VwGH Ro 2016/04/0003

VwGHRo 2016/04/000320.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision der K GmbH in A, vertreten durch Dr. Christian Lind, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Domgasse 2, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 10. August 2015, Zl. LVwG-AV-843/001-2015, betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung (belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §3 Z2;
AVG §3;
B-VG Art136 Abs2;
GewO 1994 §339 Abs1;
GewO 1994 §339 Abs2;
GewO 1994 §365a Abs1 Z6;
GewO 1994 §365b Abs1 Z3;
GewO 1994 §365e;
GewO 1994 §46 Abs2 Z2;
GewO 1994 §87;
GewO 1994;
VwGVG 2014 §3 Abs1;
VwGVG 2014 §3 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §3 Abs2;
VwGVG 2014 §3;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

Vorgeschichte

1 Zur Vorgeschichte wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das

hg. Erkenntnis vom 13. November 2013, 2013/04/0124, verwiesen.

Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid des

Landeshauptmannes von Wien vom 14. April 2010, mit dem die Berufung der Revisionswerberin gegen die (mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 13. November 2008 erfolgte) Entziehung ihrer Gewerberechtigung "Immobilienverwalter" gemäß § 87 Abs. 1 Z 4a iVm § 376 Z 16a GewO 1994 als verspätet zurückgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Der Landeshauptmann von Wien hatte den angefochtenen Bescheid auf § 365l GewO 1994 (über die Erlassung von Bescheiden an Empfänger unbekannten Aufenthalts) gestützt, welcher auf Grund einer Anfechtung durch den Verwaltungsgerichtshof vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Erkenntnis vom 24. September 2013, G 103/2012, aufgehoben worden war.

2 Im fortgesetzten Verfahren wurde die nunmehr als Beschwerde zu behandelnde Berufung vom Landeshauptmann von Wien zuständigkeitshalber dem Verwaltungsgericht Wien weitergeleitet.

3 Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 24. Juli 2015 wurde die Beschwerde der Revisionswerberin gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 AVG zuständigkeitshalber an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich weitergeleitet, da der Sitz der Revisionswerberin von Wien nach Niederösterreich und die Geschäftsanschrift von 1010 Wien nach 3033 Altlengbach verlegt worden war.

Angefochtener Beschluss

4 Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 10. August 2015 wurde die als Beschwerde zu behandelnde Berufung der Revisionswerberin gegen den (erstinstanzlichen) Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 13. November 2008 betreffend die Entziehung der Gewerbeberechtigung "Immobilienverwalter" im Standort Wien, gemäß § 28 iVm § 31 VwGVG wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen (1.) und die Revision gegen diesen Beschluss für zulässig erklärt (2.).

5 Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich im Wesentlichen aus, auf Grund der Weiterleitung des Verwaltungsgerichtes Wien sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf den hg. Beschluss vom 18. Februar 2015, Ko 2015/03/0001) ein förmlicher Beschluss zu erlassen.

6 Gemäß § 361 Abs. 1 GewO 1994 sei zur Entziehung der Gewerbeberechtigung die Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Sprengel der Standort liege, zuständig. Mit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides werde aber nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Zuständigkeit der Berufungsbehörde fixiert. Nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen in für die Zuständigkeit der Erstbehörde relevanten Umständen vermögen an der einmal gegebenen funktionellen Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde nichts mehr zu ändern (Verweis u.a. auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2001, 2000/04/0202).

7 Dass sich durch die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit an dieser Rechtsprechung etwas geändert habe, sei mit Blick auf § 3 VwGVG nicht erkennbar. Insbesondere sei darauf hinzuweisen, dass auch die Entstehungsgeschichte des § 3 VwGVG für eine Beibehaltung der bisherigen Rechtslage spreche. Ein Abweichen von der genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei zudem geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken hervorzurufen. Darüber hinaus sei hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bei Bescheidbeschwerden nach Art. 130 Abs. 1 B-VG der Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung zugrundezulegen.

8 Zusammenfassend sei das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich daher der Auffassung, dass weiterhin das Verwaltungsgericht Wien sowohl sachlich als auch örtlich zuständig sei.

9 Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision wurde damit begründet, dass seit Bestehen der Verwaltungsgerichte noch keine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der örtlichen Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte in einem Fall wie dem vorliegenden getroffen worden sei.

Revision

10 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens und mit der Mitteilung vorgelegt wurde, dass von der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.

11 In der Revision wird darauf hingewiesen, dass sich der Sitz der Revisionswerberin seit 8. Jänner 2013 in Niederösterreich, A, befinde. Die Tätigkeit bzw. der Betrieb des Unternehmens solle in Niederösterreich ausgeübt werden und werde dies auch, sodass allein aus verfahrensökonomischen Gründen eine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich zu bejahen sei. Eine solche örtliche Zuständigkeit sei auch gemäß § 2 Z 2 AVG offenkundig gegeben. Einziger Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit sei auf Grund der Nichtausübung des Gewerbes der Revisionswerberin deren Unternehmenssitz in Niederösterreich. Bis dato liege in einer derartigen Konstellation keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf § 3 VwGVG vor.

II.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Grundsätzlich

12 In der vorliegenden Rechtssache stellt sich die grundsätzliche Rechtsfrage der örtlichen Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte bei einer Beschwerde gegen die Entziehung einer Gewerbeberechtigung, wenn sich der örtliche Anknüpfungspunkt (Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird oder werden soll) nach dem Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides geändert hat.

13 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt. Rechtslage

14 Zunächst ist festzuhalten, dass die Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) keine abweichende Regelung über die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte enthält (vgl. zu dieser nach Art. 136 Abs. 2 B-VG bestehenden Möglichkeit das hg. Erkenntnis vom 29. Oktober 2015, Ro 2015/07/0017).

Daher ist für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit § 3 VwGVG maßgeblich.

15 § 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013 (VwGVG), lautet auszugsweise:

"Örtliche Zuständigkeit

§ 3. (1) Sofern die Rechtssache nicht zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes gehört, ist in Rechtssachen in den Angelegenheiten, in denen die Vollziehung Landessache ist, das Verwaltungsgericht im Land zuständig.

(2) Im Übrigen richtet sich die örtliche Zuständigkeit in Rechtssachen, die nicht zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes gehören,

1. in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 und 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, nach § 3 Z 1, 2 und 3 mit Ausnahme des letzten Halbsatzes des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, in Verwaltungsstrafsachen jedoch nach dem Sitz der Behörde, die den Bescheid erlassen bzw. nicht erlassen hat;

…"

16 § 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51 in der Fassung BGBl. I Nr. 100/2011 (AVG), lautet:

"§ 3. Soweit die in § 1 erwähnten Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nichts bestimmen, richtet sich diese

1. in Sachen, die sich auf ein unbewegliches Gut beziehen: nach der Lage des Gutes;

2. in Sachen, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer sonstigen dauernden Tätigkeit beziehen: nach dem Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird oder werden soll;

3. in sonstigen Sachen: zunächst nach dem Hauptwohnsitz (Sitz) des Beteiligten, und zwar im Zweifelsfall des belangten oder verpflichteten Teiles, dann nach seinem Aufenthalt, dann nach seinem letzten Hauptwohnsitz (Sitz) im Inland, schließlich nach seinem letzten Aufenthalt im Inland, wenn aber keiner dieser Zuständigkeitsgründe in Betracht kommen kann oder Gefahr im Verzug ist, nach dem Anlaß zum Einschreiten; kann jedoch auch danach die Zuständigkeit nicht bestimmt werden, so ist die sachlich in Betracht kommende oberste Behörde zuständig."

Zu dem für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes maßgeblichen Zeitpunkt

17 Wie der Verwaltungsgerichtshof (zur Rechtslage vor Einführung der Verwaltungsgerichte) in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, ist, weil es im Verwaltungsverfahren - anders als nach § 29 JN für das zivilgerichtliche Verfahren - keine perpetuatio fori gibt, auch auf nach Anhängigwerden einer Verwaltungssache bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eintretende Änderungen in den für die Zuständigkeit maßgebenden Umständen Bedacht zu nehmen und das Verfahren von der danach zuständig gewordenen Behörde weiter zu führen. Mit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides aber ist die Zuständigkeit der Berufungsbehörde fixiert; nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen in für die Zuständigkeit der Erstbehörde relevanten Umständen vermögen an der einmal gegebenen funktionellen Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde nichts mehr zu ändern (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 28. August 2012, 2012/21/0092, mwN; vgl. zur Entziehung der Gewerbeberechtigung das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2001, 2000/04/0202, mwN).

18 Auf diese Rechtsprechung verweist das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich und ist der Auffassung, § 3 VwGVG habe an dieser Rechtsprechung nichts geändert.

Diese Auffassung besteht aus folgenden Gründen zu Recht:

19 § 3 Abs. 2 VwGVG - ein Fall der Landesvollziehung nach § 3 Abs. 1 VwGVG liegt nicht vor - regelt die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte; darin wird auf § 3 Z 1, 2 und 3 AVG verwiesen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juli 2015, Ro 2014/22/0028). Bei der Prüfung, welches Landesverwaltungsgericht zur Entscheidung über eine Beschwerde zuständig ist, ist somit auf § 3 AVG zurückzugreifen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Oktober 2015, Ro 2015/07/0017).

20 Nach § 3 Abs. 2 Z 1 VwGVG gilt § 3 AVG (für die Verwaltungsgerichte) anders als bisher (betreffend die Zuständigkeit der Berufungsbehörden) nicht subsidiär (vgl. Thalhammer, Das Verfahren vor den Landesverwaltungsgerichten - interessante Neuerungen im Vergleich zum Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, in:

Bußjäger/Gamper/Ranacher/Sonntag, (Hrsg), Die neuen Landesverwaltungsgerichte (2013), 172). Es wird vielmehr direkt - mit Ausnahme der Verwaltungsstrafsachen - auf die örtlichen Anknüpfungspunkte des § 3 Z 1, 2 und 3 (mit Ausnahme des letzten Halbsatzes) AVG verwiesen.

21 Der Wortlaut des § 3 Abs. 2 VwGVG enthält jedoch keine Aussage darüber, zu welchem Zeitpunkt (und damit auf Grund welcher Sachlage) diese Anknüpfungspunkte des § 3 AVG bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte zu prüfen sind.

22 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich beruft sich für seine Auffassung auf die Entstehungsgeschichte des § 3 VwGVG. Diese ist folgende (vgl. auch Eder/Martschin/Schmid, das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte (2013) K1 zu § 3 VwGVG, 28):

In der Regierungsvorlage des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetzes 2013, BGBl. I Nr. 33/2013, wurde als Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte bei Bescheidbeschwerden in § 3 Abs. 2 VwGVG grundsätzlich auf den Sitz der Behörde abgestellt. Die Erläuterungen zu § 3 VwGVG führen dazu wie folgt aus (RV 2009 BlgNR 24. GP , 3):

"Während sich die sachliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte unmittelbar aus Art. 131 B-VG und aus den auf Grund dieser Bestimmung erlassenen Bundes- und Landesgesetzen ergibt, bestehen keine verfassungsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte. Der vorgeschlagene § 3 regelt diese örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte und stellt dabei als Anknüpfungspunkt grundsätzlich auf den Sitz der Behörde ab, gegen deren rechtliches Handeln bzw. wegen deren Untätigkeit Beschwerde erhoben wird. Zuständigkeitskonkurrenzen zwischen den Verwaltungsgerichten werden so vermieden."

Diese Regelung wurde im Ausschuss dahingehend abgeändert, als die örtliche Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte mit einem Verweis auf § 3 AVG bestimmt wurde. Zu dieser Änderung führt der Ausschussbericht wie folgt aus (AB 2112 BlgNR 24. GP , 2):

"Eine Anknüpfung der Zuständigkeit der (Landes‑)Verwaltungsgerichte an den Sitz der Behörde, die einen Bescheid erlassen bzw. nicht erlassen hat, würde in jenen Fällen, in denen ein Bundesminister bescheiderlassende Behörde ist, immer zu einer Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes im Land Wien führen. Es erscheint jedoch zweckmäßiger, die bewährte Regelung des § 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, zu übernehmen."

Mit der Novellierung des VwGVG, BGBl. I Nr. 122/2013, wurde die Regelung des § 3 Abs. 2 VwGVG geändert, indem in Verwaltungsstrafsachen wiederum auf den Sitz der Behörde abgestellt wurde. Der Ausschussbericht (AB 2382 BlgNR 24. GP ) verweist auf den Initiativantrag 2294/A, der zu dieser Änderung ausführt:

"Durch die vorgeschlagene Neufassung des § 3 soll einem Wunsch der Länder entsprochen werden."

23 Ursprünglich war nach dieser Entstehungsgeschichte für Bescheidbeschwerden grundsätzlich der Sitz der Behörde, "gegen deren rechtliches Handeln" Beschwerde erhoben wird, als örtlicher Anknüpfungspunkt vorgesehen. Dies macht deutlich, dass die Regierungsvorlage von Beginn an den Beschwerdegegenstand nach Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG als Ausgangspunkt der Zuständigkeitsverteilung vor Augen hatte (RV 2009 BlgNR 24. GP , 3).

24 Im Ausschuss wurde der Sitz der Behörde durch den Verweis auf § 3 AVG ersetzt. Wie die Erläuterungen zeigen, war Grund für diese Änderung, dass der Sitz der Behörde "in jenen Fällen, in denen ein Bundesminister bescheiderlassende Behörde ist, immer zu einer Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes im Land Wien führen" würde, was unzweckmäßig erschien. Daher wurde "die bewährte Regelung" des § 3 AVG übernommen (AB 2112 BlgNR 24. GP , 2).

"Bewährte Regelung" kann so verstanden werden, dass der Gesetzgeber, um das aufgezeigte Problem zu lösen, auf die Zuständigkeitsregeln des § 3 AVG, wie sie bisher im Verwaltungsverfahren für erstinstanzliche Behörden als auch für Berufungsbehörden bestanden hatten, übernehmen wollte. Umfasst von diesem Verständnis ist aber auch die oben angeführte ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Zuständigkeit der Berufungsbehörde mit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides fixiert war.

Dass vom Beschwerdegegenstand nach Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG als Ausgangspunkt der örtlichen Zuständigkeitsverteilung abgegangen werden sollte, lässt sich den Erläuterungen nicht entnehmen und hat auch wie oben aufgezeigt keinen Eingang in den geänderten Wortlaut des § 3 Abs. 2 VwGVG gefunden.

25 In der Folge wurde mit der Novelle BGBl. I Nr. 122/2013 von dieser allgemeinen Regelung eine Ausnahme für Verwaltungsstrafsachen geschaffen und in diesem Umfang wieder auf den Sitz der Behörde abgestellt. Diese Änderung wurde mit "einem Wunsch der Länder" begründet (AB 2382 BlgNR 24. GP ).

26 Ausgehend von dieser Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 2 VwGVG ist der Wille des Gesetzgebers, der beim vorliegenden Wortlaut im Wege einer Auslegung berücksichtigt werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. September 2015, Ro 2015/04/0017), klar erkennbar:

Um zu vermeiden, dass die Erlassung von Bescheiden durch Bundesminister generell ("immer") zu einer Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien führen würde, wurde auf die örtlichen Anknüpfungspunkte des § 3 AVG verwiesen. Je nachdem, welcher örtliche Anknüpfungspunkt auf Grund des angefochtenen Bescheides eines Bundesministers zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides maßgeblich ist, kann nunmehr das jeweils zuständige Landesverwaltungsgericht im Bundesgebiet bestimmt werden. Die Notwendigkeit, die Zuständigkeit nach dem Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides "dynamisch fortzuschreiben", ist diesem aus den Materialien erkennbaren Verständnis der Zuständigkeitsverteilung nicht zu entnehmen.

Im Gegenteil kann der Verweis des Ausschusses auf die "bewährte Regelung" des § 3 AVG wie bereits dargelegt so verstanden werden, dass der Gesetzgeber, um das aufgezeigte Problem zu lösen, auf die Zuständigkeitsregeln des § 3 AVG, wie sie bisher im Verwaltungsverfahren für erstinstanzliche Behörden als auch für Berufungsbehörden bestanden hatten, zurückgreifen wollte. Von diesem Verständnis ist damit auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Fixierung der Zuständigkeit der Berufungsbehörde umfasst.

Gegen dieses Verständnis spricht auch nicht die mit der Novelle BGBl. I Nr. 122/2013 vorgenommene Änderung des § 3 Abs. 2 VwGVG. Vielmehr wurde mit dieser Änderung die bewährte Regelung des § 51 Abs. 1 VStG übernommen, nach der im Verwaltungsstrafverfahren den Parteien das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zugestanden ist, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat. Dies ist auch vor dem Hintergrund erklärlich, dass die Verwaltungsgerichte insofern an die Stelle der unabhängigen Verwaltungssenate getreten sind (vgl. den hg. Beschluss vom 9. September 2014, Ra 2014/17/0019, mwN und mit Verweis auf Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG).

27 Dass der Beschwerdegegenstand nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG für die Ermittlung der örtlichen Anknüpfungspunkte nach § 3 AVG maßgeblich ist, zeigt im Übrigen in systematischer Sichtweise des Verfahrens vor den Landesverwaltungsgerichten auch die Stellung der belangten Behörde nach § 9 Abs. 2 Z 1 und § 18 VwGVG als Partei. Der Verwaltungsgerichtshof hat im hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2016, Ra 2015/09/0125, auf die vor den Verwaltungsgerichten grundsätzlich geltende Befugnis aller Parteien des Verfahrens hingewiesen, sowohl ein neues Tatsachenvorbringen als auch ergänzende Beweisanbote zu erstatten und neue rechtliche Argumente vorzutragen. Aus § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ergibt sich, dass in einem Verfahren, welches die Beschwerde gegen einen verwaltungsbehördlichen Bescheid zum Gegenstand hat, jene Behörde, die diesen Bescheid erlassen hat, belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht ist (vgl. den hg. Beschluss vom 27. November 2014, Ra 2014/03/0039). Alleine der bescheiderlassenden Behörde kommen daher die genannten Mitwirkungsmöglichkeiten im weiteren Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu. Ihre Parteistellung und die damit zusammenhängende Mitwirkung am weiteren Verfahren werden dagegen durch § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG mit der Erlassung des angefochtenen Bescheides fixiert.

28 Diese Sichtweise des § 3 Abs. 2 VwGVG lässt sich auch dem hg. Erkenntnis Ro 2015/07/0017 entnehmen, in dem der Verwaltungsgerichtshof vom Inhalt des Bescheides der belangten Behörde ausgegangen ist (II. 3.4. und 3.5.).

29 Somit kann die bisherige ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Zuständigkeit der Berufungsbehörde mit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides fixiert ist und nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen in für die Zuständigkeit der Erstbehörde relevanten Umständen nichts mehr an der einmal gegebenen Zuständigkeit zu ändern vermögen (vgl. nochmals hg. Erkenntnis vom 28. August 2012, 2012/21/0092, mwN) auf § 3 Abs. 2 VwGVG übertragen werden.

30 Damit bestimmt sich somit die örtliche Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes gemäß § 3 Abs. 2 VwGVG nach den örtlichen Anknüpfungspunkten des verwiesenen § 3 AVG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides. Nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen in den für die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes relevanten örtlichen Anknüpfungspunkten vermögen an der einmal gegebenen Zuständigkeit nichts mehr zu ändern.

31 Somit stellen sich auch nicht die von Thalhammer, aaO, aufgezeigten Probleme einer Änderung der örtlichen Anknüpfungspunkte nach Erlassung des angefochtenen Bescheides. Örtlicher Anknüpfungspunkt bei der Entziehung der Gewerbeberechtigung

32 Die Entziehung der Gewerbeberechtigung erfolgt nicht in einem Verwaltungsstrafverfahren. Daher bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 VwGVG nach § 3 Z 2 AVG entsprechend dem Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird oder werden soll.

33 Im Erkenntnis vom 26. Juni 2001, 2000/04/0202, hat der Verwaltungsgerichtshof betreffend die Entziehung der Gewerbeberechtigung festgehalten, dass der Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird, im gewerberechtlichen Zusammenhang der Standort der Gewerbeberechtigung ist. So ist nach dieser Rechtsprechung gemäß § 3 Z 2 AVG jene Bezirksverwaltungsbehörde zur Entziehung der Gewerbeberechtigung zuständig, in deren Sprengel der Standort (der Gewerbeberechtigung) liegt.

34 Für den Standort der Gewerbeberechtigung als örtlichen Anknüpfungspunkt sprechen insbesondere § 339 Abs. 1 und 2 GewO 1994, wonach die Gewerbeanmeldung bei der Bezirksverwaltungsbehörde des Standortes zu erstatten ist und in der Anmeldung der für die Ausübung in Aussicht genommene Standort anzugeben ist, sowie § 46 GewO 1994, wonach die Verlegung des Betriebes eines Gewerbes in einen anderen Standort der Gewerbebehörde anzuzeigen ist (§ 46 Abs. 2 Z 2). Der Standort der Gewerbeberechtigung ist in das Gewerberegister einzutragen (§ 365a Abs. 1 Z 6 bzw. § 365b Abs. 1 Z 3 GewO 1994). Über dieses Datum hat die Bezirksverwaltungsbehörde Auskunft zu erteilen (§ 365e GewO 1994).

35 Örtlicher Anknüpfungspunkt nach § 3 Z 2 AVG ist somit nach den angeführten Bestimmungen der GewO 1994 der jeweilige Standort der Gewerbeberechtigung.

36 Dagegen kommt es für den örtlichen Anknüpfungspunkt nach § 3 Z 2 AVG nicht - wie von der Revisionswerberin und vom Verwaltungsgericht Wien angenommen - auf den Sitz des Unternehmens oder die tatsächliche Betriebsführung an.

37 Ausschlaggebend ist alleine der der Gewerbebehörde (gemäß § 339 Abs. 2 GewO 1994) angemeldete bzw. (gemäß § 46 GewO 1994) angezeigte Standort der jeweiligen Gewerbeberechtigung wie er auch im Gewerberegister eingetragen ist.

Ergebnis

38 Die örtliche Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes gemäß § 3 Abs. 2 VwGVG bestimmt sich nach den örtlichen Anknüpfungspunkten des § 3 AVG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides.

39 Im Hinblick auf die Entziehung der Gewerbeberechtigung ist dies der Standort der jeweiligen Gewerbeberechtigung.

40 Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der Standort der Gewerbeberechtigung zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides des Magistrates der Stadt Wien im Jahr 2008 in Wien war.

41 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat daher die Beschwerde der Revisionswerberin gegen diesen Bescheid zu Recht wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen (grundsätzlich zur Zurückweisung wegen Unzuständigkeit mit Beschluss vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2015, Ra 2015/04/0035).

42 Die Revision gegen diesen Beschluss war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 20. April 2016

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