OGH 6Ob123/05i

OGH6Ob123/05i31.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, 1082 Wien, Rathaus, vertreten durch Dr. Richard Köhler & Dr. Anton Draskovits Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Elfriede J*****, und 2. Roland J***** jun., beide *****, vertreten durch Gheneff - Rami Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen Aufkündigung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 15. Februar 2005, GZ 41 R 226/04w-16, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. Juni 2004, GZ 30 C 785/03w-12, aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 330,12 (darin enthalten EUR 55,02 USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Analog § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung eines nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zugelassenen Rekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (1 Ob 172/00a ua). Das Berufungsgericht qualifizierte den am 23. 9. 1969 abgeschlossenen Vertrag über das Bestandobjekt - eine dem Gesamtrechtsvorgänger der Beklagten zum Betrieb einer Spielhalle überlassene Grundstücksfläche mit (vom Rechtsvorgänger vom früheren Bestandnehmer gekauftem und von diesem auf eigene Kosten selbst errichtetem) Superädifikat (Spielhalle) im Wiener Prater - insbesondere gestützt auf die Ausführungen der oberstgerichtlichen Entscheidung vom 9. 6. 2004, 9 Ob 53/04s (RdW 2004/674 = wobl 2004/68 [Vonkilch] = immolex 2004/140 [Kletecka]) nicht als Unternehmenspacht, sondern als Geschäftsraummiete und nahm daher Kündigungsschutz nach dem MRG an. Das vorliegende Verfahren unterscheidet sich von jenem, in dem die Entscheidung 9 Ob 53/04s erging, (nur) insofern, als die Klägerin nunmehr auch noch vorbrachte, sie stelle den Beklagten durch Betreiben des Wiener Volkspraters, der jährlich von Millionen von Menschen besucht werde, den Kundenstock zur Verfügung und erbringe noch weitere Leistungen für die Beklagten: Aufrechterhaltung der Infrastruktur im Wiener Volksprater, Reinigung der Straßen, Betreuung der Blumen und Gartenanlagen, Schneeräumung, Betreuung von zur Verfügung gestellten WC-Anlagen und Bewerbung des Wiener Volkspraters. Im vorliegenden Prozess führte das Berufungsgericht aus, es könne selbst nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht die Rede davon sein, dass die Klägerin dem Rechtsvorgänger der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Jahr 1969 alle wesentlichen Grundlagen des künftigen Unternehmens zur Verfügung gestellt habe. Selbst wenn man sämtliche festgestellten „Nebenleistungen" der Klägerin nicht als kommunale Maßnahmen ansehe, sondern der Klägerin als Privatrechtssubjekt „zuordne", reiche dies für die Annahme einer Unternehmenspacht nicht aus. Das Phänomen eines „abstrakten Kundenstocks" könne eine solche Annahme nur dann hinreichend legitimieren, wenn es keiner weiteren wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Investitionen und Beiträge des Bestandnehmers mehr bedürfe, um vom vorhandenen Kundenstock unternehmerisch partizipieren zu können. Dass dies nicht bereits zutreffe, wenn die Klägerin für die Schneeräumung, für die Gartenpflege und für die Beleuchtung des Wiener Volkspraters sorge und im Übrigen drei WC-Anlagen „betreibe", bedürfe keiner eingehenderen Begründung. Der „Betrieb des Unternehmens Vergnügungspark Wiener Volksprater" könne im gegebenen Zusammenhang nicht mit dem Betrieb eines Einkaufszentrums verglichen werden.

Mangels eines Vorbringens, die Klägerin betreibe den Vergnügungspark Wiener Wurstelprater als eigenes Unternehmen und beziehe die einzelnen Bestandnehmer mit deren Unternehmen in den Gesamtbetrieb ein, hatte sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 Ob 53/04s nicht veranlasst gesehen, auf den (erstmals im Revisionsverfahren erhobenen) Hinweis der Klägerin auf die jüngere Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu Bestandverträgen in Einkaufszentren einzugehen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss zulässig sei, weil es erforderlich sei, Rechtssicherheit über die rechtliche Qualifizierung der zahlreichen Bestandverträge im Wiener Volksprater zu schaffen, und der vorliegende Sachverhalt nicht zur Gänze mit jenem der Entscheidung 9 Ob 53/04s zu Grunde liegenden verglichen werden könne. Insbesondere habe der Oberste Gerichtshof noch nicht dazu Stellung genommen, ob der „Betrieb des Unternehmens Vergnügungspark Wiener Volksprater" mit dem Betrieb eines Einkaufszentrums verglichen werden könne. Entgegen diesem, den Obersten Gerichtshof gemäß § 526 Abs 2 ZPO nicht bindenden, Ausspruch des Berufungsgerichts ist der von der Klägerin gegen die Entscheidung zweiter Instanz erhobene Rekurs mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Berufungsgericht für erforderlich erachteten Stellungnahme des Obersten Gerichtshofes zur im Schrifttum kontroversiell beantworteten Frage der rechtlichen Qualifikation von Bestandverhältnissen in Einkaufszentren (vgl etwa Reich-Rohrwig, Geschäftsraummiete, Unternehmenspacht und Bestandverhältnisse in Einkaufszentren - zu § 1091 ABGB und § 1 MRG, in FS Koppensteiner 629; Vonkilch, Bestandverträge in Einkaufszentren: Geschäftsraummiete oder Unternehmenspacht? wobl 2005, 105; ders, Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht: Bemerkung zu OGH 7 Ob 87/04a, wobl 2005, 269; ders, Nochmals: Zur rechtlichen Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2006, 13; ders, Neues vom OGH zur Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, immolex 2006, 41; B. Jud, Bestandverträge in Einkaufszentren, wobl 2005, 121; Würth, Zur Diskussion über das Wesen von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2005, 228; Oberhammer, Bestandverträge in Einkaufszentren: Miete oder Pacht? wobl 2005, 293; Karollus/Lukas, Zur Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2005, 341; Iro, Die Rechtsnatur von Bestandverträgen in Einkaufszentren, RdW 2005, 666; Kletecka, Der Pachtvertrag im Einkaufszentrum, immolex 2006, 6 und 38; Fenyves, Einkaufszentren, Privatautonomie und Vertrauensschutz, wobl 2006, 2; Riss, Einkaufszentren und die Absorptionstheorie, RdW 2006, 6; Wilhelm, Einkaufszentren: Pacht ohne Pachtobjekt? ecolex 2006, 15 ua) bedarf es im vorliegenden Fall nicht, weil der Wiener Prater - jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des gegenständlichen Bestandvertrages - mit einem Einkaufszentrum keineswegs verglichen werden kann. Eher lässt sich die historische Entwicklung des Praters als Vergnügungsgelände mit der einer prosperierenden Geschäftsstraße gleichsetzen, während dem Betrieb eines Einkaufszentrums allenfalls vergleichbare, die Besucherfrequenz steigernde unternehmerische Initiativen der Klägerin offenbar erst in jüngerer Zeit ergriffen wurden. Schon in der Vorentscheidung 9 Ob 53/04s hat der Oberste Gerichtshof darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass ein Vergnügungspark typischerweise eine nicht unerhebliche Besucherfrequenz aufweist, zur (von der Klägerin) gewünschten Qualifizierung als Pachtverhältnis nichts beitragen könne, zumal dies auch auf jeden Mietvertrag über Geschäftsräumlichkeiten in einer Geschäftsstraße zutreffe, ohne dass sich ein einzelner Vermieter darauf berufen könne, einen „Kundenstock" dadurch bereitzustellen, dass er bestimmte allgemeine Aktivitäten in der Umgebung des Bestandobjektes setze, die die Attraktivität des Standorts für potenzielle Kunden des Bestandnehmers erhöhten. Mit der Übertragung eines Kundenstocks im Rahmen des „good will" eines lebenden Unternehmens sei im Übrigen regelmäßig nicht die künftige Zuführung potenzieller Interessen (gemeint: Interessenten) in den Nahbereich des Unternehmens, sondern vielmehr die Überlassung bereits bestehender Kundenverbindungen gemeint. Der in der Entscheidung 9 Ob 53/04s zu beurteilende Bestandvertrag über eine von der Klägerin zum Betrieb eines Restaurants überlassene Grundstücksfläche mit im Eigentum des Bestandnehmers stehenden Superädifikaten war 1987 abgeschlossen worden.

Ungeachtet der nunmehr festgestellten „Betreibungshandlungen" der Klägerin stellt sich damit die Sachlage im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Bestandvertrags im Jahr 1969 nicht anders dar. Dass es noch weitere vergleichbare Rechtsverhältnisse im Wiener Prater geben mag, für die die Rolle der Klägerin als Vermieterin (oder Pächterin) von Bedeutung sein kann, ändert nichts daran, dass der Frage der Beurteilung von Bestandverhältnissen in Einkaufszentren hier keine Entscheidungsrelevanz zukommt und dies daher nicht weiter zu erörtern ist.

Grundsätzlich wird vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont, dass sich für die Unterscheidung zwischen Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht keine allgemein gültigen Regeln aufstellen lassen, sondern stets nur unter Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalles entschieden werden kann, ob Geschäftsraummiete oder Unternehmenspacht vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0031183; 8 Ob 11/04g mwN uva). Die Beurteilung dieser Frage stellt damit regelmäßig keine Rechtsfrage dar, der zur Wahrung der Rechtseinheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukäme (8 Ob 11/04g mwN), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Dies ist hier nicht der Fall. Eine erhebliche Rechtsfrage erblickt die Rekurswerberin schließlich noch in der in ständiger Rechtsprechung vertretenen analogen Anwendung des MRG auf die „Superädifikats-Flächenmiete" (die Miete von Grundstücken zur Errichtung von Wohn- oder Geschäftsräumen) erblickt. Dies stoße nicht nur im Schrifttum (auch) auf Kritik. Auch der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 9 Ob 53/04s durchblicken lassen, dass er von dieser Rechtsansicht abzugehen beabsichtige. Eine solche Absicht kann allerdings aus dieser Entscheidung keineswegs abgeleitet werden. Der Oberste Gerichtshof hat vielmehr in der darauf folgenden Entscheidung 6 Ob 88/05t, immolex 2006/64 = wobl 2006/52 = JBl 2006, 35 = ecolex 2005/397 nach eingehender Auseinandersetzung mit den dazu zahlreich geäußerten Literaturmeinungen seine ständige Rechtsprechung bekräftigt, wonach ein Bestandvertrag über ein Grundstück, auf dem sich ein mit Zustimmung des Grundeigentümers errichtetes Superädifikat befindet oder auf dem ein Superädifikat zu Wohn- und Geschäftszwecken errichtet werden soll, den Bestimmungen des MRG unterliegt. Die Rekurswerberin bringt nichts vor, das Anlass gäbe, von dieser Auffassung abzurücken.

Da die Klägerin demnach auch in diesem Zusammenhang und damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen vermag, war spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagten haben in ihrer Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels ihrer Prozessgegnerin ausdrücklich hingewiesen.

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