OGH 7Ob253/09w

OGH7Ob253/09w3.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* L*, vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. E* O*, vertreten durch Thiery & Ortenburger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 7.445,09 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. April 2009, GZ 39 R 375/08y-27, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 28. Juli 2008, GZ 48 C 322/07w-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:E93426

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 450,14 EUR (darin enthalten 75,02 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Parteien schlossen am 12. 3. 2003 einen Mietvertrag hinsichtlich einer Wohnung in einem Wiener Innenstadthaus. Sie befindet sich im 5. Obergeschoss und hat eine Wohnfläche von insgesamt 124,83 m². Mit Innenstiege verbunden ist ein nicht winterfester „Wintergarten“ im Ausmaß von 22,87 m² sowie eine Terrasse von 33,17 m². Im Mietvertrag ist vereinbart, dass der Vermieter keinerlei Gewähr für einen bestimmten Zustand, eine bestimmte Eignung oder eine besondere Beschaffenheit des Mietgegenstands leiste. Der Beklagte war an dem Mietobjekt deshalb interessiert, weil es nur wenige 100 m von seiner Rechtsanwaltskanzlei entfernt liegt und überdies über einen Wintergarten verfügte. Bei den Verhandlungen über die Mietzinshöhe berücksichtigten die Parteien als mindernd, dass der Wintergarten im Winter nicht nutzbar war. Der Beklagte wies darauf hin, dass er als Rechtsanwalt ein „sicherer Zahler“ sei und erklärte, er werde „den Mietzins nicht anfechten“. Über allfällige Umbaumaßnahmen an den angrenzenden Liegenschaften wurde nicht gesprochen. Der Nettohauptmietzins beträgt 1.250 EUR. Der Beklagte führte in den folgenden zwei Jahren umfangreiche Umbau- und Sanierungsarbeiten in der Wohnung durch.

Am 19. 6. 2006 begannen an einem angrenzenden Haus baubehördlich genehmigte Ausbauarbeiten. Ursprünglich hatte dieses Haus ein Spitzdach, das ca 3 bis 4 m unterhalb des Bestandobjekts des Beklagten lag. Der Ausbau besteht aus vier generalsanierten Etagen und aus Terrassen, die auf einem Zubau errichtet wurden. Die Terrassen sind mit Blickrichtung auf die Terrasse der Wohnung des Beklagten situiert. Der Zubau überragt das Bestandobjekt des Beklagten um ca 6 bis 7 m. Vor der Aufstockung schien Sonne in den Sommermonaten bis ca 19:30 Uhr auf die Terrasse, nunmehr nur bis ca 15:00 bis 16:00 Uhr. Vor der Aufstockung konnte der Beklagte die Wiener Staatsoper sehen, dies ist nicht mehr möglich.

Noch während dieser Arbeiten begannen im September 2007 an einem anderen angrenzenden Haus baubehördlich genehmigte (ohne Sondergenehmigung) Aufstockungsarbeiten. Bis dahin gab es dort auf Höhe der Terrasse des Beklagten ebenfalls eine Terrasse. Diese wurde nun als Wintergarten verbaut; das schräg abfallende Dach wurde begradigt und eine neue Terrasse errichtet. Über dem Wintergarten befindet sich jetzt eine zweite Terrasse, die ca 6 m höher liegt als die Wohnung des Beklagten. Von ihr aus sind das Schlafzimmer und die Terrasse des Beklagten einsehbar.

Im September 2007 wurden an einem dritten Nachbarhaus ebenfalls baubehördlich bewilligte Bauarbeiten durchgeführt. Von dem dort neu errichteten Balkon kann man nun auf die Fenster eines Ganges in der Wohnung des Beklagten sehen, der zwischen Wohnraum und Schlafraum verläuft und als Garderobe und zum Anziehen verwendet wird. Bereits vor den Bauarbeiten konnte man diesen Gang von Fenstern der Nachbarliegenschaft aus einsehen. Die Fenster in der Wohnung des Beklagten sind weder mit Vorhängen noch mit Jalousien ausgestattet. Von einem der Fenster der Wohnung des Beklagten aus sieht man nun nach der Aufstockung auf eine in einer Entfernung von ca 4 bis 5 m neu errichtete Wand.

Der Beklagte beginnt seine anwaltliche Tätigkeit (außer an Wochenenden) um ca 9:00 Uhr und beendet sie im Sommer um ca 18:00 Uhr. Im Winter arbeitet er länger.

Die Klägerin begehrt die Bezahlung des vom Beklagten einbehaltenen Mietzinsanteils. Der Beklagte sei durch die baulichen Veränderungen an den angrenzenden Häusern im bedungenen Gebrauch des Mietgegenstands nicht, jedenfalls aber nicht ortsunüblich beeinträchtigt.

Der Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Er macht - soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz - eine Mietzinsreduktion im Ausmaß von 26,10 % des Bruttomietzinses wegen Gebrauchsbeeinträchtigung geltend. Diese entstehe dadurch, dass durch die Umbauten an den drei Häusern der Ausblick von seiner Wohnung, ihre Uneinsehbarkeit und die Lichtsituation (Sonnenbestrahlung der Terrasse) wesentlich verschlechtert worden seien. Bei exklusiven Dachgeschossobjekten hänge deren Qualität wesentlich von sogenannten „No-Go-Kriterien“ wie Dachterrasse mit entsprechendem Ausblick und Erholungsfaktor (kein Einblick) ab. Die Nichterfüllung eines solchen, für Objekte dieser Art existenziellen Kriteriums beeinträchtige daher unmittelbar auch die Qualität der übrigen Räume.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren, soweit es im Revisionsverfahren noch strittig ist, statt. Die geltend gemachten Beeinträchtigungen seien keine vom Vermieter zu vertretenden Abweichungen vom bedungenen Gebrauch, obgleich die Wohnung des Beklagten bei Anmietung „fast“ uneinsehbar gewesen sei. Im Mietvertrag sei keine bestimmte Beschaffenheit hinsichtlich Einsehbarkeit oder Aussicht vereinbart worden. Der bedungene Gebrauch sei objektiv nicht gestört. Überdies sei die Beeinträchtigung nicht ortsunüblich. Eine die Aussicht beeinträchtigende Baumaßnahme stelle keine Einwirkung nach § 364 Abs 2 ABGB dar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Der Vermieter schulde dem Mieter nur jenen Gebrauch, der ausdrücklich oder nach dem Zweck des Vertrags oder nach der Verkehrssitte als bedungen anzusehen sei. Dass Dachgeschossausbauten und die Errichtung von Dachterrassen und Wintergärten im Stadtzentrum ortsüblich und seit Jahren vermehrt nachgefragt würden, sei eine offenkundige Tatsache. Beeinträchtigungen in Bezug auf Aussicht, Einsicht und Lichteinfall entsprächen daher im großstädtischen Bereich, insbesondere in Zentrumslagen, der Verkehrssitte, sodass bei Abschluss des Mietvertrags mit diesen Veränderungen zu rechnen gewesen sei. Der im Mietvertrag bedungene Gebrauch sei nach wie vor gegeben; dem Beklagten stehe daher kein Mietzinsminderungsanspruch zu.

In Abänderung seines ursprünglichen Ausspruchs erklärte das Berufungsgericht die Revision für zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Mieter in Zentrumslage im großstädtischen Bereich aufgrund einer bestehenden Verkehrssitte eine derartige Beeinträchtigung durch bauliche Veränderungen an Nachbarliegenschaften ohne Mietzinsminderungsanspruch hinnehmen müsse, auch wenn die Wohnqualität erheblich eingeschränkt werde.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Nach § 1096 Abs 1 ABGB ist eine Bestandsache als brauchbar anzusehen, wenn sie eine Verwendung zulässt, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit anzunehmen (RIS-Justiz RS0021054, RS0020926). Der Mieter kann vom Vermieter zwar nicht verlangen, dass alle im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Umstände erhalten bleiben, wohl aber, dass er vom Vermieter und von Dritten im bedungenen Gebrauch des Bestandgegenstands nicht wesentlich beeinträchtig (gestört) wird (RIS-Justiz RS0020975). Bei der Beurteilung des Maßes der Lärmbeeinträchtigung, die der Mieter noch hinnehmen muss, zieht die Judikatur die Grundsätze des § 364 Abs 2 ABGB analog heran. Auch Einwirkungen, die sich als eine Änderung gegenüber dem tatsächlichen Zustand zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags darstellen, sind vom Mieter zu dulden, wenn sie das nach § 364 Abs 2 ABGB zulässige Maß nicht überschreiten (RIS-Justiz RS0010567). Negative Einwirkungen, die durch das Schattenwerfen, das Entziehen der wärmenden Kraft der Sonne und ihres Lichts durch Bauwerke auf einem Nachbargrundstück, hervorgerufen werden, stellen schon begrifflich keine Immission nach § 364 ABGB dar (RIS-Justiz RS0010627, RS0010576). Auch der Entzug der Aussicht ist keine Immission (1 Ob 2170/96s). § 1096 Abs 1 ABGB ist auch Ausdruck einer Gefahrtragungsregel beim Bestandvertrag. Danach trifft den Bestandgeber das Risiko für alle auf Zufällen beruhende Umstände, die den Ausfall oder eine wesentliche Einschränkung des Gebrauchsnutzens der Bestandsache zur Folge haben. Er verliert daher ganz oder teilweise den Anspruch auf den Mietzins (RIS-Justiz RS0117581). Wenn allerdings von vornherein eine Änderung der Nutzbarkeit vorhersehbar ist, wurde diese Änderung von der Judikatur bisher dem „allgemeinen Lebensrisiko“ des Mieters zugeschrieben, musste er doch von allem Anfang an rechnen, dass sich die Umgebung ändert (etwa 9 Ob 54/04p, 1 Ob 89/02y).

Die bislang ergangenen Entscheidungen setzen sich primär mit der Frage der Lärmbelastung (Immissionen) aufgrund von Bauarbeiten auseinander (etwa 1 Ob 306/02k, 1 Ob 89/02y, 4 Ob 53/08k). Aus der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 113/02b kann für den vorliegenden Fall nichts gewonnen werden, da es dort um die Verletzung einer vertraglich vereinbarten Pflicht ging.

Im vorliegenden Vertrag wurde keine ausdrückliche Vereinbarung über den Erhalt der beschränkten Einsehbarkeit von Terrasse oder Wohnungsfenstern, einer bestimmten Aussicht oder eines bestimmten Sonneneinfallswinkel getroffen. Nach den Feststellungen waren diese Umstände für den Beklagten auch nicht ausschlaggebend für seinen Entschluss, den Mietvertrag abzuschließen. Die Klägerin schuldet daher nur die durchschnittliche Brauchbarkeit des Bestandgegenstands, was auch durch die Mietvertragsbestimmung unterstrichen wird, dass der Vermieter keine Gewähr für eine bestimmte Eigenschaft des Objekts leistet. Die Benützbarkeit der Wohnung und der Terrasse des Beklagten an sich ist durch die Bauwerke nicht beeinträchtigt. Es wirken auf sie keine Immissionen ein. § 364 Abs 3 ABGB schützt nur den Entzug von Licht durch Pflanzen, nicht durch Gebäude. Für Gebäude bestehen ohnehin Bauordnungen, die für einen Ausgleich zwischen den Interessen des Bauführers und der Anrainer sorgen sollen.

Es hat sich zwar die Umgebung der Wohnung des Beklagten mit Auswirkungen auf diese geändert. Hinsichtlich der Einsehbarkeit ist aber festzuhalten, dass nach den Feststellungen auch vor Beginn der Bauarbeiten weder die Wohnung noch die Terrasse des Beklagten gänzlich uneinsehbar waren und dass der Beklagte jegliche zumutbare geeignete Maßnahmen wie das Anbringen von Vorhängen oder Jalousien als Sichtschutz unterlässt.

Mit baulichen Veränderungen an Nachbarhäusern, und damit mit Änderungen der Umgebung des Bestandobjekts, die Einfluss auf die Aussicht, die Einsehbarkeit und die Lichtverhältnisse haben, ist vor allem auch im großstädtischen Bereich, insbesondere in der meist begehrten Innenstadt, grundsätzlich jederzeit zu rechnen. Eine Stadt „lebt“ und die Umgebung einer Wohnung bleibt selten über längere Zeit unverändert. Diese Änderungen können sich für eine Wohnung vorteilhaft (was unzweifelhaft keine Auswirkungen auf einen bestehenden Mietvertrag hat) oder nachteilig auswirken. Der Mieter hat keinen Anspruch darauf, dass sich die Umgebung seines Bestandobjekts nicht mehr ändern wird. Nur ungewöhnliche Folgen einer Bauführung, mit denen nach den Erfahrungen des täglichen Lebens im Einzelfall nicht gerechnet werden braucht, können eine derart wesentliche und ortsunübliche Beeinträchtigung einer Wohnung darstellen, dass sie nicht mehr zur Gänze als durchschnittlich brauchbar anzusehen ist. Gerade im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses im Jahr 2003 aber waren Dachbodenausbauten und die Errichtung von Dachterrassen, vor allem im Zentrumsbereich von Wien - wie notorisch ist - überhaupt keine Seltenheit. Ein Mieter einer Wiener Innenstadt-Wohnung muss daher mit Veränderungen der umliegenden Häuser unter Ausnützung der Möglichkeiten der Bauordnung rechnen. Beeinträchtigungen dadurch sind zwar subjektiv gesehen bedauerlich, aber hinzunehmen, außer der Mieter trifft im Mietvertrag eine besondere Vereinbarung, die ihm die Aufrechterhaltung des jetzigen Bauzustands oder die bisherigen Umgebungsverhältnisse zusichert oder bei entsprechenden Veränderungen eine Mietzinsreduktion einräumt. Liegt aber - wie hier - weder eine besondere Vereinbarung noch eine unerwartete und damit wesentliche Beeinträchtigung der Benützung des Bestandgegenstands vor, kommen die Gefahrtragungsregeln nicht zur Anwendung, weil kein „Zufall“ die Sache teilweise unbrauchbar macht. Dem Beklagten steht keine Mietzinsreduktion zu. Dies haben bereits die Vorinstanzen zutreffend erkannt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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