OGH 8ObS306/98b

OGH8ObS306/98b7.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Gunter Krainhöfner und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Herwig M*****, vertreten durch Dr. Franz Wielander, Rechtsanwalt in Gmünd, wider die beklagte Partei Bundessozialamt für W*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 225.000,-- Insolvenz-Ausfallgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. August 1998, GZ 10 Rs 176/98w-13, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Februar 1998, GZ 8 Cgs 326/97z-9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß das Urteil lautet:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 225.000,-- Insolvenz-Ausfallgeld binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen."

Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 1982, als das Unternehmen in Form einer nichtprotokollierten Einzelfirma gegründet wurde, im Betrieb seiner damaligen Gattin beschäftigt. Der Betrieb hatte im jahrelangen Durchschnitt nur zwei bis sechs Arbeitnehmer. Ein schriftlicher Dienstvertrag mit dem Kläger wurde nicht errichtet; ein Dienstzettel wurde ihm nicht ausgefolgt. Hauptaufgabe des Klägers war das Glasschleifen und Glasgravieren. Darüberhinaus vertrat der Kläger, wie auch andere Arbeitnehmer, die Firmeninhaberin, wenn diese abwesend war und betreute in diesem Fall auch Geschäftskunden.

Der Kläger befand sich gegenüber der Firmeninhaberin in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit; er war an ihre Weisungen gebunden, wenngleich dies infolge der damals aufrecht bestehenden Ehe nicht "so heiß gegessen wie gekocht" wurde. Wirtschaftliche Entscheidungen besprach die Firmeninhaberin mit dem Kläger als Ehegatten; die Entscheidung selbst lag jedoch bei ihr. Der Kläger selbst traf keine Entscheidungen.

Die finanzielle Situation des Betriebes war beengt. Der Kläger konnte aber durch den Umstand, daß er der Ehegatte der Firmeninhaberin war, an deren Privatentnahmen partizipieren. Er selbst entnahm nichts und wäre hiezu auch nicht berechtigt gewesen. Er verzichtete nicht auf seine arbeitsrechtlichen Forderungen, sondern brachte durch sein Verhalten schlüssig zum Ausdruck, daß er sie stundet. Er leistete nicht unerhebliche Mehrstunden in Form von Überstunden und Wochendarbeit, die allerdings nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind; seinen ihm zustehenden Urlaubsanspruch schöpfte er nie voll aus; die Firmeninhaberin gab ihm nämlich zu verstehen, daß aufgrund der angespannten betrieblichen Situation ein Urlaubskonsum nicht möglich sei. Der Kläger übernahm anläßlich einer Kreditaufnahme durch die Firmeninhaberin die Bürgschaft für diese Schuld; weiters brachte er Mittel, die von dritter Seite zur Verfügung gestellt wurden, als "Privateinlage" in die Firma ein. Aus diesem Grund konnten die übrigen Arbeitnehmer des Betriebes ihre Entgeltzahlungen jeweils vollständig und rechtzeitig bis zur Konkurseröffnung erhalten.

Mit 31. 12. 1994 schied der Kläger aus dem Unternehmen aus; die Ehe des Klägers mit der Firmeninhaberin wurde 1995 geschieden. In der Folge machte der Kläger Entgeltansprüche gegen seine ehemalige Gattin als seine Arbeitgeberin geltend. Am 24. 2. 1997 wurde über deren Vermögen der Konkurs eröffnet. Die Entgeltansprüche des Klägers wurden vorerst vom Masseverwalter bestritten, jedoch nach eingehender Prüfung anerkannt (Anerkenntisurteil vom 16. 12. 1997, 8 Cga 124/95w-27 des Landesgerichtes Krems an der Donau). Zwar fehlen genaue Feststellungen über den Zeitraum, indem der Kläger kein Entgelt erhalten hat. Jedoch ist unstrittig, daß der Kläger seit Ende 1992 kein Entgelt erhalten hat; der Höhe nach wurden die geltendgemachten Ansprüche (S 225.000,--) außer Streit gestellt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Insolvenz-Ausfallgeld in dieser Höhe.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens im wesentlichen mit der Begründung, der Kläger sei nicht Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsvertragsrechts gewesen. Er habe das Unternehmen gemeinsam mit seiner Gattin aufgebaut, eine Bürgschaftsverpflichtung für einen Firmenkredit übernommen und eine Privateinlage in das Unternehmen getätigt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zu. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß § 1 IESG auf den Arbeitnehmerbegriff des Arbeitsvertragsrechts abstelle. Dieser Begriff sei möglichst weit auszulegen. Insbesondere wenn, wie im gegenständlichen Fall, die Mithilfe im Unternehmen das Maß der üblichen Familiendienste übersteige, könne dies als Indiz für das Vorliegen einer anderen Grundlage als der Beistands- und Mitwirkungspflicht angesehen werden. Ebenso seien die weiteren Indizien der Arbeitnehmereigenschaft, nämlich persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit des Klägers gegeben. Es liege kein Indiz dafür vor, daß der Kläger nur im Rahmen seiner familiären Beistands- und Mitwirkungspflicht tätig geworden wäre. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß der Kläger erst nach der Scheidung das Entgelt gefordert habe; wie das Erstgericht nämlich unbestritten festgestellt habe, sei es als einvernehmlich gestundet anzusehen. Ebenso seien die nur geringfügige Konsumation des Urlaubs sowie die Mehrarbeit des Klägers keine hinreichenden Hinweise für das Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Dies sei nur dann der Fall, wenn dieses Verhalten einem Fremdvergleich nicht standhalte. Hiebei komme es darauf an, ob Mitarbeiter in einer der Position des Klägers vergleichbaren Stellung ebenso gehandelt hätten. Es sei aber durchaus nicht unüblich, daß leitende Angestellte im Interesse des Unternehmens und um Finanzierungsengpässe zu überbrücken, vorübergehend auf die sofortige Auszahlung von Teilen des Entgeltes verzichteten bzw zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes ihren Urlaub nicht in Anspruch nähmen (8 ObS 156/97p). Da somit von der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers auszugehen sei, habe das Erstgericht zutreffend die Anwendung des § 1 Abs 1 IESG bejaht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Revision zuzulassen und die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, der außerordentlichen Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Der Schwerpunkt der Revisionsausführungen liegt darauf, daß aus dem gesamten Sachverhalt geschlossen werden müsse, daß der Kläger kein Arbeitnehmer im Sinn des Arbeitsvertragsrechts und damit auch keiner im Sinn des § 1 Abs 1 IESG gewesen sei. Der Kläger habe für die Zeit Ende 1992 bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit Jahresende 1994 kein Entgelt erhalten, sondern seinen Lebensunterhalt dadurch bestritten, daß er an den Privatentnahmen seiner damaligen Gattin, der Unternehmensinhaberin und späteren Gemeinschuldnerin partizipiert habe. Der Fremdvergleich zeige, daß andere Arbeitnehmer sich nicht so wie der Kläger verhalten hätten und auch nicht hätten verhalten können, weil sie auf das Entgelt zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes angewiesen gewesen wären. Dies sei auch im vorliegenden Fall so gewesen; sie hätten durch die Zuführung von vom Kläger bereitgestellten Mitteln vielmehr bis zum Schluß ihres Arbeitsverhältnisses ihr Entgelt bezahlt erhalten.

Damit zeigt die Revisionswerberin in der Sache den entscheidenden Aspekt - nämlich den anzustellenden Fremdvergleich - auf. Dieser wurde gesamtbetrachtet eindeutig unrichtig, nämlich nicht im Sinn der oberstgerichtlichen Rechtsprechung gelöst, sodaß die Revision zuzulassen war.

Es kommt nämlich für den Zuspruch von Insolvenz-Ausfallgeld nicht allein darauf an, ob der Kläger Arbeitnehmer war oder nicht, sondern auch darauf ob seine offenen Lohnansprüche nach dem IESG gesichert sind. Es gibt durchaus Lohnansprüche von Arbeitnehmern, die nicht nach dem IESG gesichert sind (vgl zuletzt für einen vergleichbaren Sachverhalt 8 ObS 183/98i, WBl 1999, 174). Ein solcher gesicherter Arbeitnehmeranspruch ist im vorliegenden Fall zu verneinen.

Im Rahmen der zulässigen Revision ist wahrzunehmen, daß gewisse Fallkonstellationen nicht zur Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld führen können, weil es dadurch zu einer mit dem Zweck des IESG nicht zu vereinbarenden Belastung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds kommen würden. Liegt eine solche vor, besteht daher kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, auch wenn die beklagte Partei auf diesen Aspekt nicht ausdrücklich hingewiesen hat (vgl SZ 61/249; 70/232).

Der Oberste Gerichtshof hat erst kürzlich in einer Entscheidung mit durchaus vergleichbarem Sachverhalt (8 ObS 192/98p = WBl 1999, 81 = DRdA 1999, 149, bekräftigt durch die bereits erwähnte Entscheidung 8 ObS 183/98i, die einen im Kern ähnlichen Sachverhalt betrifft) und in einer weiteren Entscheidung vom heutigen Tag in einem nahezu identen Fall (8 ObS 295/98k) erkannt, daß es nicht allein darauf ankommt, ob der im insolvent gewordenen Unternehmen tätige Kläger Arbeitnehmer war oder nicht, sondern wie sich ein "unbeteiligter" typischer Arbeitnehmer verhalten hätte. Es ist daher zu prüfen, wie sich ein Arbeitnehmer, der nicht mit der Arbeitgeberin verheiratet ist und seinen Unterhalt nicht aus deren Privatentnahmen bestreiten kann, verhalten hätte.

Zweck des IESG ist in seinem Kernbereich nämlich das Hintanhalten der von den Arbeitnehmern typischerweise nicht abwendbaren und absicherbaren Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes der Entgeltansprüche, auf die diese zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angewiesen sind (SZ 64/54; 66/124; 67/14 und 142 uva).

Ein "Fremdvergleich" zeigt, daß normalerweise ein Arbeitnehmer unter den gegebenen Prämissen das Arbeitsverhältnis nicht aufrechterhalten, sondern vorzeitig ausgetreten wäre, sodaß sich das finanzielle Risiko des Verlustes seiner Entgeltansprüche in Grenzen gehalten hätte.

Blieb der Arbeitnehmer untypischerweise trotz Nichtzahlung des Lohns in voller Kenntnis der prekären finanziellen Lage im Unternehmen und versuchte er die Beträge auch gar nicht ernstlich einbringlich zu machen, weil er sich - wie offenbar der Kläger - aus familiären Gründen dazu veranlaßt sah, gebührt ihm kein Insolvenz-Ausfallgeld:

Dem Kläger stand es selbstverständlich frei, im Unternehmen tätig zu bleiben, auch wenn er jahrelang den Lohn nicht ausbezahlt erhielt. Er kann aber über den Zeitpunkt hinaus, indem ein "unbeteiligter" Arbeitnehmer nicht im Unternehmen verblieben, sondern seinen vorzeitigen Austritt erklärt hätte, im Fall der nachfolgenden Insolvenz des Unternehmens keine Ansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend machen. Er mußte nämlich wissen, daß rückständige Lohnansprüche grundsätzlich vom Fonds - in gewissem Umfang - abgegolten werden. Stundete er diese Beträge vorerst durch Jahre, bürgte er darüberhinaus für Unternehmensschulden seiner Gattin und führte sogar noch (von Dritten bereitgestellte) Privatmittel dem Unternehmen zu und macht seine offenen Lohnansprüche erst nach der Ehescheidung geltend, ist das zwar menschlich verständlich, ändert aber nichts daran, daß - auch wenn er dies früher nicht bedacht und die Belastung des Fonds daher damals nicht in Kauf genommen haben sollte - diese atypische, einem Fremdvergleich nicht standhaltende Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, mit der der Kläger erheblich zur Finanzierung des Unternehmens seiner Ehefrau beitrug, nicht vom Schutzzweck des IESG erfaßt wird.

Hinzuzufügen ist zur Klarstellung noch, daß vor und nach der IESG-Nov 1997 bei Hinzutreten besonderer Umstände - zB genaue Kenntnis der finanziellen Verhältnisse des Unternehmens, Nahebeziehung zum Unternehmer, verbunden mit der Absicht, dadurch die Weiterführung des Unternehmens zu ermöglichen - das Zuwarten mit der Beendigung des Dienstverhältnisses trotz Entgeltrückstandes zur Beurteilung als nur durch die Nahebeziehung zum Unternehmer veranlaßte, atypische, die Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenzausfallgeldfonds bewirkende und daher vom Zweck des IESG nicht mehr erfaßte Gestaltung des Arbeitsverhältnisses führen kann. Derartige Umstände liegen hier zweifelsfrei vor, sodaß der Kläger überhaupt keinen rückständigen Lohn gegen den Fonds erfolgreich geltend machen kann (8 ObS 192/98p).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG. Zu einen Kostenzuspruch nach Billigkeit (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG) sieht sich der erkennende Senat nicht veranlaßt.

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