Normen
B-VG Art131a;
B-VG Art139 Abs1;
B-VG Art139 Abs6;
PunzierungsG 1954 §18;
PunzierungsG 1954 §28 Abs2;
PunzierungsG 1954 §32 Abs3;
PunzierungsG 1954 §32 Abs4;
PunzierungsGDV 1967 §44;
B-VG Art131a;
B-VG Art139 Abs1;
B-VG Art139 Abs6;
PunzierungsG 1954 §18;
PunzierungsG 1954 §28 Abs2;
PunzierungsG 1954 §32 Abs3;
PunzierungsG 1954 §32 Abs4;
PunzierungsGDV 1967 §44;
Spruch:
Die durch Organe der belangten Behörde am 1. und 2. Juni 1984 anläßlich einer Verkaufsausstellung der beschwerdeführenden Partei im Hotel B in W vorgenommene Absonderung und Versiegelung von Silbergegenständen war rechtswidrig.
Der Bund (Bundesminister für Finanzen) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.0. Auf Grund des Akteninhaltes und des insofern übereinstimmenden Parteienvorbringens ergibt sich folgender für die vorliegende Beschwerdesache relevanter Sachverhalt:
1.1. Die beschwerdeführende Partei veranstaltete am 1., 2. und 3. Juni 1984 im Hotel B in W eine Verkaufsausstellung, welche aus rund 600 kg Silberwaren bestand.
Organe des Punzierungsamtes Wien I beanstandeten während dieser Verkaufsausstellung am 1. und 2. Juni 1984 anläßlich der an diesen Tagen von ihnen vorgenommenen punzierungsamtlichen Nachschau eine Vielzahl von Silbergegenständen der beschwerdeführenden Partei. Über die Amtshandlung vom
1. JUNI 1984 wurde ein amtlicher Befund vom 1. Juni 1984 aufgenommen, in dem die beanstandeten Gegenstände durch bestimmte Merkmale bezeichnet wurden, z.B. "1 C. Gabel, 1 C. Zuckerdose 471 gr (Diana P), 1 Garnitur (12 St) (103,9 gr)
C. vergoldete Mocca Löffel" usw.; die von der belangten Behörde in der Gegenschrift vor dem Verfassungsgerichtshof angegebene Zahl von 450 Stück wird von der beschwerdeführenden Partei als "möglicherweise richtig" bezeichnet. Über die entsprechende Amtshandlung vom 2. JUNI 1984 wurden zwei weitere Befunde dieser Art aufgenommen, wobei der eine gleichfalls bestimmte Gegenstände bezeichnet, der andere hingegen nur "747 Stück Silberbesteckteile (Messer, Gabeln, Löffeln - sic -) ohne amtliche österr. Feingehaltspunze, verschiedene Herkunftsländer (Ungarn, CSSR, Polen etc.)" ausweist.
Diese beanstandeten Waren wurden am 1. bzw. 2. Juni 1984 von den Organen des Punzierungsamtes Wien I amtlich versiegelt. Im Gedächtnisprotokoll des OKtr J vom 1. Juni 1984 wird der Vorgang wie folgt geschildert: "Zu der am Abend unter Polizeischutz durchzuführenden amtlichen Versiegelung der beanstandeten Gegenstände möchte ich feststellen, daß Herr L" - der Geschäftsführer der beschwerdeführenden Partei - "die Amtshandlung dadurch behinderte, daß er kein Verpackungsmaterial zur Verfügung stellte, obwohl solches in Mengen vorhanden war, weiters sich weigerte, entgegen den Bestimmungen des § 44 DV, die Waren zu verpacken und auch die Benützung eines der vorhandenen Tische zur Ausfertigung des amtlichen Befundes verweigerte. ..." Der Vertreter der beschwerdeführenden Partei verpflichtete sich durch seine Unterschrift auf den Befunden, mit der amtlich versiegelten Ware bis 11. Juni 1984 im Amte zu erscheinen; er bestritt die Rechtmäßigkeit der Beanstandung. Auf dem Befundformular wird der Inhalt des § 272 Abs. 1 StGB über den Siegelbruch wiedergegeben.
Unter diesen versiegelten und verpackten Silbergegenständen befanden sich 54 Gegenstände, die der beschwerdeführenden Partei am 19. Juni 1984 mit undatiertem Ausfolgeschein des Punzierungsamtes Wien I mit dem Vermerk "bereits punziert. HMA-Proben aus Nr 127/29 St. 1763,20 g, aus
Nr 104/4 St. 246,10 g, aus Nr 103/11 St. 665,70 g, aus Nr 147/10 St. 570,50 g" ausgefolgt wurden.
Von den übrigen verwahrten Silbergegenständen wurden 203,90 g (Metall) beanstandet, 177 g als unecht und 787,20 g als unprobhältig bezeichnet sowie 62,960 kg auf Grund eines Gutachtens der Hochschule für angewandte Kunst in Wien wegen ihres kulturgeschichtlichen Wertes gemäß § 15 Abs. 1 lit. d des Punzierungsgesetzes, BGBl. Nr. 68/1954 (im folgenden: PunzierungsG), als nicht der Punzierungspflicht unterliegend freigegeben und am 27. Juli 1984 von der beschwerdeführenden Partei abgeholt.
1.2. Die beschwerdeführende Partei erhob zunächst vor dem Verfassungsgerichtshof Beschwerde gegen "die Beschlagnahme der mit gültigen österreichischen Punzen versehenen 3.245 Gramm, 54 Stück Silberbestecke" wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechtes. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluß vom 28. Februar 1986, B 594/84, ab. Antragsgemäß wurde die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten. In der bereits in der Urbeschwerde enthaltenen Ausführung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde bekämpfte die beschwerdeführende Partei auch die Beschlagnahme der übrigen Silbergegenstände, da der diesbezügliche Antrag nicht auf die 54 Stück eingeschränkt wurde, sondern sich allgemein auf die sichergestellten "ordnungsgemäß punzierten" Waren bezog, worunter auch die mit der Diana-Punze versehenen, gemäß § 15 Abs. 1 lit. d PunzierungsG von der Punzierungspflicht ausgenommenen Waren verstanden werden können.
1.3. Der Verwaltungsgerichtshof forderte die beschwerdeführende Partei auf, den Widerspruch in den Datumsangaben (Seite 3 der Beschwerde: 2. Juni 1984; Seiten 4 und 6: 1. Juni 1984) aufzuklären, wobei darauf hingewiesen wurde, daß an den beiden Tagen getrennte amtliche Befunde über beanstandete Gegenstände aufgenommen worden seien. Nach dem Mängelverbesserungsschriftsatz der beschwerdeführenden Partei vom 30. Juni 1986 richte sich die Beschwerde gegen die Beschlagnahme am 1. und 2. Juni 1984. Der Vorgang sei in seiner Gesamtheit zu sehen. Auf Grund der zu geringen Aufzeichnungen der belangten Behörde könne nicht gesagt werden, welche der zu Unrecht beschlagnahmten 54 Gegenstände am 1. Juni und welche am 2. Juni beschlagnahmt worden seien. Auf dem Ausfolgeschein über die 54 Silberstücke sei nämlich nur die Stückzahl und das Gewicht angeführt.
Die beschwerdeführende Partei erachtet sich in ihrem Recht verletzt, daß eine Beschlagnahme von Gegenständen nur bei nicht ordnungsgemäß punzierten Gegenständen vorgenommen werden dürfe. Die Beschwerde wende sich hinsichtlich der 54 punzierten Gegenstände dagegen, daß der Beschwerdeführerin durch die bekämpfte Maßnahme die Verwertung ihres Eigentums unmöglich gemacht worden sei, obwohl die Gegenstände mit gültigen Punzen versehen gewesen seien; sie habe über diese Gegenstände in der Zeit vom 1. bzw. 2. Juni bis 19. Juni 1984 nicht verfügen können. Auch die Beschlagnahme der weiteren Gegenstände sei gesetzwidrig, da es sich hiebei um Silbergegenstände von kulturhistorischem Wert gehandelt habe, welche aus den Nachfolgestaaten der österreichischen Monarchie stammten, mit der damals gültigen Punze (Dianapunze) der seinerzeitigen Punzierungsstätten versehen seien und auf Grund ihres historischen, kunsthistorischen und kulturhistorischen Wertes nicht neu punziert werden müßten (§ 15 Abs. 1 lit. d PunzierungsG).
1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
1.5. In Entsprechung des im Beschwerdefall vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Verordnungsprüfungsantrages hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Oktober 1992, V 4/92, den dritten und vierten Satz des § 44 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 1. Oktober 1967 über den Feingehalt der Edelmetallgegenstände (Durchführungsverordnung zum Punzierungsgesetz), BGBl. Nr. 385/1967 (im folgenden: DurchführungsV), als gesetzwidrig auf und sprach aus, daß die Aufhebung mit Ablauf des 31. Juli 1993 in Kraft tritt.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Der Verwaltungsgerichtshof wertet die angefochtenen, von den Organen der belangten Behörde am 1. und 2. Juni 1984 vorgenommenen Maßnahmen als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art. 131a B-VG. Dabei erfolgte die Verpackung der beanstandeten Ware - entgegen dem aktenwidrigen Vorbringen in der Gegenschrift - nicht durch die Partei, sondern durch die Organe der belangten Behörde. Aber auch eine angeordnete Verpackung durch Angestellte der beschwerdeführenden Partei selbst könnte in Anbetracht der Begleitumstände (Anwesenheit von zwei Polizeibeamten; einem Beamten der belangten Behörde fiel eine private Gaspistole zu Boden) nicht als freiwillige Folgeleistung aufgefaßt werden, sondern wäre auf Grund einer Anordnung mit unmittelbarem Gehorsamsanspruch erfolgt. Entscheidend ist aber letztlich die amtliche Versiegelung der verpackten Ware unter Hinweis auf die strafrechtlichen Folgen des Siegelbruches. Dadurch wurde die Ware der Verfügungsgewalt der beschwerdeführenden Partei gegen ihren Willen durch eine behördliche Maßnahme entzogen. Insbesondere war die Ware infolgedessen auch nicht mehr Gegenstand der laufenden Verkaufsausstellung.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, daß die Beschwerde zulässig ist.
2.2. Gemäß § 32 Abs. 3 PunzierungsG können zur Sicherung des Verfalles die dafür in Betracht kommenden Gegenstände auch durch das örtlich zuständige Punzierungsamt beschlagnahmt werden. Nach § 32 Abs. 4 leg. cit. können bei Gefahr im Verzuge auch die Organe der öffentlichen Aufsicht aus eigener Macht solche Gegenstände vorläufig in Beschlag nehmen. Sie haben darüber dem Betroffenen sofort eine Bescheinigung auszustellen und dem örtlich zuständigen Punzierungsamt die Anzeige zu erstatten.
Wie sich aus der Gegenschrift der belangten Behörde in Übereinstimmung mit der Aktenlage ergibt, wurde eine auf diese Bestimmung gestützte Beschlagnahme der beanstandeten Silbergegenstände seitens der belangten Behörde nicht verfügt. Es habe dazu, wie es in der Gegenschrift heißt, auch keine Notwendigkeit bestanden, "da ein Verfall gemäß § 28 Abs. 2 PunzierungsG bzw. dessen Sicherung gemäß § 32 Abs. 3 PG nicht zur Debatte stand". In gleicher Weise wurde offenbar auch das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Verfall nach § 29 Abs. 4 PunzierungsG, der u.a. eine wiederholte Straftat voraussetzt, verneint. Wie sich weiters aus der Aktenlage ergibt, sind die Organe der belangten Behörde auch nicht in Ausübung der ihnen nach § 32 Abs. 4 PunzierungsG eingeräumten Ermächtigung "aus eigener Macht" in Form der vorläufigen Beschlagnahme verfallsbedrohter Gegenstände wegen Gefahr im Verzuge eingeschritten. Sämtliche im Verwaltungsakt erliegenden Aufträge an die einschreitenden Organe betreffen vielmehr die Vornahme der amtlichen Nachschau bei der Verkaufsausstellung der beschwerdeführenden Partei und nehmen ausdrücklich auf § 18 PunzierungsG und die DurchführungsV BGBl. Nr. 358/1967 Bezug. Auch die Amtshandlung selbst läßt nach ihrem objektiven Erscheinungsbild nicht die Deutung zu, es sei eine auf § 32 Abs. 4 PunzierungsG gestützte vorläufige Beschlagnahme im Dienste des Verwaltungsstrafrechts zur Sicherung des Verfalls vorgenommen worden; dies durchaus in Übereinstimmung mit der eben erwähnten rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde, daß ein Verfall bzw. dessen Sicherung "nicht zur Debatte stand".
Die bekämpfte Maßnahme stand daher nicht im Zusammenhang mit einer verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung der beschwerdeführenden Partei bzw. ihrer Organe, sondern erweist sich als eine administrative Sicherstellungsmaßnahme, die sich auf § 44 DurchführungsV stützt. Diese Bestimmung lautet:
"Ergibt sich bei der amtlichen Nachschau eine Beanstandung, so ist ein amtlicher Befund in doppelter Ausfertigung aufzunehmen, der von der Partei mit zu unterfertigen ist. Eine Ausfertigung hievon ist der Partei auszufolgen. Die beanstandeten Waren und sonstigen Gegenstände sind vom Warenlager abzusondern, von der Partei zu verpacken, mit dem Siegel des Amtsorgans zu versehen und mit dem aufgenommenen Befund dem Punzierungsamt zu übergeben. Doch kann auch die Partei die Vorlage des versiegelten Paketes innerhalb einer vom Organ der Punzierungsbehörde zu bestimmenden Frist im Punzierungsamt selbst vornehmen."
Auch der Verfassungsgerichtshof ist in seinem eben zitierten Erkenntnis vom 1. Oktober 1992, V 4/92, in Übereinstimmung mit dieser bereits im Verordnungsprüfungsantrag dargelegten Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes davon ausgegangen, daß als Rechtsgrundlage der bekämpften Amtshandlungen nur § 44 der DurchführungsV in Betracht kam.
2.3. Art. 139 Abs. 6 erster und zweiter Satz B-VG lauten:
"Ist eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, daß eine Verordnung gesetzwidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht."
Der Beschwerdefall bildet unbestritten den Anlaßfall für die verfassungsgerichtliche Aufhebung der angewendeten und vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden Verordnungsstellen.
Dadurch, daß die einzige in Betracht kommende Rechtsgrundlage der bekämpften Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt mangels gesetzlicher Deckung aufgehoben wurde, sind diese Verwaltungsakte im Anlaßfall als gesetzlos ergangen zu betrachten.
Die angefochtenen Verwaltungsakte waren daher gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 330/1990 als rechtswidrig zu erklären.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
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