Normen
RHG §1a
RHG §1a
Spruch:
Haftung eines Elektrizitätsunternehmens nach § 1 a RHG ausschließende höhere Gewalt liegt nicht bei jedem von außen einwirkenden unabwendbaren Ereignis vor; es muß sich auch um ein außergewöhnliches Ereignis handeln
OGH 8. 5. 1984, 2 Ob 208/83 (OLG Wien 11 R 108/83; LGZ Wien 5 Cg 445/81)
Text
Am 18. 9. 1975 gerieten die bei der klagenden Partei unfallversicherten Arbeiter Florian K und Ignaz K in F in den Stromkreis der dort von der beklagten Partei geführten Hochspannungsleitung und erlitten hiedurch schwere Verletzungen. Die klagende Partei behauptete, die ihren vorgenannten Versicherungsnehmern gegenüber der beklagten Partei gemäß § 1 a RHG zustehenden Schadenersatzansprüche bildeten jeweils einen kongruenten Deckungsfonds für die von ihr zugunsten der beiden Versicherungsnehmer erbrachten Versicherungsleistungen und begehrte auf Grund der Bestimmung des § 332 ASVG den Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 427 477.98 S sowie die Feststellung der im Rahmen der Haftungshöchstbeträge des RHG gegebenen Haftung der beklagten Partei für die von ihr in Zukunft an Florian K zu erbringenden Leistungen.
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und berief sich auf den Haftungsausschlußgrund der höheren Gewalt iS des § 1 a RHG, weil ein fahrlässiger Eingriff eines Dritten vorliege. Auch wendete sie ein Mitverschulden der beiden verletzten Arbeiter im Ausmaß von drei Vierteln ein und bestritt das Vorliegen einer über 100 S hinausgehenden Schadenshöhe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Am 18. 9. 1975 um zirka 13.30 Uhr wurde auf einer in F von der Arbeitsgemeinschaft K & S BauAG mehrere Monate lang betriebenen Brückenbaustelle der Bundesstraße 336 durch deren Arbeiter Werner S, einem ungeprüften Kranführer, mittels eines gummibereiften Mobil-Baggers ein Bundel über 10 m langer Stahlkantenschutzwinkel befördert. Dabei hielten die Hilfsarbeiter Florian K und Ignaz K die Ladung mit den Händen im Gleichgewicht. Die durch ein Stahlseil zusammengefaßten und am Haken des Baggerauslegers eingehängten Stahlkantenschutzwinkel sollten direkt unter der 20 m westlich der zu bauenden Brücke und in einer Höhe von 8 bis 10 m verlaufenden 5000-Volt-Hochspannungsleitung der beklagten Partei gelagert werden. Werner S, der vorher im Bereiche des Unfallsortes nur wenig mit dem Mobil-Bagger im Einsatz gewesen war, übersah auf der Fahrt zu diesem Ablagerungsplatz die Hochspannungsleitung, sodaß das Seil des Baggerauslegers mit ihr in Berührung kam. Dadurch gerieten die beiden Hilfsarbeiter in den Stromkreis und erlitten schwere Verletzungen an Händen und Füßen. Die beklagte Partei war von den Brückenbauarbeiten nicht verständigt worden und erhielt erst am 27. 5. 1977 durch ein Schreiben der klagenden Partei vom Unfall Kenntnis.
In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß die in Lehre und Judikatur aufgestellten Erfordernisse für die Annahme eines durch höhere Gewalt herbeigeführten Schadensereignisses im vorliegenden Fall gegeben seien, sodaß die beklagte Partei gemäß § 1 a Abs. 3 Z 3 RHG von der Haftung befreit sei. Es habe sich nämlich nicht nur um ein von außen kommendes und unabwendbares, sondern auch um ein außergewöhnliches Ereignis gehandelt; letzteres deshalb, weil die beklagte Partei von den Bauarbeiten keine Kenntnis gehabt und der zum Unfall führende Transport mittels eines als Kran verwendeten Baggers erfolgt sei, den ein ungeprüfter, mit der Unfallsörtlichkeit noch wenig vertrauter Arbeiter bedient habe.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es schloß sich der erstgerichtlichen Rechtsansicht an und führte ua. aus: In der Lehre herrsche Einigkeit darüber, daß der im § 1 a Abs. 3 Z 3 RHG verwendete Begriff "höhere Gewalt" iS des gleichen, im früheren § 1 RHG verwendeten Begriffes zu verstehen sei. Eine solche höhere Gewalt liege nach Lehre und Rechtsprechung vor, wenn das Ereignis, welches den Schaden verursacht habe, 1. von außen auf den Betrieb des Unternehmers oder der Anlage eingewirkt habe, es also ein betriebsfremdes Ereignis gewesen sei, wenn es 2. auch bei Anwendung jeder dem Unternehmer oder Inhaber der Anlage zuzumutenden Vorkehrungen nicht abwendbar gewesen sei und wenn es 3. ein außergewöhnliches Ereignis gewesen sei. Um ein von außen einwirkendes Ereignis handle es sich, wenn der Unfall nicht durch den Elektrizitätsbetrieb oder seine Einrichtungen verursacht worden sei. Zu den Ereignissen, deren Eintritt mit dem Betrieb oder seinen Einrichtungen nicht in tatsächlichem Zusammenhang stehe, gehörten Naturereignisse, zB Blitzschlag, Erdbeben, Überschwemmung, Orkan, heftiger Schneesturm, Bergrutsch, aber auch vorsätzliche oder fahrlässige Handlungen Dritter, die am Betrieb der Elektrizitätsanlage nicht beteiligt seien. Allerdings lasse die Rechtsprechung in diesem Falle den Haftungsauschluß nur dann gelten, wenn der Unternehmer für ausreichende Überwachung seiner Anlage zur Verhinderung bzw. Abwendung unglücklicher Folgen eines trotz Überwachung erfolgten Eingriffes gesorgt habe. Unabwendbar müsse das äußere betriebsfremde Ereignis sowohl in seinem Eintritt wie auch in seinen Folgen sein. Ereignisse, die absolut unabwendbar seien, kämen selten vor. Es werde daher nur eine relative Unabwendbarkeit gefordert, jedoch an ihr Maß die höchste Anforderung gestellt. Entscheidend sei, daß der Betriebsunternehmer das Ereignis nicht voraussehen habe können oder es ihm im Einzelfall selbst bei Anwendung der größtmöglichen Sorgfalt und Vorsicht unmöglich gewesen sei, das Ereignis durch die ihm nach der Lage des Falles vernünftigerweise zuzumutenden Maßnahmen zu verhindern oder in seinen Folgen unschädlich zu machen. Die vom Betriebsunternehmer anzuwendenden Mittel müßten dem Stand der Technik und der allgemeinen Verkehrsanschauung entsprechen. Andererseits sei aber zu berücksichtigen, daß die aufzuwendenden Mittel in einem vernünftigen Verhältnis zu dem anzustrebenden Erfolg stehen müßten und daß ihre Anwendung den wirtschaftlichen Zweck der Unternehmens nicht gefährde. Nur solche Maßnahmen seien zumutbar. Es komme also vorwiegend auf die Lage des einzelnen Falles an, wobei auch örtliche und zeitliche Verhältnisse von Bedeutung sein könnten. Das Ereignis müsse ferner außergewöhnlich sein. Aus dem Kreis der außergewöhnlichen Ereignisse habe die neue deutsche Rechtsprechung alle diejenigen ausgeschieden, die bei solchen Betrieben mit einer gewissen Häufigkeit vorkämen und deshalb vom Unternehmer mit in Kauf genommen und von ihm vertreten werden müßten. Beim Merkmal der Häufigkeit sei allerdings Vorsicht geboten; sie sei kein brauchbarer Maßstab für die Wertung der Außergewöhnlichkeit. Die Außergewöhnlichkeit müsse vielmehr grundsätzlich von Fall zu Fall nach objektiven Merkmalen beurteilt werden, umsomehr als im Laufe der Anwendungszeit des Gesetzes sich auch die ungewöhnlichsten Ereignisse wiederholten. In diesem Sinne spreche auch die Entscheidung SZ 22/103 aus: "Höhere Gewalt liegt dann nicht vor, wenn es sich um einen Zufall handelt, der im Verlauf des Unternehmens als diesem eigentümlich mehr oder weniger häufig vorzukommen pflegt und auf den der Unternehmer gefaßt sein muß." In der Entscheidung VersR 1953, 27 sei vom Bundesgerichtshof ausgesprochen worden, als außergewöhnliches Ereignis sei es nicht anzusehen, wenn ein elfjähriger Bub dadurch zu Schaden käme, daß sein in der Luft befindlicher Drachen eine Hochspannungsleitung berühre.
Vorliegendenfalls hielt das Berufungsgericht alle drei genannten erforderlichen Begriffsmerkmale, insbesondere auch das der Außergewöhnlichkeit, für gegeben, denn ein Unfall wie der gegenständliche sei nicht betriebsspezifisch. Zwar komme es immer wieder vor, daß Arbeiter in den Stromkreis einer Hochspannungsleitung gerieten, weil sie zB an dieser Reparaturen durchführten. Die beklagte Partei habe aber nicht damit rechnen müssen, daß im Zuge von Straßenbauarbeiten, von denen sie nicht verständigt worden sei, Bauarbeiter mit ihrer in der Nähe der geplanten Trassenführung liegenden immerhin in 8 bis 10 m Höhe verlaufenden Hochspannungsleitung in Berührung kämen. Sei mit Bauarbeiten in gefährlicher Nähe von Hochspannungsleitungen zu rechnen, könne der Eigentümer der Hochspannungsleitung nach dem normalen Lauf der Dinge vielmehr damit rechnen, daß er von den Arbeiten verständigt werde, um geeignete Schutzmaßnahmen, zB zeitweise Stromabschaltung, zu ergreifen. Er müsse nicht darauf gefaßt sein, daß übergroße Stahlteile mit Hilfe eines Baggers direkt unter der Hochspannungsleitung gelagert würden und daß Arbeiter die abzuladenden Stahlteile mit den Händen hielten und dadurch über das Seil des Baggerauslegers mit dem Stromkreis in Berührung kämen. Die Beklagte müsse daher auch nicht die hieraus entstehenden Folgen als dem Betrieb einer Hochspannungsleitung eigentümliches Ereignis auf sich nehmen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gemäß § 29 Abs. 2 des StarkstromwegeG, BGBl. 70/1968, bzw. § 23 des Bundesgesetzes BGBl. 71/1968 ist für die Beurteilung von Ersatzansprüchen wie dem vorliegenden weiterhin § 1 a RHG idF BGBl.
48/1959 maßgebend. Diese Bestimmung lautet: "(1) Ist ein Unfall, der
den Tod oder die Gesundheitsschädigung eines Menschen oder eine
Sachbeschädigung zur Folge hat, auf die Wirkungen der Elektrizität
oder des Gases zurückzuführen, ... so ist der Inhaber der Anlage
verpflichtet, den Schaden zu ersetzen ... (3) Die Ersatzpflicht nach
Abs. 1 ist ausgeschlossen ... 3. wenn der Schaden durch höhere
Gewalt verursacht ist, es sei denn, daß er auf das Herabfallen von Leitungsdrähten zurückzuführen ist. (4) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so gilt § 1304 ABGB ..." Somit haftet der Inhaber einer Anlage grundsätzlich für die Wirkungen der von dieser ausgehenden Elektrizität, doch kann er dem Schadenersatzanspruch des Geschädigten - mit der für das Herabfallen von Leitungsdrähten festgelegten Ausnahme - entgegenhalten, daß der Schaden durch "höhere Gewalt" verursacht worden ist.
Wie bereits die Vorinstanzen hervorgehoben haben, ist in dem aus dem Jahre 1871 stammenden Reichshaftpflichtgesetz der von ihm verwendete Begriff der "höheren Gewalt" nicht definiert (vgl. hiezu Eger, Das Reichshaftpflichtgesetz 128 ff.). Dieser Begriff war zunächst nur in seinem auf den Betrieb von Eisenbahnen bezogenen § 1 enthalten. Er hatte seinen Vorläufer in dem auf den § 1734 des Preußischen Allgemeinen Landrechtes zurückgehenden § 25 des deutschen Eisenbahngesetzes aus dem Jahre 1838, wonach der Eisenbahnunternehmer von der Haftung befreit ist, wenn der Schaden durch die eigene Schuld des Beschädigten oder durch einen unabwendbaren äußeren Zufall bewirkt worden ist (Biermann, Das Reichshaftpflichtgesetz[2] 93 f.; Friese, Kommentar zum Reichshaftpflichtgesetz 84). Die §§ 1 und 2 des zwei Jahre vor dem Reichshaftpflichtgesetz ergangenen österreichischen Eisenbahngesetzes 1869, RGBl. 1869 S 109, hatten die Haftung des Eisenbahnunternehmers für einen Unfall sodann mit der Ausnahme festgelegt, "außer er beweist, daß sich die Ereignung durch einen unabwendbaren Zufall (höhere Gewalt, vis major) oder durch eine unabwendbare Handlung einer dritten Person oder durch Verschulden des Beschädigten verursacht wurde".
Die Bestimmung des § 1 RHG lautete nun dahin, daß der Eisenbahnunternehmer ersatzpflichtig wurde, "soferne er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eigenes Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht ist". Sie hatte also neben der Modifizierung durch Einführung des Erfordernisses der "höheren Gewalt" zunächst auch noch den früheren Haftungsausschluß des eigenen Verschuldens des Getöteten oder Verletzten übernommen. Seit dem im Jahre 1900 erfolgten Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches galt § 1 RHG aber hinsichtlich des letztgenannten Haftungsausschlusses als durch dessen § 254 (Schadensteilung nach Verschuldens- und Verursachungsanteilen) abgeändert (Böhmer, Das Reichshaftpflichtgesetz 55 Anm. 13; Biermann aaO 106, 142).
Die Bestimmung des § 1 a RHG über die Haftung der Elektrizitätsunternehmen wurde erst durch Art. I des Reichsgesetzes vom 15. 8. 1943, RGBl. I 489, eingeführt. In der amtlichen Begründung zu dieser Einführung (Deutsche Justiz 1943, 430) wurde unter Hinweis auf den § 54 des österreichischen Elektrizitätsgesetzes, BGBl. 250/1929, in welchem den Stromlieferungsunternehmungen bereits eine - wenngleich auf einen bestimmten Personenkreis eingeengte - reine Verursachungshaftung auferlegt worden war, erklärt, daß die Anlagen zur Fortleitung von Elektrizität die Öffentlichkeit einer Gefährdung aussetzten, der sich diese nicht entziehen könne und die Inhaber solcher Anlagen daher einer Gefährdungshaftung unterworfen werden müßten. Ihre Haftung sollte aber "ebenso wie jene der Eisenbahnen nach § 1 RHG" bei Vorliegen höherer Gewalt - mit der für herabfallende Leitungsdrähte vorgesehenen Ausnahme - ausgeschlossen sein. Demgemäß ist, worüber in der deutschen Lehre Einhelligkeit herrscht, bei der Auslegung dieses in § 1 a Abs. 3 Z 3 RHG enthaltenen Ausdruckes "höhere Gewalt" auch die bereits zum gleichen Begriff des § 1 RHG entwickelte Rechtsprechung heranzuziehen.
Nach dem mit 1. 9. 1943 erfolgten Inkrafttreten des § 1 a RHG allenfalls noch vom Reichsgericht zu Abs. 3 Z 3 dieser Gesetzesstelle gefällte Entscheidungen sind nicht bekannt. Der Bundesgerichtshof hat, soweit ersichtlich, bisher lediglich in drei Fällen zur Frage der "höheren Gewalt" iS dieser Bestimmung Stellung genommen, worauf noch einzugehen sein wird.
Hinsichtlich der zu § 1 RHG über den Haftungsausschluß der "höheren Gewalt" bei Eisenbahnunfällen in Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ist unter Bezugnahme auf die Darlegungen der Vorinstanzen im wesentlichen auszuführen: Ausgehend vom Meinungsstreit zwischen sogenannter absoluter und relativer Theorie - erstere hält lediglich den Eintritt eines Ereignisses von elementarer Gewalt ohne Rücksicht auf die Frage der Möglichkeit seiner Verhinderung, letztere aber die mit zumutbaren Mitteln nicht gegebene Möglichkeit der Verhinderung dieses Ereignisses als für die Annahme eines Haftungsausschlusses maßgebend (Biermann aaO 94 f.) - hat das Reichsgericht zunächst in Anlehnung an den in § 25 des Preußischen Eisenbahngesetzes vorausgesetzten "unabwendbaren äußeren Zufall" für "höhere Gewalt" die Merkmale eines für den Eisenbahnbetrieb "von außen" kommenden und "unabwendbaren" Ereignisses bestimmt, in der Folge aber das weitere Merkmal der "Außergewöhnlichkeit", des "Elementaren", hinzugefügt und im wesentlichen folgende Begriffsbestimmung gegeben: Höhere Gewalt ist ein von außen in den Betrieb eingreifendes (betriebsfremdes) Ereignis, dessen Ursache außerhalb des Eisenbahnbetriebes und seiner Einrichtungen liegt, von außergewöhnlicher gewissermaßen elementarer Art, dessen Eintritt auch bei Anwendung größter Sorgfalt aller dem Eisenbahnunternehmer zuzumutenden Vorkehrungen, dh. einer mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht zu verhüten sowie unvorhersehbar ist und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer mit in Kauf genommen und vertreten werden muß (Judikaturzitate bei Friese aaO 86, 94; Böhmer,
Das Reichshaftpflichtgesetz 37 Anm. 6 bis 112; Eger aaO 127 ff.).Diese Auslegung wurde im Schrifttum teilweise bekämpft, teilweise gutgeheißen (dagegen Friese aaO 86, 95; Biermann aaO 96 f.; dafür Böhmer aaO 37 Anm. 5, 6), in der Folge aber vom Bundesgerichtshof bei der Beurteilung von Eisenbahnunfällen übernommen, welcher schließlich auch in einem offenbar ersten nach § 1 a Abs. 3 Z 3 RHG zu beurteilenden Stromunfall unter ausdrücklicher Anlehnung an die Judikatur des Reichsgerichtes in seinem Urteil vom 23. 10. 1952, VRS 5, 4, neuerlich definierte: "Höhere Gewalt ist ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erdenklichen Mitteln auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen ist". Gleichzeitig verwies der Bundesgerichtshof ausdrücklich darauf, daß das Reichsgericht unter Zugrundelegung dieser Begriffsbestimmung höhere Gewalt nur dann bejaht hat, wenn eine Einwirkung von außen vorlag, die außergewöhnlich und nicht abwendbar gewesen war, weshalb neben den anderen beiden Voraussetzungen auf jeden Fall auch das Merkmal der Außergewöhnlichkeit, des Elementaren, verlangt werden müsse. In dem ihm vorliegenden Fall, in welchem ein elfjähriger Junge beim Drachensteigen durch Berührung mit der stromführenden Hochspannungsleitung verletzt worden sei, könne davon aber nicht gesprochen werden, denn wenn ein solcher Unfall "auch selten sein mag", so sei er in diesem Sinne nicht außergewöhnlich, also gewissermaßen von "elementarer Gewalt".
In seinem Urteil vom 14. 6. 1957, VersR 1957, 533, nahm der Bundesgerichtshof offenkundig zum einzigen Mal den Haftungsausschlußgrund der höheren Gewalt iS des § 1 a Abs. 3 Z 3 RHG an, wobei er auf die bisherige Rechtsprechung und sein vorgenanntes Urteil verwies und zu dem ihm vorliegenden Fall ausführte: Die Errichtung eines 10.5 m hohen, mit Tannenreisig geschmückten und Eisendraht umwickelten Transparentmastes zur Begrüßung ausländischer Gäste (auf Segeljachten im Hafengelände) nur zwei Meter von einer in acht Meter Höhe verlaufenden gut sichtbaren Hochspannungsleitung entfernt sei schlechthin unverständlich und in seiner Art einmalig. Ein solcher Vorgang sei in seiner Ungewöhnlichkeit nur mit Ereignissen elementarer Gewalt zu vergleichen.
Im dritten Fall schließlich verneinte der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 26. 2. 1976, VRS 51, 259, wiederum das Vorliegen höherer Gewalt, verwies neuerlich auf das diesbezügliche Erfordernis eines "außergewöhnlichen, gewissermaßen elementaren Ereignisses" und führte aus, ein solches könne nicht angenommen werden, wenn ein auf einer Bundesstraße fahrendes Militärfahrzeug mit seiner aufgestellten, acht Meter hohen Funkantenne die über die Bundesstraße führende Hochspannungsleitung berühre. Hierin liege auch nicht ein schlechthin unverständlicher Vorfall mit nur Ereignissen elementarer Art zu vergleichendem Ausnahmecharakter.
In der neuen deutschen Lehre wurde diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ohne Kritik zur Kenntnis genommen (Geigel-Schlegelmilch[18] 22 Anm. 23 bis 27, 49; 25 Anm. 52; Larenz, Schuldrecht[12] II 709 f., 720; Wussow Unfallhaftpflichtrecht[12] 347 f., 357 f.) wobei Filthaut (Kommentar zum Haftpflichtgesetz Anm. 158, 159 zu § 1) unter Hinweis auf die historische Entwicklung erklärt, die seinerzeitige teilweise Kritik an der Rechtsprechung des § 1 RHG durch das Schrifttum sei unbegrundet, weil mit der gesetzgeberischen Zielsetzung, diese höhere Gewalt nur ganz ausnahmsweise eingreifen zu lassen, nicht vereinbar gewesen. Er verweist schließlich (aaO) darauf, daß der ursprüngliche Meinungsstreit im Hinblick auf die in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen an die Stelle der Bestimmungen des Reichshaftpflichtgesetzes getretenen Bestimmungen des Haftpflichtgesetzes vom 4. 1. 1978, BGBl. 145/1978, für Elektrizitätsunternehmungen jene des § 2 dieses Gesetzes nunmehr dahingestellt bleiben könne, weil der Gesetzgeber mit letzterer Bestimmung ohne weitere Erläuterung wiederum den Haftungsausschließungsgrund der "höheren Gewalt" festgelegt habe, obwohl ihm doch bekannt gewesen sei, wie die Rechtsprechung diesen Begriff bisher ausgelegt habe.
Der österreichische OGH hat sich, worauf die Vorinstanzen bereits zutreffend verwiesen haben, in den Fällen der Entscheidungen SZ 24/52 und SZ 22/103 umfassend mit der Frage der "höheren Gewalt" iS des § 1 RHG auseinandergesetzt - die Entscheidung SZ 26/139 betrifft das Problem des "von außen" kommenden Ereignisses und geht auf das Merkmal der "Außergewöhnlichkeit" nicht näher ein - und ist dabei schon in der SZ 22/103 ausdrücklich der Judikatur des Reichsgerichtes gefolgt, wobei er ausführte: "Der Begriff der höheren Gewalt ist in der Lehre und Rechtsprechung sehr bestritten. Bei Auslegung des Begriffes der höheren Gewalt darf jedoch nicht übersehen werden, daß die besonderen Haftpflichtgesetze - demnach auch das Reichshaftpflichtgesetz - dafür sorgen wollen, daß die aus dem Betrieb eines trotz seiner Gefährlichkeit gestatteten Unternehmens entstehenden Schäden ersetzt werden. Die Tendenz der Haftpflichtgesetze spricht daher gegen eine weite Auslegung des Ausdruckes höhere Gewalt. Der OGH schließt sich der vom Reichsgericht vertretenen Meinung an, daß höhere Gewalt dann nicht vorliegt, wenn es sich um einen Zufall handelt, der im Verlaufe des Gewerbeunternehmens als diesem eigentümlich mehr oder weniger häufig vorzukommen pflegt und auf den der Unternehmer gefaßt sein muß, den er also in Kauf nehmen muß. Zum Begriff der höheren Gewalt genügt es demnach nicht, daß das Ereignis von außen einwirkt und unabwendbar ist, es muß vielmehr auch ein außergewöhnliches Ereignis sein".
In der österreichischen Lehre gibt Koziol, Haftpflichtrecht[2] II 421 zu § 1 a Abs. 3 Z 3 RHG die Definition der "höheren Gewalt" im deutschen Rechtsbereich wie folgt wieder: "Höhere Gewalt ist ein von außen einwirkendes, elementares Ereignis, das auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt nicht zu verhindern war und so außergewöhnlich ist, daß es nicht als typische Betriebsgefahr anzusehen ist". Höhere Gewalt werde dementsprechend angenommen bei "schweren Naturkatastrophen, ungewohnten Handlungen Dritter (Attentaten) und selbstmörderischen Handlungen des Verletzten". Die österreichische Rechtsprechung sei dieser Auslegung im wesentlichen gefolgt.
Ausgehend von diesem in übereinstimmender Rechtsprechung zugrunde gelegten und nun auch in der Lehre nicht mehr umstrittenen Inhalt des Begriffes der "höheren Gewalt" iS des Reichshaftpflichtgesetzes kann der Beurteilung der Vorinstanzen, dem vorliegenden Unfall käme (auch) das erforderliche Merkmal eines "außergewöhnlichen" Ereignisses zu, nicht beigetreten werden.
Zweck der den Elektrizitätsunternehmen auferlegten Verursachungs- oder Gefährdungshaftung ist der Schutz der Allgemeinheit vor den mit den Wirkungen der Elektrizität verbundenen großen Gefahren. Dieser Schutz soll nur ausnahmsweise entfallen, wenn ein Elementarereignis oder eine diesem gleichkommende menschliche Handlung und somit eine derartige Außergewöhnlichkeit des Ereignisses vorliegt, daß es nicht zu jenen Gefahren der elektrizitätführenden Anlagen gerechnet werden kann, welche mit ihrem Betrieb typischerweise verbunden sind. Eine Schädigung durch fahrlässige Berührung einer Stromleitung gehört nun nach Ansicht des erkennenden Senates aber grundsätzlich zu den mit elektrischen Freileitungen typischerweise verbundenen Betriebsgefahren. Daran ändert der Umstand nichts, daß sie im allgemeinen erschwert zugänglich und in gewissem Umfang auch durch Warn- und Schutzeinrichtungen gesichert sind. Solche Freileitungen, insbesondere auch Hochspannungsleitungen, verlaufen bekanntlich in großer Zahl durch bebautes und unbebautes Gebiet und dabei häufig auch entlang von und über Verkehrsflächen. Daß eine Berührung solcher Freileitungen im Zuge von Bauarbeiten und Beförderungsvorgängen auf und neben der Straße, aber ebenso bei Ausübung von Spiel und Sport, wie zB Drachen- und Ballonsteigen oder Segelfliegen, als Ereignis von solcher Außergewöhnlichkeit anzusehen wäre, daß ihm der Charakter des Elementaren zukäme, kann keinesfalls gesagt werden. Derartige Ereignisse treten zwar gewiß nicht allzu häufig, aber jedenfalls immer wieder auf, müssen vom Inhaber der Anlage in Kauf genommen werden und sind einem elementaren Naturereignis als dem eigentlichen Inhalt des Begriffes höherer Gewalt keinesfalls zu vergleichen.
Wird auf einer Bundesstraße ohne Kenntnis des Inhabers einer in unmittelbarer Nähe verlaufenden Hochspannungsleitung eine Brückenbaustelle betrieben und kommt es anläßlich der Beförderung von überdimensionierten Baumaterialien durch einen als Kran verwendeten Bagger zufolge der mangelnden Aufmerksamkeit seines ungeprüften Führers zu einer Berührung des Seiles des Baggerauslegers mit der nur 20 m von der zu errichtenden Brücke entfernten und somit im Baustellenbereich verlaufenden Hochspannungsleitung, so ist dieser Vorgang demgemäß noch nicht als solches außergewöhnliches Ereignis von elementarem Charakter anzusehen. Durch ein derartiges, wenngleich im Wege zumutbarer Maßnahmen nicht zu verhinderndes fahrlässiges Verhalten Dritter kann die Gefährdungshaftung für stromführende Anlagen nicht ausgeschlossen werden. Es handelt sich dabei auch nicht schon um einen "schlechthin unvorstellbaren Vorgang", wie er in dem der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrunde liegenden Fall der Errichtung eines Transparentmastes angenommen wurde, weil hier die Berührung im Rahmen der Durchführung gewöhnlicher Bauarbeiten an der Straße geschah. Vielmehr ist der hier gegebene Vorgang jedenfalls vergleichbar dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall, in dem die Funkantenne eines auf der Straße fahrenden Militärfahrzeuges mit der Hochspannungsleitung in Berührung kam.
IS der zutreffenden Rechtsansicht der Revisionswerberin ist daher der Haftungsausschlußgrund des § 1 a Abs. 3 Z 3 RHG vorliegendenfalls zu verneinen.
Unter dem Gesichtspunkt des § 1 a Abs. 4 RHG und dem von der beklagten Partei diesbezüglich erhobenen Einwand kann zwar auf der bisherigen Feststellungsgrundlage bereits gesagt werden, daß das Verschulden der beiden Versicherungsnehmer der klagenden Partei an ihrer Beschädigung keinesfalls so eklatant sein könnte, daß demgegenüber iS des nach der letztgenannten Gesetzesstelle anzuwendenden § 1304 ABGB die Gefährdungshaftung der beklagten Partei zur Gänze zu vernachlässigen wäre (vgl. Friese aaO 143; Böhmer aaO 56, Anm. 10; Filthaut aaO Anm. 18 zu § 2; Koziol aaO). Das Ausmaß eines allfälligen Mitverschuldens der beiden Verletzten kann jedoch erst auf Grund genauerer Feststellungen über die Beschaffenheit des Unfallsortes sowie das tatsächliche und das zumutbare Verhalten ihrerseits beim Arbeitsvorgang bzw. die Möglichkeit ihrer Einflußnahme auf diesen bestimmt werden. Auch über die Höhe der von der klagenden Partei erbrachten Leistungen und des erforderlichen Deckungsfonds liegen noch keine Feststellungen vor.
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