verbindungsentgelte, sondern auch den auf den Telefonsexanbieter entfallenden Auszahlungsbetrag ein und werde somit als dessen Inkassostelle tätig. Nach den in den Verträgen mit den Telefonsexanbietern verwendeten Geschäftsbedingungen habe die klagende Partei die Möglichkeit, die Verbindung nach 30 Minuten zu trennen, mache davon aber aus wirtschaftlichen Gründen keinen Gebrauch.

Die klagende Partei erwiderte, falls es sich bei den vom Beklagten geführten Gesprächen tatsächlich um Telefonsexgespräche gehandelt haben sollte, seien diese nicht sittenwidrig. Es finde kein körperlicher Kontakt statt. Die Mitarbeiterin des Mehrwertbetreibers sei nicht Objekt und könne jederzeit den Hörer auflegen. Selbst dann, wenn man davon ausginge, dass Telefonsex sittenwidrig im Sinne des § 879 ABGB wäre, könne dies keinesfalls zu Lasten der klagenden Partei als Betreiber des Telefonnetzes gehen, weil sie nicht Vertragspartner des Telefonsex-Vertrages sei, sondern lediglich das Netz zur Verfügung stelle und auch gar nicht in der Lage sei, die Telefongespräche zu überwachen und den Inhalt zu kontrollieren. Die Inkassotätigkeit der klagenden Partei sei ein wertneutrales Hilfsgeschäft.

Das Erstgericht sprach der klagenden Partei den Betrag von EUR 85,53 sA zu und wies das Mehrbegehren von EUR 6.396,08 sA ab. Es ging hiebei ua von folgenden Feststellungen aus:

Die AGB der klagenden Partei haben in § 16 Abs 3 folgenden Wortlaut: "Die PTA ist auch berechtigt, gegenüber den üblichen Verbindungsentgelten erhöhte Entgelte vorzusehen, die neben ihren technischen und betrieblichen Leistungen weitere Dienstleistungen - auch anderer Anbieter - insgesamt abgelten. Der Kunde wird bei Inanspruchnahme einer derartigen Dienstleistung durch einen vorgeschalteten Hinweis auf den Namen des Anbieters sowie auf die Höhe der Entgelte hingewiesen. Einwendungen und Ansprüche des Kunden, die nicht die Höhe des Verbindungsentgeltes, sondern die Leistung eines anderen Anbieters betreffen, sind nicht der PTA, sondern dem anderen Anbieter entgegenzuhalten".

Unter den in § 16 Abs 3 der AGB erwähnten "weiteren Dienstleistungen", die in den EB und den Abrechnungen der klagenden Partei auch als "besondere Dienste" bezeichnet werden, sind so genannte Mehrwertdienste zu verstehen. Bei diesen erbringt ein vom Netzbetreiber verschiedener Dritter auf Anruf des Nutzers über das Telefon eine Dienstleistung. Die Bezahlung erfolgt in der im § 16 Abs 3 AGB vorgesehenen Form. Die klagende Partei hebt also beim Nutzer das in den Entgeltbedingungen vorgesehene erhöhte Entgelt ein und liefert davon ihrerseits einen bestimmten Anteil an den Erbringer der Dienstleistung ab. Zu diesem Zweck tritt die klagende Partei in ein Vertragsverhältnis mit den Anbietern derartiger Dienstleistungen. Bei diesen Vertragsabschlüssen verwendet sie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen "AGB Telebusiness Line und Erotik Line", die ua folgenden Inhalt haben:

"§ 5 Abs 6: Der Kunde (damit ist der Anbieter der Dienstleistung gemeint) ist weiters verpflichtet (...)

2. die Bestimmungen des Verhaltenskodex als wesentliche vertragliche Pflichten (Anlage 1 zu diesen AGB) einzuhalten und

3. die Verbindung nach einer Dauer von 30 Minuten zu trennen, wobei die Nichteinhaltung dieser Bestimmung die T***** berechtigt, jedoch nicht verpflichtet, die Verbindung zu trennen (...)

§ 11 Abs 1: Für Entgeltforderungen, die durch die Inanspruchnahme von Leistungen durch Dritte entstanden sind, haftet der Kunde (...)

§ 14 Abs 1: Die dem Nutzer bei Inanspruchnahme des Premium Rate Services von der T***** im eigenen Namen in Rechnung gestellten Verbindungsentgelte umfassen auch den anteiligen Auszahlungsbetrag. Der anteilige Auszahlungsbetrag ist den Entgeltbestimmungen zu entnehmen (...).

Abs 4: Besteht der begründete Verdacht, dass der Kunde Premium Rate Services oder damit im Zusammenhang stehende Leistungen, insbesondere in betrugsmäßiger Absicht missbraucht oder den Missbrauch durch Dritte duldet, sowie Verbindungen nicht nach Ablauf einer Dauer von 30 Minuten trennt, so behält sich die T***** bis zur rechtskräftigen Entscheidung durch das Gericht das Recht vor, die vom Nutzer nicht bezahlten und der T***** anteilsmäßig zustehenden Entgelte, Auszahlungsbetrag in Abzug zu bringen bzw in Rechnung zu stellen. Dasselbe gilt bei bloßer Nichtbezahlung der dem Nutzer in Rechnung gestellten Entgelt (...)"

Die erwähnte "Anlage 1" hat in Punkt 3. folgenden Wortlaut: "Dienste, die einen erotischen Inhalt haben oder darauf direkt oder indirekt Bezug nehmen, dürfen ausschließlich im Nummernbereich 0930 angeboten werden".

Der Beklagte ist Pensionist. Anfang April 1999 wurde er auf Inserate von Telefonsexdiensten in einer Zeitung aufmerksam. Er rief erstmals am 4. 4. 1999 bei einer der angeführten Nummern an und führte in weiterer Folge bis zur Sperre seines Telefonanschlusses am 28. 4. 1999 durch die klagende Partei teilweise mehrstündige (auch drei-, vier- und fünfstündige) Telefonate mit verschiedenen Nummern mit der Vorwahl 0930. Sämtliche Anrufe des Beklagten bei solchen Nummern liefen derart ab, dass eine Frau am anderen Ende der Leitung mit ordinären Worten und lustvollem Stöhnen vorspielte, sie sei sexuell erregt und würde sexuelle Handlungen vornehmen. Gleichzeitig forderte sie den Beklagten regelmäßig dazu auf, sich selbst zu befriedigen, was dieser auch tat. Die Frauen am anderen Ende der Leitung versuchten auch, den Beklagten dazu zu bringen, auch bei anderen Nummern des selben Telefonsexanbieters anzurufen, und ihn davon abzuhalten, das jeweilige Telefongespräch zu beenden. Wenn der Beklagte etwa andeutete, auflegen zu wollen, wurde er von den Frauen gefragt, ob er denn überhaupt kein Mann sei.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht die Sittenwidrigkeit von Telefonsex-Verträgen. Es zeige sich, dass beim Telefonsex zwar im Vergleich zur Prostitution das Sittenwidrigkeitselement der Kommerzialisierung der Sexualität weniger stark ausgeprägt sei, weil es zu keinem unmittelbaren körperlichen Kontakt komme, das Sittenwidrigkeitselement der Verdünnung der Willensfreiheit hingegen wesentlich stärker sei. Die klagende Partei beteilige sich an diesen sittenwidrigen Vorgängen willentlich und wissentlich. Sie mache sie durch Zurverfügungstellung ihres Telefonnetzes erst möglich, betreibe das Inkasso und behalte einen Teil der Einnahmen für sich. Die Vertragsbestimmung, welche die klagende Partei berechtige, vom Beklagten das Entgelt für Mehrwertdienste zu verlangen, sei daher insoweit sittenwidrig und nichtig, als sie sich auf Telefonsex-Verträge beziehe. Die klagende Partei habe daher keinen Anspruch auf Bezahlung der in ihren Rechnungen enthaltenen Beträge für "besondere Dienste".

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es befasste sich zunächst eingehend mit einschlägigen Entscheidungen des LG Linz (15 R 203/00d), deutscher Oberlandesgerichte und des deutschen Bundesgerichtshofes (9. 6. 1998, XI ZR 192/97 und 22. 11. 2001, III ZR 5/01) sowie mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ 62/123 (zur Sittenwidrigkeit der Prostitution) und gelangte zum Ergebnis, dass ein Vertrag über die Anwendung von Telefonsex-Dienstleistungen gemäß § 879 Abs 1 AGB sittenwidrig sei, was sich auch auf den Vergütungsanspruch der klagenden Partei als Netzbetreiber auswirke, weil sie am Profit kommerzieller Ausbeutung der Sexualität teilnehme.

Die ordentliche Revision sei gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Sittenwidrigkeit von Telefonsex-Verträgen und deren Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch des Netzbetreibers fehle.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, sie ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ein wesentlicher Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

In ihrer Rechtsrüge macht die klagende Partei zusammengefasst geltend, sie stelle nur die technische Grundlage zur Verfügung, über die ua auch die Mehrwertdienste erbracht würden. Zwischen den einzelnen Mehrwertdienstanbietern und den Teilnehmern bestünden eigene Rechtsverhältnisse. Die klagende Partei habe keine Möglichkeit, den Inhalt dieser Dienste zu kontrollieren. Die Inkassotätigkeit der klagenden Partei bedeute nicht, dass sie hinsichtlich der Mehrwertdienste Vertragspartner der Teilnehmer werde. Bei Telefonsexgesprächen liege keine Sittenwidrigkeit vor, weil kein körperlicher Kontakt stattfinde und das Vorgeben sexueller Handlungen oder sexueller Erregung am Telefon keine Ähnlichkeit mit der entgeltlichen Gewährung von Geschlechtsverkehr habe.

Hiezu wurde erwogen:

Der erste Senat des Obersten Gerichtshofes hat sich erst kürzlich zu 1 Ob 244/02t mit der Frage der Sittenwidrigkeit von Telefonsex-Verträgen befasst. Er hat zunächst die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ 62/123, mit welcher der mit einer Prostituierten geschlossene Vertrag über die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt ebenso als sittenwidrig angesehen wurde wie der Vertrag über die Teilnahme am Profit kommerzieller Ausbeutung der Sexualität (dort: über die Benützung einer Sauna), nicht ohne weiteres für die Klärung der hier zu beurteilenden Frage nutzbar gemacht werden könne, sei doch die Intensität der einzelnen in die Abwägung einzubeziehenden Elemente der Sittenwidrigkeit bei Verträgen über "Telefonsex" jedenfalls geringer als bei der Prostitution und den damit zusammenhängenden Geschäften. In der Folge setzte sich der erste Senat mit deutscher Lehre und Rechtsprechung auseinander, insbesondere mit den beiden, im vorliegenden Fall bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen des BGH. Sodann führte er folgendes aus:

Wenngleich in Österreich eine dem mittlerweile in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getretenen Prostitutionsgesetz, wonach Vereinbarungen über gegen vorher vereinbartes Entgelt vorgenommene sexuelle Handlungen eine rechtswirksame Forderung begründen, vergleichbare Bestimmung nicht existiere, sprächen dennoch gewichtige Gründe dafür, die Sittenwidrigkeit von Verträgen über "Telefonsex" zu verneinen: Neben dem bereits vom Bundesgerichtshof angesprochenen Wandel der Moralvorstellungen seien wohl auch die von Lehre und Rechtsprechung mehrfach hervorgehobene Tatsache des mangelnden körperlichen Kontaktes und der Umstand, dass nicht der Intimbereich der Anbieterin zur Ware degradiert werde, sondern dass diese lediglich eine davon losgelöste stimmlich-darstellerische Leistung schulde, bedeutsam. Auch sei das Argument, diese Facette des Sexualverhaltens vermeide einerseits die Berührung mit der oftmals mit Prostitution zusammenhängenden Kriminalität sowie die Gefahr der Ansteckung und ermögliche andererseits den bei diesen Diensten beschäftigten Frauen den Gelderwerb ohne körperliche Hingabe, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Einer weiteren Vertiefung dieser Überlegungen und einer abschließenden Stellungnahme bedürfe es indes nicht, weil es im hier zu beurteilenden Fall auf die Frage der Sittenwidrigkeit nicht entscheidend ankomme.

Im Anschluss daran erörterte der erste Senat die Problematik von Einwendungen des Kunden aus dem Vertrag mit dem Mehrwertdienstanbieter und verneinte schließlich eine Haftung der Anschlussinhaberin für Mehrwertdienstleistungsentgelte infolge von Anrufen ihres Lebensgefährten.

Ob der diesbezüglichen vertretungsrechtlichen Argumentation des ersten Senates beizutreten ist, kann hier auf sich beruhen, weil der Beklagte sowohl Anschlussinhaber als auch Anrufer war. Der erkennende Senat teilt aber die in 1 Ob 244/02t vorgetragenen Zweifel an der Sittenwidrigkeit von Telefonsex-Verträgen im Allgemeinen und an der Übertragbarkeit der in 3 Ob 516/89 = SZ 62/123 zur Sittenwidrigkeit der Prostitution aufgestellten Grundsätze (die hier nicht weiter zu hinterfragen sind) im Besonderen. Auf diese Ausführungen wird verwiesen.

Im Übrigen ist nicht alles, was als unmoralisch empfunden wird, deshalb schon sittenwidrig im Sinne des § 879 ABGB und damit nichtig. Zwar wird auch die Ansicht vertreten, dass beim Verständnis der guten Sitten auch die allgemein anerkannten Normen der Moral zu berücksichtigen sind (Koziol in Koziol/Welser I12 162 mwN in FN 52; RIS-Justiz RS0022866). Andere mahnen allerdings zur Zurückhaltung bei der Deutung der guten Sitten als Rezeptionsinstrument außerrechtlicher Sollensordnungen; die guten Sitten seien nichts anderes als ungeschriebenes Recht; in erster Linie gehe es um dessen Erkenntnis und nicht um Fragen der Moral (Krejci in Rummel I3 § 879 Rz 53, 56; SZ 54/70). Mag nun auch der Abschluss von Telefonsex-Verträgen moralisch bedenklich sein, so geht die Missbilligung der Kommerzialisierung des Sexualtriebes hier nicht so weit, dass aus der Rechtsordnung ablesbare Wertungsgesichtspunkte (Krejci aaO Rz 55 mwN) die Qualifizierung solcher Vertragsabschlüsse als unter Nichtigkeitssanktion (mit Entgeltsverlust) stehender Verstoß gegen ungeschriebenes Recht gebieten würden.

Nach Auffassung des erkennenden Senates sind Telefonsex-Verträge somit nicht generell sittenwidrig im Sinne des § 879 ABGB, weshalb für die Inanspruchnahme solcher Dienste grundsätzlich das hiefür vorweg bekanntgegebene (und in der Regel schlüssig vereinbarte) Entgelt zu entrichten ist.

Bedenklich ist freilich - unter dem Aspekt des "Telefonsex-Konsumentenschutzes" - die absolute Höhe der Kosten, die sich hieraus ergeben können (vgl etwa auch den Klagsbetrag von S 205.000,-- = EUR 14.897,93 in 1 Ob 244/02t sowie die dort genannten Beträge aus der deutschen Rechtsprechung). Die zu diesen Kosten führende ungewöhnliche Länge der Telefonate von oft mehreren Stunden erklärt sich nach den Feststellungen der Vorinstanzen damit, dass die Gesprächspartnerinnen versuchen, den Kunden von einer Beendigung des Gespräches abzuhalten. Während also das Telefonat aus freien Stücken begonnen wird, ist die Willensfreiheit des Anrufers bei der Weiterführung und Beendigung "verdünnt" (so schon das Erstgericht).

Diese Problematik ist der klagenden Partei offenbar selbst bewusst, weil sie - in Befolgung ihrer aus diesem Bewusstsein resultierenden nebenvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber ihren Telefonkunden - den Telefonsexanbietern in ihren für diese geltenden allgemeinen Geschäftsbedingungen auferlegt, die Verbindung nach 30 Minuten zu trennen. Damit würde der Anrufer die Chance erhalten, sich den "Gesprächsverlängerungskünsten" seiner Gesprächspartnerin zu entziehen und sich der Kosten wieder bewusst zu werden; für einen neuerlichen Anruf müsste er selbst wieder einen neuen Willensentschluss fassen. Diese AGB-Klausel wurde zu Gunsten des Telefonkunden vereinbart, weshalb sich dieser in seinem Verhältnis zum Telefonsexanbieter - die Eigenständigkeit dieses Verhältnisses wird von der klagenden Partei auch in ihrer Revision wieder betont - im Sinne des § 881 Abs 2 ABGB darauf berufen kann. Auch eine Unterlassung (hier: der Führung eines mehr als 30-minütigen Gesprächs) kann nämlich Gegenstand eines Vertrages zu Gunsten Dritter sein (vgl 3 Ob 536/93 = SZ 66/121).

Da die Klausel wie erwähnt den Schutzpflichten der klagenden Partei gegenüber dem Telefonkunden entspricht, kommt sie diesem auch im Verhältnis zur klagenden Partei (abgesehen von deren Stellung als Inkassozessionarin für den Anteil des Telefonsexanbieters am erhöhten Entgelt) zugute. Die naheliegende Sanktion ihrer Verletzung ist der Entfall des auf den 30 Minuten übersteigenden Teil des Telefonates entfallenden Entgeltes, wobei es im Ergebnis gleichgültig ist, ob man dies etwa mit ergänzender Vertragsauslegung oder vertraglichem Schadenersatz begründen will. Anders wäre es, wenn der klagenden Partei der Beweis gelänge, dass die gesamte Gesprächszeit auch bei bedingungsgemäßer Trennung des einzelnen Telefonates gleichgeblieben wäre.

Um die Parteien mit dieser Rechtsansicht nicht zu überraschen und um die sachverhaltsmäßige Grundlage für eine im obigen Sinne differenzierende abschließende Beurteilung zu schaffen, war die Rechtssache unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte