Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art139 Abs1 Z1
EMRK 4. ZP Art2
StGG Art2
StGG Art4
EpidemieG 1950 §24
COVID-19-VirusvariantenV BGBl II 63/2021 idF BGBl II 98/2021
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V91.2021
Spruch:
Die Anträge werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anträge
1. Mit dem auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten und beim Verfassungsgerichtshof zu V91/2021 protokollierten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID‑19-Virusvariantenverordnung – COVID‑19‑VvV), BGBl II 63/2021, gesetzwidrig war.
2. Mit dem weiteren, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten und beim Verfassungsgerichtshof zu V156/2021 protokollierten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID‑19-Virusvariantenverordnung – COVID‑19‑VvV), BGBl II 63/2021 idF BGBl II 98/2021 gesetzwidrig war.
II. Rechtslage
1. §1, §24, §43 und §43a Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, in der Fassung BGBl I 114/2006 (§24), BGBl I 63/2016 (§1), BGBl I 43/2020 (§43) und BGBl I 104/2020 (§43a) laute(te)n wie folgt:
"Anzeigepflichtige Krankheiten
§1. (1) Der Anzeigepflicht unterliegen:
1. Verdachts‑, Erkrankungs- und Todesfälle an Cholera, Gelbfieber, virusbedingtem hämorrhagischem Fieber, infektiöser Hepatitis (Hepatitis A, B, C, D, E), Hundebandwurm (Echinococcus granulosus) und Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis), Infektionen mit dem Influenzavirus A/H5N1 oder einem anderen Vogelgrippevirus, Kinderlähmung, bakteriellen und viralen Lebensmittelvergiftungen, Lepra, Leptospiren-Erkrankungen, Masern, MERS‑CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus/'neues Corona-Virus'), Milzbrand, Psittakose, Paratyphus, Pest, Pocken, Rickettsiose durch R. prowazekii, Rotz, übertragbarer Ruhr (Amöbenruhr), SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom), transmissiblen spongiformen Enzephalopathien, Tularämie, Typhus (Abdominaltyphus), Puerperalfieber, Wutkrankheit (Lyssa) und Bissverletzungen durch wutkranke oder ‑verdächtige Tiere,
2. Erkrankungs- und Todesfälle an Bang'scher Krankheit, Chikungunya-Fieber, Dengue-Fieber, Diphtherie, Hanta‑Virus-Infektionen, virusbedingten Meningoenzephalitiden, invasiven bakteriellen Erkrankungen (Meningitiden und Sepsis), Keuchhusten, Legionärskrankheit, Malaria, Röteln, Scharlach, Rückfallfieber, Trachom, Trichinose, West‑Nil-Fieber, schwer verlaufenden Clostridium difficile assoziierten Erkrankungen und Zika‑Virus-Infektionen.
(2) Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen kann, wenn dies aus epidemiologischen Gründen gerechtfertigt oder auf Grund internationaler Verpflichtungen erforderlich ist, durch Verordnung weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterwerfen oder bestehende Meldepflichten erweitern.
Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften.
§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, hat die Bezirksverwaltungsbehörde für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.
V. HAUPTSTÜCK.
Allgemeine Bestimmungen.
Behördliche Kompetenzen.
§43. (1) Die Bestimmungen des Gesetzes vom 30. April 1870, RGBl Nr 68, betreffend die Organisation des öffentlichen Sanitätsdienstes, bleiben durch die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes unberührt.
(3) Beim Auftreten von Scharlach, Diphtherie, Abdominaltyphus, Paratyphus, Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest, Ägyptischer Augenentzündung, Wutkrankheit, Bißverletzungen durch wutkranke oder wutverdächtige Tiere sowie in sonstigen Fällen dringender Gefahr sind die im §5 Abs1 bezeichneten Erhebungen und die in den §§7 bis 14 bezeichneten Vorkehrungen auch sofort an Ort und Stelle von den zuständigen, im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Ärzten zu treffen.
(4) Die Einleitung, Durchführung und Sicherstellung sämtlicher in diesem Gesetze vorgeschriebener Erhebungen und Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten beziehungsweise die Überwachung und Förderung der in erster Linie von den zuständigen Sanitätsorganen getroffenen Vorkehrungen sind Aufgabe der Bezirksverwaltungsbehörde.
(4a) Soweit in diesem Bundesgesetz eine Zuständigkeit zur Erlassung von Verordnungen durch die Bezirksverwaltungsbehörde vorgesehen ist, sind Verordnungen, deren Anwendungsbereich sich auf mehrere politische Bezirke oder das gesamte Landesgebiet erstreckt, vom Landeshauptmann zu erlassen. Einer Verordnung des Landeshauptmanns entgegenstehende Verordnungen der Bezirksverwaltungsbehörde treten mit Rechtswirksamkeit der Verordnung des Landeshauptmanns außer Kraft, sofern darin nicht anderes angeordnet ist. Erstreckt sich der Anwendungsbereich auf das gesamte Bundesgebiet, so sind Verordnungen vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen. Eine entgegenstehende Verordnung des Landeshauptmanns oder einer Bezirksverwaltungsbehörde tritt mit Rechtswirksamkeit der Verordnung des Bundesministers außer Kraft, sofern darin nicht anderes angeordnet ist.
(5) Dem Landeshauptmann obliegt im Rahmen seines örtlichen Wirkungsbereichs die Koordinierung und Kontrolle der Maßnahmen der Bezirksverwaltungsbehörden gemäß Abs4. Besteht der Verdacht oder die Kenntnis über einen bundesländerübergreifenden Ausbruch einer Erkrankung gemäß §1 Abs1 und 2, so haben die Landeshauptmänner der betroffenen Bundesländer zusammenzuarbeiten und ihre Tätigkeiten zu koordinieren.
(6) Das Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend ist im Fall von Krankheitsausbrüchen vom Landeshauptmann unverzüglich zu verständigen.
Zuständigkeiten betreffend COVID‑19
§43a. (1) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID‑19 sind vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen.
(2) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID‑19 können vom Landeshauptmann erlassen werden, wenn keine Verordnung gemäß Abs1 erlassen wurde oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung gemäß Abs1 festgelegt werden.
(3) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID‑19 können von der Bezirksverwaltungsbehörde erlassen werden, wenn keine Verordnungen gemäß Abs1 oder 2 erlassen wurden oder zusätzliche Maßnahmen zu Verordnungen nach Abs1 oder 2 festgelegt werden.
(4) In einer Verordnung gemäß Abs1 bis 3 kann entsprechend der jeweiligen epidemiologischen Situation regional differenziert werden.
(5) Durch Verordnung gemäß Abs1 können Verordnungen gemäß Abs2 und 3 oder Teile davon aufgehoben werden. Durch Verordnung gemäß Abs2 können Verordnungen gemäß Abs3 oder Teile davon aufgehoben werden.
(6) Verordnungen gemäß Abs2 und 3 sind vor deren Inkrafttreten dem für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister mitzuteilen."
2. §24 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, in der Fassung BGBl I 33/2021 lautete wie folgt:
"Verkehrsbeschränkungen für die Personen, die sich in Epidemiegebieten
aufhalten
§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden."
3. §24 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, in der Fassung BGBl I 90/2021 lautet wie folgt:
"Verkehrsbeschränkungen in Bezug auf Epidemiegebiete
§24. (1) Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrsbeschränkungen anzuordnen. Ebenso können Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten angeordnet werden.
(2) Verkehrsbeschränkungen für in Epidemiegebieten aufhältige Personen gemäß Abs1 sind insbesondere:
1. Voraussetzungen und Auflagen für das Verlassen des Epidemiegebietes, wie
a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Verlassen des Epidemiegebietes,
b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und
c) das Antreten einer selbstüberwachten Heimquarantäne nach Verlassen des Epidemiegebietes,
2. die Untersagung des Verlassens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.
(3) Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten gemäß Abs1 sind insbesondere:
1. Voraussetzungen und Auflagen für das Betreten des Epidemiegebietes, wie
a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Betreten des Epidemiegebietes,
b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und
c) zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19: die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung,
2. die Untersagung des Betretens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.
(4) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 gelten für das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr §1 Abs5 Z5 und Abs5a bis 5e COVID‑19‑MG sinngemäß.
(5) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 gelten als Epidemiegebiete gemäß Abs1 bestimmte örtlich abgegrenzte oder abgrenzbare Teile des Bundesgebietes, in denen außergewöhnliche regionale Umstände im Hinblick auf die Verbreitung von SARS‑CoV‑2 vorliegen. Außergewöhnliche regionale Umstände liegen etwa vor, wenn aufgrund der Bewertung der epidemiologischen Situation gemäß §1 Abs7 COVID‑19‑MG im bundesweiten Vergleich ein besonders hohes Risiko der Verbreitung von SARS‑CoV‑2 anzunehmen ist oder wenn aufgrund wesentlich veränderter Eigenschaften des Virus die bereits gesetzten Bekämpfungsmaßnahmen oder die weitere Bekämpfungsstrategie erheblich gefährdet sind."
4. Die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 15/2020, lautet wie folgt:
"Auf Grund des §1 Abs2 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 37/2018, wird verordnet:
Der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen Verdachts‑, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019‑nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus')."
5. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID‑19-Virusvariantenverordnung – COVID‑19‑VvV), BGBl II 63/2021, lautete:
"Auf Grund des §24 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 23/2021, wird verordnet:
Örtlicher Anwendungsbereich
§1. Diese Verordnung gilt für das Bundesland Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee.
Anforderungen beim Überschreiten der Grenzen des Epidemiegebietes
§2. Personen, die sich im Gebiet nach §1 aufhalten, dürfen die Grenzen des in §1 umschriebenen Epidemiegebietes nur überschreiten, wenn sie einen Nachweis über ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARS‑CoV‑2 oder eines molekularbiologischen Tests auf SARS‑CoV‑2, deren Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen darf, mit sich führen. Diese Personen sind verpflichtet, diesen Nachweis bei einer Kontrolle vorzuweisen.
Ausnahmen
§3. §2 gilt nicht für:
1. Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr;
2. die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum;
3. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie Angehörige von Rettungsorganisationen und der Feuerwehr;
4. den Güterverkehr;
5. Transitpassagiere oder die Durchreise durch Tirol ohne Zwischenstopp, die auch bei ausschließlich unerlässlichen Unterbrechungen vorliegt.
Glaubhaftmachung
§4. Im Fall einer behördlichen Überprüfung sind die Ausnahmegründe gemäß §3 glaubhaft zu machen.
Testergebnisse
§5. Als Testergebnisse im Sinne dieser Verordnung sind jene Nachweise zu verstehen, die im Rahmen von Tests durch dazu befugte Stellen erlangt werden.
Inkrafttreten
§6. Diese Verordnung tritt mit 12. Februar 2021 in Kraft und mit Ablauf des 21. Februar 2021 außer Kraft."
6. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die COVID‑19-Virusvariantenverordnung (COVID‑19‑VvV) geändert wird, BGBl II 85/2021 lautete wie folgt:
"Auf Grund des §24 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 23/2021, wird verordnet:
Die Verordnung, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID‑19-Virusvariantenverordnung – COVID‑19‑VvV), BGBl II Nr 63/2021, wird wie folgt geändert:
1. In §3 Z3 wird vor dem Strichpunkt die Wortfolge 'in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit' eingefügt.
2. In §6 wird die Wortfolge '21. Februar' durch die Wortfolge '3. März' ersetzt."
7. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung (COVID‑19‑VvV) geändert wird, BGBl II 98//2021, ausgegeben am 3. März 2021, lautete wie folgt:
"Auf Grund des §24 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 33/2021, wird verordnet:
Die Verordnung, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID‑19-Virusvariantenverordnung – COVID‑19‑VvV), BGBl II Nr 63/2021, zuletzt geändert durch die Verordnung BGBl II Nr 85/2021, wird wie folgt geändert:
1. In §3 wird am Ende der Z5 der Punkt durch einen Strichpunkt ersetzt und folgende Z6 angefügt:
'6. Repatriierungsfahrten bzw ‑flüge.'
2. In §6 wird die Wortfolge '3. März' durch die Wortfolge '10. März' ersetzt.
3. Der Text des §6 erhält die Absatzbezeichnung '(1)' und es wird folgender Abs2 angefügt:
'(2) §3 Z5 und 6 in der Fassung der Verordnung BGBl II Nr 98/2021 treten mit 4. März 2021 in Kraft.'"
8. Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung, BGBl II 63/2021, idF BGBl II 85/2021 und BGBl II 98/2021 trat mit Ablauf des 10. März 2021 außer Kraft.
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Mit Maßnahmenbeschwerde vom 16. Februar 2021 wandten sich zwei Personen gegen die Verweigerung der Ausreise aus Tirol an das Landesverwaltungsgericht Tirol. Sie wurden am 12. Februar 2021 an der Grenze zwischen Österreich und Italien am Brenner zurückgewiesen, da sie — entgegen der COVID‑19-Virusvariantenverordnung — keinen negativen COVID‑19-Test vorgewiesen hätten.
1.1. Aus Anlass dieser Maßnahmenbeschwerde stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol den vorliegenden, zu V91/2021 protokollierten Verordnungsprüfungsantrag:
1.1.1. Das Landesverwaltungsgericht Tirol führt zur Zulässigkeit seines Antrages wie folgt aus (ohne die Hervorhebungen im Original):
"3. Zulässigkeit
3.1. Präjudizialität – Unmittelbare Anwendbarkeit
Der Verfassungsgerichtshof ist – so in 10.12.2020, V535/2020, Rz 17, eine Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol über Gemeindegebietsbeschränkungen betreffend – nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichts in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG nur wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Die Beschwerdeführer wurden aufgrund der COVID‑19-Virusvariantenverordnung an der Brennergrenze zurückgewiesen. Diese Verordnung ist somit offenkundig unmittelbar anwendbar und deshalb für den Anlassfall präjudiziell. Der gegenständliche Antrag ist daher nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol zulässig.
Auch über den Anlassfall hinaus wirkte die COVID‑19-Virusvariantenverordnung umfassend. So wurden in der ersten Woche – vergleichbar mit dem gegenständlichen Fall – 1.950 Menschen die Weiterfahrt untersagt (https://tirol.orf.at/stories/3091116/ , 9.3.2021). Dies verstärkt die Bedeutung der Gesetzwidrigkeit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung, welche vom Verfassungsgerichtshof einer Klärung unterzogen werden sollte.
3.2. Entscheidungswesentlichkeit der Gesetzmäßigkeit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung
Darüber hinaus ist die Frage der Gesetzmäßigkeit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung entscheidungswesentlich für das gegenständliche Maßnahmenbeschwerdeverfahren. Würde der Verfassungsgerichtshof die Verordnung für gesetzwidrig erklären, wäre nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol auch die darauf gründende Amtshandlung rechtswidrig. Die Zurückweisung an der Grenze alleine oder in Zusammenschau mit der durch die Verwaltungsübertretung bewirkten Festnahmeermächtigung nach §35 VStG stellen eine Maßnahme dar (3.2.1.). Auch wenn grundsätzlich eine vertretbare Annahme einer Verwaltungsübertretung für einschreitende Organwalter ausreicht (3.2.2), würde doch die – durch den Verfassungsgerichtshof festgestellte – Gesetzwidrigkeit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung zur Rechtswidrigkeit der Amtshandlung führen (3.2.3.).
3.2.1. Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt
Nach der ständigen Rechtsprechung liegt ein Verwaltungsakt in Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt vor, wenn Verwaltungsorgane im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen individuell bestimmte Adressaten einen Befehl erteilen oder Zwang ausüben und damit unmittelbar – somit ohne vorangegangenen Bescheid – in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen. Das ist im Allgemeinen der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht (vgl VwGH 20.11.2006, 2006/09/0188; 22.2.2007, 2006/11/0154).
Zum einen kann schon die Zurückweisung selbst als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt angesehen werden (so zB bei Sperre des Zugangs zu einen Segelflugplatz VwGH 13.9.2016, Ro 2014/03/0062). Zum anderen stützt sich die COVID‑19-Virusvariantenverordnung auf §24 EpiG. Die Nichtbefolgung darin enthaltener Vorgaben stellt eine Verwaltungsübertretung nach §40 Abs1 litb EpiG dar. Eine Widersetzung gegen die Zurückweisung wäre somit eine Verwaltungsübertretung gewesen. Dies hätte zu einer Festnahmeermächtigung gemäß §35 Z3 VStG geführt, da die Beschwerdeführer trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt wären oder diese wiederholt hätten. Auch wenn das Epidemiegesetz keine dahingehende Zwangsmaßnahme vorsieht, wäre nach §§35 Z3 iVm 39a VStG eine Festnahme zulässig. Eine Zurückweisung wäre – nach vorläufiger Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol – als gelinderes Mittel anzusehen. Die Beschwerdeführer mussten somit – sieht man nicht schon die Zurückweisung alleine als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt an – mit einer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung rechnen, weshalb ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt vorlag.
3.2.2. Vertretbare Annahme einer Verwaltungsübertretung
Es reicht zwar, wenn die einschreitenden Organwalter die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund – und damit vertretbar – annehmen konnten (zB VfGH 20.9.2012, B1436/10; Slg 13.063/1992; VwGH 13.10.2015, Ra 2015/01/0154 mwN). Dies hat seine Berechtigung. So kann einem Organwalter nicht zugemutet werden, zB allfällige durch Sachverständige in einem späteren Verwaltungsstrafverfahren zu klärende Sachverhaltsfragen sowie Entschuldigungs- oder Strafausschließungsgründe zu erkennen oder zu berücksichtigen.
Der Verwaltungsgerichtshof wendet diese Rechtsprechungslinie auch auf Fälle an, bei denen die rechtliche Grundlage vom Verfassungsgerichtshof als gesetzwidrig oder verfassungswidrig aufgehoben wurde (VwGH 23.11.2020, Ra 2020/03/0106: 'Daran [gemeint: Am Vorliegen einer vertretbaren Annahme einer Verwaltungsübertretung, Anm] ändert auch nichts, dass der Verfassungsgerichtshof den hier maßgeblichen §3 der Verordnung mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, V405/2020‑14, als gesetzwidrig aufgehoben und ausgesprochen hat, dass die gesetzwidrig festgestellte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Ex ante betrachtet konnten die einschreitenden Organwalter trotzdem mit gutem Grund von einer zu ahndenden Verwaltungsübertretung ausgehen.').
Der Verwaltungsgerichtshof ging ursprünglich von der Rechtswidrigkeit einer Amtshandlung aus, wenn die im Anlassfall anzuwendende Verordnung als verfassungswidrig aufgehoben wurde (VwGH 13.11.1992, 92/17/0251). Davon scheint der Gerichtshof jedoch in dem zitierten Erkenntnis (23.11.2020, Ra 2020/03/0106) abzugehen, indem dieser - auch bei ausdrücklicher Unanwendbarkeit der Verordnungsbestimmung nach Art139 Abs6 zweiter Satz B‑VG - die Annahme einer Verwaltungsübertretung beachtet, was für die Zulässigkeit der Amtshandlung ausreicht.
Diesen Gedanken auf den Punkt gebracht bleibt eine Amtshandlung rechtskonform, auch wenn die Rechtsgrundlage, auf die sich die Amtshandlung stützt, im Nachhinein vom Verfassungsgerichtshof als gesetzwidrig oder verfassungswidrig festgestellt oder aufgehoben wird. Es erübrigt sich somit nach dieser Rechtsprechungslinie die Prüfung der Verfassungskonformität eines Gesetzes oder Gesetzeskonformität einer Verordnung, da der einschreitende Organwalter zum Zeitpunkt der Amtshandlung sich mit gutem Grund und somit vertretbar auf diese Rechtsgrundlage stützte, wenn diese zum Zeitpunkt der Amtshandlung in Geltung stand. Dies könnte an der Entscheidungswesentlichkeit zweifeln lassen, da die Frage der Verfassungskonformität eines Gesetzes oder Gesetzeskonformität einer Verordnung für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine Auswirkungen hätte.
Im beim Landesverwaltungsgericht Tirol anhängigen Verfahren gingen die Behördenorgane – so ausdrücklich die Beschwerdeführer in ihrer Maßnahmenbeschwerde und die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift – von der Anwendbarkeit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung und somit von der Rechtmäßigkeit ihres Tuns aus.
3.2.3. Rechtswidrigkeit der Amtshandlung aufgrund rechtswidriger Grundlage
Im Gegensatz zur oben skizzierten Rechtsprechungslinie des Verwaltungsgerichtshofs liegt – nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs – ein Grundrechtseingriff vor, wenn sich die Handlung auf eine dem jeweiligen Grundrecht widersprechende Rechtsvorschrift stützt. So liegt ein verfassungswidriger Eingriff in Art3 EMRK vor, wenn eine Entscheidung in Anwendung eines des Art3 EMRK widersprechenden Gesetzes ergangen ist (VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001). Auch verletzt das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts über die Rechtmäßigkeit einer Festnahme oder Anhaltung einer Person deren Recht auf persönliche Freiheit, wenn es in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere Art1 ff PersFrG und Art5 EMRK widersprechenden Gesetzes erlassen wurde (zB VfSlg 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999, 16.384/2001, 20.119/2016). Eine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit nach Art6 StGG liegt unter anderem vor, wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich die Entscheidung stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist (zB VfSlg 19.515/2011, 19.717/2012, 19.749/2013, 19.798/2013, 19.803/2013). Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens wird wiederum verletzt, wenn die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf einer Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht (VfSlg 20.063/2016). Übereinstimmend liegt eine Verletzung des Rechts auf Versammlungsfreiheit vor, wenn die Entscheidung auf einer Art11 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht (VfSlg 19.818/2013).
Damit verbunden besteht ein Rechtsschutzinteresse Betroffener an der Klärung, ob durch die angefochtene Verordnungsbestimmung bewirkten Eingriffe in ihre (Grund‑)Rechtssphäre recht- und letztlich verfassungsmäßig erfolgte (VfGH 14.7.2020, V363/2020, Rz 27).
Auch geht der Verfassungsgerichtshof von einem aus dem Recht auf Versammlungsfreiheit ableitbaren Recht aus, die Untersagung einer Versammlung auf deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Die Beschwerdelegitimation entfällt somit nicht nach dem Termin der untersagten Versammlung (VfSlg 20.312/2019 mit Hinweis auf 15.170/1998).
Von diesen Rechtsschutzgedanken ist das System der Maßnahmenbeschwerden getragen (VfGH 14.7.2020, V363/2020, Rz 27).
So darf die Möglichkeit der Prüfung der Gesetzes- bzw Verfassungskonformität einer Verordnung, welche Grundlage einer staatlichen Zwangsmaßnahme bildet, durch den Verfassungsgerichtshof nicht obsolet werden oder gar dadurch genommen werden, dass es für die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung ohnehin ausreicht, wenn sich einschreitende Organwalter vertretbar auf diese Rechtsgrundlage gestützt haben.
Die Erklärung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung oder Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führt auch nach dem Legalitätsprinzip (Art18 Abs1 B‑VG) zur Rechtswidrigkeit der – darauf gründenden – Amtshandlung.
Abschließend kann – freilich das Recht auf Leben betreffend – bei isolierter Betrachtung der Handlungen der einschreitenden Organwalter keine Verletzung, bei Einbeziehung der Organisation und Kontrolle der Gesamtoperation jedoch sehr wohl eine Verletzung des Grundrechts vorliegen (EGMR 27.9.1995, McCann/UK, 18.984/91, NLMR 1995, 219).
3.2.4. Ergebnis
Die Frage der Gesetzmäßigkeit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung ist somit entscheidend für die Lösung des gegenständlichen Falles. Würde der Verfassungsgerichtshof die COVID‑19-Virusvariantenverordnung für gesetzwidrig erklären, wäre die Amtshandlung rechtswidrig. Die Entscheidungswesentlichkeit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung für das gegenständliche Verfahren liegt somit nach Ansicht des antragstellenden Gerichts ebenfalls vor."
1.1.2. Das Landesverwaltungsgericht Tirol legt seine Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):
"[1.] Unzuständigkeit des Bundesministers für Gesundheit
§24 EpiG sieht in der zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung am 10.2.2021 geltenden Fassung BGBI I 2006/114, 'Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften' vor: 'Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, hat die Bezirksverwaltungsbehörde für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrsbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.'
Offenbar auf diese Rechtsgrundlage gestützt (dazu die Präambel/Promulgationsklausel der COVID‑19-Virusvariantenverordnung: 'Auf Grund des §24 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 23/2021, wird verordnet.') erließ der Bundesminister für Gesundheit die COVID‑19-Virusvariantenverordnung.
Als zuständige Behörde führt §24 EpiG ausdrücklich die Bezirksverwaltungsbehörde an. Zwar sind gemäß §43a Abs1 EpiG (idF BGBl I 2020/104) 'Verordnungen nach dem Epidemiegesetz betreffend COVID‑19' vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen.
Auf §24 EpiG kann der Bundesminister für Gesundheit die COVID‑19-Virusvariantenverordnung jedoch nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol nicht stützen.
Zwar geht auch der Verfassungsgerichtshof von einer 'Verordnungsermächtigung des §24 Epidemiegesetz' aus (VfGH 10.12.2020, V535/2020, Rz 29; ähnlich Hiersche/K. Holzinger/Eibl, Handbuch des Epidemierecht [Stand 13.5.2020] Kap 6.3.1.) und erblickte darin für eine Verordnung 'eine hinreichende Grundlage' (Rz 30).
Bei genauer Betrachtung spricht jedoch §24 EpiG wörtlich von Verfügungen, nicht von Verordnungen.
Auch dem System des Epidemiegesetzes ist eine Unterscheidung zwischen Verordnungen und Verfügungen immanent. So sieht das Epidemiegesetz an zahlreichen Stellen die Möglichkeit vor, etwas 'durch Verordnung' zu regeln (zB §§1 Abs2, 4 Abs15 und 17 und 19, 5 Abs3, 5a Abs8, 5c Abs1, 7 Abs1, 8 Abs5, 12 Abs2, 13 Abs5, 15 Abs9, 20 Abs4, 21 Abs2, 25, 26 Abs1 und 2, 26a Abs4, 28, 32 Abs6). Demgegenüber können zahlreiche Vorkehrungen 'verfügt' werden (zB §§7 Abs1 zur Absonderung Kranker, 10 Abs1 zur Beschränkung der Wasserbenützung, 17 Abs1 zur Überwachung bestimmter Personen, 18 zur Schließung von Lehranstalten sowie 20 Abs1 zu Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen). §7 Abs1 EpiG verdeutlicht das unterschiedliche Begriffsverständnis: 'Durch Verordnung' werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für bestimmte Personen Absonderungsmaßnahmen 'verfügt' werden können. Gemäß – dem für die COVID‑19-Virusvariantenverordnung herangezogenen – §24 EpiG können zum Zeitpunkt der Erlassung 'Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften' ausdrücklich 'verfügt' werden. Demgegenüber sieht der darauffolgende §25 'Verkehrsbeschränkungen gegenüber dem Auslande' ausdrücklich 'durch Verordnung' vor. Abschließend unterscheidet auch §40 Abs1 EpiG bei Verwaltungsübertretungen zwischen Verordnungen und Verfügungen. So richtet sich dessen litb ausdrücklich an die aufgrund bestimmter näher bezeichneter Paragrafen 'erlassenen behördlichen' Gebote und Verbote. Dabei ist auch §24 EpiG genannt. Davon unterschiedlich orientiert sich §40 Abs1 litc EpiG an Gebote[n] oder Verbote[n], 'die in den aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen enthalten sind'.
Dies lässt sich auch teleologisch begründen. So sollen – nach strengeren Verpflichtungen zur Dokumentation zu erlassende […] und entsprechend kundzumachende – Verordnungen grundsätzlich allgemeinere Aspekte regeln, während Verfügungen ohne diese Vorgaben und somit schneller zum Einsatz kommen (wie zB bei der Absonderung Kranker nach §7 Abs1 EpiG, Beschränkungen der Wasserbenützung nach §10 Abs1, Überwachung bestimmter Personen nach §17 Abs1 oder die Schließung von Lehranstalten [§18] oder Unternehmen [§20 Abs1]). Letztere erfordern ein schnelles Handeln zur Gewährleistung der 'Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtigen Krankheiten' (wie im zweiten Hauptstück des Epidemiegesetzes vorgesehen). Dies gilt auch für Verkehrsbeschränkungen nach §24 EP[i]G.
Zusammengefasst ermächtigt §24 EpiG ausschließlich zur Erlassung von Verfügungen, nicht jedoch von Verordnungen. §43a Abs1 EpiG (idF BGBI I 2020/104) zur Zuständigkeit des Bundesministers für Gesundheit bezieht sich wörtlich auf 'Verordnungen'. Da §24 EpiG ausschließlich eine Ermächtigung für Verfügungen vorsieht, ist diese nicht gemäß §43a Abs1 EpiG (idF BGBI I 2020/104) auf den Bundesminister für Gesundheit übergegangen. Die Zuständigkeit zur Erlassung von Verfügungen gemäß §24 EpiG bleibt somit einzig bei der darin genannten Bezirksverwaltungsbehörde.
Es kann vor dem Hintergrund des gegenständlichen Antrags dahingestellt bleiben, ob bisher – im Zuge der COVID‑19-Pandemie – auf §24 EpiG gestützte Verordnungen von Bezirkshauptmannschaften rechtsgültig ergangen sind. Eine Kompetenz des Bundesministers für Gesundheit auf §24 EpiG gestützte Verordnungen zu erlassen, liegt jedenfalls nach Ansicht des antragstellenden Gerichts nicht vor.
Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht entscheidend, auf welche Rechtsgrundlage eine Verordnung förmlich (zB in ihrer Promulgationsklausel) gestützt wird, sofern eine andere gesetzliche Grundlage herangezogen werden kann (zB VfSlg 2276/1952, 2432/1952, 4375/1963, 9253/1981, 14.938/1997, 16.094/2001, 16.930/2003; zuletzt VfGH 10.12.2020, V535/2020).
Eine andere gesetzliche Grundlage liege jedoch für die COVID‑19-Virusvariantenverordnung nicht vor.
§4 Abs1 COVID‑19-Maßnahmengesetz scheidet aus. Erstens bezieht sich diese Ermächtigung auf 'das Betreten und das Befahren', nicht auf das 'Überschreiten der Grenzen' wie in §2 COVID‑19-Virusvariantenverordnung angeführt. Zweitens kann sich diese Verordnung nicht auf 'bestimmte Orte' iSd §4 Abs1 Z1 COVID‑19-Maßnahmengesetz stützen (dazu VfGH 14.7.2020, V363/2020), da das gesamte Bundesland Tirol (freilich abzüglich der Ausnahmen) zu weit ist. Drittens scheidet auch die Bezugnahme auf 'öffentliche Orte in ihrer Gesamtheit' iSd §4 Abs1 Z2 COVID‑19-Maßnahmengesetz aus, da nicht öffentliche Orte in ihrer Gesamtheit betroffen sind, sondern nur jene im Bundesland Tirol.
§5 COVID‑19-Maßnahmengesetz normiert das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken und kann deshalb ebenfalls nicht für die COVID‑19-Virusvariantenverordnung als Grundlage dienen.
Zusammengefasst ist somit nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol der Bundesminister für Gesundheit zur Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung unzuständig.
Sollte der Verfassungsgerichtshof jedoch zum Ergebnis kommen, §§24 iVm §43a Abs1 EpiG sehen eine Verordnungsermächtigung des Bundesministers für Gesundheit vor, werden nunmehr weitere Argumente für die Gesetz- und Verfassungswidrigkeit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung ausgeführt.
[2.] Umfang der Ermächtigung gemäß §24 EpiG
Art18 Abs2 B‑VG erlaubt die Erlassung von Verordnungen nur 'aufgrund der Gesetze'. Eine Verordnung darf somit bloß präzisieren, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde (zB VfSlg 11.639/1988 mwN sowie 14.895/1997). Geht die Verordnung über den gesetzlich vorgesehenen Rahmen heraus, ist sie gesetzwidrig (so zB VfGH 10.12.2020, V535/2020).
Der Titel des §24 EpiG sah – in der zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung geltenden Fassung – ausdrücklich Verkehrsbeschränkungen für Bewohner bestimmter Ortschaften vor.
Schon in der ursprünglichen Fassung des §24 des Gesetzes vom 14.4.1913 betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (RGBI 1913/67) war – unter der identen Überschrift (Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften) – von 'Einschränkung des Verkehrs für die Bewohner verseuchter Ortschaften oder vorübergehender Niederlassungen' (Abs1) und 'Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Ortschaften und Niederlassungen von außen' (Abs2) die Rede. Allerdings beschränkte sich diese Ermächtigung auf das Auftreten von 'Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera oder Pest'.
Nach dem damals herrschenden Begriffsverständnis sind mit Ortschaften kleinere Einheiten als Gemeinden gemeint. So findet sich der Begriff Ortschaften auch in Art27 des Staatsvertrags von St. Germain, StGB 1920/303, der Österreichs Grenzen bestimmt. Darin ist von den 'Ortschaften Winnbach und Arnbach' die Rede. Winn(e)bach ist Teil der Südtiroler Gemeinde Innichen, Arnbach gehört zur Osttiroler Gemeinde Sillian.
Nach der Wiederverlautbarung als Epidemiegesetz (BGBI 1950/186) erhielt §24 durch BGBI I 2006/114 die zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung geltende Fassung. Die Vorgängerregelung stellte – ähnlich wie andere Ermächtigungen – 'auf das Auftreten bestimmter taxativ aufgezählter Krankheiten ab', was 'jedoch im Hinblick darauf, dass auch beim Auftreten dort nicht genannter Krankheiten derartige Verbote fachlich notwendig sein können', als zu eng erschien (IA 822/A 22. GP , 3). Derartige Maßnahmen könnten – so die Materialien weiter – 'auch im Falle einer Influenza-Pandemie erforderlich sein' (IA 822/A 22. GP , 3). Auch wenn nunmehr in §24 nicht mehr von 'Ortschaften', sondern von 'Epidemiegebieten' die Rede ist, bezieht sich die Verordnungsermächtigung – nicht zuletzt aufgrund der bis zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung gleich gebliebenen Überschrift – auf 'Ortschaften'. Somit kann auch das oben beschriebene gleiche Begriffsverständnis von Ortschaften wie zum Zeitpunkt der erstmaligen Erlassung des §24 EpiG angelegt werden.
Hinsichtlich der Auslegung des Begriffs 'bestimmte' ist auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14.7.2020, V363/2020, zur Interpretation von 'bestimmten Orten' im Sinne des §2 COVID‑19-Maßnahmengesetz zu verweisen. Trotz der Unterschiede der Begriffe 'Ortschaften' und 'Orte' sind an den Zusatz 'bestimmte' dieselben Anforderungen zu stellen. So kann der Verordnungsgeber diese Ortschaften 'konkret oder abstrakt' (VfGH 14.7.2020, V363/2020, Rz 56) bzw 'abstrakt, etwa durch ihren Verwendungszweck, oder örtlich' (Rz 67) umschreiben.
Der örtliche Anwendungsbereich nach §1 COVID‑19-Virusvariantenverordnung ('Bundesland Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rießtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee') entspricht diesen Anforderungen nicht. Zum einen wurde keine der betroffenen 'Ortschaften', nicht einmal die Gemeinden, namentlich genannt. Zum anderen kann die Ermächtigung für 'Verkehrsbeschränkungen für Bewohner bestimmter Ortschaften' nicht für alle im Bundesland Tirol befindlichen Ortschaften (freilich abzüglich der Ausnahmen) herangezogen werden. Auch wenn sämtliche betroffene Ortschaften namentlich angeführt und somit 'bestimmt' gewesen wären, würde das die Verordnungsermächtigung nach §24 EpiG übersteigen.
Erst nach Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung wurde die Überschrift des §24 EpiG mit 27.2.2021 auf 'Verkehrsbeschränkungen für Personen, die sich in Epidemiegebieten aufhalten' geändert (BGBI I 2021/33). Ebenso fand die gegenständlich vom Landesverwaltungsgericht Tirol zu prüfende Maßnahme vorher statt. Deshalb bleibt die zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung geltende Überschrift ('Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften') relevant. Die danach erfolgte Änderung deutet hingegen darauf hin, der Gesetzgeber wollte dem Verordnungsgeber nunmehr einen umfassenderen Spielraum als vorher einräumen.
Die Änderung der Überschrift des §24 EpiG erfolgte – wie oben dargestellt – erst am 27.2.2021. Zu diesem Zeitpunkt stand die COVID‑19-Virusvariantenverordnung jedoch schon in der durch BGBI II 2021/85 (vom 19.2.2021) geänderten Fassung in Geltung. Der gegenständliche Antrag (8.) richtet sich jedoch ausschließlich gegen die – zum Zeitpunkt der vom Landesverwaltungsgericht Tirol zu prüfenden Amtshandlung am 12.2.2021 geltende – COVID‑19-Virusvariantenverordnung in der Stammfassung BGBl II 2021/63.
Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung überschreitet somit zusammengefasst – jedenfalls in der Stammfassung BGBl II 2021/63 – ihre gesetzliche Ermächtigung in §24 EpiG und ist deshalb gesetzwidrig (ähnlich VfGH 14.7.2020, V363/2020).
[3.] Dokumentation zur Verordnungserlassung
Hinsichtlich dem Erfordernis zur Dokumentation bei der Erlassung von Verordnungen ist [unter anderem] auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs 14.7.2020, V363/2020, Rz 50 ff, zu verweisen:
[…]
Nach entsprechender Aufforderung des Landesverwaltungsgerichts Tirol unter Hinweis auf diese Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes langte vom Bundesministerium für Gesundheit keine Stellungnahme ein. Es wurden keinerlei Unterlagen vorgelegt. Somit ist zweifelhaft, ob die COVID‑19-Virusvariantenverordnung 'nach Durchführung der gebotenen Interessenabwägung' getroffen, dabei die 'maßgeblichen Umstände entsprechend ermittelt' und 'nachvollziehbar fest(ge)halten' wurden (wie vom VfGH 14.7.2020, V363/[2020], Rz 52, gefordert). Die vom Verfassungsgerichtshof in seiner jüngsten Rechtsprechung klar festgehaltenen Anforderungen an eine ausreichende und nachvollziehbare Dokumentation im Zuge der Verordnungserlassung wurden offenbar nicht erfüllt. Es ist somit für das Landesverwaltungsgericht Tirol auch zweifelhaft, ob sich die Verordnung auf eine fachliche Grundlage stützt.
[…]
[4.] Ergebnis
Die Gesetzwidrigkeit der COVID‑19-Virusvariantenverordnung ergibt nach Ansicht des antragstellenden Gerichts sich aus drei Gründen: Erstens ist der Bundesminister für Gesundheit zur Erlassung dieser Verordnung unzuständig [1.]. Würde man §24 EpiG als zulässige Verordnungsermächtigung ansehen, überschreitet die COVID‑19-Virusvariantenverordnung zweitens den vorgesehenen Rahmen [2.]. Drittens fehlt es an einer erforderlichen Dokumentation dieser Verordnung [3.].
5. Verfassungswidrigkeit – Unverhältnismäßigkeit
Abgesehen von der Gesetzwidrigkeit widerspricht die COVID‑19-Virusvariantenverordnung nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol dem Grundrecht auf Freizügigkeit gemäß Art4 Abs1 StGG bzw Art2 4. ZP‑EMRK (5.1.) sowie dem Gleichheitsgrundsatz nach Art7 B‑VG bzw Art2 StGG (5.2.).
5.1. Grundrecht auf Freizügigkeit der Person
5.1.1. Eingriff in den Schutzbereich
Den Beschwerdeführern wurde am Brennerpass der Grenzübertritt von Österreich nach Italien verwehrt. Somit stellt sich die Frage der Zulässigkeit nach dem Grundrecht auf Freizügigkeit der Person gemäß Art4 Abs1 StGG bzw Art2 4. ZP‑EMRK. Dahingehend ist einleitend wiederum auf VfGH 14.7.2020, V363/2020, Rz 60 f, verwiesen:
'Nach Art4 Abs1 StGG unterliegt die Freizügigkeit der Person innerhalb des Staatsgebietes keiner Beschränkung. Dieses Grundrecht schützt davor, durch die Staatsgewalt daran gehindert zu werden, sich an einen bestimmten Ort oder in ein bestimmtes, räumlich begrenztes Gebiet zu begeben. Art2 Abs1 4. ZPEMRK garantiert jeder Person, die sich rechtmäßig in Österreich aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen, somit die Möglichkeit, nach Belieben "zu kommen und zu gehen" (EGMR 22.2.1994, Fall Raimondo, Appl 12.954/87, [Z39]; 1.7.2004, Fall Vito Sante Santoro, Appl 36.681/97 [Z43]). Diese Freiheit, an jeden Ort zu gehen und an jedem Ort zu bleiben, ist ein wesentlicher Teil der Selbstbestimmung des Menschen. Die Freizügigkeit ist aber auch Voraussetzung für die Wahrnehmung einer Reihe anderer Rechte und Freiheiten (siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 6).
Die Freizügigkeit ist aber nicht schrankenlos gewährleistet. Schon in VfSlg 3447/1958 hat der Verfassungsgerichtshof mit Blick unter anderem auf behördlich angeordnete Seuchenmaßnahmen ausgeführt, dass diese durch öffentliche Rücksichten geboten seien und sich daher ihrem Inhalt und ihrem örtlichen und zeitlichen Wirkungsbereich nach auf die Wahrung dieser Rücksichten beschränken müssen (in der Folge hat der VfGH den, Art4 Abs1 StGG immanenten Gesetzesvorbehalt dadurch begrenzt gesehen, dass der Gleichheitsgrundsatz durch öffentliche Rücksichten nicht gebotene Einengungen der Freizügigkeit mittels willkürlicher Veränderung der Rechtsordnung verhindert, siehe VfSlg 7379/1974, 7686/1975, 8373/1978 und zur Kritik an dieser Rechtsprechung mwN Pöschl, Art4 StGG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg. 2002, Rz 44 f.). Nach dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs3 4. ZPEMRK – der besondere Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs4 4. ZPEMRK (zu dessen Zielrichtung siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, Rz 67) spielt im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Maßnahmen keine Rolle – müssen Einschränkungen der Freizügigkeit gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft unter anderem im Interesse des Schutzes der Gesundheit notwendig sein. Einschränkungen der durch Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK gewährleisteten Freizügigkeit sind daher verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie gesetzlich zum Zwecke eines legitimen öffentlichen Interesses vorgesehen und zur Zielerreichung geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinn sind.'
Die – dem gegenständlichen Maßnahmenbeschwerdeverfahren zugrundeliegende – Verweigerung der Ausreise aus Tirol (nach Italien) ohne negativen COVID‑19-Test greift in den Schutzbereich des Rechts auf Freizügigkeit der Beschwerdeführer ein, wonach es jedermann gemäß Art2 Abs2 4. ZP‑EMRK freisteht, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.
Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung greift grundsätzlich in das Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Staatsgebiets nach Art4 StGG sowie das Recht, sich im Hoheitsgebiet eines Staates frei zu bewegen (Art2 Abs1 4. ZP‑EMRK), ein.
In weiterer Folge ist somit die Zulässigkeit des Eingriffs anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu prüfen, bei dem die gesetzliche Grundlage (5.1.2.1), das öffentliche Interesse (5.1.2.2.), die Eignung (5.1.2.3.), die Erforderlichkeit (5.1.2.4.) und schließlich die Adäquanz (5.1.2.5.) relevant sind.
5.1.2. Zulässigkeit des Eingriffs – Verhältnismäßigkeit
5.1.2.1 Gesetzliche Grundlage – Materielle Voraussetzungen des §24 EpiG
Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung stützt sich ausdrücklich auf §24 EpiG. Die gesetzliche Grundlage liegt somit vor.
§24 EpiG sieht drei materielle Voraussetzungen für Verkehrsbeschränkungen vor. Erstens sind 'Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung' für jede der bestimmten Ortschaften zu beurteilen. Zweitens müssen die Verkehrsbeschränkungen auf den 'Schutz vor deren Weiterverbreitung' abzielen und drittens 'unbedingt erforderlich' sein. Diese sind somit bei der folgenden Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen.
5.1.2.2. Öffentliches Interesse – Schutz der Gesundheit und vor Weiterverbreitung
Zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung am 10.2.2021 lag die Sieben-Tage-Inzidenz österreichweit bei 103,7, im Land Tirol – als niedrigsten Wert aller Bundesländer – bei 84,3 (https://orf.at/corona/daten/oesterreich , 17.2.2021). Am 17.2.2021 – und somit eine Woche nach Erlassung der Verordnung und fünf Tage nach deren Inkrafttreten – wies das Land Tirol eine Sieben-Tages-Inzidenz von 78 auf, einzig Vorarlberg war mit 69,5 niedriger. Der Österreichschnitt lag bei 110,6 (https://covid19-dashboard.ages.at/ 17.2.2021 ). Ebenfalls am 17.2.2021 wies der Bezirk Innsbruck-Land, in dem der Brenner liegt, mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von 34,4 den niedrigsten Wert aller Tiroler Bezirke auf (Innsbruck-Stadt 45,5; Landeck 69,8; Imst 72,8; Kufstein 90,7; Kitzbühel 104,4; Schwaz 119,8; Reutte 140,1 und Lienz 164,1). Im Vergleich dazu kamen an diesem Tag Hermagor (Kärnten) auf 526,2, Jennersdorf (Burgenland) auf 280,8 und Hartberg-Fürstenfeld (Steiermark) auf 249,4 (https://www.derstandard.at/story/2000120049733/aktuelle-zahlen-coronavirus-oesterreich-corona-ampel-in-ihrem-bezirk , 9.3.2021).
Zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung am 10.2.2021 gab es hinsichtlich des Zeitraums der Proben vom 23.12.2020 bis 8.2.2021 insgesamt rund 430 bestätigte und teils unbestätigte Fälle der Virusvariante B1.351 – welche weithin als Südafrika-Mutation bezeichnet wird – in Tirol, seit dem 4.2.2021 48 neue Verdachtsfälle. Es gab an diesem Tag 139 aktiv Positive bei allen bestätigten Fällen und Verdachtsfällen der Südafrika-Mutationen in Tirol. Über 60 % dieser Fällen entfielen auf den Bezirk Schwaz, 20 % auf den Bezirk Kufstein sowie rund 11 % auf den Bezirk Innsbruck-Land (https://www.tirol.gv.at/presse/pressemeldungen/pressemeldung/update-zu-suedafrikanischen-coronavirus-mutationsfaellen-in-tirol/ , 9.3.2021). Am darauffolgenden Tag (11.2.2021) lagen hinsichtlich des Probenzeitraums von 23.12.2020 bis 9.2.2021 438 bestätigte und teils unbestätigte Fälle der Südafrika-Mutationen in Tirol und davon 145 aktiv Positive vor. Wiederum verzeichnete der Bezirk Schwaz über 60 % aller Südafrika-Mutationsfälle, 20 % der Bezirk Kufstein, rund 11 % der Bezirk Innsbruck-Land, rund 4 % in Innsbruck, etwas über einem Prozent in Kitzbühel, Imst und Reutte sowie unter einem Prozent in Landeck und Lienz (https://www.tirol.gv.at/presse/pressemeldungen/pressemeldung/update-zu-suedafrikanischen-coronavirus-mutationsfaellen-in-tirol-1/ , 9.3.2021).
Auch wenn die grundsätzlichen Infektionszahlen in Tirol im untersten Bereich im Österreich-Vergleich angesiedelt waren, zielte die COVID‑19-Virusvariantenverordnung – so ausdrücklich im Titel – auf die 'Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 (Virusvariante B1.351)' und somit die Südafrika-Mutation ab. Das öffentliche Interesse am Schutz der Gesundheit (Art2 Abs3 4. ZP‑EMRK) und am Schutz vor weiterer Verbreitung (Art24 EpiG) liegt somit vor.
5.1.2.3. Eignung
Die Eignung der Verkehrsbeschränkung mag zwar zum Schutz vor der Weiterverbreitung für Gebiete außerhalb Nordtirols vorliegen, innerhalb Nordtirols jedoch nicht. Zur Erfüllung des öffentlichen Interesses – Schutz der Gesundheit und vor Weiterverbreitung – war die COVID‑19-Virusvariantenverordnung für die immerhin 700.000 Einwohner in Nordtirol gänzlich ungeeignet.
60 % der Fälle der Südafrika-Mutation waren im Bezirk Schwaz und dabei insbesondere im Zillertal zu verzeichnen. Fast zwei Drittel beschränken sich somit auf einen Bezirk bzw auf ein Tal. Durch das Unterlassen gezielter Maßnahmen zur Verhinderung der Weiterverbreitung wurden auch bisher weitgehend von der Südafrika-Mutation verschont gebliebene Ortschaften, Gemeinden und Bezirke in das Epidemiegebiet einbezogen. Die wenig betroffenen Gebiete (4% der Fälle in Innsbruck, knapp über ein Prozent in den Bezirken Kitzbühel, Imst und Reutte sowie unter einem Prozent in Landeck) wurden somit der Gefahr der Weiterverbreitung ausgesetzt.
Die Eignung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung zur Erreichung des öffentlichen Interesses fehlt somit für die Bewohner Nordtirols.
5.1.2.4. Erforderlichkeit
Im Hinblick auf die (unbedingte) Erforderlichkeit wären weniger eingriffsintensive und somit gelindere Maßnahmen möglich gewesen. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang die – freilich erst am 27.2.2021 in Kraft getretenen – Verordnungen der Bezirkshauptmannschaft Schwaz. Darin wurde erstens ein Verlassen des Gemeindegebiets von Mayrhofen (im Zillertal) nur mit einem negativen COVID‑19-Test und zweitens Beschränkungen des Betretens und Befahrens von Kundenbereichen von Betriebsstätten, Dienstleistungsunternehmen, Freizeiteinrichtungen und Kultureinrichtungen in dieser Gemeinde verordnet (VO der BH Schwaz vom 25.2.2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 betreffend die Marktgemeinde Mayrhofen, Bote für Tirol 2021/69). Darüber hinaus wurde drittens für bestimmte Orte in den Gemeinden Jenbach, Schwaz und Mayrhofen beim Betreten bestimmter näher angeführter öffentlicher Orte das Tragen einer FFP2-Maske vorgeschrieben (VO der BH Schwaz vom 25.2.2021 über die Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske an stark frequentierten öffentlichen Orten im Freien, Bote für Tirol 2021/70).
Auch erfolgte in Südtirol eine Quarantäne aufgrund der Südafrika-Mutation von drei isolierten Gemeinden (https://www.tt.com/artikel/30780030/suedafrika-mutation-in-suedtirol-orte-abgeriegelt-testpflicht-ab-montag , 9.3.2021).
Die Erlassung dieser – auf betroffene Gemeinden oder das hauptbetroffene Tal reduzierte – Verkehrsbeschränkung wäre dem – die COVID‑19-Virusvariantenverordnung erlassenden – Bundesminister für Gesundheit gemäß §43a Abs1 EpiG genauso möglich gewesen (siehe dazu jedoch [2.]). Darüber hinaus sehen zum einen das Epidemiegesetz zum anderen auch das COVID‑19-Maßnahmengesetz zahlreiche zielgerichtetere, weniger eingriffsintensive und somit gelindere Beschränkungen vor.
Dieses Argument wird noch deutlicher, wenn man den Begriff 'bestimmte Ortschaften' einbezieht. So müssen die Voraussetzungen des §24 EpiG für jede betroffene Ortschaft geprüft werden. Der Großteil der von der COVID‑19-Virusvariantenverordnung betroffenen Ortschaften und Gemeinden verfügt über keinen einzigen Fall der für diese Maßnahmen ursächlichen Südafrika-Mutation. Deshalb liegt das Vorliegen des ersten in §24 EpiG vorgesehenen Kriteriums (Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung) nicht vor.
5.1.2.5. Adäquanz
Abschließend verlangt die Adäquanz eine Abwägung des öffentlichen Interesses mit den Interessen der Betroffenen. Bei dieser Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn sind die zu prüfenden Verkehrsbeschränkungen in Frage zu stellen. Das Vorliegen von epidemiologischen Gründen kann das Landesverwaltungsgericht Tirol nicht beurteilen. Es ist Sache der verordnungserlassenden Behörde, Studien bzw Untersuchungen zur erhöhten Gefährlichkeit der Südafrika-Mutation vorzulegen. Nach entsprechender Aufforderung durch das Landesverwaltungsgericht Tirol erfolgte keine dahingehende Stellungnahme. Es ist deshalb – mangels Informationen durch den Bundesminister für Gesundheit – davon auszugehen, entsprechende epidemiologische Grundlagen lagen zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung nicht vor. Somit erscheint die gegenständliche Maßnahme bei – zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung – 139 aktiv positiven Fällen im Vergleich zu über 700.000 Einwohnern in Nordtirol als nicht adäquat.
In diesem Zusammenhang ist auch die Tragweite der durch die COVID‑19-Virusvariantenverordnung verhängten Maßnahmen zu beachten. So führt diese Regelung zu einer gravierenden Rechtsunsicherheit für Pendler und Schüler oder Studierende, die in anderen Bundesländern ihre Ausbildung absolvieren.
5.1.3. Ergebnis
Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung greift nach Ansicht des antragstellenden Gerichts in das Grundrecht auf Freizügigkeit nach Art4 Abs1 StGG bzw Art2 4. ZP‑EMRK ein (5.1.1.), erfüllt jedoch die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit nicht. So liegt die Eignung für die Bevölkerung innerhalb Nordtirols nicht vor (5.1.2.3.). Zahlreiche gelindere Mittel schließen die Erforderlichkeit aus (5.1.2.4.). Nach der Abwägung der öffentlichen Interessen mit jenen der Betroffenen erweist sich die COVID‑19-Virusvariantenverordnung als nicht adäquat (5.1.2.5.).
5.2. Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes
Art7 Abs1 B‑VG verbietet unsachliche, also durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen. So verpflichtet der Gleichheitsgrundsatz den Gesetzgeber, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen und wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich durch entsprechende rechtliche Regelungen zu berücksichtigen. Deshalb sind solche unterschiedlichen Regelungen wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig, die nicht durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen begründbar sind (VfSlg 17.315/2004, 19.933/2014, 20.072/2016, 20.288/2018, 20.291/2018).
Dem Gleichheitsgrundsatz ist auch das Gebot einer differenzierenden Regelung wesentlich unterschiedlicher Sachverhalte immanent. Ungleiches darf nicht unsachlicherweise gleich behandelt werden (VfSlg 17.500/2005).
Der Gleichheitsgrundsatz nach Art7 B‑VG bindet auch den Verordnungsgeber. Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (zB VfSlg 19.973/2013, 20.115/2016). Die Verbote der unsachlichen Differenzierung und der unsachlichen Gleichbehandlung binden somit auch den Verordnungsgeber.
Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung unterscheidet erstens zwischen Bewohnern außerhalb Nordtirols und jenen innerhalb der Landesgrenzen. Vor dem Hintergrund des öffentlichen Interesses – Schutz der Gesundheit und Schutz vor Weiterverbreitung – ist für diese Ungleichbehandlung kein nachvollziehbarer, sachlicher Grund ersichtlich.
Zweitens zweifelt das Landesverwaltungsgericht Tirol – vor allem aus Ermangelung dahingehende Informationen vom Bundesminister für Gesundheit – an einer sachlichen Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung des Bezirks Lienz mit den übrigen Tiroler Bezirken. Von den neun Tiroler Bezirken befinden sich acht in Nordtirol. Der Bezirk Osttirol ist über das Pustertal in Südtirol, von Salzburg über den Felbertauerntunnel sowie von Kärnten über das Lesachtal, das Drautal und den Pass Iselsberg erreichbar. Der Bezirk Reutte ist vom übrigen Teil Tirols – zumindest in den Wintermonaten – ausschließlich über den Fernpass verkehrsmäßig zu erreichen. Hinsichtlich der Einbeziehung des Bezirks Reutte bei einer zeitgleichen Ausnahme des Bezirks Lienz zweifelt das Landesverwaltungsgericht vor allem ohne dahingehende epidemiologische Begründung vom Bundesminister für Gesundheit an der sachlichen Rechtfertigung, insbesondere da beide Bezirke eine vergleichbar geringe Anzahl von Südafrika-Mutationsfällen aufwiesen.
Drittens wurden alle acht übrigen Bezirke dem gleichen rechtlichen Rahmen unterworfen, obwohl eine Differenzierung sachlich geboten gewesen wäre. So erfolgte in der Verordnung keinerlei Abstufung der verschiedenen Tiroler Bezirke, unabhängig davon, ob diese über 60 % aller Südafrika-Mutationsfälle aufwiesen (wie der schon mehrfach angesprochene Bezirk Schwaz) oder um ein Prozent (wie zB Imst, Kitzbühel, Landeck und Reutte). Somit ist es sachlich nicht begründbar, warum die Grenze zwischen dem Bezirk Schwaz und Salzburg am Gerlospass im hinteren Zillertal gleichbehandelt wird, wie jene zwischen dem Bezirk Landeck und Vorarlberg am Arlbergpass oder am Rechenpass zwischen wiederum dem Bezirk Landeck und Südtirol.
Viertens enthält die COVID‑19-Virusvariantenverordnung keine Ausnahmeregelung für Genesene. So sind – ebenfalls zum Zeitpunkt der Erlassung dieser Verordnung – zB nach §16 Abs11 4. COVID‑19-Schutzmaßnahnnenverordnung (BGBI II 2021/58) eine ärztliche Bestätigung über eine in den letzten sechs Monaten vor der vorgesehenen Testung erfolgte und zu diesem Zeitpunkt aktuell abgelaufene Infektion oder ein Nachweis über neutralisierende Antikörper für einen Zeitraum von sechs Monaten ausdrücklich einem Nachweis über ein negatives Testergebnis auf SARS‑CoV‑2 gleichzuhalten. Ein vergleichbarer Passus fehlt in der COVID‑19-Virusvariantenverordnung. Es wurde somit tatsächlich Ungleiches rechtlich gleich behandelt.
Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung nimmt nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol und vor allem mangels Informationen seitens des Bundesministers für Gesundheit – zusammengefasst – eine sachlich nicht begründbare Differenzierung erstens der Bewohner außerhalb Nordtirols mit jenen innerhalb der Landesgrenzen und zweitens des Bezirks Lienz mit den acht übrigen Bezirken Tirols vor. Die betroffenen acht Bezirke wurden drittens gleichbehandelt, obwohl eine Differenzierung sachlich geboten gewesen wäre. Viertens fehlt eine differenzierende Regelung für Genesene.
Es liegt somit nach Ansicht des antragstellenden Gerichts eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art7 B‑VG vor.
6. Ergebnis
Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung ist im Maßnahmenbeschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol unmittelbar anzuwenden […]. und entscheidungswesentlich, da eine Gesetzwidrigkeit der Verordnung zur Rechtswidrigkeit der Amtshandlung führen würde […]. Der Antrag ist nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol somit zulässig.
Der Bundesminister für Gesundheit ist zur Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung unzuständig ([1.]). Würde man §24 EpiG als Ermächtigung ansehen, bezieht sich diese – zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung – auf Verkehrsbeschränkungen für bestimmte Ortschaften, was eine Anwendung auf fast ein gesamtes Bundesland ausschließt ([2.]). Trotz Aufforderung übermittelte die verordnungserlassende Behörde dem Landesverwaltungsgericht Tirol keinerlei Unterlagen. Somit wurden die Anforderungen an eine ausreichende und nachvollziehbare Dokumentation offenbar nicht erfüllt ([3.]). Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung ist nach Ansicht des antragstellenden Gerichts somit gesetzwidrig.
Diese Verordnung greift in das Grundrecht auf Freizügigkeit der Person nach Art4 Abs1 StGG bzw Art2 4. ZP‑EMRK ein (5.1.1.), erfüllt jedoch die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit nicht. Es fehlt die Eignung für die Bewohner in Nordtirol (5.1.2.3.). Zahlreiche [gelindere] Mittel schließen die Erforderlichkeit aus (5.1.2.4.). Eine Interessenabwägung zeigt schließlich die Inadäquanz (5.1.2.5.). Diese Verordnung verletzt nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol somit das Grundrecht auf Freizügigkeit.
Auch erfüllt die COVID‑19-Virusvariantenverordnung die Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes nach Art7 B‑VG nicht (5.2.). So differenziert diese – mangels entsprechender Begründung durch den Bundesminister für Gesundheit – sachlich nicht nachvollziehbar erstens zwischen den Bewohnern außerhalb Nordtirols und innerhalb der Landesgrenzen und zweitens zwischen dem Bezirk Lienz und den übrigen Bezirken insb Reutte. Drittens wird eine durch die eklatant unterschiedliche Zahl der Infektionen sachlich nicht begründbare Gleichbehandlung der betroffenen acht übrigen Bezirke vorgenommen. Abschließend fehlt viertens eine differenzierende Regelung für Genesene. Somit liegt nach Ansicht des antragstellenden Gerichts eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vor."
1.2. Am 17. März 2021 übermittelte das Landesverwaltungsgericht Tirol den inzwischen (am 16. März 2021) bei ihm eingelangten Verordnungsakt des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur COVID‑19-Virusvariantenverordnung.
1.3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat eine Äußerung erstattet, in der dem Antrag Folgendes entgegengehalten wird:
"1. Zum behaupteten Verstoß gegen das Legalitätsprinzip
1.1. Das antragstellende LVwG Tirol sieht einen Verstoß gegen die §§24 und 43a Abs1 EpiG darin, dass zum einen der BMSGPK gemäß §24 EpiG ausschließlich zur Verhängung von Verfügungen, nicht aber zur Erlassung von Verordnungen ermächtigt sei, zum anderen §24 leg. cit. keine Verkehrsbeschränkungen für ein gesamtes Bundesland erlaube und es an der erforderlichen Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt mangle.
1.2. Wie auch das antragstellende LVwG einräumt, enthält das EpiG seit der Novelle BGBl I Nr 104/2020 in §43a eine kaskadenartige Zuständigkeitsregel betreffend COVID‑19-Maßnahmen, die dem §43 Abs4a als lex specialis vorgeht. §43a Abs1 EpiG verankert dabei explizit die Zuständigkeit des BMSGPK zur Erlassung von Verordnungen nach dem EpiG, wobei §43a Abs4 regionale Differenzierungen entsprechend der jeweiligen epidemiologischen Situation zulässt. Dadurch wurde ausdrücklich ermöglicht, dass die jeweiligen Gebietskörperschaften nicht nur einheitliche Maßnahmen für deren gesamten räumlichen Geltungsbereich schaffen können, sondern dass diese auch Teile derselben – je nach epidemiologischer Situation unterschiedlich – regeln können (vgl IA 826 A 27. GP 12 zum diesbezüglich einheitlich ausgestalteten §7 COVID‑19‑MG).
Diesem Grundsatz (regionale Differenzierung nach epidemiologischer Lage) wird im Übrigen auch die COVID‑19‑VvV gerecht, indem sie sich – entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl dazu auch die Ausführungen in der rechtlichen Begründung im Verordnungsakt) – nur auf jene Bereiche des Bundeslandes Tirol bezieht, die von der einzudämmenden Virusvariante betroffen bzw der Gefahr der Verbreitung ausgesetzt waren (vgl den differenzierten örtlichen Anwendungsbereich des §1 der COVID‑19‑VvV).
1.3. Wenn das LVwG Tirol davon ausgeht, dass §24 EpiG lediglich zur Verhängung individueller Verfügungen, nicht aber zur Verordnungserlassung ermächtige, verkennt es die Rechtslage:
Der Rechtsansicht des LVwG Tirol ist zunächst entgegenzuhalten, dass der mit BGBl Nr 186/1950 wiederverlautbarte §24 im Wesentlichen der Stammfassung des Epidemiegesetzes 1913 entspricht.
Zwar trifft es zu, dass mit dem Begriff der 'Verfügung' das Erlassen eines heute als Bescheid anzusehenden Rechtsaktes verstanden werden kann. Dafür spricht etwa, dass Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zum damaligen Zeitpunkt Entscheidungen und 'Verfügungen' der Verwaltungsbehörden waren und auch, dass das B‑VG in seiner Stammfassung individuelle Rechtsakte – bis zur Einführung des einheitlichen Begriffs des Bescheides – als Entscheidung und 'Verfügung' bezeichnet hat. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Rechtssprache hinsichtlich der Bezeichnung individueller Rechtsakte seit jeher uneinheitlich war und auch Verordnungen als 'Verfügungen' bezeichnet wurden (vgl insb. Žolger, Oesterreichisches Verordnungsrecht, 1898, 1 ff). Aus der Verwendung des Wortes 'verfügen' in §24 EpiG ist daher nicht zwangsläufig darauf zu schließen, dass eine solche Verfügung nur in einem individuellen Rechtsakt bestehen könne. Auch scheint der Normzweck des §24 EpiG, nämlich Verkehrsbeschränkungen für die im Epidemiegebiet aufhältigen Personen zu verhängen, eher dafür zu sprechen, dass eine solche Verfügung nicht gegenüber jeder einzelnen Person, sondern gegenüber allen – allenfalls nach Gattungsmerkmalen umschriebenen – im Epidemiegebiet aufhältigen Personen auszusprechen ist. Eine solche Anordnung kann aber nur in Form einer Verordnung erfolgen.
Mit den (gebietsbezogenen) Verkehrsbeschränkungen 'für die Bewohner von Epidemiegebieten' und insbesondere den Beschränkungen 'für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen' hatte der Gesetzgeber daher zweifelsfrei auch, wenn nicht gar primär einen generellen Adressatenkreis vor Augen (vgl zur regelmäßigen Qualifikation gebietsbezogener Regelungen als Verordnungen nur Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht6 Rz 755). Dafür spricht auch die Vorstellung des historischen Gesetzgebers, wonach die Norm zur 'Aufstellung eines Kordons' ermächtige (s 88 Blg Sten Prot HH 18. Sess 1908, 25). Dass §24 EpiG nur zur Erlassung individueller, an jeden einzelnen Bewohner eines Epidemiegebietes adressierter Bescheide ermächtigt, kann dem Gesetzgeber daher nicht unterstellt werden.
Im Übrigen wird auf das vom LVwG Tirol ins Treffen geführte Erkenntnis vom 10.12.2020, V535/2020, Rz 29, verwiesen, in dem der Verfassungsgerichtshof in §24 EpiG eine geeignete Rechtsgrundlage für die Erlassung einer Verordnung erblickte.
Die Rechtsansicht des antragstellenden LVwG Tirol steht damit aber nicht nur im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, sondern auch zur herrschenden Lehre (s nur Kopetzki, Verkehrsbeschränkungen gem §24 EpiG vs COVID‑19‑MG – eine Parallelaktion?, RdM 2020, 84; Bußjäger/Bundschuh-Rieseneder, Der rechtliche Rahmen regional differenzierter COVID‑19-Bekämpfung, ZfG 2020, 120; Hiersche/Holzinger/Eibl, Handbuch des Epidemierechts Fünfter Teil: Maßnahmen zur Überwachung, Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten [Stand 13.5.2020, rdb.at], 6.2. und 6.3.).
Damit steht die Zuständigkeit des BMSGPK zur Ergreifung regional differenzierter Verordnungen auf der gesetzlichen Grundlage des §24 iVm §43a EpiG nach Ansicht des BMSGPK außer Frage. Das Vorbringen des LVwG Tirol erweist sich somit als unbegründet.
1.4. Was die Frage des örtlichen Anwendungsbereichs der bekämpften Verordnung betrifft, so können aus der Überschrift des §24 EpiG keine Rückschlüsse auf dessen normative Reichweite gezogen werden: Während die Überschrift des §24 EpiG von Verkehrsbeschränkungen 'für die Bewohner bestimmter Ortschaften' spricht, erlaubt §24 EpiG die Verfügung von Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner von 'Epidemiegebieten'. Die Ausdehnung auf Epidemiegebiete erfolgte durch BGBl I Nr 114/2006; zuvor hatte §24 EpiG auf Bewohner 'verseuchter Ortschaften oder vorübergehender Niederlassungen' abgestellt. Die Definition der möglichen betroffenen Regionen wurde demnach durch BGBl I Nr 114/2006 erweitert und ist nunmehr so weit gefasst, dass sie 'neben Siedlungen auch mehr oder weniger ausgedehnte Flächen (bis hin zum gesamten Bundesgebiet) umfassen kann' (s wieder Kopetzki, RdM 2020, 86; s zum Ganzen auch die Ausführungen in der rechtlichen Begründung im Verordnungsakt). Eine Anpassung der Überschrift dürfte in diesem Zusammenhang aufgrund eines Redaktionsversehens unterblieben sein. Dies schadet aber insoweit nicht, als der Überschrift kein verbindlicher Charakter zukommt. Der Wortlaut des §24 EpiG stellt auf Bewohner von Epidemiegebieten ab. Der Begriff des Bewohners stammt aus einer Zeit mit geringer Mobilität und kann sich als weitreichende seuchenrechtliche Vorschrift konsequenterweise nur auf alle in einem Epidemiegebiet aufhältigen Personen erstrecken. Andernfalls würde es sich um eine zahnlose, nicht wirksame Maßnahme handeln. Insofern sind vom Begriff 'Bewohner' auch die sich in diesem Gebiet aufhältigen Personen erfasst. Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man annimmt, dass es sich um eine Verkehrsbeschränkung 'von außen' gemäß §24 letzter Satz EpiG handelt.
Im Hinblick auf die vom Antragssteller erwähnten und mit der Novelle BGBl I Nr 33/2021 erfolgten Änderungen in §24 EpiG ist zu betonen, dass die Änderungen in §24 EpiG lediglich der Klarstellung dienen; Verkehrsbeschränkungen können sich auf alle Personen erstrecken, die sich im jeweiligen Epidemiegebiet aufhalten (s dazu AB 671 BlgNR 27. GP 3).
Mangels Verbindlichkeit der Überschrift verfängt auch die Argumentation zu den 'bestimmten Ortschaften' von Vornherein nicht.
Auch in diesem Punkt treffen die Bedenken des LVwG Tirol daher nicht zu. Die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung des §24 EpiG wurden daher im Ergebnis nicht überschritten. Die behauptete Gesetzwidrigkeit liegt nicht vor.
1.5. Zur behaupteten Verletzung des Art18 Abs2 B‑VG wegen fehlender Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen:
Das LVwG Tirol sieht die angefochtenen Bestimmungen als gesetzwidrig an, im Wesentlichen da die Voraussetzungen für die Verordnungserlassung nicht erfüllt bzw dokumentiert seien, insbesondere da nach entsprechender Aufforderung keine Stellungnahme eingelangt sei und keine Unterlagen vorgelegt worden seien. Es sei zweifelhaft, ob sich die Verordnung auf eine fachliche Grundlage stütze.
1.6. Was zunächst den Vorwurf der fehlenden Offenlegung von Unterlagen betrifft, so ist aus den Beilagen zur gegenständlichen Äußerung ersichtlich, dass die Erlassungsakten der COVID‑19-Virusvariantenvero[r]dnung, BGBl II Nr 63/2021 sowie der Änderung und der Verlängerung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung, BGBl II Nr 85/202[0], dem LVwG Tirol am 16. März 2021 übermittelt wurden.
1.7. Nach Ansicht des BMSGPK entspricht die Dokumentation im vorgelegten Akt den Anforderungen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl VfGH 14. 7. 2020, V363/2020 und V411/2020): Der vorgelegte Verordnungsakt dokumentiert, dass der Verordnungserlassung ein umfassendes Ermittlungsverfahren im Hinblick auf das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen vorausging.
1.8. Aus der fachlichen sowie rechtlichen Begründung des Verordnungsaktes geht klar hervor, dass der Verordnungserlassung eine komplexe Gesamtbewertung zugrunde liegt:
Seit Mitte Dezember 2020 wurde aus dem Vereinigten Königreich über die zunehmende Identifizierung und Verbreitung der sogenannten SARS‑CoV‑2 VOC 202012/01 (VOC: variant of concern) Variante berichtet. Diese Viren gehören der Linie B.1.1.7 (501Y.V1) an und breiten sich seit September 2020 mit Schwerpunkt im Süden und Südosten Großbritanniens aus. Ebenfalls im Dezember 2020 wurde zudem erstmals vom vermehrten Auftreten einer SARS‑CoV‑2 Variante in Südafrika (B.1.351, 501Y.V2) berichtet. Im brasilianischen Bundesstaat Amazonas zirkuliert die SARS‑CoV‑2 Variante P.1 (501Y.V3), die von der Linie B.1.1.28 abstammt. Sie weist, wie die anderen VOCs, eine Reihe von Polymorphismen im S‑Protein auf […].
Von der ECDC wurden bisher drei Variants of Concern identifiziert, deren Verbreitungsrisiko mit 'hoch/sehr hoch' beurteilt wird: B.1.1.7 (501Y.V1), B.1.351 (501Y.V2) und P.1 (501Y.V3). Die Varianten zeigen eine erhöhte Übertragbarkeit. Dies kann aufgrund von erhöhten Fallzahlen zu vermehrten Hospitalisierungen und Todesfällen führen (s das ECDC – Risk Assessment: Risk related to the spread of new SARS‑CoV‑2 variants of concern in the EU/EEA – first update in Beilage 3 und die Grafik zu Punkt 1.4. in Beilage 1). Proben, die eine S‑Gen-Mutation aufwiesen, zeigten bei der Abnahme mit höherer Wahrscheinlichkeit eine höhere Viruslast. Eine S‑Gen-Mutation ist nicht spezifisch für eine gewisse SARS‑CoV‑2 Variante (s Kidd et al, S‑variant SARS‑CoV‑2 is associated with significantly higher viral loads in samples tested by ThermoFisher TaqPath RT‑QPCR, Beilage 4). In einer anderen (Pre‑Print) Studie wurde im Vergleich zum Wildtyp eine ähnliche Viruslast bei der B.1.1.7 Variante gefunden (Kissler et al [Pre‑Print], Densely sampled viral trajectories suggest longer duration of acute infection with B.1.1.7 variant relative to non‑B.1.1.7 SARS‑CoV‑2, Beilage 5).
Bezüglich einer möglichen kürzeren Inkubationszeit bei SARS‑CoV‑2-Mutationen zeigten Studien, dass Varianten mit der Mutation D614G schneller in Zellen replizieren als andere Varianten und sie so eventuell zu einer kürzeren Inkubationszeit führen könnten (UNC – Mutation helps coronavirus infect more cells, study shows, https://uncnews.unc.edu/2020/11/12/common-SARS ‑CoV‑2-mutation-may-make-coronavirus-more-susceptible-to-a-vaccine/). Andere Studien legen wiederum eine längere Inkubationszeit nahe (Kissler et al, Beilage 5).
Die Daten‑ und Studienlage zu den neuen SARS‑CoV‑2 Varianten ist aufgrund der geringen Zeit seit erster Identifizierung limitiert und meist regional begrenzt. Viele Länder, in denen die Virusvarianten etabliert sind, zeigen stark ansteigende Inzidenzraten, was zu erhöhten Hospitalisierungsraten, überforderten Gesundheitssystemen und Übersterblichkeit führen kann (ECDC – SARS‑CoV‑2 – increased circulation of variants of concern and vaccine rollout in the EU/EEA, 14th update, Beilage 6).
Das RKI hat seine Empfehlungen bezüglich Absonderungen angepasst und empfiehlt bei Verdacht auf oder nachgewiesener Infektion mit einer dieser Varianten (VOC) – unabhängig von Schwere, Hospitalisierung und Alter – vorsorglich eine 14‑tägige Isolierung und eine Testung mittels Antigentest oder eine PCR-Untersuchung vor Entisolierung (RKI, COVID‑19: Entlassungskriterien aus der Isolierung, Beilage 7).
Die Variante B.1.1.7 scheint mit einer höheren Übertragbarkeit und einer höheren Reproduktionsrate einherzugehen. So proliferierte die Variante während des nationalen Lockdowns in Großbritannien, während andere Varianten zurückgingen (Vöhringer et al, Lineage-specific growth of SARS‑CoV‑2 B.1.1.7 during the English national lockdown, (https://virological.org/t/lineage-specific-growth-of-SARS ‑CoV‑2‑b‑1‑1‑7-during-the-english-national-lockdown/575)). Daten durch Genomsequenzierung, Epidemiologie und Prognosemodellen deuten darauf hin, dass B.1.1.7 leichter von Mensch zu Mensch übertragen wird (GOV UK, Investigation of novel SARS‑CoV‑2 variant: Variant of Concern 202012/01: https://www.gov.uk/government/publications/investigation-of-novel-SARS ‑CoV‑2‑variant-variant-of-concern‑20201201). Es wird angenommen, dass die Variante zwischen 43 bis 82 % infektiöser ist (CMMID – Estimated transmissibility and severity of novel SARS‑CoV‑2 Variant of Concern 202012/01 in England https://cmmid.github.io/topics/covid19/uk-novel-variant.html ).
Zusätzlich liegen erste Daten vor, dass eine Infektion mit B.1.1.7 um bis zu fünf Tage länger verlaufen könnte als Infektionen mit sonstigen SARS‑CoV‑2-Virustypen (Kissler et al, Beilage 5).
Eine in Science publizierte Studie (Davies et al, Beilage 8) untersuchte eine Vielzahl von statistischen und dynamischen Modellierungsansätzen, um die beobachtete Ausbreitung der Virusvariante B.1.1.7 in England zu erklären. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Variante eine um 43 bis 90 % höhere Reproduktionszahl aufweist als bereits vorhandene Varianten. Ihre Ergebnisse werden durch ähnliche Erfahrungen in Dänemark, Schweiz und den Vereinigten Staaten bestätigt, die die erhöhte Übertragbarkeit der Variante zwischen 59 % und 74 % schätzen. Für Österreich wurde eine entsprechende Analyse durch das Prognosekonsortium basierend auf den bestätigten Fallzahlen zur Virusvariante durchgeführt. Anhand der Ausbreitungsdynamik zwischen KW 6 und KW 8 lässt sich eine effektive Reproduktionszahl der Varianten mit der Mutation N501Y – dazu zählen die UK‑ und die Südafrika‑Variante – schätzen, die um durchschnittlich 23 % höher (95 % KI 21‑25 %) ist als die der vorangegangenen Variante […]. Unter den in KW 6 bis KW 8 geltenden Maßnahmen/Adherence-Bedingungen führte dies zu einer effektiven Reproduktionszahl von 1,24 der Mutante (95 % KI 1,23‑1,25) und 1,00 des Wildtyps (95 % KI 0,99–1,01).
Für die Virusvariante B.1.351 zeigen Berechnungen, dass die Variante um bis zu 50 % infektiöser sein könnte als die Wildtyp‑Variante (Pearson et al, Estimates of severity and transmissibility of novel South Africa SARS‑CoV‑2 variant 501Y.V2 (Beilage 9). Für P.1 wird eine erhöhte Übertragbarkeit aufgrund der Ähnlichkeit mit der Variante B.1.351 als denkbar erachtet (RKI, Übersicht und Empfehlungen zu besorgniserregenden SARS‑CoV‑2-Virusvarianten (VOC), (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Virusvariante.html ;jsessionid=DEA691D91E01BBDF13DB1C65C2F3ACC6.internet092). Derzeit gibt es noch keine Evidenz zu verstärkter Transmissibilität von P.1, allerdings lässt die N501Y-Mutation, die auch in den Varianten B.1.1.7 und B.1.351 vorhanden ist, dies vermuten (ECDC, Beilage 6).
1.9. Da aufgrund des (auch im Verordnungsakt dokumentierten) Wissensstands im Zeitpunkt der Verordnungserlassung somit zu befürchten war, dass die Südafrika-Variante um bis zu 50 % infektiöser sein könnte und der Schutz durch neutralisierende Antikörper (durch Impfungen oder bereits durchgemachte Infektionen) reduziert sein könnte und deshalb eine raschere Ausbreitung, vermehrte Reinfektionen und schmälere Impferfolge zu befürchten waren, war die Ergreifung rascher und effektiver Eindämmungsmaßnahmen unerlässlich. Insbesondere aufgrund der Gefährdung der geplanten Bekämpfungsstrategie (va des Impfplans) durch die Ausbreitung der neuen Variante steht für den BMSGPK außer Frage, dass Tirol mit Ausnahme der in §1 der COVID‑19‑VvV genannten Gebiete im Zeitpunkt der Verordnungserlassung als Epidemiegebiet im Sinne des §24 EpiG einzustufen war:
§24 EpiG bindet das verordnungserlassende Organ nämlich nicht an bestimmte Parameter wie etwa hohe Inzidenzen. §24 EpiG verlangt in diesem Zusammenhang bei Vorliegen einer entsprechenden Gefahrensituation insbesondere nicht, dass die meldepflichtige Krankheit bereits um sich greift. In Anbetracht der nicht nur repressiven, sondern auch präventiven Stoßrichtung des Seuchenrechts ('Verhinderung der Verbreitung') kann kein Zweifel daran bestehen, dass mit der Ergreifung von Maßnahmen nicht erst zugewartet werden muss, bis sich die Varianten bereits großflächig verbreitet haben. Entsprechend dem seuchenrechtlichen Vorsorgeprinzip war von Seiten des verordnungserlassenden Organs aufgrund der besorgniserregenden Datenlage über die Virusvariante vom Vorliegen eines Epidemiegebietes auszugehen.
1.10. Der Verordnungserlassung liegt damit eine komplexe Gesamtbewertung zugrunde. Sie fußt auf validen Datengrundlagen, berücksichtigt vielschichtige Faktoren und erfolgte unter Abwägung der maßgeblichen epidemiologischen und der diesen entgegenstehenden Interessen. Im Ergebnis ist der BMSGPK der Verpflichtung zur umfassenden Ermittlung der für die Verordnungserlassung maßgeblichen Umstände nachgekommen und hat dies den zeitlichen Umständen der Verordnungserlassung entsprechend auch hinreichend im Verordnungsakt dokumentiert.
2. Zur behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freizügigkeit (Art4 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK)
2.1. Der Antragssteller behauptet, die in §2 COVID‑19‑VvV normierte Ausreisebeschränkung verletze das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freizügigkeit (Art4 StGG, Art2 Abs2 4. ZPEMRK), insbesondere da die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit nicht vorlägen. Es liege keine Eignung der erfolgten Maßnahmen für die Bevölkerung innerhalb Nordtirols vor, zahlreiche gelindere Mittel würden die Erforderlichkeit der Maßnahmen ausschließen. Zudem erweise sich die COVID‑19-Virusvariantenverodnung nach der Abwägung der öffentlichen Interessen mit jenen der Betroffenen als nicht adäquat.
2.2. In seinem Erkenntnis vom 14. 7. 2020, V363/2020, hat der Verfassungsgerichtshof zum Grundrecht auf Freizügigkeit Folgendes ausgesprochen:
'Nach Art4 Abs1 StGG unterliegt die Freizügigkeit der Person innerhalb des Staatsgebietes keiner Beschränkung. Dieses Grundrecht schützt davor, durch die Staatsgewalt daran gehindert zu werden, sich an einen bestimmten Ort oder in ein bestimmtes, räumlich begrenztes Gebiet zu begeben. Art2 Abs1 4. ZPEMRK garantiert jeder Person, die sich rechtmäßig in Österreich aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen, somit die Möglichkeit, nach Belieben "zu kommen und zu gehen" (EGMR 22.2.1994, Fall Raimondo, Appl 12.954/87, [Z39]; 1.7.2004, Fall Vito Sante Santoro, Appl 36.681/97 [Z43]). Diese Freiheit, an jeden Ort zu gehen und an jedem Ort zu bleiben, ist ein wesentlicher Teil der Selbstbestimmung des Menschen. Die Freizügigkeit ist aber auch Voraussetzung für die Wahrnehmung einer Reihe anderer Rechte und Freiheiten (siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003 Rz 6).
Die Freizügigkeit ist aber nicht schrankenlos gewährleistet. Schon in VfSlg 3447/1958 hat der Verfassungsgerichtshof mit Blick unter anderem auf behördlich angeordnete Seuchenmaßnahmen ausgeführt, dass diese durch öffentliche Rücksichten geboten sein und sich daher ihrem Inhalt und ihrem örtlichen und zeitlichen Wirkungsbereich nach auf die Wahrung dieser Rücksichten beschränken müssen (in der Folge hat der VfGH den, Art4 Abs1 StGG immanenten Gesetzesvorbehalt dadurch begrenzt gesehen, dass der Gleichheitsgrundsatz durch öffentliche Rücksichten nicht gebotene Einengungen der Freizügigkeit mittels willkürlicher Veränderung der Rechtsordnung verhindert, siehe VfSlg 7379/1974, 7686/1975, 8373/1978 und zur Kritik an dieser Rechtsprechung mwN Pöschl, Art4 StGG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg. 2002, Rz 44f). Nach dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs3 4. ZPEMRK – der besondere Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs4 4. ZPEMRK (zu dessen Zielrichtung siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, Rz 67) spielt im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Maßnahmen keine Rolle – müssen Einschränkungen der Freizügigkeit gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft unter anderem im Interesse des Schutzes der Gesundheit notwendig sein. Einschränkungen der durch Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK gewährleisteten Freizügigkeit sind daher verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie gesetzlich zum Zwecke eines legitimen öffentlichen Interesses vorgesehen und zur Zielerreichung geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinn sind.'
2.3. Es ist nicht zweifelhaft, dass §2 der COVID‑19‑VvV den Schutzbereich des Art4 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK berührt. Der BMSGPK verkennt nicht das Gewicht dieses Eingriffs. Der Eingriff ist jedoch im Sinne dieser Rechtsprechung gerechtfertigt:
2.4. Dem antragstellenden LVwG ist in Hinsicht auf das Vorliegen der gesetzlichen Grundlage zuzustimmen. §2 der COVID‑19‑VvV ist von der gesetzlichen Grundlage des §24 EpiG gedeckt. Die Auflage, das Epidemiegebiet nur unter Vorlage eines negativen Testergebnisses auf SARS‑CoV‑2 verlassen zu dürfen, dient der Verhinderung der Verbreitung der besorgniserregenden Südafrikanischen Virusvariante und liegt somit im evidenten öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes.
2.5. Wenn das LVwG Tirol ins Treffen führt, dass die Infektionszahlen in Tirol im untersten Bereich im Österreich-Vergleich angesiedelt waren, ist explizit darauf hinzuweisen, dass die COVID‑19‑VvV nicht aus Anlass der allgemeinen COVID-Inzidenz erlassen wurde, sondern im Lichte des besorgniserregenden Auftretens der Südafrika‑Variante des Virus SARS‑CoV‑2 (in den in §1 der COVID‑19‑VvV genannten Gebieten) erforderlich war. Die zentrale Zielsetzung, nämlich die Verhinderung der Weiterverbreitung dieser Variante in Restösterreich, ist explizit im Verordnungsakt zur COVID‑19‑VvV dokumentiert.
2.6. Das LVwG Tirol bestreitet die Eignung der Maßnahme im Hinblick auf das Entgegenwirken der Verbreitung der Südafrika Variante außerhalb Nordtirols nicht, sodass darauf nicht näher einzugehen ist.
2.7. Wenn das LVwG eine fehlende Eignung der Maßnahmen der COVID‑19‑VvV hinsichtlich des öffentlichen Interesses des Schutzes der Gesundheit für die Bewohner weniger stark betroffener Gebiete Nordtirols moniert, so ist das LVwG Tirol zunächst auf die Grenzen einer auf der Grundlage des §24 EpiG erlassenen Verordnung und die in diesem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs hinzuweisen (zur sachlichen Rechtfertigung der Einbeziehung in das Epidemiegebiet s. sogleich):
So hat der Verfassungsgerichtshof zum Verhältnis zwischen EpiG und COVID‑19‑MG bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Regelungen des COVID‑19‑MG lex specialis zu §24 EpiG sind (grundlegend VfGH 14. 7. 2020, V363/2020). Regelungen des Betretens und von Auflagen für das Betreten von Orten innerhalb von Epidemiegebieten sind daher nicht auf der Grundlage des §24 EpiG, sondern auf jener des COVID‑19‑MG zu treffen (s hinsichtlich Ausgangsbeschränkungen auch VfGH 10. 12. 2020, V512/2020).
Die primäre Stoßrichtung des §24 EpiG ist es hingegen, das Betreten und Verlassen des betreffenden Epidemiegebietes zu regeln (vgl auch Bußjäger/Bundschuh-Riesenender, ZfG 2020, 123: Zugang bzw Ausreise aus dem entsprechenden Gebiet).
Da es primär galt, eine Ausbreitung der Virusvariante aus den betroffenen Teilen Tirols zu verhindern, beschränkt sich die auf der Grundlage des §24 EpiG erlassene COVID‑19‑VvV auf Regelungen betreffend das Überschreiten der Grenzen (also das Verlassen) des in §1 leg. cit. umschriebenen Gebietes.
Was die Regelungen innerhalb des Epidemiegebietes betrifft, ist auf die zeitgleich zur COVID‑19‑VvV in Gesamtösterreich in Geltung stehende 4. COVID‑19-Schutzmaßnahmenverordnung, BGBl II Nr 58/2021 zu verweisen, die das Ziel der Verhinderung der Weiterverbreitung von COVID‑19 verfolgt.
2.8. Zur unbedingten Erforderlichkeit der durch die COVID‑19‑VvV ergriffenen Maßnahmen ist eingangs auf Pkt. [1.10] zu verweisen.
2.9. Im Zuge der Prüfung der Erforderlichkeit der Maßnahme ist darauf hinzuweisen, dass sich der örtliche Anwendungsbereich der COVID‑19‑VvV nur auf jene Teile des Bundeslandes Tirol erstreckt, in denen ein vermehrtes Auftreten der zu bekämpfenden Virusvariante zu beobachten beziehungsweise zu befürchten war. Die Maßnahme ist daher auf das absolut notwendige Ausmaß beschränkt. Zudem ist der Eingriff insbesondere im Vergleich zu gänzlichen Verboten des Verlassens von Epidemiegebieten um ein Vielfaches geringer und wird vom Gewicht der geschützten öffentlichen Interessen zweifelsfrei überwogen. Angesichts der unter Pkt. [1.9.] beschriebenen Eigenschaften der Virusvariante standen auch keine geeigneten gelinderen Mittel zur Verfügung, um der Gefahr durch die neue Variante (durch die leichtere Übertragbarkeit, aber insbesondere auch durch die zu befürchtende Aushöhlung der Impfstrategie) zu begegnen. Die vom LVwG ins Treffen geführte ausschließliche Ausreisetestpflicht nur für das Gemeindegebiet von Mayrhofen im Zillertal wäre angesichts der Eigenschaften und der erhöhten Übertragbarkeit der Virusvariante nicht zielführend gewesen, da es sich hierbei um ein zu kleinteiliges Vorgehen gehandelt hätte und dies dem Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht entsprochen hätte.
2.10. Die COVID‑19‑VvV wird sohin dem Grundsatz der regionalen Differenzierung nach epidemiologischer Lage gerecht, indem sie sich – entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl dazu die rechtlichen Ausführungen in der rechtlichen Begründung im Verordnungsakt zur COVID‑19‑VvV) – nur auf jene Bereiche des Bundeslandes Tirol bezieht, die von der einzudämmenden Virusvariante betroffen sind (vgl den differenzierten örtlichen Anwendungsbereich des §1 der COVID‑19‑VvV).
Das Vorbringen des LVwG Tirol im Hinblick auf die fehlende gesetzliche Voraussetzung der unbedingten Erforderlichkeit im Sinne des §24 EpiG erweist sich als unbegründet, da aufgrund des aufgezeigten konzentrierten Auftretens der Südafrika-Variante in Teilen Tirols Ausreisebeschränkungen zur Eindämmung der Verbreitung der Variante unbedingt erforderlich waren. Zudem ist anzumerken, dass die Testauflage das deutlich gelindere zur Verfügung stehende Mittel darstellt. Um eine Ausbreitung in Restösterreich effektiv zu verhindern, wäre alternativ nur eine gänzliche Gebietsquarantäne in Betracht gekommen. Nordtirol als Gesamteinheit zu betrachten ist insofern auch das gelindeste Mittel, als andernfalls bei kleinteiligeren Ausreisebeschränkungen (etwa auf Bezirksebene) beziehungsweise gänzlicher Gebietsquarantäne die Mobilität um ein Vielfaches eingeschränkter gewesen wäre. Dies hätte sohin zu zahlreichen Ausreisebeschränkungen und Testverpflichtungen innerhalb Nordtirols geführt. Die potentiell zu verhängenden Maßnahmen wurden sohin sorgfältig gegeneinander abgewogen.
2.11. Hinsichtlich der Adäquanz der getroffenen Maßnahmen ist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die fachliche Begründung im Verordnungsakt zu verweisen. Es ist jedoch nochmals zu betonen, dass der Wissensstand auf eine bis zu 50 % höhere Infektionswahrscheinlichkeit hindeutet. Da vermutet wird, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper (durch Impfungen oder bereits durchgemachte Infektionen) reduziert sein könnte, kann zudem von einer rascheren Ausbreitung, vermehrten Reinfektionen und schmäleren Impferfolgen ausgegangen werden. Das Setzen strikter und konsequenter Maßnahmen zur Eindämmung der Varianten war daher essenziell.
Durch das isolierte Auftreten der B.1.351 Variante in Nordtirol war das Forcieren verschärfter Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung als effektivste Methode erforderlich. Epidemiologische Ausbreitungsmodelle (zB SIR Modell) verwenden in der Regel Parameter, die unter anderem auch räumliche Trennungen berücksichtigen. Aus fachlicher Sicht war es daher gerechtfertigt, den politischen Bezirk Lienz, die Gemeinden Jungholz sowie das Rißtal im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee von den Bestimmungen auszunehmen, da eine geographische Trennung zu jenen Gebieten besteht, in denen bereits eine Dynamisierung des Virusgeschehens eingetreten war.
2.12. Dem Vorwurf gravierender Rechtsunsicherheit für Pendler und Schüler oder Studierende ist entgegenzuhalten, dass die Ausnahmen von der Ausreisetestpflicht klar und eindeutig in der COVID‑19‑VvV normiert waren und sohin von einer Rechtsunsicherheit nicht die Rede sein kann.
2.13. Der Verordnungserlassung liegt damit eine komplexe Gesamtbewertung zugrunde. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Bewegungsfreiheit ist daher nach Ansicht des BMSGPK durch die bekämpfte COVID‑19‑VvV nicht verletzt.
3. Zur behaupteten Verletzung des Gleichheitssatzes (Art7 B‑VG und Art2 StGG)
3.1. Das antragstellende LVwG moniert eine Gleichheitswidrigkeit, da nicht zwischen den Bewohnern außerhalb von Nordtirol und innerhalb der Landesgrenzen von Tirol und dem Bezirk Lienz und den übrigen Bezirken insbesondere Reutte sachlich differenziert worden sei. Es fehle zudem eine differenzierende Regelung für Genesene, insbesondere weil für Personen, die einen positiven Antikörpertest vorweisen können, keine Ausnahme vorgesehen sei.
3.2. Der Gleichheitssatz setzt dem Verordnungsgeber (vgl zur Prüfung von Verordnungsbestimmungen am Maßstab des Verfassungsrechts VfSlg 17.960/2006, 19.033/2010) insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, unsachliche, durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen und eine unsachliche Gleichbehandlung von Ungleichem (vgl VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005) sowie sachlich nicht begründbare Regelungen zu schaffen (vgl VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es der Gesetzgebung (und dem Verordnungsgeber) jedoch von Verfassung wegen nicht verwehrt, ihre (sozial‑)politischen Zielvorstellungen auf die ihr geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl VfSlg 13.576/1993, 13.743/1994, 15.737/2000, 16.167/2001, 16.504/2002). Der Normsetzer kann im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes einfache und leicht handhabbare Regelungen treffen und darf generalisierend von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (vgl VfSlg 13.497/1993, 15.850/2000, 16.048/2000, 17.315/2004 und 17.816/2006, 19.722/2012, jeweils mwN) sowie auch Härtefälle in Kauf nehmen (vgl VfSlg 16.771/2002 mwN). Ob das Ergebnis einer Regelung in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht am Maßstab des Gleichheitssatzes gemessen werden (vgl VfSlg 14.301/1995, 15.980/2000, 16.814/2003).
3.3. Der Behauptung einer unsachlichen Ungleichbehandlung Genesener, da die Ausreise aus Tirol nur mit einem negativen Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARS‑CoV‑2 oder eines molekularbiologischen Tests auf SARS‑CoV‑2 zulässig war, nicht aber auch mit einem Antikörpertest, ist zu entgegnen, dass das LVwG Tirol abermals die Zielsetzung der COVID‑19‑VvV verkennt. Die Ausreisetestpflicht wurde angesichts des besorgniserregenden Auftretens der Südafrika-Variante des SARS‑CoV‑2-Virus (in den in §1 der COVID‑19‑VvV genannten Gebieten) normiert.
Wie bereits oben dargelegt hatten sich Antikörper gegen die Wildvariante als unwirksam bzw weniger wirksam herausgestellt. Wenn das antragstellende LVwG moniert, dass der COVID‑19‑VvV ein vergleichbarer Passus wie beispielsweise der in §16 Abs11 der 4. COVID‑19-Schutzmaßnahmenverordnung (BGBl II Nr 58/2021) fehle, verkennt es den Stand der Wissenschaft zu dieser Frage:
3.4. Die Immunität bei respiratorischen Viruserkrankungen ist komplex und kann durch Testungen schwer abgebildet werden. Es existieren Testverfahren, mit denen eine weitgehende Korrelation mit Immunität angenommen werden kann, jedoch sind die verfügbaren Verfahren mit entsprechenden Limitationen behaftet. Obwohl eine gesicherte Aussage über eine sterilisierende Immunität also schwer zu treffen ist, kann dennoch bei entsprechendem Nachweis von Antikörpern in ausreichender Konzentration von einer, wie im Epidemiegesetz 1950 (vgl §15 Abs2 Z5) und im COVID‑19‑MG (vgl §1 Abs5 Z5) genannten, 'niedrigeren epidemiologischen Gefahr' ausgegangen werden (s dazu https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Fachinformationen.html ).
Hinsichtlich Virusvarianten ist jedoch Folgendes zu berücksichtigen: Virusvarianten von SARS‑CoV‑2 gehen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Reinfektionen einher. So lassen erste Studien vermuten, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper (durch Impfung oder durchgemachter Infektion) bei der Variante B1.351 reduziert sein könnte. Dies könnte Impferfolge schmälern oder zu Reinfektionen führen (s dazu RKI – Bericht zu Virusvarianten von SARS‑CoV‑2 in Deutschland, insbesondere zur Variant of Concern (VOC) B.1.1.7, Beilage 14; Nature – Fast-spreading COVID variant can elude immune responses (https://www.nature.com/articles/d41586-021-00121-z ).
Da es zum Zeitpunkt des Auftretens der Südafrika-Variante in Österreich hinsichtlich dieser Variante noch wenig wissenschaftliche Evidenz gab, war es geboten, aufgrund der potentiellen Gefahr von Reinfektionen eine Testauflage für das Verlassen des Epidemiegebietes zu normieren. Es bestehen sohin berücksichtigungswürdige, relevante Unterschiede im Hinblick auf die Zielsetzungen betreffend die Verbreitung des Virus im Allgemeinen im gesamten Bundesgebiet und dem Entgegenwirken der Verbreitung einer Virusvariante, die vermehrt in einem Bundesland auftritt.
3.5. Hinsichtlich der Einbeziehung des Bezirks Reutte bei zeitgleicher Ausnahme des Bezirks Lienz ist anzumerken, dass der Bezirk Lienz geographisch nicht an das Bundesland Tirol grenzt, sehr wohl aber der Bezirk Reutte. Um den Bezirk Lienz von Nordtirol aus erreichen zu können, bedarf es des Überschreitens einer Landesgrenze beziehungsweise eines anderen österreichischen Bundeslandes. Aus diesem Grund wurde in §1 der COVID‑19‑VvV auch die Gemeinde Jungholz vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen, da diese aufgrund der geographischen Trennung eine epidemiologisch eigene, getrennte Einheit darstellt (ebenso wie das Rißtal im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee).
Zudem ist zu erwähnen, dass bei der Verordnungserlassung auch die Aufrechterhaltung der Infrastruktur sowie der Mobilität innerhalb Nordtirols berücksichtigt wurden, da es sich beim Bezirk Lienz um einen infrastrukturell sowie geographisch unabhängigen Teil des Bundeslandes Tirol handelt und der Bezirk Reutte sowohl infrastrukturell als auch geographisch in Nordtirol eingegliedert ist.
3.6. So ist auch aus der fachlichen Begründung im Verordnungsakt zu entnehmen, dass das Eingreifen in einzelne Bundesländer fachlich gerechtfertigt sein kann, wenn epidemiologische Faktoren vorliegen, die für die Entwicklung des Infektionsgeschehen bedenklich sind. Dazu zählt – vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen – ein ungebremstes Verbreiten der neuen Virusvariante, da es rasch zu einer Auslastung der Versorgungskapazitäten kommen kann. Es ist jedoch ein koordinierendes Vorgehen notwendig, weswegen auch nicht von einer zu kleinteiligen Vorgehensweise ausgegangen werden durfte. Wenn es in einzelnen Regionen zu Ausbrüchen mit Varianten kommt, bei denen zu befürchten ist, dass es zu einer geringeren Wirksamkeit von Impfstoffen kommen könnte, so ist es essentiell, dass in derartigen Regionen strikt und konsequent Maßnahmen zur Eindämmung der Varianten gesetzt werden. Dies umfasst auch eine rasche diagnostische Abklärung von Verdachts‑/Kontaktfällen, ein lückenloses Kontaktpersonenmanagement, die strikte Vermeidung von Menschenansammlungen und ein konsequentes Einhalten sämtlicher nicht-pharmazeutischer Interventionen.
3.7. Dem LVwG Tirol ist zuzustimmen, dass es zu einem vermehrten Auftreten der Südafrika-Variante im Bezirk Schwaz kam, jedoch wurde es entsprechend der fachlichen Begründung als zu kleinteilig angesehen, nur im Bezirk Schwaz eine Ausreisetestpflicht zu normieren, da auf Grund der notorischen Eigenschaften der Virusvariante weitere Präventivmaßnahmen ergriffen werden mussten. Zudem ist zu erwähnen, dass auf Grund des geringen Auftretens der Variante in einzelnen Bezirken zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung nicht davon ausgegangen werden konnte, dass es nicht bereits zu unentdeckten Ausbrüchen der Variante kam. Siehe insbesondere die Ausführungen in Pkt. II.1.8. zu einer möglichen verkürzten Inkubationszeit und der Empfehlung einer längeren Absonderungsdauer. In diesem Zusammenhang ist auf die Ausführungen in Pkt. II.1.9 hinsichtlich der nicht nur repressiven, sondern auch präventiven Stoßrichtung des Seuchenrechts zu verweisen. Es ist nochmals zu betonen, dass §24 EpiG nicht verlangt, dass die meldepflichtige Krankheit bereits um sich greift.
3.8. Diese im Hinblick auf die Verhinderung der Verbreitung der Virusvariante zentralen Unterschiede im Tatsächlichen rechtfertigen auch eine unterschiedliche Behandlung von getesteten und genesenen Personen, sowie von Personen innerhalb und außerhalb von Nordtirol sowie eine Gleichbehandlung der Bewohner innerhalb von Nordtirol. Es liegt daher keine Verletzung des Gleichheitssatzes vor.
III. Im Ergebnis liegt somit die behauptete Gesetzes- bzw Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen nicht vor."
1.4. Die Parteien des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht haben von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.
2. Mit Maßnahmenbeschwerde vom 22. März 2021 wandte sich ein weiterer Beschwerdeführer gegen die Verweigerung der Ausreise aus Tirol an das Landesverwaltungsgericht Tirol. Er wurde am 10. März 2021 an der Grenze zwischen Tirol und Vorarlberg am Arlbergpass zurückgewiesen, da er — entgegen der COVID‑19-Virusvariantenverordnung — keinen negativen COVID‑19-Test vorgewiesen habe. Der Beschwerdeführer habe zwei ärztliche Atteste von Ende Jänner 2021 vorgewiesen, woraus eine überstandene COVID‑19-Infektion ersichtlich sei. Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung habe keine Ausnahme von der Ausreisetestpflicht für Genesene vorgesehen.
2.1. Aus Anlass dieser Maßnahmenbeschwerde stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol einen weiteren, zu V156/2021 protokollierten Verordnungsprüfungsantrag, dessen Begründung zur Zulässigkeit und in der Sache im Wesentlichen dem zu V91/2021 protokollierten Antrag entspricht. Zu "Unterschiede[n] zum Antrag zum Verfahren zu V91/2021" führte das antragstellende Landesverwaltungsgericht Tirol wörtlich wie folgt aus:
"Die im zugrundeliegenden Maßnahmenbeschwerdeverfahren […] zu prüfende Verweigerung der Ausreise erfolgte am 10.3.2021. Zu diesem Zeitpunkt war die COVID‑19-Virusvariantenverordnung in der Fassung BGBI II 2021/98 in Kraft. Somit wird im gegenständlichen Antrag stets auf die COVID‑19-Virusvariantenverordnung in dieser Fassung verwiesen.
Zu diesem Zeitpunkt war §24 EpiG schon in der durch BGBI I 2021/33 geänderten Fassung in Kraft. Deshalb werden die – im Antrag zum Verfahren V91/2021 in [2.] geäußerten – Bedenken hinsichtlich des Umfangs der Ermächtigung im gegenständlichen Antrag nicht wiedergegeben (zur Konvalidation VfSlg 12.325/1990 [von Verordnungen], 17.001/2003 [von Gesetzen]; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5 [2016] Rz 807). Dieses Kapitel entfällt.
Eine Woche nach Antragstellung betreffend das Verfahren V91/2021 langten beim Landesverwaltungsgericht Tirol die Verordnungsakten ein. Deshalb wiederholt der gegenständliche Antrag die – in jenem zum Verfahren V91/2021 in [3.] geäußerten – Bedenken hinsichtlich des Fehlens einer Dokumentation zur Verordnungserlassung ebenfalls nicht. Auch dieses Kapitel entfällt.
Auf diese Verordnungsakten nimmt der gegenständliche Antrag Bezug. Darüber hinaus kann auf die Äußerung des Bundesministers für Gesundheit vom 10.5.2021 wiederum zum Verfahren V91/2021 eingegangen werden. Deshalb werden nunmehr ausschließlich die in den Verordnungsakten vorgelegten Daten zur Bewertung der epidemiologischen Begründung herangezogen, ohne – wie noch im Antrag zum Verfahren V91/2021 – allgemein zugängliche Informationen anzuführen. Dies führt zu einer Neukonzeption von 5.1.2. und 5.2.
Hinsichtlich des gegenständlichen Sachverhalts ergeben sich zwei Unterschiede. Erstens erfolgte die Ausreise aus Tirol nach Vorarlberg am Arlbergpass. Somit kommt (in 5.1.1.) das Recht auf Verlassen jedes Landes einschließlich des eigenen (Art2 Abs2 4. ZP‑EMRK) nicht mehr zur Anwendung, sondern (nur mehr) das Recht auf Freizügigkeit innerhalb eines Staatsgebiets (Art4 StGG und Art2 Abs1 4. ZP‑EMRK). Zweitens handelt [es] sich im gegenständlichen Verfahren um eine von COVID‑19 genesene Person, weshalb die entsprechende Argumentation in 5.2. verstärkt wird."
2.2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat eine Äußerung erstattet, in der die Abweisung des Antrages begehrt wird.
2.3. Der Bezirkshauptmann von Landeck hat eine Äußerung erstattet, in der er die angefochtene Verordnung verteidigt. Die vor dem antragstellenden Gericht beschwerdeführende Partei hat keine Äußerung erstattet.
IV. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat die zu V91/2021 und zu V156/2021 protokollierten Verfahren in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.
1. Zur Zulässigkeit der Anträge
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht Tirol nicht entgegenzutreten, wenn es annimmt, dass es in dem zu V91/2021 protokollierten Verfahren die COVID‑19-Virusvariantenverordnung in ihrer Stammfassung und in dem zu V156/2021 protokollierten Verfahren die COVID‑19-Virusvariantenverordnung in der Fassung BGBl II 98/2021 zumindest denkmöglich anzuwenden hat.
1.3. Nach §57 Abs1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen als gesetzwidrig aufgehoben werden.
1.4. Anders als in jenen Fällen, in denen der Verfassungsgerichtshof die Anfechtung eines gesamten Regelwerks für unzulässig erklärt hat (vgl zB VfGH 14.7.2020, G180/2020 ua; 29.9.2015, G324/2015; VfSlg 20.112/2016), greifen sämtliche Regelungen der angefochtenen Verordnung derart ineinander, dass eine isolierte Anfechtung einer einzelnen Bestimmung nicht möglich ist. Die Verordnung enthält nämlich nicht mehrere voneinander trennbare Tatbestände, und die Bedenken des Landesverwaltungsgerichts Tirol beziehen sich auf sämtliche (wesentliche) Bestimmungen der Verordnung, weswegen die Anfechtung der gesamten Verordnung zulässig ist (vgl VfGH 3.3.2021, V75/2019 ua).
1.5. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Die Anträge sind nicht begründet:
2.3. Zur behaupteten Unzuständigkeit des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
2.3.1. Mit seinem ersten Bedenken macht das Landesverwaltungsgericht Tirol auf das Wesentliche zusammengefasst geltend, dass §24 EpiG – wie sich auch aus der gesamten Systematik des EpiG ergebe – lediglich zu "Verfügungen", nicht auch zur Erlassung von Verordnungen ermächtige. Zu solchen Verfügungen sei gemäß ausdrücklicher Anordnung in §24 EpiG lediglich die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig. Die Zuständigkeit des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nach §43a EpiG beziehe sich bloß auf die Erlassung von Verordnungen.
2.3.2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hält dem entgegen, dass der Begriff der Verfügungen mehrdeutig sei und auch Verordnungen bezeichnen könne (Hinweis auf Zolger, Österreichisches Verordnungsrecht [1898] 1 ff.). Der Normzweck spreche dafür, dass eine Verfügung einer Verkehrsbeschränkung nicht gegenüber jeder einzelnen Person, sondern gegenüber allen – allenfalls nach Gattungsmerkmalen umschriebenen – im Epidemiegebiet aufhältigen Personen auszusprechen sei; eine solche Anordnung könne nur in Verordnungsform erfolgen. Es gehe um einen generellen Adressatenkreis. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, dass §24 EpiG nur zur Erlassung individueller Bescheide ermächtige. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Hinweis auf VfGH 10.12.2020, V535/2020) und der Literatur (Hinweis auf Kopetzki, Verkehrsbeschränkungen gem §24 EpiG vs COVID‑19‑MG – eine Parallelaktion?, RdM 2020, 84; Bußjäger/Bundschuh-Rieseneder, Der rechtliche Rahmen regional differenzierter COVID‑19-Bekämpfung, ZfG 2020, 120; Hiersche/Holzinger/Eibl, Handbuch des Epidemierechts [Stand 13.5.2020, rdb.at] 6.2. und 6.3.).
2.3.3. Gemäß §24 EpiG in der Fassung BGBl I 114/2006 hatte die Bezirksverwaltungsbehörde, sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Gemäß §43a Abs1 EpiG idF BGBl I 104/2020 sind Verordnungen "nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID‑19" von dem für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen.
Der Verfassungsgerichtshof hat keine Zweifel, dass §24 EpiG zu Anordnungen ermächtigt, die sich an einen nach allgemeinen Kriterien abgegrenzten Personenkreis (nämlich alle in näher zu bestimmenden Epidemiegebieten aufhältigen Personen) richten. Bei solchen generellen Anordnungen handelt es sich nach dem Rechtsquellensystem des B‑VG um Verordnungen. Daran vermag auch der im Gesetz verwendete Begriff des "Verfügens" nichts zu ändern, ohne dass sich der Verfassungsgerichtshof mit der Terminologie anderer Bestimmungen des EpiG auseinandersetzen muss. Da §24 EpiG somit (zumindest auch) eine Grundlage für die Erlassung von Verordnungen bildet, kommt §43a EpiG zum Tragen, der die Zuständigkeit des für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesministers begründet und als jüngere, mit BGBl I 104/2020 eingefügte Vorschrift die auf BGBl I 114/2006 zurückgehende Nennung der Bezirksverwaltungsbehörde in §24 EpiG modifiziert hat.
Der Verfassungsgerichtshof teilt daher das Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Tirol, der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz habe die angefochtene Verordnung unzuständiger Weise erlassen, nicht.
2.4. Zur behaupteten Überschreitung des Ermächtigungsumfanges des §24 EpiG
2.4.1. Mit seinem zweiten Bedenken macht das Landesverwaltungsgericht Tirol (lediglich) in seinem zu V91/2021 protokollierten Antrag unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, V363/2020, geltend, dass die auf weite Teile des Bundeslandes Tirol bezogene COVID‑19-Virusvariantenverordnung den Ermächtigungsumfang des §24 EpiG überschreite, weil diese Bestimmung, wie aus der Paragraphenüberschrift abzuleiten sei, auf Einschränkungen für "bestimmte Ortschaften" beschränkt sei.
2.4.2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hält dem entgegen, dass aus der Überschrift zu §24 EpiG keine Rückschlüsse auf dessen normative Reichweite gezogen werden könnten. Eine Anpassung der Überschrift dürfte auf Grund eines Redaktionsversehens unterblieben sein, was aber nicht schade, weil der Überschrift kein verbindlicher Charakter zukomme. Der Gesetzeswortlaut stelle demgegenüber auf Bewohner von Epidemiegebieten ab.
2.4.3. Der bis zur Novelle BGBl I 33/2021 unter der Überschrift "Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften" stehende §24 EpiG ermächtigte unter weiteren Voraussetzungen zu Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner "von Epidemiegebieten" (seit der Novelle BGBl I 33/2021: "für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen"). Angesichts des Umstandes, dass der Gesetzgeber mit der EpiG-Novelle BGBl I 114/2006 im Gesetzestext des §24 EpiG den Begriff der "Ortschaften" (und Niederlassungen) durch jenen der "Epidemiegebiete" ersetzt hat, vermag allein der Umstand, dass damals die Paragraphenüberschrift unverändert blieb, nicht dazu zu führen, diese Gesetzesänderung im Interpretationswege erneut auf "bestimmte Ortschaften" zu reduzieren und damit ihre Änderung im Ergebnis ins Leere laufen zu lassen. Vielmehr spricht insbesondere der Umstand, dass nunmehr mit der Novelle BGBl I 33/2021 auch die Überschrift angeglichen wurde, dafür, dass insofern nur von einem redaktionellen Versehen im Zuge der Novelle BGBl I 114/2006 auszugehen ist. Die Ermächtigung des §24 EpiG war daher schon im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnung auf "Epidemiegebiete" bezogen und nicht bloß auf "bestimmte Ortschaften" beschränkt (dies im Unterschied zu jener Bestimmung, die dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14.7.2020, V363/2020, zugrunde lag und deren Auslegung insbesondere vor dem Hintergrund der diesbezüglichen Gesetzesmaterialien [IA 396/A XXVII. GP , 11] stand). Damit ist aber dem Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Tirol die Grundlage entzogen.
2.5. Zum behaupteten Verstoß gegen die Pflicht zur Dokumentation der Grundlagen der Verordnungserlassung
2.5.1. Mit weiterem Bedenken macht das Landesverwaltungsgericht Tirol (lediglich) in seinem zu V91/2021 protokollierten Antrag geltend, es habe die Verordnungsakten zur COVID‑19-Virusvariantenverordnung, BGBl II 63/2021, beim Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz angefordert, aber nicht erhalten. Es sei daher zweifelhaft, ob den Anforderungen an eine Dokumentation zur Verordnungserlassung im Sinne des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, V363/2020, entsprochen sei. (In seinem zu V156/2021 protokollierten Antrag bringt das Landesverwaltungsgericht diese Bedenken nicht mehr vor, weil es in der Zwischenzeit die Verordnungsakten erhalten habe.)
2.5.2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat dem Verfassungsgerichtshof die Akten zur Erlassung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung vorgelegt. Der Verfassungsgerichtshof hegt – wie nunmehr offensichtlich auch das Landesverwaltungsgericht Tirol selbst, wie sich aus seinem weiteren, zu V156/2021 protokollierten Antrag ergibt – keine Bedenken, dass die Verordnungsgrundlagen zur COVID‑19-Virusvariantenverordnung nicht hinreichend dokumentiert wären (vgl näher das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom heutigen Tag zu V87/2021 [Punkt 2.3.3.4. ff.]).
2.6. Zum behaupteten Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit nach Art4 Abs1 StGG und Art2 des 4. ZPEMRK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hegt das Bedenken, dass die COVID‑19-Virusvariantenverordnung dem Grundrecht auf Freizügigkeit der Person, wie es durch Art4 Abs1 StGG bzw nach Art2 Abs1 des 4. ZPEMRK (hinsichtlich V91/2021: auch Art2 Abs2 des 4. ZPEMRK) gewährleistet sei, widerspreche. Zwar liege mit §24 EpiG eine gesetzliche Grundlage vor und es diene die COVID‑19-Virusvariantenverordnung dem öffentlichen Interesse am Schutz der Gesundheit.
2.6.1. Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung sei auch geeignet, die Weiterverbreitung der Virusvariante außerhalb Nordtirols zu beschränken, sie sei aber "für die immerhin 700.000 Einwohner in Nordtirol gänzlich ungeeignet". Vielmehr seien wenig betroffene Gebiete "der Gefahr der Weiterverbreitung ausgesetzt" worden. Es seien damit auch bisher weitgehend von der Südafrika-Mutation verschont gebliebene Regionen in das Epidemiegebiet einbezogen worden. Damit fehle "die Eignung der COVID‑19-Virusvariantenverordnung zur Erreichung des öffentlichen Interesses […] für die Bewohner Nordtirols".
Weiters hätte der zuständige Bundesminister weniger eingriffsintensive und somit gelindere Maßnahmen setzen können. Beispielhaft führt das Landesverwaltungsgericht Tirol lokale Verkehrsbeschränkungen, Betretungsverbote und Maskentragepflichten an. Im Grunde des Tatbestandes "bestimmter Ortschaften" müssten die Voraussetzungen des §24 EpiG für jede betroffene Ortschaft geprüft werden; dabei ergäbe sich aber, dass die Voraussetzungen des §24 EpiG (Auftreten einer meldepflichtigen Erkrankung) für viele Ortschaften gar nicht vorgelegen seien.
In seinem zu V156/2021 protokollierten Antrag führt das Landesverwaltungsgericht Tirol ergänzend aus, dass zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung (in der Stammfassung) der Höhepunkt der Infektionswelle (am 23. Jänner 2021) bereits überschritten gewesen sei, sodass die Erforderlichkeit der Grundrechtseingriffe zweifelhaft sei.
Schließlich erscheine die COVID‑19-Virusvariantenverordnung bei Gegenüberstellung der bestätigten und der Verdachtsfälle "im Vergleich zu über 700.000 Einwohnern in Nordtirol als nicht adäquat".
2.6.2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gesteht zunächst einen Grundrechtseingriff zu, erachtet den Eingriff jedoch für gerechtfertigt: Es gehe nicht um einen Vergleich der allgemeinen Infektionszahlen, sondern um eine Verhinderung der Verbreitung der Südafrika-Variante in Restösterreich.
Der örtliche Anwendungsbereich der Verordnung erstrecke sich nur auf jene Teile Tirols, in denen ein vermehrtes Auftreten der bekämpften Virusvariante zu beobachten oder zu befürchten war. Eine Ausreisetestpflicht nur für das Gemeindegebiet von Mayrhofen im Zillertal wäre angesichts der Eigenschaften und der erhöhten Übertragbarkeit der Virusvariante nicht zielführend gewesen, da es sich dabei um ein zu kleinteiliges Vorgehen gehandelt hätte. Die Verordnung werde somit dem Grundsatz der regionalen Differenzierung nach der epidemiologischen Lage gerecht. Nordtirol als Einheit zu betrachten sei auch insofern das gelindeste Mittel gewesen, als andernfalls bei kleinteiligeren Ausreisebeschränkungen (etwa auf Bezirksebene) die Mobilität um ein Vielfaches eingeschränkter gewesen wäre (zahlreiche Ausreisebeschränkungen und Testverpflichtungen innerhalb Nordtirols). Den politischen Bezirk Lienz, die Gemeinde Jungholz und das Rißtal im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee auszunehmen, sei auf Grund der geographischen Trennung zu den Gebieten mit dynamisiertem Virusgeschehen fachlich gerechtfertigt gewesen.
§24 EpiG binde die verordnungserlassende Behörde nicht an bestimmte Parameter wie etwa hohe Inzidenzen und verlange bei Vorliegen einer Gefahrensituation auch nicht, dass die meldepflichtige Krankheit bereits "um sich greift". In Anbetracht der nicht nur repressiven, sondern auch präventiven Stoßrichtung des Seuchenrechts ("Verhinderung der Verbreitung") könne kein Zweifel daran bestehen, dass mit der Ergreifung von Maßnahmen nicht zugewartet werden müsse, bis sich die Variante großflächig verbreitet habe. Entsprechend dem seuchenrechtlichen Vorsorgeprinzip sei auf Grund der besorgniserregenden Datenlage über die Virusvariante vom Vorliegen eines Epidemiegebietes auszugehen gewesen.
Die Adäquanz sei gegeben, weil der Wissensstand auf eine bis zu 50 % höhere Infektionswahrscheinlichkeit hindeute. Da "vermutet" werde, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper (durch Impfungen oder bereits durchgemachte Infektionen) reduziert sein könnte, könne zudem von einer rascheren Ausbreitung, vermehrten Reinfektionen und schmäleren Impferfolgen ausgegangen werden. Das Setzen strikter Maßnahmen sei daher zur Eindämmung essentiell gewesen.
2.6.3. Das Vorbringen, die COVID‑19-Virusvariantenverordnung verletzte das Recht auf Freizügigkeit nach Art4 Abs1 StGG und Art2 des 4. ZPEMRK, ist nicht berechtigt:
2.6.3.1. Gemäß Art4 Abs1 StGG unterliegt die Freizügigkeit der Person innerhalb des Staatsgebietes keiner Beschränkung. Dieses Grundrecht schützt davor, durch die Staatsgewalt daran gehindert zu werden, sich an einen bestimmten Ort oder in ein bestimmtes, räumlich begrenztes Gebiet zu begeben. Art2 Abs1 4. ZPEMRK garantiert jeder Person, die sich rechtmäßig in Österreich aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen, somit die Möglichkeit, nach Belieben "zu kommen und zu gehen" (EGMR 22.2.1994, Fall Raimondo, Appl 12.954/87, [Z39]; 1.7.2004, Fall Vito Sante Santoro, Appl 36.681/97 [Z43]). Diese Freiheit, an jeden Ort zu gehen und an jedem Ort zu bleiben, ist ein wesentlicher Teil der Selbstbestimmung des Menschen. Die Freizügigkeit ist aber auch Voraussetzung für die Wahrnehmung einer Reihe anderer Rechte und Freiheiten (siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 6). Schließlich steht es nach Art2 Abs2 des 4. ZPEMRK jedermann frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.
Die Freizügigkeit ist nicht schrankenlos gewährleistet. Schon in VfSlg 3447/1958 hat der Verfassungsgerichtshof mit Blick unter anderem auf behördlich angeordnete Seuchenmaßnahmen ausgeführt, dass diese durch öffentliche Rücksichten geboten sein und sich daher ihrem Inhalt und ihrem örtlichen und zeitlichen Wirkungsbereich nach auf die Wahrung dieser Rücksichten beschränken müssen (in der Folge hat der Verfassungsgerichtshof den, Art4 Abs1 StGG immanenten Gesetzesvorbehalt dadurch begrenzt gesehen, dass der Gleichheitsgrundsatz durch öffentliche Rücksichten nicht gebotene Einengungen der Freizügigkeit mittels willkürlicher Veränderung der Rechtsordnung verhindert, siehe VfSlg 7379/1974, 7686/1975, 8373/1978 und zur Kritik an dieser Rechtsprechung mwN Pöschl, Art4 StGG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg. 2002, Rz 44 f.). Nach dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs3 4. ZPEMRK – der besondere Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs4 4. ZPEMRK (zu dessen Zielrichtung siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, Rz 67) spielt im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Maßnahmen keine Rolle – müssen Einschränkungen der Freizügigkeit gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft unter anderem im Interesse des Schutzes der Gesundheit notwendig sein. Einschränkungen der durch Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 und 2 4. ZPEMRK gewährleisteten Freizügigkeit sind daher verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie gesetzlich zum Zwecke eines legitimen öffentlichen Interesses vorgesehen und zur Zielerreichung geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinn sind (vgl VfGH 14.7.2020, V363/2020).
2.6.3.2. In diesem Sinne ist auch die in §24 EpiG vorgesehene Einschränkung der Verordnungsermächtigung zu sehen, wonach Verkehrsbeschränkungen zum Schutz vor der Weiterverbreitung einer meldepflichtigen Krankheit nur vorgesehen werden dürfen, soweit sie im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens der Krankheit "unbedingt erforderlich" sind. Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen werden dem im Lichte der Anforderungen des Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK zu verstehenden §24 EpiG und damit Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK gerecht:
2.6.3.3. Entgegen der Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol ist die COVID‑19-Virusvariantenverordnung nicht etwa deshalb nicht geeignet, dem Interesse des Gesundheitsschutzes zu entsprechen, weil sie nur Personen außerhalb des Epidemiegebietes schütze, die Bewohner des Epidemiegebietes hingegen der Krankheit aussetze. Es liegt in der Eigenart von abschottenden Verkehrsbeschränkungen für Epidemiegebiete, dass sie jene Personen schützen, die sich außerhalb des Epidemiegebietes aufhalten. Den Schutz der Personen im Epidemiegesetz haben im maßgeblichen Zeitraum andere Vorschriften besorgt, insbesondere die 4. COVID‑19-Schutzmaßnahmenverordnung.
2.6.3.4. Dem Verordnungsgeber ist bei der Entscheidung, ob bzw in welcher Ausgestaltung eine Verkehrsbeschränkung in einem bestimmten (Epidemie‑)Gebiet in Anbetracht der "Art und des Umfanges" der dort auftretenden meldepflichtigen Krankheit nach §24 EpiG zur Verhinderung der Weiterverbreitung "unbedingt erforderlich" ist, ein Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom heutigen Tag zu V90/2021, V92/2021). Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat diesen Einschätzungs- und Prognosespielraum noch nicht überschritten, wenn er den räumlich getrennten (und bis anhin nicht von der "Südafrika"-Variante von SARS‑CoV‑2 betroffenen) Bezirk Lienz – im Unterschied etwa zum Bezirk Reutte – nicht in das von der Verkehrsbeschränkung betroffene Gebiet einbezogen hat. Entsprechendes gilt auch sonst für die Abgrenzung dieses Gebietes: Der Verfassungsgerichtshof vermag dem Verordnungsgeber nicht entgegenzutreten, wenn er unterschiedlich schwer von der "Südafrika"-Variante des Virus SARS‑CoV‑2 betroffene Tiroler Regionen zu einem "Epidemiegebiet" zusammengefasst hat. Er war nicht gehalten, auf die kleinteiligste lokale Einheit (Bezirke, Gemeinden, Ortsteile, Straßenzüge etc) abzustellen, die noch von Virusmutationen betroffen ist, denn dies liefe letzten Endes darauf hinaus, dass anstelle von Verkehrsbeschränkungen ausschließlich Absonderungen iSv §7 EpiG verfügt werden könnten. Generalisierenden Verkehrsbeschränkungen liegt vielmehr zwangsläufig ein Moment abstrakter Gefahreneinschätzung zugrunde.
2.6.3.5. Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers hat neben der räumlichen auch eine zeitliche Dimension. Wie die im Verordnungsakt liegenden Stellungnahmen der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) vom 8. Februar 2021 und vom 17. Februar 2021, auf die sich das Landesverwaltungsgericht in seinem Antrag zu V156/2021 bezieht, zeigen, blieben die Fallzahlen in der 5. Kalenderwoche 2021 hoch (Stellungnahme der AGES vom 17. Februar 2021), auch wenn sie zunächst (Stellungnahme der AGES vom 8. Februar 2021) zu sinken schienen.
Der Verfassungsgerichtshof vermag dem Verordnungsgeber nicht entgegenzutreten, wenn er in Anbetracht dieser Unsicherheiten die Lage der Verbreitung der "Südafrika"-Variante von SARS‑CoV‑2 als ernst eingeschätzt und dementsprechend die Erlassung der Verordnung als unbedingt erforderlich erachtet hat.
2.6.3.6. In Summe erachtet der Verfassungsgerichtshof – entgegen der Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol – die von der verordnungserlassenden Behörde gesetzten Maßnahmen angesichts des Informationsstandes im Zeitpunkt der Verordnungserlassung als adäquat (vgl auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom heutigen Tage zu V87/2021).
2.7. Zum behaupten Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 B‑VG
2.7.1. Schließlich verletze die COVID‑19-Virusvariantenverordnung nach dem Vorbringen des Landesverwaltungsgerichtes Tirol den Gleichheitsgrundsatz in mehrfacher Hinsicht: Erstens werde zwischen Bewohnern innerhalb und außerhalb Nordtirols unterschieden, ohne dass für diese Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund ersichtlich sei. Zweitens sei die sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung des Bezirks Lienz mit den übrigen Tiroler Bezirken zweifelhaft, vor allem, wenn man den Bezirk Reutte mit Osttirol vergleiche. Drittens seien die einbezogenen Landesteile unsachlich abgegrenzt. Viertens bestehe keine Ausnahmeregelung für Genesene. So sei im Zeitpunkt der Verordnungserlassung zB nach §16 Abs11 der 4. COVID‑19-Schutzmaßnahmenverordnung, BGBl II 58/2021, eine ärztliche Bestätigung über eine in den letzten sechs Monaten vor der vorgesehenen Testung erfolgte und zu diesem Zeitpunkt aktuell abgelaufene Infektion oder ein Nachweis über neutralisierende Antikörper für einen Zeitraum von sechs Monaten ausdrücklich einem Nachweis über ein negatives Testergebnis gleichzuhalten gewesen. Da ein vergleichbarer Passus in der COVID‑19-Virusvariantenverordnung fehle, werde tatsächlich Ungleiches rechtlich gleich behandelt. Dadurch sei auch zur gleichen Zeit am gleichen Ort für bestimmte Aktivitäten eine Ausnahme für Genesene vorgesehen, für die Ausreise jedoch nicht.
2.7.2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz erwiderte, dass der Bezirk Lienz geographisch "nicht an das Bundesland Tirol grenz[e], sehr wohl aber der Bezirk Reutte". Um den Bezirk Lienz zu erreichen, müsse eine Landesgrenze überschritten werden. Aus diesem Grund seien auch die Gemeinde Jungholz und das Rißtal ausgenommen worden. Weiters sei auch die Aufrechterhaltung der Infrastruktur sowie der Mobilität innerhalb Nordtirols berücksichtigt worden. Zwar sei es zu einem vermehrten Auftreten der "Südafrika"-Variante im Bezirk Schwaz gekommen, gemäß fachlicher Begründung sei es jedoch als zu kleinteilig angesehen worden, nur für den Bezirk Schwaz eine Ausreisetestpflicht zu normieren, weil auf Grund der "notorischen Eigenschaften" der Virusvariante weitere Präventivmaßnahmen ergriffen werden mussten. Auf Grund des geringen Auftretens der Variante in einzelnen Bezirken im Zeitpunkt der Verordnungserlassung konnte nicht davon ausgegangen werden, dass es nicht bereits zu unentdeckten Ausbrüchen der Variante gekommen sei. Diese Unterschiede im Tatsächlichen würde auch die unterschiedliche Behandlung von Bewohnern innerhalb und außerhalb Nordtirols rechtfertigen.
Die Einbeziehung Genesener in die Ausreisetestpflicht sei angesichts des besorgniserregenden Auftretens der "Südafrika"-Variante von SARS‑CoV‑2 gerechtfertigt. Es hätten sich gegen die "Wildvariante" gebildete Antikörper als unwirksam bzw weniger wirksam herausgestellt. Virusvarianten gingen jedoch mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Reinfektionen einher. Erste Studien ließen vermuten, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper bei der Variante B1.351 "reduziert sein könnte". Da es zum Zeitpunkt des Auftretens der "Südafrika"-Variante in Österreich noch wenig wissenschaftliche Evidenz zu dieser Variante gegeben habe, sei es geboten gewesen, eine Testauflage für das Verlassen des Epidemiegebietes zu normieren.
2.7.2.1. Der Verfassungsgerichtshof vermag zunächst das Vorbringen, die COVID‑19-Virusvariantenverordnung differenziere unsachlich zwischen Bewohnern innerhalb und außerhalb des festgelegten Epidemiegebietes, nicht nachzuvollziehen: Es liegt in der Eigenart von Maßnahmen, die den Verkehr zwischen Epidemiegebieten und umliegenden Gebieten einschränken, dass sie Personen innerhalb und außerhalb des Epidemiegebietes unterschiedlich treffen. Dies ist jedoch durch den Zweck solcher Verkehrsbeschränkungen, die Ausbreitung von Krankheiten über das bisherige Epidemiegebiet hinaus einzudämmen, – unter den übrigen Voraussetzungen – sachlich gerechtfertigt.
2.7.2.2. Was die behauptete unsachliche Abgrenzung des Epidemiegebietes anlangt, kann auf die Ausführungen zum Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers (oben 2.6.3.4.). verwiesen werden. Die sachliche Rechtfertigung für die Ausnahme des Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz und des Rißtales von den Maßnahmen liegt im Übrigen in geographischen Besonderheiten in Verbindung mit dem im Verordnungsakt dokumentierten Umstand, dass die "Südafrika"-Mutation von SARS‑CoV‑2 in diesen Gebieten im Zeitpunkt der Verordnungserlassung nicht nachgewiesen werden konnte.
2.7.2.3. Schließlich ist das Landesverwaltungsgericht Tirol mit seinem Vorbringen, die COVID‑19-Virusvariantenverordnung behandle "Getestete" und "Genesene" in unsachlicher Weise ungleich, nicht im Recht:
Wie aus den vorgelegten Verordnungsakten hervorgeht und wie der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in seiner Äußerung darlegt, wurde die angefochtene Verordnung mit dem Ziel der Verhinderung einer (Weiter‑)Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.351 erlassen. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz konnte mit Blick auf die im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen, zu denen mehrere fachliche Studien zählten, in der damaligen Situation davon ausgehen, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper bei der COVID‑19-Virusvariante B.1.351 geschmälert sein könnte und eine Reinfektion mit dem Virus möglich wäre. In diesem Zusammenhang weist der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in seiner Äußerung nachvollziehbar darauf hin, dass im Hinblick auf die COVID‑19-Virusvariante B1.351 von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Reinfektion auszugehen war. Die zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung verfügbaren, im Verordnungsakt dokumentierten Daten und Studien ließen vermuten, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper gegen COVID‑19 (in Folge einer durchgemachten Infektion oder Impfung) bei der COVID‑19-Virusvariante B1.351 reduziert sein könnte. Der reduzierte Schutz durch gebildete Antikörper im Hinblick auf die COVID‑19-Virusvariante B1.351 könne die Wirksamkeit der Impfung schmälern und zu Reinfektionen führen. Bei Personen, die Antikörper gegen COVID‑19 in einer ausreichenden Konzentration aufwiesen, könne im Hinblick auf die COVID‑19-Virusvariante B1.351 nicht von einer "niedrigeren epidemiologischen Gefahr" ausgegangen werden.
Vor diesem Hintergrund war es unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes zur Erreichung des Ziels der Vermeidung der (Weiter‑)Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B1.351 sachlich gerechtfertigt, auch "genesene" Personen mit Antikörpern gegen COVID‑19 zum Nachweis eines negativen Testergebnisses auf COVID‑19 bei der Ausreise aus dem Bundesland Tirol gemäß §2 COVID‑19‑VvV zu verpflichten. Die behauptete unsachliche Gleichbehandlung im Widerspruch zu Art2 StGG und Art7 B‑VG liegt bereits aus den dargelegten Gründen nicht vor.
2.8. Die Anträge sind daher zur Gänze als unbegründet abzuweisen.
V. Ergebnis
1. Die vom antragstellenden Landesverwaltungsgericht Tirol ob der Verfassungs- bzw Gesetzmäßigkeit der angefochtenen COVID‑19-Virusvariantenverordnung erhobenen Bedenken treffen nicht zu.
Die Anträge sind daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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