OGH 17Ob18/08h

OGH17Ob18/08h26.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch seine Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende und die Hofrätin Dr. Schenk sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E. *****, 2. M***** GmbH, *****, beide vertreten durch Fiebinger, Polak, Leon & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 36.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 7. April 2008, GZ 2 R 31/08f-13, mit welchem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 8. Jänner 2008, GZ 17 Cg 70/07m-9, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird mit der Maßgabe bestätigt, dass die Rechtssache zur Entscheidung über das Eventualbegehren an das Erstgericht zurückverwiesen wird.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 4.310,86 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (darin 718,48 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Erstklägerin war Inhaberin des Europäischen Patents Nr. 0253310B1, das sie am 9. Juli 1987 angemeldet hatte. Zu diesem - inzwischen abgelaufenen - Grundpatent erteilte das Österreichische Patentamt das ergänzende Schutzzertifikat SZ 16/96, das bis zum 2. September 2009 wirksam ist. Es schützt wie das Grundpatent (a) den Wirkstoff Losartan-Kalium und (b) ein Verfahren zu dessen Herstellung. Die Zweitklägerin verfügt dafür über eine exklusive Lizenz. Die Beklagte vertreibt ohne deren Zustimmung ein Arzneimittel, das den Wirkstoff enthält.

Zur Sicherung ihres mit Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruchs beantragen die Klägerinnen, der Beklagten zu verbieten, Arzneimittel, die den vom Schutzzertifikat erfassten Wirkstoff enthalten, in Österreich betriebsmäßig in Verkehr zu bringen, feilzuhalten, zu gebrauchen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen. Hilfsweise beantragen sie ein entsprechendes Verbot für den Fall, dass der Wirkstoff in einem vom Schutzzertifikat erfassten Verfahren hergestellt wurde. Zur Begründung des Hauptbegehrens stützen sie sich auf Art 27 Abs 1 iVm Art 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk. Diese Bestimmungen seien unmittelbar anzuwenden und hätten dem Stoffschutzverbot derogiert, das sich aus § 10 Abs 2 PatV-EG in Verbindung mit dem österreichischen Vorbehalt nach Art 167 Abs 2 lit a EPÜ ergebe. Daher sei ungeachtet der letztgenannten Bestimmungen keine Nichtigerklärung des auf das Europäische Patent gegründeten Schutzzertifikats möglich. In Bezug auf das Eventualbegehren sei bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen, dass sich die Beklagte bei der Produktion des vom Patent erfassten Wirkstoffs des geschützten Verfahrens bedient habe.

Die Beklagte wendet ein, das Patent und das Schutzzertifikat seien nach § 10 Abs 2 PatV-EG iVm dem österreichischen Vorbehalt nach Art 167 Abs 2 lit a EPÜ nichtig, was im Sicherungsverfahren nach § 156 Abs 1 PatentG 1970 im Rahmen einer Vorfragebeurteilung wahrzunehmen sei. Das Inkrafttreten des TRIPS-Abk habe daran nichts geändert. Dessen von der Klägerin genannte Bestimmungen seien nicht unmittelbar anwendbar. Weiters ordne Art 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk eine Rückwirkung nur für solche Schutzrechte an, die bei Inkrafttreten des Abkommens nicht nur formal aufrecht, sondern auch materiell rechtsbeständig seien. Das sei hier wegen der möglichen Nichtigerklärung nach § 10 Abs 2 PatV-EG nicht der Fall gewesen. Zudem sei auch der Gesetzgeber von der Weitergeltung des Stoffschutzvorbehalts ausgegangen, da er § 10 Abs 2 PatV-EG nach dem Inkrafttreten des TRIPS-Abk mit dem BG BGBl I 2007/81 geändert habe. Das Eventualbegehren müsse scheitern, weil die Beklagte zur Herstellung des Stoffes ein Syntheseverfahren anwende, das nicht in das geschützte Verfahren eingreife.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt. Das Inkrafttreten des TRIPS-Abk habe die Teilnichtigkeit des Patents saniert. Aus einer Mitteilung des Europäischen Patentamts ergebe sich, dass das TRIPS-Abk einem spanischen Vorhalt nach Art 167 Abs 2 lit a EPÜ für Patentanmeldungen derogiert habe, die bei Inkrafttreten des Abkommens noch anhängig gewesen seien. Gleiches müsse um so mehr für zu diesem Zeitpunkt bereits erteilte Patente gelten.

Das Rekursgericht wies den auf Stoffschutz gerichteten Sicherungsantrag ab und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.

Soweit und solange der Vorbehalt Österreichs nach Art 167 Abs 2 lit a EPÜ wirksam sei, könnten Stoffschutz gewährende Europäisch Patente nach § 10 Abs 2 PatV-EG für nichtig erklärt werden. Art 27 Abs 1 TRIPS-Abk lasse zwar keinen Raum für Stoffschutzverbote. Diese Bestimmung sei aber aus zeitlichen Gründen nicht anzuwenden. Nach Art 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk ergäben sich aus dem Abkommen Verpflichtungen in Bezug auf sämtliche „Gegenstände", die zum Zeitpunkt der Anwendung des Abkommens auf den betreffenden Vertragsstaat vorhanden und zu diesem Zeitpunkt in diesem Staat „geschützt" gewesen seien. Die Erfindung der Klägerin sei zwar ein solcher „Gegenstand". Allerdings hätte das dafür erteilte Patent bei Inkrafttreten des TRIPS-Abk nach § 10 Abs 2 PatV-EG für nichtig erklärt werden können. Ungeachtet der formalen Wirksamkeit des Patents sei die Erfindung daher zu diesem Zeitpunkt nicht „geschützt" iSv Art 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk gewesen. Die gegenteilige Ansicht unterstelle den Vertragsstaaten des TRIPS, sie hätten auch Patente absichern wollen, die bei Inkrafttreten des Abkommens nach nationalem Recht nicht rechtsbeständig gewesen seien. Dafür fehle jeder Anhaltspunkt. Zudem habe der österreichische Gesetzgeber mit der Novellierung von § 10 Abs 2 PatV-EG durch das BG BGBl I 2007/81 an der Möglichkeit einer Nichtigerklärung von Stoffschutz gewährenden Altpatenten festgehalten.

Da aus diesem Grund auch nach Inkrafttreten des TRIPS-Abk eine Nichtigerklärung des Patents nach § 10 Abs 2 PatV-EG möglich gewesen wäre, sei das darauf gründende Schutzzertifikat der Erstklägerin nach Art 15 Abs 1 lit c Fall 3 der VO (EG) Nr 1768/92 nichtig und nach Art 15 Abs 2 leg cit iVm § 5 Abs 1 SchZG vom Österreichischen Patentamt auf Antrag für nichtig zu erklären. Der auf § 156 Abs 1 PatG gestützte Einwand der fehlenden Rechtsbeständigkeit sei daher im Sicherungsverfahren berechtigt. Über das Eventualbegehren werde das Erstgericht nach Rechtskraft der Rekursentscheidung abzusprechen haben.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage fehle, ob ein während der Wirksamkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art 167 Abs 2 lit a EPÜ angemeldetes Stoffschutzpatent ungeachtet der Art 27 Abs 1, 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk nach § 10 Abs 2 PatV-EG für nichtig erklärt werden könne. Zwar habe der Oberste Gerichtshof die Rechtsbeständigkeit entsprechender österreichischer Patente mehrfach nach Art IV PatRNov 1984 verneint. Die Patentinhaber hätten sich jedoch in diesen Verfahren nicht auf Art 27 Abs 1 und Art 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk berufen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Klägerinnen ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1. Nach dem österreichischen Vorbehalt zu Art 167 Abs 2 lit a EPÜ (idF vor dessen Neufassung) können „Europäische Patente [...] für das Gebiet der Republik Österreich übereinstimmend mit den für nationale Patente geltenden Vorschriften für nichtig erklärt werden, soweit sie Schutz für chemische Erzeugnisse als solche oder für Nahrungs- oder Arzneimittel als solche gewähren". Dieser Vorbehalt war zwar nach Art 167 Abs 3 EPÜ aF nur bis zum 7. Oktober 1987 „wirksam". Nach Art 167 Abs 5 EPÜ aF erstreckt er sich aber auf alle Patente, die während der (ursprünglichen) Wirksamkeit des Vorbehalts eingereicht wurden; er bleibt in diesem Fall für die gesamte Geltungsdauer des Patents „wirksam".

Auf dem Vorbehalt aufbauend sah § 10 Abs 2 PatV-EG idF vor dem BG BGBl I 2007/81 vor, dass bloßen Stoffschutz gewährende Europäische Patente in Österreich für nichtig erklärt werden konnten, „soweit und solange ein Vorbehalt Österreichs gemäß Art 167 Abs 2 lit a EPÜ wirksam ist". Mit dem BG BGBl I 2007/81 wurde diese Bestimmung dahin geändert, dass nun auf „Art 167 Abs 2 lit a EPÜ in der Fassung vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung" verwiesen wird. Diese Regelung trat nach § 25 Abs 9 PatV-EG idF des BG BGBl I 2007/81 zugleich mit dem Inkrafttreten des revidierten EPÜ in Kraft, also am 13. Dezember 2007 (Mitteilung des Inkrafttretens der revidierten Fassung im Amtsblatt des Europäischen Patentamts 1/2008, 1).

2. Auf dieser Grundlage ziehen die Klägerinnen nicht in Zweifel, dass Stoffschutz gewährende Europäische Patente, die - wie hier - während der (ursprünglichen) Wirksamkeit des österreichischen Vorbehalts (dh bis zum 7. Oktober 1987) angemeldet worden waren, nach § 10 Abs 2 PatV-EG iVm dem Vorbehalt nach Art 167 Abs 2 lit a EPÜ aF für nichtig erklärt werden konnten (vgl 4 Ob 178/03k = ÖBl 2004, 83 [Wolner/Nemec] - Amlodopin; 4 Ob 134/04s = ÖBl 2005, 78 [Schönherr/Adocker, Gassauer-Fleissner/Schultes] - Omeprazol; 4 Ob 246/04m = ÖBl-LS 2005/36 - Omeprazol II). Sie vertreten jedoch die Auffassung, dass Art 27 Abs 1 iVm Art 72 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights; Anhang 1C zum Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation [WTO-Abkommen], authentische englische und nicht authentische deutsche Fassung BGBl 1995/1, 188 ff bzw 1134 ff, davon abweichende deutsche Fassung ABl [EG] L 1994/336, 214) diesen Bestimmungen derogiert habe. Damit sei die Nichtigkeit des Patents saniert. Diese Frage sei in den bisher zum Stoffschutzvorbehalt ergangenen Entscheidungen mangels Vorbringens der jeweiligen Patentinhaber nicht geprüft worden.

3. Die für den vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen des TRIPS-Abk lauten wie folgt (deutsche Fassung nach BGBl 1995/1):

Article 27 Patentable Subject Matter

1. Subject to the provisions of paragraphs 2 and 3, patents shall be available for any inventions, whether products or processes, in all fields of technology, provided that they are new, involve an inventive step and are capable of industrial application. [...]

Artikel 27 Patentfähiger Gegenstand

1. Vorbehaltlich der Bestimmungen der Absätze 2 und 3 werden Patente für alle Erfindungen, ob sie Erzeugnisse oder Verfahren betreffen, auf allen Gebieten der Technik gewährt, vorausgesetzt sie sind neu, beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit und sind gewerblich anwendbar. [...]

Article 70 Protection of Existing Subject Matter

1. This Agreement does not give rise to obligations in respect of acts which occurred before the date of application of the Agreement for the Member in question.

2. Except as otherwise provided for in this Agreement, this Agreement gives rise to obligations in respect of all subject matter existing at the date of application of this Agreement for the Member in question, and which is protected in that Member on the said date, or which meets or comes subsequently to meet the criteria for protection under the terms of this Agreement. [...]

Art 70 Schutz vorhandener Gegenstände

1. Aus diesem Abkommen ergeben sich keine Verpflichtungen in Bezug auf Handlungen, die vor dem Tag der Anwendung des Abkommens auf das betreffende Mitglied vorgenommen werden.

2. Sofern in diesem Abkommen nichts Gegenteiliges vorgesehen ist, ergeben sich aus diesem Abkommen Verpflichtungen in Bezug auf sämtliche Gegenstände, die am Tag der Anwendung des Abkommens auf das betreffende Mitglied vorhanden und an diesem Tag in diesem Mitglied geschützt sind, oder die die Schutzvoraussetzungen nach Maßgabe dieses Abkommens erfüllen oder in der Folge erfüllen werden. [...]

Das TRIPS-Abk trat am 1. Jänner 1995 in Kraft; Beginn der Anwendung war für Österreich nach Art 65 Abs 1 TRIPS-Abk der 1. Jänner 1996.

4. Die strittigen Bestimmungen des TRIPS-Abk sind unmittelbar anwendbar.

4.1. Das TRIPS-Abk ist als gemischtes Übereinkommen, das sowohl von der Europäischen Gemeinschaft als auch von deren Mitgliedstaaten geschlossen wurde, auch Bestandteil des Gemeinschaftsrechts. Nach der Rsp des EuGH ist es zwar nicht unmittelbar anzuwenden, soweit es sich auf Materien bezieht, in denen die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen hat. Hat hingegen die Gemeinschaft ihre Zuständigkeit überhaupt nicht oder nur in geringem Umfang ausgeübt, so schließt es das Gemeinschaftsrecht nicht aus, dass die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats die unmittelbare Anwendung einzelner Vorschriften des TRIPS-Abk vorsieht (EuGH C-300/98 = ecolex 2001, 501 [Gamharter 411] - Dior; C-431/05 = wbl 2007, 582 [Urlesberger] - Merck; insofern überholt daher Reinisch, Können Verletzungen von WTO-Recht durch einzelne Betroffene geltend gemacht werden? ecolex 2000, 912). Das gilt insbesondere für den Bereich des Patentrechts (C-431/05 - Merck; Kaiser in Busche/Stoll, TRIPS. Internationales und europäisches Recht des geistigen Eigentums [2007] Einl 3 Rz 30).

Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerinnen ihren Anspruch im vorliegenden Fall auf die VO (EG) Nr 1768/92 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel stützen. Denn nach Art 5 dieser VO gewährt das Schutzzertifikat dieselben Rechte und unterliegt denselben Beschränkungen wie das Grundpatent. Diese - hier strittigen - Beschränkungen des Grundpatents (Teilnichtigkeit in Bezug auf den Stoffschutzanspruch) werden in der Verordnung und im übrigen Gemeinschaftsrecht nicht geregelt (C-431/05 - Merck, Rz 43 ff). Damit ist die Frage, ob die für die Beurteilung der Teilnichtigkeit möglicherweise relevanten Bestimmungen des TRIPS-Abk unmittelbar anwendbar sind, ausschließlich nach Völkerrecht und nationalem Recht zu beurteilen.

4.2. Der Nationalrat hat bei der Genehmigung des Abschlusses des TRIPS-Abk keinen Erfüllungsvorbehalt iSv Art 50 Abs 2 B-VG abgegeben. Daher ist nach der Rsp des VfGH (V 78/90 = Slg 12.558/1990; G 91/93, V 46/93 = Slg 13.952/1994) im Zweifel anzunehmen, dass das Übereinkommen unmittelbar anwendbar ist. Subjektive oder objektive Gründe, die diese Vermutung entkräften könnten, liegen nicht vor: Zum einen ist kein auf die Unanwendbarkeit gerichteter gemeinsamer Wille der Vertragsparteien zu erkennen; diese Frage war vielmehr strittig und wurde daher dem nationalen Recht der Vertragsstaaten überlassen (UNCTAD-ICTSD [Hrsg], Resource Book on TRIPS and Development [2005] 18 ff; vgl auch Elfring in Busche/Stoll Art 1 Rz 6, 12). Zum anderen weisen die hier maßgebenden Bestimmungen - ebenso wie Art 13 TRIPS-Abk, dessen unmittelbare Anwendbarkeit der Senat bereits bejaht hat (4 Ob 146/98v = SZ 71/101 - Thermenhotel L) - einen ausreichend bestimmten Inhalt auf, sodass sie auch ohne spezielle Transformation Grundlage von Vollzugsakten sein können (zu diesem Erfordernis VfGH Slg 12.558/1990; Slg 13.952/1994; speziell zu Art 27 Abs 1 TRIPS-Abk Kaiser in Busche/Stoll, Einl 3 Rz 75 mwN).

5. Unstrittig ist, dass Art 27 Abs 1 TRIPS-Abk ein Stoffschutzverbot ausschließt. Denn nach dieser Bestimmung sind nicht nur Verfahren, sondern auch „Erzeugnisse" („products") patentfähig (Neef/Reyes-Knoche in Busche/Stoll Art 27 Rz 16 ff; UNCTAD-ICTSD [Hrsg], Resource Book 356). Fraglich ist allerdings, ob diese Regelung auch im vorliegenden Fall anwendbar ist. Dafür sind die Übergangsvorschriften des Art 70 TRIPS-Abk maßgebend.

5.1. Nach Art 70 Abs 1 TRIPS-Abk wirkt das Abkommen zwar nicht auf „Handlungen" („acts") zurück, die vor dessen Inkrafttreten gesetzt worden waren. Wohl erstreckt es sich aber „auf sämtliche Gegenstände" („all subject matter"), die bei Beginn der Anwendung des Abkommens in einem Mitgliedstaat vorhanden und dort „geschützt" waren. Unter „Gegenstand" („subject matter") sind in diesem Zusammenhang alle Objekte zu verstehen, auf die sich Rechte des geistigen Eigentums beziehen können, also insbesondere Erfindungen (Elfring in Busche/Stoll Art 27 Rz 16 ff; UNCTAD-ICTSD [Hrsg], Resource Book 759). Sind solche Erfindungen nach dem Recht des betreffenden Staats bei Beginn der Anwendung des TRIPS-Abk „geschützt" („protected"), so sind darauf in weiterer Folge die Regelungen des Abkommens anzuwenden. Das führt etwa dazu, dass sich eine bloß siebzehnjährige Schutzdauer nach nationalem Recht auf die in Art 33 TRIPS-Abk vorgesehenen zwanzig Jahre verlängert (Appellate Body der WTO, AB-2000-7, http://docsonline.wto.org/DDFDocuments/t/WT/ DS/170ABR.doc).

5.2. Damit ist der Kern des Problems erreicht. War das strittige Erzeugnis bei Beginn der Anwendbarkeit des TRIPS-Abk für Österreich „geschützt", so stünde der in diesem Fall anwendbare Art 27 TRIPS-Abk als spätere Regelung einer Nichtigerklärung des Patents nach § 10 Abs 2 PatV-EG iVm dem österreichischen Vorbehalt nach Art 167 Abs 2 lit a EPÜ aF entgegen. Denn die Neufassung von § 10 Abs 2 PatV-EG durch das BG BGBl I 2007/81 ist zwar ihrerseits lex posterior zum TRIPS-Abk. Die darin (weiterhin) vorgesehene Möglichkeit zur Nichtigerklärung von Stoffschutzpatenten besteht aber (auch) nach dieser Bestimmung nur, „soweit und solange" der Vorbehalt nach Art 167 EPÜ aF „wirksam" ist. Das träfe nicht mehr zu, wenn ein Normkonflikt zwischen dem TRIPS-Abk und dem Vorbehalt zum EPÜ bestünde. Denn in einem solchen Fall wäre der Vorbehalt nach der (völkerrechtlichen) Lex-posterior-Regel (Art 30 Abs 3 WVK) seit dem Anwendbarwerden des TRIPS-Abk unanwendbar und damit nicht mehr „wirksam" iSv § 10 Abs 2 PatV-EG. Die Neuregelung wäre damit ins Leere gegangen; § 10 Abs 2 PatV-EG hätte keinen Anwendungsbereich mehr.

6. Der Wortlaut von Art 70 Abs 2 TRIPS-Abk ist für beide Auslegungsvarianten offen. „Geschützt" kann sowohl in einem formellen als auch (zusätzlich) in einem materiellen Sinn verstanden werden. Im ersten Fall käme es nur auf die Registrierung des Patents an, im zweiten auch auf die Rechtsbeständigkeit, dh das Fehlen von Nichtigkeitsgründen.

6.1. Welche der beiden Varianten zutrifft, ist nach Auffassung des Senats nicht aufgrund einer autonomen Auslegung von Art 70 Abs 2 TRIPS-Abk zu beurteilen, sondern nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht. Grund dafür ist die Systematik dieser Bestimmung: Sie verweist für die Anwendbarkeit des Abkommens auf das Bestehen von Schutz in einem bestimmten Staat und verzichtet damit auf eine autonome, alle Vertragsstaaten gleich behandelnde Regelung. Damit muss sich aber auch das Verständnis des Begriffes „Schutz" nach dem Recht des jeweils betroffenen Staats richten. Denn es wäre in sich widersprüchlich, wollte man zwar auf den Schutz in einem bestimmten Vertragsstaat abstellen, das Bestehen dieses Schutzes aber nicht nach dem Begriffsverständnis dieses Staats beurteilen. Bei Europäischen (Bündel-)Patenten muss es daher auf das Verständnis jenes Staats ankommen, in dem Schutz beansprucht wird. Daraus folgt, dass aus den im Revisionsrekurs angeführten Entscheidungen spanischer Gerichte, die sich auf den Schutz Europäischer Patente in Spanien beziehen, für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nichts abgeleitet werden kann.

6.2. Nach § 156 Abs 1 PatentG 1970 kann die Gültigkeit eines Patents und damit auch das Vorliegen von Nichtigkeitsgründen vorfrageweise beurteilt werden. Das gilt insbesondere für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (RIS-Justiz RS0103412), in dem die Registrierung eines Patents lediglich einen Prima-facie-Beweis für dessen Rechtsbeständigkeit begründet (RIS-Justiz RS0071369). Nur dann, wenn ein Urteil vom Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Nichtigkeitsgrunds abhängt, ist nach § 156 Abs 3 PatentG 1970 unter Umständen eine Entscheidung des Patentamts erforderlich. Diese Bestimmung hat indes nur verfahrensrechtliche Bedeutung; sie soll die Zuständigkeit des Patentamts für die (endgültige) Entscheidung über den Bestand eines Patents absichern. Für die Auslegung des Begriffs „geschützt" ist demgegenüber maßgebend, dass der Inhaber eines Patents bei Vorliegen eines Nichtigkeitsgrunds weder einstweiligen Rechtsschutz (RIS-Justiz RS0103412) noch - nach Nichtigerklärung des Patents iSv § 156 Abs 3 PatentG 1970 - ein Unterlassungsurteil erwirken kann. Von einem nach objektivem Recht bestehenden „Schutz" eines solchen Patents kann daher nach österreichischem Verständnis nicht gesprochen werden (vgl auch 4 Ob 113/79 = RdA 1981, 307 [Geppert] = ZAS 1981, 27 [Kucsko]).

6.3. Die im Revisionsrekurs angeführte Rechtsprechung zur Auswirkung der Nichtigkeit eines Immaterialgüterrechts auf Streitigkeiten aus Lizenzverträgen (zuletzt 4 Ob 128/06m = ÖBl-LS 2007/108 - Gasmischanlage mwN) steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Danach führt zwar die mögliche oder bereits erfolgte Nichtigerklärung eines Immaterialgüterrechts nicht zum (rückwirkenden) Wegfall von Entgeltansprüchen aus einem über dieses Recht geschlossenen Lizenzvertrag. Grund dafür ist allerdings ergänzende Vertragsauslegung, die am vermuteten Willen der Vertragspartner anknüpft. In einem solchen Fall kann der vorläufige Schutz eines Immaterialgüterrechts durch die Prima-facie-Wirkung der Registrierung (Erteilung) und die schon vertraglich begründete Abwehrmöglichkeit gegenüber Unterlassungsansprüchen des Lizenzgebers die Zahlungspflicht rechtfertigen. Für den Begriff des „Schutzes" iSv Art 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk lässt sich daraus nichts ableiten.

6.4. Auch teleologische Auslegung von Art 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk fordert letztlich keine andere Beurteilung. Die Bestimmung hat offenkundig den Zweck, den (Mindest-)Schutzumfang bei bereits nach nationalem Recht bestehenden Schutzrechten zu vereinheitlichen. Die von den Klägerinnen behauptete Sanierung von Nichtigkeitsgründen ginge über diesen Zweck hinaus. Sie führte zu einer Begünstigung von Rechteinhabern, denen es aus welchem Grund auch immer gelungen war, trotz einer nach nationalem Recht bestehenden Schutzunfähigkeit eine Registrierung (Erteilung) zu erwirken. Dafür ist kein Grund erkennbar.

6.5. Für dieses Auslegungsergebnis sprechen letztlich auch systematische Erwägungen. Denn folgte man dem Standpunkt der Klägerin, hätte der Gesetzgeber mit der Neufassung von § 10 Abs 2 PatV-EG durch das BG BGBl I 2007/81 eine Bestimmung erlassen, die keinen Anwendungsbereich hätte. Das wäre zwar hinzunehmen, wenn Art 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk keine andere Deutung zuließe. Sind aber - wie hier - zwei Auslegungsvarianten vom Wortlaut gedeckt, so ist jener der Vorzug zu geben, die dem zuletzt geäußerten Willen des Gesetzgebers einen eigenen Anwendungsbereich belässt (vgl RIS-Justiz RS0010053).

7. Aufgrund dieser Erwägungen muss der Revisionsrekurs der Klägerinnen, der ausschließlich auf die Unanwendbarkeit des österreichischen Stoffschutzvorbehalts aufgrund der jüngeren Regelung dieser Problematik in Art 27 Abs 1 iVm Art 70 Abs 2 Satz 1 Fall 1 TRIPS-Abk gestützt ist, scheitern. Dem aus der Begründung erkennbaren Entscheidungswillen des Rekursgerichts folgend war allerdings klarzustellen, dass die Entscheidung über das Eventualbegehren mangels Spruchreife dem Erstgericht obliegt (9 ObA 208/01f mwN).

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 50, 41 ZPO. Vor dem Obersten Gerichtshof war nur das Hauptbegehren strittig, sodass über die Kosten des Revisionsrekurses abschließend entschieden werden kann.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte