OGH 6Ob243/09t

OGH6Ob243/09t18.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen A***** H*****, geboren am 16. Februar 2007, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Villach, Jugendamt, 9500 Villach, Gerbergasse 6, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 23. Juli 2009, GZ 2 R 157/09d-12, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 13. Mai 2009, GZ 3 P 20/09m-8, aufgehoben und das Verfahren für nichtig erklärt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen.

Text

Begründung

Am 22. 1. 2009 beantragte die am 16. 2. 2007 geborene Minderjährige, vertreten durch das Jugendamt Villach, die Festsetzung eines vom Kindesvater zu leistenden Unterhalts von 140 EUR.

Das Erstgericht setzte den Unterhalt mit Beschluss vom 11. 3. 2009 beginnend mit 1. 1. 2009 mit monatlich 140 EUR fest. Dabei ging es von einem monatlichen Nettoeinkommen des Kindesvaters von 1.400 EUR aus. Dieser Beschluss wurde am 24. 3. 2009 zugestellt.

Am 30. 3. 2009 beantragte das Jugendamt namens der Minderjährigen, den Unterhalt von 140 EUR auf 210 EUR monatlich zu erhöhen, beginnend mit 1. 1. 2009. Dem lag ein Einkommen des Kindesvaters von 1.400 EUR zu Grunde.

Der Kindesvater äußerte sich zu diesem Antrag nicht.

Das Erstgericht setzte darauf hin mit Beschluss vom 13. 5. 2009 den Unterhalt für die Minderjährige mit 210 EUR monatlich fest.

Das Rekursgericht hob über Rekurs des Kindesvaters diesen Beschluss und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies den Antrag auf Erhöhung des Unterhalts zurück. Eine Neufestsetzung des Unterhalts könne nur bei geänderter Sachlage oder bei Änderung der dem Unterhaltsanspruch zu Grunde liegenden Gesetzeslage erfolgen. Sei aber über den gesamten Unterhaltsanspruch rechtskräftig erkannt worden, sei ein Antrag, die Unterhaltsbemessung trotz unverändert gebliebener Verhältnisse zu ändern, wegen Rechtskraft zurückzuweisen. Im vorliegenden Fall gehe schon aus dem Vorbringen des Jugendamts hervor, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse zwischen dem ersten Unterhaltsbemessungsbeschluss und dem Antrag auf Erhöhung des Unterhalts nicht geändert hätten. Der Antrag sei daher zurückzuweisen.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt:

1. Im außerstreitigen Verfahren ergangene Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft zugänglich und können nur bei Änderung der Sach- oder Rechtslage abgeändert werden (RIS-Justiz RS0107666, RS0053297). Eine derartige Änderung der Verhältnisse, der die Rechtskraft einer früheren Entscheidung nicht mehr entgegensteht, liegt nicht nur vor, wenn neue Tatsachen eingetreten sind, sondern auch dann, wenn schon zur Zeit der früheren Entscheidung eingetretene Tatsachen dem Gericht erst später bekannt werden (RIS-Justiz RS0019012, vgl auch RS0007145 [T1]). Dem Begehren, die Unterhaltsverpflichtung im Hinblick auf eine (wesentliche) Änderung der Verhältnisse in anderer Weise festzusetzen, steht nicht die Rechtskraft der vorangegangenen Unterhaltsbemessung entgegen. Wurde über den (gesamten) Unterhaltsanspruch rechtskräftig erkannt, dann ist hingegen ein Antrag, die Unterhaltsbemessung trotz unverändert gebliebener Verhältnisse zu ändern, wegen Rechtskraft zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0007161).

2. Allerdings gilt im außerstreitigen Unterhaltsbemessungsverfahren der Dispositionsgrundsatz (RIS-Justiz RS0006259). Ein Anspruch, den der Berechtigte nicht geltend gemacht hat, kann daher - ungeachtet der Tatsache, dass ein früherer Antrag nicht als Teilantrag bezeichnet und eine Nachforderung nicht ausdrücklich vorbehalten wurde - nicht in Rechtskraft erwachsen, ist doch Voraussetzung der materiellen Rechtskraftwirkung die Identität der Ansprüche (RIS-Justiz RS0006259; 6 Ob 126/07h). Bei Geltendmachung eines Anspruchsteils erfasst die Rechtskraft den Anspruch nur soweit, als über ihn entschieden wurde. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Umstand, dass nur ein Anspruchsteil geltend gemacht werde, offen gelegt wird (RIS-Justiz RS0007143; 5 Ob 592/90; 5 Ob 75/09d). Auch spielt es keine Rolle, ob die Geltendmachung des Anspruchsrestes ausdrücklich vorbehalten wurde oder ob sich die für die Unterhaltsbemessung maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse seit der Erlassung der Vorentscheidung geändert haben (RIS-Justiz RS0007143). Vielmehr kann, wenn ein Anspruch geltend gemacht wird, der insoweit noch nicht Gegenstand der vorangegangenen Entscheidung war, der Unterhalt auch bei gleichgebliebenen Verhältnissen erhöht werden. Der Unterhaltsberechtigte kann auch bei gleichgebliebenen Verhältnissen verlangen, dass der Unterhalt auf den ihm zustehenden Betrag erhöht wird. Ein derartiger Erhöhungsantrag kann auch für die Vergangenheit gestellt werden (RIS-Justiz RS0007161 [T3]; RS0006259; 4 Ob 598/95; 1 Ob 25/07v).

3. Anders liegt der Fall nur dann, wenn etwa bei einer (Teil-)Abweisung eines überhöhten Unterhaltsbegehrens über den Unterhaltsanspruch abschließend rechtskräftig erkannt wurde. In diesem Fall stünde auch einem höheren Unterhaltsbegehren - sofern nicht geänderte Verhältnisse behauptet werden - die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegen (RIS-Justiz RS0006259 [T1]). Wurde einem Unterhaltsfestsetzungsbegehren hingegen vollinhaltlich stattgegeben, so kann jederzeit ein höherer Unterhaltsbetrag gefordert werden, ohne dass es hiezu einer Änderung der Verhältnisse bedarf (6 Ob 126/07h). Im seinerzeitigen Unterlassen der Geltendmachung eines höheren Anspruchs liegt auch kein schlüssiger Verzicht auf den Mehrbetrag (RIS-Justiz RS0007146).

4. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung ist eine Unterhaltserhöhung grundsätzlich auch rückwirkend möglich (vgl 10 Ob 1543/95). Der Erhöhungsantrag kann daher auch für die Vergangenheit gestellt werden (RIS-Justiz RS0007161 [T3]); einzige materielle Grenze ist hier die Verjährung (1 Ob 25/07v).

5.1. Das Gegenstand des nunmehrigen Antrags bildende Mehrbegehren von 70 EUR monatlich war aber nicht Gegenstand der Entscheidung im ersten Unterhaltsbemessungsverfahren. Dessen Rechtskraft beschränkt sich vielmehr auf den damals geltend gemachten Betrag von 140 EUR monatlich. Hingegen entfaltet die seinerzeitige Entscheidung keine Sperrwirkung für die Geltendmachung eines seinerzeit nicht begehrten Betrags.

5.2. Damit erweist sich aber die vom Rekursgericht vorgenommene Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und Nichtigerklärung des bisherigen Verfahrens als verfehlt. Daher war der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufzutragen.

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