Normen
Sachschadenhaftpflichtgesetz §2
Sachschadenhaftpflichtgesetz §2
Spruch:
Über den Begriff der höheren Gewalt nach § 1 RHG.
Entscheidung vom 23. Feber 1951, 2 Ob 129/51.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Kläger begehrten die Verurteilung der beklagten Partei zum Ersatz der von ihnen anläßlich eines schweren Eisenbahnunfalles im Jahre 1942 erlittenen Sach- und persönlichen Schäden. Der Unfall war darauf zurückzuführen, daß der Bahndamm an einer Stelle infolge Hochwassers zerstört und der von den Klägern benützte Personenzug an dieser Stelle in den Fluß gestürzt war.
Das Prozeßgericht erkannte den Schadenersatzanspruch als dem Gründe nach zu Recht bestehend.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Untergerichte haben die von der Beklagten erhobene Einwendung des Befreiungsgrundes der höheren Gewalt mit Recht abgelehnt. Wenngleich weder das EHG. vom 5. März 1869, RGBl. 27, noch das gegenwärtig in Österreich noch immer geltende Reichshaftpflichtgesetz 1871 eine Legaldefinition dieses Begriffes gibt, hat doch der Oberste Gerichtshof, ebenso wie die österreichische Literatur, bereits lange vor dem Kriege diesen Begriff erläutert und die Rechtsprechung hat ihn in zahlreichen Entscheidungen (vgl. SZ. V/315, VIII/296, 348, IX/165, X/137, XIII/6, 22, XIV/125, XX/235) weitergebildet, wobei sie sich allmählich der Judikatur des Deutschen Reichsgerichtes genähert hat. Hilfsweise kann darum auch auf die deutsche Lehre und Rechtsprechung zum Reichshaftpflichtgesetz Bezug genommen werden.
Nur solche äußere Tatsachen können als höhere Gewalt gelten, die nicht im Betriebe selbst wurzeln, sondern von außen auf ihn einwirken. Darüber, daß das schädigende Ereignis sich beim Betriebe einer Eisenbahn ereignete, kann kein Zweifel bestehen. Der Ausdruck "Betrieb" in § 1 Reichshaftpflichtgesetz ist zwar weiter als der korrespondierende Begriff "Verkehr" im öEHG., deckt sich aber dennoch in Wirklichkeit mit ihm. Er begreift sowohl die Bahnerhaltung und Bahnaufsicht, also den ganzen technisch exekutiven Bahnbetrieb, als auch die eigentliche Zugsförderung in sich. Die unmittelbare Ursache des Unglückes war ein Dammbruch, der in der Dunkelheit und mangels einer Warnung vom Lokomotivführer des verunglückten Zuges nicht rechtzeitig bemerkt wurde, so daß der Zug in die Hochwasser führende D. stürzte. Ein Dammbruch stellt aber eine Verkehrsereignung dar, die sich auf den Bahndamm, also einen Teil der Verkehrsanlagen der Bahn, bezieht. Zunächst befindet man sich darum noch immer im Kreise der Verkehrs(Betriebs)ereignungen. Die Beklagte wendet aber ein, der Dammbruch sei durch Hochwassereinwirkung verursacht, was nach den Beweisergebnissen zweifellos zutrifft. Dieses Hochwasser aber stelle als Elementarereignis für sie höhere Gewalt dar.
Nun ist aber noch nicht jedes Elementarereignis ohne weiteres als Akt höherer Gewalt anzusehen. Damit dies der Fall sei, muß es als unabwendbar gelten, da sonst an der grundsätzlichen Haftung der Bahn für den Zustand ihrer Betriebsmittel festzuhalten wäre (GlUNF. 2886, 3712, 3678). Unabwendbar ist aber ein Elementarereignis nicht nur dann, wenn es überhaupt, also objektiv betrachtet, durch menschliche Kraft nicht verhütet werden kann, sondern auch dann, wenn es durch die äußerste, den gegebenen Umständen angemessene Sorgfalt und durch Mittel, deren Anwendbarkeit dem Unternehmen vernünftigerweise zugemutet werden kann, in seinem Eintritt oder seinen Wirkungen auf den Eisenbahnverkehr nicht hintangehalten werden konnte.
Nun haben aber die Unterinstanzen festgestellt, daß nicht nur die Anlage der Bahntrasse am D.-Damm und noch dazu an einer besonders gefährdeten Stelle, an der das Gefälle gering, die Kapazität des Profils zur Hochwasserableitung unzulänglich und der Bahndamm niedriger als an anderen nahegelegenen Stellen ist, unzweckmäßig und gefahrbringend erscheint, auch wenn diese Anlage anläßlich der Erbauung der Strecke in den 60er Jahren kommissioniert und genehmigt wurde. Sie haben auch festgestellt, daß die Überschwemmungs- und Zerstörungsgefahr durch eine entsprechende Erhöhung des Bahndammes und durch dessen Pflasterung mit starken Steinplatten auf der Landseite, wenn schon vielleicht nicht ganz ausgeschlossen, so doch wesentlich verringert hätte werden können.
Dazu kommt, daß Hochwasser an diesem Teil des Laufes nach den Feststellungen der Untergerichte keineswegs eine ungewöhnliche, sondern eine häufige Erscheinung darstellt, und daß, abgesehen von diesen "normalen" Hochwassern, schon mehrmals sogenannte Katastrophenhochwasser, u. zw. in den Jahren 1882, 1903 und 1935, aufgetreten sind, durch welche der Bahndamm in der Unfallszone zum Einsturz gebracht wurde, Umstände, die der Beklagten bekannt waren oder doch hätten bekannt sein müssen. Es kann also nicht davon gesprochen werden, daß die Hochwasserkatastrophe von 1942 ein einmaliges, ganz ungewöhnliches und unvorhersehbares Elementarereignis darstelle. Sie ist vielmehr ein Zufall, der im Verlauf des Eisenbahnbetriebes in der Unfallszone als diesem eigentümlich, mehr oder weniger häufig vorkommend anzusehen ist und für den die Eisenbahn gerüstet sein muß.
Zu Unrecht will die Beklagte die in den Urteilen der Vorinstanzen näher bezeichneten, im Sachverständigengutachten besprochenen Vorbeugungsmaßnahmen als wegen zu hoher Kosten unzumutbar bezeichnen und gegen die Verlegung der Trasse landeinwärts einwenden, daß sie wieder andere Gefahren nach sich gezogen hätte und auch sonst untunlich gewesen wäre. Wenn schon, vor allem während des Krieges, eine Trassenverlegung untunlich und jedenfalls mit hohen Kosten verbunden gewesen sein sollte, so hätte sich doch die Erhöhung des Dammes und dessen landseitige Pflasterung durchführen lassen, ohne daß die Kosten für ein Unternehmen von der Größe der Reichsbahn unzumutbar gewesen wären. Daß die Reichsbahn nach dem Unfall diesen Teil des Dammes derart schützte, zeigt, daß sie selbst der Ansicht war, durch solche Maßnahmen einen weitgehenden, wenn auch vielleicht nicht vollständigen Schutz der Trasse gegen Unterwaschung bewirken zu können.
Es kann also weder gesagt werden, daß die Wirkungen des Katastrophenhochwassers an und für sich im Bahnbetrieb unabwendbar, noch daß diese nach den früheren Erfahrungen gleicher Art außergewöhnlich und darum unvorhersehbar gewesen seien. Es stellt infolgedessen einen von der Bahn zu vertretenden Zufall und keine höhere Gewalt dar (SZ. VIII/348, SZ. X/137).
Der Oberste Gerichtshof vertritt aber auch die Rechtsansicht, daß die Frage der Zumutbarkeit von Vorbeugungsmaßnahmen nicht schon allein prozeßentscheidend ist. Denn wenn es sich um Zufälle handelt, die nicht durch alle dem jeweiligen Stande der Technik entsprechenden und wirtschaftlich für das Unternehmen tragbaren Vorbeugungs- und Sicherungsmaßnahmen verhindert werden können, so entfällt darum doch nur die Verhütungs-, nicht aber die Schadenersatzpflicht. Der Unternehmer darf ein gefährliches Unternehmen nicht auf Kosten der Allgemeinheit betreiben, sondern muß für die Gefahren einstehen, die mit dem Betrieb unvermeidlich verbunden sind. Ist er durch die bestehenden Vorschriften zur Anbringung bestimmter, ungewöhnlich kostspieliger und wirtschaftlich unzumutbarer Schutzvorkehrungen nicht verpflichtet, so bedeutet das nur, daß er es auf den Schaden ankommen lassen darf. An der Ersatzpflicht wird dadurch nichts geändert (SZ. X/137). Nur dann wird mit der Verhütungspflicht zugleich auch die Ersatzpflicht entfallen, wenn der Unfall außergewöhnlicher Art ist. Daß dies nicht der Fall ist, haben aber die Untergerichte richtig erkannt. Mit Recht sagt das Berufungsgericht, daß die von der Beklagten gegen die Verlegung der Trasse landeinwärts ins Treffen geführten Erwägungen ökonomischer oder sonstiger Natur das oberste Prinzip der vollen Verkehrssicherheit nicht in Frage stellen können. Dies gilt ebenso für die übrigen Schutzvorkehrungen, die in einer notorisch hochwassergefährdeten Zone notwendig sind. Sie müssen getroffen werden, auch wenn eine Verpflichtung hiezu in den bestehenden Vorschriften nicht begrundet wäre, um das äußerste erreichbare Maß von Verkehrssicherheit zu erzielen. Ihre Unterlassung bedeutet nur, daß die Bahn es eben auf den Schaden ankommen läßt und die Gefährdungshaftung auf sich nimmt. Der Oberste Gerichtshof bejaht darum mit den Untergerichten jedenfalls das Bestehen der Haftpflicht nach § 1 Reichshaftpflichtgesetz.
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