VwGH Ra 2016/21/0243

VwGHRa 2016/21/024320.10.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des D P, zuletzt in W, vertreten durch Dr. Maximilian Schaffgotsch, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Postgasse 6/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Juli 2016, W186 2130018-1/6E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7;
FrÄG 2015;
FrPolG 2005 §76 idF 2015/I/070;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;
VwRallg;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
FrÄG 2015;
FrPolG 2005 §76 idF 2015/I/070;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist kroatischer Staatsangehöriger. Laut eigenen Angaben befand er sich zunächst ab 2013 in Österreich.

2 Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. September 2015 wurde über den Revisionswerber wegen der Vergehen des - teilweise versuchten - schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2 und 15 StGB sowie der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB eine neunmonatige Freiheitsstrafe verhängt, wobei ein Teil dieser Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde.

3 Der Revisionswerber befand sich bis 29. Oktober 2015 in Strafhaft. Mit Bescheid vom selben Tag erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein dreijähriges Aufenthaltsverbot. Im Zuge einer vorangegangenen Einvernahme hatte der Revisionswerber erklärt, Österreich freiwillig verlassen zu wollen.

4 Am 6. Juli 2016 wurde der Revisionswerber in 1160 Wien aufgegriffen. Schon dabei gab er an, am 4. Juli 2016 von Deutschland aus nach Österreich eingereist zu sein. Bei seiner nachfolgenden Einvernahme durch das BFA wiederholte er, "vor zwei Tagen" aus Deutschland eingereist zu sein; er habe dort seine Papiere verloren und hätte ungeachtet dessen "heute um 17:00 Uhr" (6. Juli 2016) mit dem Autobus nach Kroatien fahren wollen. In Wien habe er bei seinem namentlich genannten Cousin an einer näher angeführten Adresse genächtigt.

5 Mit dem dann ergangenen Bescheid vom 6. Juli 2016 verhängte das BFA über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung. In der dagegen erhobenen Beschwerde verwies der Revisionswerber neuerlich darauf, sich lediglich "auf der Durchreise" für zwei Tage in Österreich aufgehalten und bei seinem Cousin genächtigt zu haben; am Tage seiner Festnahme habe er mit einem Bus nach Kroatien reisen wollen.

6 Zum Beweis dieses Vorbringens beantragte der Revisionswerber seine Einvernahme sowie die zeugenschaftliche Einvernahme seines Cousins. Bei diesem könne er im Übrigen jederzeit bis zu seiner möglichen Ausreise Unterkunft nehmen, weshalb jedenfalls mit dem gelinderen Mittel "einer periodischen Meldeverpflichtung" das Auslangen zu finden wäre. Im Rahmen einer - ausdrücklich beantragten - Beschwerdeverhandlung könne sich das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) von der Kooperationsbereitschaft des Revisionswerbers überzeugen.

7 Mit Erkenntnis vom 21. Juli 2016 wies das BVwG die Schubhaftbeschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab. Außerdem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Entscheidungszeitpunkt vorlägen, wies den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz ab und sprach dem Bund Aufwandersatz zu. Eine Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

8 Das BVwG stellte insbesondere fest, dass der Revisionswerber illegal ins Bundesgebiet eingereist sei; er sei trotz aufrechtem Aufenthaltsverbot in Österreich "untergetaucht bzw. wieder eingereist". Außerdem verfüge er nicht über ausreichende eigene existenzsichernde Mittel, über keine Identitätsdokumente und über keinen gesicherten Wohnsitz; er gehe keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und habe keine nennenswerten sozialen Kontakte im Inland. Vor diesem Hintergrund sei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vom Vorliegen erheblicher Fluchtgefahr im Sinne von § 76 Abs. 2 iVm Abs. 3 FPG - konkret seien die Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z 2 und 3 sowie Z 9 FPG erfüllt - auszugehen. Die Schubhaft erweise sich zudem als verhältnismäßig. Mit einem gelinderen Mittel könne nicht das Auslangen gefunden werden, weil es auf Grund der erheblichen Fluchtgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit keine ausreichende Sicherstellung der nahenden Abschiebung bedeuten würde. Im Hinblick auf den hinreichend geklärten Sachverhalt habe von der Abhaltung der beantragten Beschwerdeverhandlung Abstand genommen werden können.

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision, zu der das BFA eine Revisionsbeantwortung erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

10 Mit dem insoweit am 20. Juli 2015 in Kraft getretenen FrÄG 2015 wurde die zentrale Schubhaftnorm des FPG, § 76, neu gefasst. Auf die dadurch bewirkten Änderungen der Rechtslage, auf die auch die Revision nicht Bezug nimmt, braucht hier jedoch nicht weiter eingegangen zu werden. Festzuhalten ist aber, dass schon im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben weiterhin gilt, dass Schubhaft stets nur "ultima ratio" sein darf, und dass ihre Verhängung zu unterbleiben hat, wenn das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann (so die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Vorgängerregelung, vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Februar 2015, Ro 2014/21/0075, und vom 19. Mai 2015, Ro 2015/21/0008).

11 Vor diesem Hintergrund hätte sich das BVwG mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, er sei - wenngleich entgegen dem aufrechten Aufenthaltsverbot - erst zwei Tage vor seiner Festnahme (am 4. Juli 2016) nach Österreich eingereist, er habe sich "auf der Durchreise" befunden und hätte noch am 6. Juli 2016 nach Kroatien weiterreisen wollen, näher auseinandersetzen müssen. Träfe dieses Vorbringen zu, so hätte nämlich nicht ohne weiteres damit gerechnet werden dürfen, der Revisionswerber werde die für die Beschaffung der für seine legale Ausreise notwendigen Ersatzreisedokumente notwendige Zeit dafür nutzen, im Bundesgebiet unterzutauchen bzw. sich seiner geplanten Abschiebung nach Kroatien zu entziehen, sodass "Fluchtgefahr" (§ 76 Abs. 3 FPG) vorliege. Das gilt jedenfalls dann, wenn ihm eine Bleibemöglichkeit zur Verfügung stand. Auch das hat der Revisionswerber behauptet, indem er vorbrachte, bei seinem namentlich genannten Cousin vorderhand Unterkunft nehmen zu können. Damit hat sich das BVwG ebenfalls nicht auseinander gesetzt.

12 In Anbetracht des dargestellten Vorbringens des Revisionswerbers kann auch - entgegen der Ansicht des BVwG - nicht gesagt werden, es liege ein hinreichend geklärter Sachverhalt vor, sodass von der Abhaltung der beantragten Beschwerdeverhandlung (gemeint: nach § 21 Abs. 7 BFA-VG) Abstand genommen werden dürfe. Im Übrigen trifft es zu, dass es in einem Fall wie dem vorliegenden der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bedurft hätte, um die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Revisionswerbers beurteilen und um abschätzen zu können, ob allenfalls mit der Anordnung eines gelinderen Mittels das Auslangen gefunden werden könne.

13 Zusammenfassend ist das angefochtene Erkenntnis daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

14 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Oktober 2016

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