Normen
32013R0604 Dublin-III Art2 litn;
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs2;
B-VG Art133 Abs4 impl;
EURallg;
VwGG §34 Abs1;
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte ist Staatsangehöriger von Gambia. Im September 2015 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, der rechtskräftig - in Verbindung mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung nach Italien - gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wurde. Im Hinblick darauf wurde der Mitbeteiligte am 26. Jänner 2016 nach Italien überstellt.
2 Der Mitbeteiligte reiste wiederum nach Österreich ein und stellte neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ging davon aus, dass ihm kein faktischer Abschiebeschutz zukomme; er wurde daher am 22. April 2016 abermals nach Italien überstellt.
3 Am 3. Juni 2016 sowie am 23. Juni 2016 wurde der offenkundig erneut nach Österreich zurückgekehrte Mitbeteiligte jeweils in Wien aufgegriffen. Nach dem letzten Aufgriff verhängte das BFA mit Mandatsbescheid vom 23. Juni 2016 gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG - im Hinblick auf die ins Auge gefasste neuerliche Überstellung des Mitbeteiligten nach Italien - die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung.
4 Gegen diesen Bescheid - sowie "gegen die Anordnung der Haft und die fortdauernde Anhaltung ... seit 23.06.2016" - erhob der Mitbeteiligte Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG. In dieser verwies er u. a. darauf, dass er sich vor den beiden ersten Überstellungen nach Italien nicht in Schubhaft befunden habe, sondern "die ganze Zeit über" in der ihm zugewiesenen Betreuungsstelle verblieben sei; seine Überstellung sei jeweils ohne Zwischenfälle erfolgt. Vor diesem Hintergrund könne nicht davon ausgegangen werden, dass er nicht kooperationsbereit wäre und an einer neuerlichen Überstellung nicht mitwirken würde. Insoweit sei seitens des BFA nicht nachvollziehbar dargelegt worden, warum das gelindere Mittel der Anordnung, in bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, nunmehr nicht in Frage gekommen sei.
5 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gab der dargestellten Beschwerde statt und erklärte die Anhaltung des Mitbeteiligten vom 23. Juni 2016 um 19.00 Uhr bis zur Entlassung am 30. Juni 2016 für rechtswidrig (Spruchpunkt I.). Außerdem verpflichtete es den Bund zum Ersatz von Verfahrensaufwand (Spruchpunkt II.) und wies einen Antrag des Mitbeteiligten, ihn von der Eingabegebühr zu befreien, als unzulässig zurück (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Die Beschwerdestattgebung begründete das BVwG im Wesentlichen damit, das BFA hätte im Sinn des Beschwerdevorbringens angesichts der beiden bisherigen problemlosen Abschiebungen des Mitbeteiligten die Anwendung des gelinderen Mittels "der Zuweisung von Räumlichkeiten" für ausreichend erachten müssen. "Unter Zugrundelegung der einschlägigen Bestimmungen der Dublin III-VO" und "der Judikatur der Höchstgerichte" sei keine erhebliche Fluchtgefahr gegeben, weshalb sich die Schubhaftverhängung als rechtswidrig erweise.
7 Gemäß Art. 133 Abs. 4-B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9 In dieser Hinsicht macht das BFA in seiner gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Erkenntnisses erhobenen Revision in formaler Hinsicht Mängel der Gestaltung und des Aufbaus dieses Erkenntnisses geltend. Zum einen lasse sein Spruch jegliche Angabe zur gesetzlichen Grundlage vermissen, zum anderen finde sich die zu fordernde Gliederung der Entscheidungsgründe in Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nur ansatzweise wieder; das BVwG "verknappe" sowohl die Ausführungen zur Beweiswürdigung als auch jene zur rechtlichen Beurteilung in einer Weise, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei und die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt würden. Insoweit weiche das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht ab.
10 Es ist zunächst zutreffend, dass in dem der Schubhaftbeschwerde stattgebenden Spruchpunkt des angefochtenen Erkenntnisses keine Rechtsgrundlage angeführt wird. Dass es sich - wie in der Revision formuliert - "um einen Fall des unmittelbar anwendbaren Art. 28 Dublin III-VO handelt", kann allerdings nicht zweifelhaft sein, sodass diesem Versäumnis keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt (zu vergleichbaren Konstellationen in der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes siehe nur die beispielshafte Darstellung in Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 Rz 74).
11 Gemäß Art. 28 Abs. 1 Dublin III-VO dürfen die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft nehmen, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt. Allerdings dürfen sie nach Abs. 2 im Einklang mit dieser Verordnung "die entsprechende Person" zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren nach einer Einzelfallprüfung in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Unter dem Begriff der "Fluchtgefahr" ist nach Art. 2 lit. n Dublin III-VO "das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte", zu verstehen.
12 Vor dem Hintergrund dieser unmittelbar anzuwendenden Verordnungsbestimmung ist im vorliegenden Fall weiter klar, dass das BVwG davon ausging, es liege angesichts der beiden bisherigen erfolgreichen Überstellungen des Mitbeteiligten nach Italien - ungeachtet seines sonstigen Verhaltens - keine erhebliche Fluchtgefahr vor, welche Schubhaft rechtfertigen könne. Vielmehr wäre mit der Verhängung des gelinderen Mittels nach § 77 Abs. 3 Z 1 FPG (Anordnung, in vom BFA bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen) das Auslangen zu finden gewesen. So gesehen erweist sich das angefochtene Erkenntnis entgegen der in der Amtsrevision vertretenen Ansicht insgesamt als ausreichend nachvollziehbar.
13 Das wird letztlich auch durch die übrigen Ausführungen des BFA zur Zulässigkeit der gegenständlichen Revision bestätigt. Die maßgeblichen Gesichtspunkte des angefochtenen Erkenntnisses erkennend macht das BFA nämlich insoweit weiter geltend, es fehle an Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes "zur unionsrechtskonformen Auslegung des Begriffs der Erheblichkeit der Fluchtgefahr" einerseits sowie zur Anordnung des gelinderen Mittels "vor dem Hintergrund der rezenten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs" (mit Hinweis auf dessen Urteil in der Rechtssache Mahdi, C-146/14 ) andererseits.
14 Was den ersten Aspekt anlangt, so ist es richtig, dass der Verwaltungsgerichtshof bislang noch nicht - wie die Amtsrevision formuliert - "über die Erheblichkeit der Fluchtgefahr abgesprochen" hat. Dass unter "erheblicher Fluchtgefahr" im Sinn des zitierten Art. 28 Abs. 2 der Dublin III-VO allgemein eine solche Fluchtgefahr zu verstehen ist, die in ihrer Intensität über das hinausgeht, was unter Art. 2 lit. n der Verordnung als "Fluchtgefahr" definiert wird, ist allerdings evident und bedarf daher weder einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof noch durch den Verwaltungsgerichtshof. Ob aber konkret von "erheblicher Fluchtgefahr" auszugehen sei, ist stets eine Frage des Einzelfalles, daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. allgemein den hg. Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0033; zu Erkenntnissen in Schubhaftangelegenheiten siehe außerdem den hg. Beschluss vom 19. Mai 2015, Ro 2015/21/0017). Dass Letzteres hier nicht anzunehmen sei, bringt die Amtsrevision nicht vor. Insoweit ist es fallbezogen auch unerheblich, dass das BVwG im Einzelnen nicht tragfähige Überlegungen, unter undifferenzierter Bezugnahme auf nicht näher genannte "Judikatur der Höchstgerichte", anstellte.
15 Bezüglich des zweiten Umstandes (für das Schubhaftregime zu ziehende Schlussfolgerungen aus dem genannten Urteil des Europäischen Gerichtshofes) ist auf die mittlerweile ergangenen Beschlüsse vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0178, und vom 4. August 2016, Ro 2016/21/0015, zu verweisen. Auch insofern wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die gegenständliche Revision war daher in Anwendung des § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 15. September 2016
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