OGH 8ObS248/00d

OGH8ObS248/00d25.1.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Ernst Boran als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christina Eva-Maria M*****, vertreten durch Binder, Grösswang & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Bundessozialamt Wien, Niederösterreich und Burgenland, 1050 Wien, Geigergasse 5-9, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 131.045,72 sA, Insolvenz-Ausfallgeld (Revisionsinteresse S 36.375,18), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 2000, GZ 10 Rs 69/00s-15, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8. November 1999, GZ 28 Cgs 161/99t-6, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich der unangefochten gebliebenen Teile (Klagsabweisung von S 9.659,72 sA und Klagsstattgebung von S 85.557,80) insgesamt zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 85.557,80 netto Insolvenz-Ausfallgeld binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere S 45.487,92 netto sowie 4 % Zinsen aus S 131.045,72 seit 14. 8. 1999 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.161,76 (darin S 1.352,96 USt und S 44,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufungs- und Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin arbeitete vom 16. 9. 1997 bis 21. 8. 1998 bei einer Leszirkelwerbungs- und Verlagsgesellschaft als Anzeigenleiterin. In dem diesbezüglichen Dienstvertrag wurde festgehalten, dass der Klägerin an Vordienstzeiten drei Jahre für alle relevanten Ansprüche, insbesondere für die Abfertigung angerechnet werden. Da der Vertrag der Dienstgeberin mit einem Hauptkunden mit 31. 7. 1998 auslief, wurde die Klägerin mit Schreiben vom 28. 7. 1998 von ihrer Dienstgeberin davon in Kenntnis gesetzt, dass der bestehende Dienstvertrag per 31. 7. 1998 aufgelöst werden müsse. Weiters ist in diesem Schreiben auch festgehalten, dass die Klägerin drei Monatsentgelte an Abfertigung zustehen.

Da die Klägerin keine Zahlung erhielt, brachte sie am 23. 10. 1998 beim Arbeits- und Sozialgericht Wien Klage wegen S 239.998,-- netto und S 35.519,68 brutto ein. Am 16. 12. 1998 wurde über ihre ehemalige Dienstgeberin der Konkurs eröffnet und das Verfahren gemäß § 7 Abs 1 KO unterbrochen. Hierauf stellte die Klägerin am 8. 3. 1999 einen Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von insgesamt S 292.316,10. Die beklagte Partei erkannte ihr S 104.138,-- zu; das Mehrbegehren betreffend die Ansprüche der Klägerin über S 170.244,60 Abfertigung (drei Monatsentgelte auf Grund des Dienstvertrages und ein Monatsentgelt freiwillige Abfertigung) sowie ein Kostenmehrbegehren von S 6.060,40 wurde hingegen abgelehnt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin S 131.045,42 sA Insolvenz-Ausfallgeld, das sich aus S 127.572,72 an gesetzlicher Abfertigung und S 3.473,-- an Verfahrenskosten des arbeitsgerichtlichen Prozess samt 4 % Zinsen seit 24. 8. 1999 zusammensetzt, mit dem Vorbringen, ihr gebühre eine Abfertigung in der Höhe des zweifachen Monatsentgeltes, ds S 63.786,36 brutto monatlich.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und wandte insbesondere ein, dass die Klägerin im Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld unter anderem eine "Abfertigung" in der Höhe von S 170.244,60 netto geltend gemacht habe, während sie nunmehr eine Abfertigung in Höhe von zwei Monatsentgelten im Betrag von S 127.572,72 brutto geltend mache. Es sei auf den im Verwaltungsverfahren geltend gemachten monatlichen Abfertigungsanspruch abzustellen. Die Geltendmachung eines höheren monatlichen Abfertigungsbetrages unter gleichzeitiger Reduzierung der Anzahl der begehrten monatlichen Abfertigungsbeträge sei unzulässig.

Das Erstgericht erkannte die beklagten Partei schuldig, der Klägerin S 121.930,-- (davon S 118.440,-- netto Abfertigung und S 3.473,-- Kosten) samt 4 % Zinsen seit 24. 8. 1999 zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 9.659,72 sA wies es unangefochten ab.

Die beklagte Partei bekämpfte mit Berufung den Zuspruch eines S 82.064,82 übersteigenden Betrages so wie den Zinsenzuspruch, sohin wendete sie sich gegen den Zuspruch eines Betrages von S 39.865,18 samt Zinsen aus dem Gesamtbetrag.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nur hinsichtlich des Zinsenzuspruches Folge und wies das Zinsenmehrbegehren von 4 % Zinsen seit 24. 8. 1999 aus S 131.045,72 zur Gänze unbekämpft ab. Im Übrigen habe das Erstgericht die Berechnung der Höhe der gesicherten Abfertigung nach § 1 Abs 4a IESG zutreffend berechnet. Der Klägerin stünden die S 118.440,-- netto an Abfertigung zu (näheres siehe S 11 bis 13 des Berufungsurteils). Die Klägerin habe im Verwaltungsverfahren insgesamt S 170.244,60 an Abfertigung (für vier Monate) begehrt, in der vorliegenden Klage S 127.572,72 brutto Abfertigung (für zwei Monate). Der gerichtlich beanspruchte Betrag liege somit unter dem im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Betrag.

Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, inwieweit es eine unzulässige Klagsänderung darstelle, wenn die Abfertigung im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren verschieden berechnet werde, fehle.

Die beklagte Partei ließ den Zuspruch von S 3.473,-- an Kosten durch das Berufungsgericht unbekämpft in Rechtskraft erwachsen und wendet sich gegen den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils nur hinsichtlich eines Betrages von S 36.375,18 netto, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass der Klägerin insgesamt nur S 85.537,80 netto insgesamt zugesprochen werden.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die beklagte Partei macht zu Recht geltend, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits von einer ständigen Rechtsprechung und andererseits von einer klaren Rechtslage abweiche.

1. Seit der E 8 ObS 1, 10/96 (SSV-NF 10/15 = DRdA 1996, 426 = WBl

1996, 367 = ZIK 1997, 33) ist es nunmehr ständige oberstgerichtliche

Rechtsprechung (8 ObS 2112/96p = ZIK 1997, 68; 8 ObS 289/99d = ZIK

2000, 206 ua; zuletzt ausführlich 8 ObS 29/00y), dass wegen der sukzessiven Kompetenz nicht nur eine qualitative, sondern eine quantitative Änderung der Klage in gerichtlichen Sozialrechtsverfahren nach § 65 Abs 1 Z 7 ASGG gegenüber dem vor dem Bundessozialamt geltend gemachten Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld unzulässig ist. Hiebei besteht im Sinn der herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie lediglich eine Bindung hinsichtlich des Begehrens (Betrages) und des Anspruchs begründeten Sachverhalts; eine weitere Begründung - im Sinn der dreigliedrigen Streitsgegenstandstheorie - auch hinsichtlich der rechtlichen Qualifikation des Begehrens besteht nicht. Es kommt daher darauf an, ob der anspruchsbegründende Sachverhalt gegenüber dem im Verwaltungsverfahren geltend gemachten durch weitere Sachverhaltselemente ergänzt werden musste; bejahendenfalls liegt eine unzulässige Klagsänderung vor.

Das ist hier der Fall. Zwar wird jeweils Abfertigung begehrt und übersteigt der gerichtlich geltend gemachte Abfertigungsbetrag insgesamt nicht den im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Betrag. Doch wird der geltend gemachte Abfertigungsanspruch insoweit eingeschränkt, als bloß zwei Monatsentgelte geltend gemacht werden (was selbstverständlich unschädlich ist), aber insoweit wiederum ausgedehnt, als ein höherer Monatsbetrag begehrt wird; im Verwaltungsverfahren behauptet die Klägerin, ihr sei gegenüber ihrem Arbeitgeber ein Abfertigungsanspruch auf Basis von vier Monatsentgelten im Betrage von insgesamt S 170.244,60 netto zugestanden, woraus sich ein montlicher Nettobetrag von S 42.561,04 (entsprechend einem monatlichen Bruttobetrag von S 45.303) ergibt; im gerichtlichen Verfahren ging die Klägerin bei Berechnung ihres Abfertigungsanspruches hingegen von einem durchschnittlichen Monatsentgelt von S 63.786,36 brutto (entsprechend S 59.954,20 netto) aus. Die Geltendmachung eines höheren monatlichen Abfertigungsbetrages als vor dem Bundessozialamt ist im gerichtlichen Verfahren unzulässig, weil diesbezüglich der Anspruch begründende Sachverhalt erweitert werden musste; die Klägerin behauptet nunmehr ein der Abfertigung zugrunde liegendes weit höheres monatliches Entgelt.

Die Sicherung der Abfertigung der Klägerin ist daher nur mehr unter Zugrundelegung des im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Bruttomonatsentgelts von S 45.303,-- zu beurteilen.

2. Unstrittig ist im Revisionsverfahren, dass ein Abfertigungsanspruch von zwei Monatsentgelten zusteht und dass hiebei auch bei der Anwendung des § 1 Abs 4a IESG vom Bruttobetrag auszugehen ist (8 ObS 38/95 = SZ 68/202 = DRdA 1996, 164 = ZIK 1986, 70 ua).

3. Strittig ist hingegen die Berechnung der Höhe des Teiles der Abfertigung, der unter Berücksichtigung des § 1 Abs 4a IESG nach den IESG gesichert ist.

Der Oberste Gerichtshof kann die von den Vorinstanzen vorgenommene Berechnung nicht teilen.

Gemäß § 1 Abs 4a IESG gebührt Insolvenz-Ausfallgeld für - gesetzliche - Abfertigungsansprüche bis zum Ausmaß der einfachen Höchstbeitragsgrundlage nach Abs 4 pro Monatsbetrag Abfertigung in voller Höhe (lit a) und, soweit ein höherer Anspruch zusteht, bis zum Ausmaß der zweifachen Höchstbeitragsgrundlage nach Abs 4 pro Monatsbetrag Abfertigung in halber Höhe (lit b), wobei - wie bereits erwähnt - die Beträge jeweils brutto zu verstehen sind.

Die Berechnung des Berufungsgerichts findet weder im Gesetz, noch in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung, noch in der Literatur Deckung; sie beruht darauf, dass nach seiner Ansicht Insolvenz-Ausfallgeld nach § 1 Abs 4a lit b IESG jedenfalls bis zum 1,5fachen der Höchstbeitragsgrundlage des § 45 Abs 1 ASVG Insolvenz-Ausfallgeld gebühre; dies ist unzutreffend. Unzutreffend ist auch die Behauptung des Berufungsgerichts, dass der Oberste Gerichtshof diese Berechnung seiner Entscheidung 8 ObS 38/95 (SZ 68/202) zugrunde gelegt habe. Die Vorinstanzen haben die Ausführungen dieser Entscheidung offensichtlich missverstanden. Der Oberste Gerichtshof führte dort aus, dass durch § 1 Abs 4a IESG der Bruttobetrag der Abfertigung begrenzt ist. Als gesicherter höherer Anspruch im Sinne dieser Bestimmung ist der die einfache Höchstbeitragsgrundlage übersteigende Anspruch an Abfertigung bis zum Ausmaß der zweifachen Höchstbeitragsgrundlage zu verstehen; dieser die einfache Höchstbeitragsgrundlage übersteigende Teil des Abfertigungsanspruches ist bis zum Erreichen der mit der zweifachen Höchstbeitragsgrundlage für den Abfertigungsanspruch insgesamt fixierten Höchstgrenze - im Gegensatz zur Regelung nach lit a - nurmehr mit dem halben Betrag der zustehenden Abfertigung gesichert (ebenso 8 ObS 46/95; 8 ObS 7/96; 8 ObS 8/96). Der genaue Berechnungsmodus ist allen diesen Entscheidungen allerdings nicht zu entnehmen.

Aus den Materialien (AB 1332 BlgNR 18. GP, 2) zur IESG-Nov 1993 (BGBl 1993/817), mit dem diese Bestimmung eingefügt wurde, ergibt sich, dass "für Abfertigungen 100 % bis zur Erreichung der einfachen Höchstbeitragsgrundlage und für den Teil zwischen der einfachen und doppelten Höchstbeitragsgrundlage 50 % gewährt werden".

Holzer/Reissner/Schwarz (Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 192) bezeichnen die Höhe des Anspruchs als klar, soweit der Anspruch zwischen der einfachen und doppelten Höhe des Beitragsgrundlage liegt. Sie demonstrieren die Berechnung auch mit einem Rechnungsbeispiel: zB sei bei einem Bruttobetrag von S 50.000,-- der Anspruch bis zur einfachen Höchstbeitragsgrundlage (dh für 1999: S 42.600,--) voll heranzuziehen, der Rest sei zur Hälfte (S 7.400,--: 2 = S 3.700,--) maßgeblich (gekürzter Bruttobetrag für die Ermittlung des fiktiven Nettobetrags: S 46.300,--). Erst bei Übersteigen der doppelten Höchstbeitragsgrundlage, die hier aber nicht gegeben ist, gibt es nach ihrer Ansicht verschiedene Auslegungsvarianten.

Der beklagten Partei ist zuzustimmen, dass § 1 Abs 4a lit b IESG eine "Einschleifregelung" vorsieht: Für den Teil des gegen den Arbeitgeber zustehenden Abfertigungsanspruchs, der zwischen der einfachen und der zweifachen Höhe der Höchstbeitragsgrundlage liegt, gebührt Insolvenz-Ausfallgeld nur in halber Höhe; mit anderen Worten: dieser Teil ist zu halbieren, wobei nur für eine Hälfte Insolvenz-Ausfallgeld zusteht. Insgesamt (dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer mehr als die zweifache Höchstbeitragsgrundlage verdient) gebührt Insolvenz-Ausfallgeld für Abfertigungsansprüche nur bis zur 1,5 fachen Höchstbeitragsgrundlage brutto.

Bezogen auf den konkreten Fall berechnen sich die gesicherten Ansprüche der Klägerin wie folgt:

Einfache Höchstbeitragsgrundlage

gem. § 45 Abs 1 ASVG für 1998 S 42.000,--

zulässigerweise im gerichtlichen

Verfahren begehrtes Monats-

entgelt an Abfertigung S 45.303,--

abzüglich 1x Höchstbeitrags-

grundlage -S 42.000,--

Zwischensumme S 3.303,--

dividiert durch 2 S 1.651,50

Hälfteanteil über der einfachen

Höchstbeitragsgrundlage daher S 1.651,50

ergibt zusammen brutto S 43.651,50

abzüglich 6 % Lohnsteuer -S 2.619,09

gesicherter Abfertigungsanspruch

je Monat daher netto S 41.032,40

2 mal, da zwei Monats-

beträge zustehen S 82.064,82

Der Klägerin steht daher nur ein Betrag von S 82.064,82 Insolvenz-Ausfallgeld für die von ihr geltend gemachte Abfertigung zu; nicht aber der vom Berufungsgericht zugesprochene Mehrbetrag von S 36.375,18.

Zuzüglich des unbekämpften Kostenzuspruchs S 3.473,-- steht der Klägerin daher insgesamt Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe S 85.537,80 zu.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Kosten für die im wesentlichen erfolglose (vgl § 43 Abs 2 ZPO) Berufungsbeantwortung und die gänzlich erfolglose Revisionsbeantwortung gebühren auch nach § 77 Abs 1 Z 2b ASGG mangels Geltendmachung besonderer Billigkeitsgründe nicht.

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