VwGH Ro 2016/21/0010

VwGHRo 2016/21/001011.5.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des S T E (auch S E, alias T I), vertreten durch Mag. Nikolaus Biely, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Baue, gegen das am 5. Februar 2016 mündlich verkündete und am 15. Februar 2016 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W112 2120375-1/20E (Spruchpunkt I.A), betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

32013R0604 Dublin-III Art28 Abs2;
62015CJ0528 Al Chodor VORAB;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
FrÄG 2015;
FrPolG 2005 §76 Abs1 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §76 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwGVG 2014 §24;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der unter verschiedenen Identitätsangaben aufgetretene Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, der davor bereits in Bulgarien und in Ungarn die Gewährung von internationalem Schutz begehrt hatte, stellte nach seiner Einreise in Österreich am 20. Mai 2015 auch hier einen darauf gerichteten Antrag. Dieser Antrag wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23. Juli 2015 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen. Gleichzeitig stellte das BFA fest, für die Prüfung des Antrags sei gemäß der Dublin III-VO Bulgarien, das der Übernahme des Revisionswerbers auch ausdrücklich zugestimmt hatte, zuständig. Weiters wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung des Revisionswerbers (nach Bulgarien) angeordnet und gemäß § 61 Abs. 2 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Bulgarien zulässig sei.

2 Nachdem dem Revisionswerber die Erlassung dieses Bescheides bei der Vernehmung am 20. Juli 2015 angekündigt worden war, verließ er das ihm zugewiesene Grundversorgungsquartier in Oberösterreich und war in der Folge unter Verletzung der bestehenden Gebietsbeschränkung und der melderechtlichen Verpflichtungen unbekannten Aufenthalts. Erst am 23. Jänner 2016 konnte er gegen Mitternacht im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle in Klagenfurt aufgegriffen und festgenommen werden.

3 Bei der in der Folge vorgenommenen Vernehmung verweigerte der Revisionswerber konkrete Angaben zu seinem Aufenthaltsort seit Ende Juli 2015; er habe bei verschiedenen Personen genächtigt, werde "diese aber nicht verraten". Er habe den Ausgang des Asylverfahrens nicht abgewartet, weil ihm die Abschiebung nach Bulgarien angekündigt worden sei; er habe gewusst, dass er dorthin "zurückgeschickt" werde. Er beabsichtige aber, so lange wie möglich in Österreich zu bleiben. Er wolle wegen der dort herrschenden schrecklichen Verhältnisse nicht freiwillig nach Bulgarien. Er werde alles tun, damit er dort nicht ankomme.

4 Daran anschließend verhängte das BFA mit dem sofort in Vollzug gesetzten Mandatsbescheid vom 24. Jänner 2016 über den Revisionswerber gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO iVm (der Sache nach) § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft (u.a.) zur Sicherung seiner Abschiebung. Dagegen erhob der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 29. Jänner 2016 Beschwerde.

5 Mit dem in der Beschwerdeverhandlung am 5. Februar 2016 mündlich verkündeten und insoweit im Spruchpunkt I.A. am 15. Februar 2016 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 Z 1, 3, 5 und 9 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Diesbezüglich erklärte das BVwG die (ordentliche) Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig, weil "es an einer Rechtsprechung zu Art. 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG mangelt".

 

6 Gegen den die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft feststellenden Ausspruch richtet sich die vorliegende Revision, zu der keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden. Über die Zulässigkeit der Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage gemäß § 30a Abs. 6 VwGG erwogen:

7 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe für die Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen (vgl. den hg. Beschluss vom 4. August 2016, Ro 2016/21/0013, Rz 9, mwN) oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen (vgl. der Sache nach den hg. Beschluss vom 16. November 2015, Ro 2015/12/0012).

9 Letzteres ist hier der Fall, weil das BVwG in der Begründung zum Ausspruch der Zulässigkeit der Revision nicht darlegte, welche - konkret auf die vorliegende Sache bezogene - grundsätzliche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof (erstmals) zu lösen hätte (vgl. den zuletzt zitierten Beschluss vom 16. November 2015, Ro 2015/12/0012). Mit dem bloßen Hinweis des BVwG auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu näher bezeichneten Verwaltungsvorschriften wird nämlich noch nicht in ausreichender Weise dargetan, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösen wäre (vgl. den hg. Beschluss vom 23. September 2014, Ro 2014/01/0033). Demzufolge genügt die bloße Verweisung in der Revision auf die - im Sinne der vorstehenden Ausführungen: hierfür unzureichende - Begründung des BVwG nicht, um die Zulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG darzustellen.

10 Im Übrigen macht die Revision im Wesentlichen nur geltend, aufgrund der in der Beschwerde aufgezeigten Möglichkeit, bei einem näher genannten Freund Unterkunft zu nehmen, wäre nach Auffassung des Revisionswerbers die Anwendung gelinderer Mittel in Form einer periodischen Meldeverpflichtung geboten gewesen. Das hielt das BVwG vor allem unter Bezugnahme auf das bisherige Verhalten des Revisionswerbers und seine wiederholt geäußerte qualifizierte Ausreiseunwilligkeit mit näherer Begründung für nicht gerechtfertigt.

11 Spezifische Rechtsfragen stellen sich aber auch in diesem Zusammenhang nicht. So hat der Verwaltungsgerichtshof schon zur Rechtslage nach dem FrÄG 2015 darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben Schubhaft stets nur "ultima ratio" sein dürfe und dass ihre Verhängung zu unterbleiben habe, wenn das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden könne (vgl. den Beschluss vom 20. Dezember 2016, Ra 2016/21/0229, Rz 9, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0243, Rz 10, mwN). Dem entsprechend ist im § 76 Abs. 1 erster Satz FPG (idF des FrÄG 2015) nunmehr auch ausdrücklich normiert, Fremde könnten in Schubhaft (nur) angehalten werden, "sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann" (siehe dazu auch noch ergänzend den hg. Beschluss vom heutigen Tag, Ro 2016/21/0022, Rz 11). Das deckt sich mit Art. 28 Abs. 2 der Dublin III-VO, wonach die unter näher genannten Voraussetzungen zulässige Haft zur Sicherstellung von Überstellungsverfahren nur unter der Bedingung angeordnet werden darf, dass sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen (vgl. idS auch Rn 25 und Rn 34 des Urteils des EuGH vom 15. März 2017, C-528/15 , Rs Al Chodor).

12 In diesem Zusammenhang wurde in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber ebenfalls schon dargelegt, dass die Frage, ob konkret von "erheblicher Fluchtgefahr" iSd Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO auszugehen sei, stets eine solche des Einzelfalles ist, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel sei, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. den Beschluss vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0256, Rz 14, mwN). Das gilt sinngemäß auch für die Frage, ob von einem Sicherungsbedarf auszugehen sei, dem nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne (vgl. den Beschluss vom 26. Jänner 2017, Ra 2016/21/0323, Rz 10).

13 Auch daraus folgt - auch wenn man auf das in der weiteren Revisionsbegründung erstattete Vorbringen Bedacht nimmt - die Unzulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG, weil die diesbezügliche, nach mündlicher Verhandlung vorgenommene Einschätzung des BVwG nicht nur vertretbar, sondern zutreffend ist. Im Übrigen liegt auch der relevierte Verfahrensmangel (Unterlassung der beantragten Zeugenvernehmung) nicht vor, weil die hierdurch zu beweisenden Tatsachen der Entscheidung ohnehin zugrunde gelegt wurden.

14 Vom Revisionswerber wird somit insgesamt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargetan, von deren Lösung die Erledigung der Revision abhängt. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 11. Mai 2017

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