OGH 8ObS3/05g

OGH8ObS3/05g20.1.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Galutschek und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Roland S*****, vertreten durch Mag. Stefan Draxler, Rechtsanwalt in Mödling, wider die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen EUR 17.296 an Insolvenzausfallgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Oktober 2004, GZ 8 Rs 106/04y-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6. April 2004, GZ 11 Cgs 88/03s-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schloss mit einer „Internet" GesmbH, deren Gesellschafter sein Vater und sein Bruder waren - letzterer war auch der Geschäftsführer der GesmbH - einen Arbeitsvertrag, wonach ihm ab 1. 1. 2000 ein monatliches Nettogehalt von ATS 34.000 zahlbar am 5. des Folgemonats zustehen sollte. Für das erste Jahr (2000) sollten jedoch alle Gehälter erst am 5. 1. 2001 ausbezahlt werden. Grund für diese Vereinbarung war, dass es sich um ein Familienunternehmen gehandelt hat und - nach dem Vorbringen des Klägers - anfängliche Liquiditätsprobleme hintangehalten werden sollten. Das Dienstverhältnis endete aber bereits durch Entlassung am 5. 12. 2000. Während dieser Zeit hatte der Kläger auch im Restaurantbetrieb seiner Mutter gearbeitet, die ihn mit etwa 7.000 bis 10.000 Euro in diesem Jahr unterstützte. Dass der Kläger diese Beträge wieder hätte zurückzahlen sollen, konnte nicht festgestellt werden, ebenso wenig eine Kenntnis des Kläger von der finanziellen Lage der Internet GesmbH. Mit Beschluss vom 3. 12. 2001 wurde dann der Antrag auf Eröffnung des Konkurses über die GesmbH mangels Kostendeckung abgewiesen.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 25. 6. 2002 auf Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld mit der Begründung ab, dass es sich um eine sittenwidrige Vereinbarung gehandelt habe und dem Kläger die prekären Verhältnisse der GesmbH bekannt gewesen seien. Soweit der Kläger Insolvenzausfallgeld für die Gehälter über die letzten sechs Monate hinaus für die gesamte Dienstzeit einforderte, verwies die Beklagte auch auf die Beschränkung des § 3a Abs 1 IESG und hinsichtlich der Kündigungsentschädigung auf die Verfallsfrist des § 34 AngG.

Der Kläger begehrt nunmehr die Zuerkennung Insolvenzausfallgeld für die Gehälter für die Zeit vom 6. 6. 2000 bis 5. 12. 2000 in Höhe von EUR 17.296 netto sA. Er stützte sich im Wesentlichen darauf, dass die GesmbH erst eine entsprechende Grundausstattung hätte ankaufen müssen und sein Lebensunterhalt durch die Vorschüsse der Eltern abgedeckt gewesen sei, die wieder zurückgezahlt hätten werden sollen. Die GesmbH habe gute Aufträge gehabt. Die Anteile seien schließlich im Dezember 2002 sogar noch verkauft worden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass es sich um ein völlig atypisch gestaltetes Dienstverhältnis handle, das aus dem Schutz des IESG herausfalle. Es liege ein familiäres Naheverhältnis vor und dem Kläger seien die prekären Verhältnisse der GesmbH offensichtlich bekannt gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging im Wesentlichen rechtlich davon aus, dass überhaupt keine typisches, durch das IESG gesichertes Arbeitsverhältnis vorliege.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es legte dabei rechtlich bereits die durch das BGBl I 142/2000 geschaffenen Rechtslage zugrunde. Es stellte die allgemeinen Grundsätze für die Ermittlung eines Vorsatzes hinsichtlich einer sittenwidrigen Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds, aber auch der Beurteilung atypischer Arbeitsverhältnisse und der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Walcher dar. Die vorliegende Vereinbarung, dass im 1. Jahr überhaupt kein Arbeitsentgelt auszuzahlen sei, weiche vom typischen Inhalt eines Arbeitsverhältnisses, das auf die Erzielung von Entgelt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes gerichtet sei, ab. Mit der Stundung habe der Arbeitnehmer auch das Insolvenzrisiko teilweise auf den Fonds überwälzt. Es sei im Ergebnis von einem missbräuchlichen Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Lasten des Fonds auszugehen.

Die Revision erachtete das Berufungsgericht zur Frage der vorliegenden Stundungsvereinbarung nach der Novelle BGBl I 142/2000 und der Entscheidung des EuGH in der Rs Walcher als zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht dargestellten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Voranzustellen ist, dass nach der Übergangsbestimmung des § 17a Abs 23 IESG bereits § 3 Abs 2 und 3a Abs 1 IESG idF der Nov BGBl I 142/2000 anzuwenden ist, weil der Beschluss über die Konkurseröffnung nach dem 31. 12. 2000 gefasst wurde.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt dargestellt, dass nach dieser nunmehr geltenden Rechtslage die Sicherung auf die in den letzten sechs Monaten vor Klagseinbringung entstandenen Entgeltansprüche eingeschränkt ist und im Hinblick auf diese Erfassung und ausdrückliche Bewertung des Problems des „Stehenlassens" des laufenden Entgelts durch den Gesetzgeber regelmäßig allein aus der zeitlichen Komponente des „Stehenlassens" von Entgeltansprüchen nicht darauf geschlossen werden kann, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds überwälzen wolle (vgl dazu etwa OGH 8 ObS 254/01p, 8 ObS 195/02p und 8 ObS 206/02f). Allerdings wurde auch im Anwendungsbereich dieser Bestimmungen davon ausgegangen, dass im Einzelfall dann, wenn zu dem „Stehenlassen" der Entgeltansprüche weitere Umstände hinzutreten, die konkret auf den Vorsatz des Arbeitnehmers schließen lassen, hier das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu überwälzen, trotzdem die Geltendmachung eines Anspruches auf Insolvenzausfallgeld missbräuchlich sein kann (vgl dazu etwa 8 ObS 195/02p).

Nun hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner Entscheidung vom 11. 9. 2003 in der Rechtssache Walcher zu C-201/01 zu Arbeitnehmern, die an einer GmbH beteiligt sind, jedoch über keinen beherrschenden Einfluss verfügen, ausgesprochen, dass es gegen die Insolvenzrichtlinie 80/987/EWG (im Folgenden nur noch als Richtlinie bezeichnet) verstößt, wenn diese ihren Sicherungsanspruch auf offene Entgelte verlieren, wenn sie letzten nicht innerhalb von 60 Tagen ernsthaft einfordern. Gleichzeitig wurde aber auch festgehalten, dass ein Mitgliedstaat grundsätzlich zur Vermeidung von Missbräuchen Maßnahmen ergreifen darf, durch die solchen Arbeitnehmern ein Garantieanspruch für Entgeltforderungen versagt wird, die nach dem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem ein Arbeitnehmer, der nicht die Stellung eines Gesellschafters hat, wegen Vorenthaltens des Entgeltes aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre. Auch kann nachgewiesen werden, dass ein missbräuchliches Verhalten vorliegt. Dabei darf allerdings nicht unterstellt werden, dass ein Arbeitnehmer, der nicht die Stellung eines Gesellschafters hat, in der Regel aus diesem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre, bevor die nicht erfüllten Entgeltansprüche einen Zeitraum von 3 Monaten übersteigen.

Es ist zu prüfen, ob nicht hier ein von der Entscheidung des EuGH nicht berührter Missbrauchsfall im Sinne der bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes vorliegt, wie sie nach Art 10 der Richtlinie und der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Walcher (vgl insb Rz 36 ff) vom Schutz ausgenommen werden können. Dabei ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Ausnahme iSd Art 10 der Richtlinie eng auszulegen ist (vgl EuGH Rechtssache Walcher Rz 38). Art 10 gibt dem Mitgliedstaat nun einerseits allgemein die Möglichkeit zur Vermeidung von Missbräuchen die notwendigen Maßnahmen zu treffen (vgl Art 10 lit a der Richtlinie) und andererseits aber auch eine Einschränkung vorzunehmen, wenn sich herausstellt, dass die Erfüllung der Verpflichtung wegen des Bestehens besonderer Bindungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber und gemeinsamer Interessen, die sich in einer Kollusion zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber ausdrückt, nicht gerechtfertigt ist (vgl Art 10 lit b der Richtlinie).

Betrachtet man nun die konkreten Umstände des vorliegenden Falles, so hatte der Kläger vorweg ein besonders familiäres Naheverhältnis zu den Gesellschaftern der GesmbH und deren Geschäftsführer. Er hat während der gesamten Dauer seines Arbeitsverhältnisses von der GesmbH nie ein Entgelt bezogen, sondern wurde nur von seiner Mutter, in deren Betrieb er teilweise noch zusätzlich arbeitete, unterstützt. Gegen die GesmbH hat er selbst nach Beendigung des Dienstverhältnisses durch Entlassung weit über die für die Ansprüche auf Kündigungsentschädigung in § 34 AngG vorgesehene Verfallsfrist hinaus keinerlei Ansprüche geltend gemacht. Dieses gesamte Verhalten spricht aber ebenso wie die gegen § 15 AngG verstoßende Vereinbarung (vgl dazu etwa RIS-Justiz RS0028177 mwN), wonach der Kläger während eines gesamten Jahres keinerlei laufendes Entgelt von der GesmbH beziehen sollte, dafür, dass der Kläger, für den die Hintanhaltung von Liquiditätsproblemen für die GesmbH eine Grundlage für diese vertragliche Vereinbarung war, gemeinsam mit der GesmbH das Finanzierungsrisiko für die Entgeltansprüche des Klägers auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds überwälzen wollte.

Daher ist auch unter Bedachtnahme auf die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache Walcher und die Vorgaben der Insolvenzrichtlinie nicht davon auszugehen, dass ein Anspruch des Klägers auf Insolvenzausfallgeld besteht.

Der Revision des Klägers war dementsprechend nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 ASGG.

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