Normen
ASVG §10;
ASVG §11;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §539;
ASVG §539a;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017080099.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit den angefochtenen Erkenntnissen sprach das Bundesverwaltungsgericht - in Bestätigung bzw. in teilweiser Abänderung der bekämpften Bescheide der Vorarlberger Gebietskrankenkasse bzw. hinsichtlich des Drittmitbeteiligten aufgrund einer Säumnisbeschwerde der revisionswerbenden Partei wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Vorarlberger Gebietskrankenkasse - aus, dass die erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien auf Grund ihrer Tätigkeit für die revisionswerbende Partei als Dienstgeberin in näher bezeichneten Zeiträumen bzw. an näher genannten Tagen in den Jahren 2007 bis 2017 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG der Pflichtversicherung in der Kranken- , Unfall-, und Pensionsversicherung bzw. gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Arbeitslosenversicherung unterlegen seien.
5 Die erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien seien für die revisionswerbende Partei als sogenannte "Schlafberater" tätig gewesen. Bei dieser Tätigkeit seien von ihnen aufgrund von als "Handelsvertreterverträge" bezeichneten Vereinbarungen die Produkte der revisionswerbenden Partei - nämlich orthopädische Schlafsysteme, wie insbesondere spezielle Matratzen - gegen Provision vertrieben worden. Die revisionswerbende Partei habe den erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien Kundentermine (Verkaufsveranstaltungen) zur Durchführung zugeteilt. In rechtlicher Hinsicht bejahte das Bundesverwaltungsgericht - aufgrund detaillierter Feststellungen - eine persönliche Arbeitspflicht und - insbesondere in Hinblick auf bestehende genaue Vorgaben hinsichtlich der Durchführung der Verkaufsveranstaltungen, die dazu durchgeführten Kontrollen durch die revisionswerbende Partei, Berichtspflichten der erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien, Verpflichtungen der erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien zur Teilnahme an Besprechungen sowie zur Meldung von Urlauben, Krankheiten und sonstigen Verhinderungen und die Einteilung der mitbeteiligten Partei durch die revisionswerbende Partei zu nach Zeit, Ort und Ablauf genau vorgegebenen Verkaufsveranstaltungen - eine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit der erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG. Es habe grundsätzlich eine periodische Leistungspflicht der mitbeteiligten Parteien (Schlafberater) und eine korrespondierende Verpflichtung der revisionswerbenden Partei zur regelmäßigen Zuteilung von Verkaufsveranstaltungen bestanden, sodass durchgehende Beschäftigungen vorgelegen seien. Aufgrund von Sondervereinbarungen seien jedoch beim Sechstmitbeteiligten und beim Viertmitbeteiligten sowie ab dem Jahr 2016 beim Drittmitbeteiligten konkrete Arbeitsverpflichtungen erst durch ihre Bestätigungen der Durchführung von Verkaufsveranstaltungen entstanden, sodass insoweit lediglich tageweise Beschäftigungsverhältnisse festzustellen gewesen seien.
6 Das Bundesverwaltungsgericht sprach jeweils aus, dass Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig seien. Die revisionswerbende Partei erblickt entgegen diesem Ausspruch eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn der genannten Verfassungsbestimmung zunächst darin, dass die angefochtenen Erkenntnisse von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen eines "sanktionslosen Ablehnungsrechtes" abwichen.
7 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und damit eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses stets die persönliche Arbeitspflicht ist. Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht vor. Persönliche Arbeitspflicht ist (unter anderem) dann nicht gegeben, wenn demjenigen, dessen Leistungserbringung zu beurteilen ist, eine generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt ist oder wenn ein Beschäftigter die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann (vgl. etwa VwGH 24.11.2016, Ra 2016/08/0011, mwN). Ein "sanktionsloses Ablehnungsrecht" in diesem Sinn liegt vor, wenn es dem Beschäftigten offen steht, die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos abzulehnen. Der Empfänger der Dienstleistungen kann unter solchen Umständen nicht darauf bauen und entsprechend disponieren, dass dieser Beschäftigte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen vereinbarungsgemäß zur Verfügung steht. Die bloße Befugnis eines Erwerbstätigen, ihm angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auszuschlagen, berührt die persönliche Arbeitspflicht in keiner Weise, mag diese Befugnis auch als "sanktionsloses Ablehnungsrecht" (in einem weiteren Sinn) bezeichnet werden. Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen (vgl. etwa VwGH 15.10.2015, 2013/08/0175; 14.10.2015, 2013/08/0226, mwN). Selbst eine ausdrücklich vereinbarte Befugnis des Beschäftigten, bereits zugesagte Arbeitseinsätze jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu können, stünde ebenfalls im Verdacht, ein "Scheingeschäft" zu sein, wenn eine solche Vereinbarung mit den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl. §§ 539 und 539a ASVG). Anders wäre ein Sachverhalt aber z. B. dann zu beurteilen, wenn der Dienstgeber einfache Aushilfsarbeiten derart organisiert, dass für deren Durchführung jederzeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen ("präsenter Arbeitskräftepool"), und es ihm - nicht zuletzt wegen der Einfachheit der Arbeiten - gleichgültig ist, von welcher - gleichwertigen - Arbeitskraft aus dem potenziell zur Verfügung stehenden Kreis er die Arbeiten verrichten lässt. Steht dem Dienstgeber die Möglichkeit offen, im Falle der (jederzeit möglichen) Absage der von ihm in Aussicht genommenen Person aus dem "Pool" sofort die jeweils nächste Arbeitskraft abzurufen und stehen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, dann könnte der einzelne Teilnehmer am "Pool", mit dem dies vereinbart wurde oder dem dies bekannt ist, tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Vereinbarten davon ausgehen, einzelne Arbeitsleistungen jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu dürfen (vgl. VwGH 1.10.2015, Ro 2015/08/0020; 26.08.2014, 2012/08/0100).
8 Von dieser Rechtsprechung ist das Bundesverwaltungsgericht nicht abgewichen. Nach seinen Feststellungen wurden den erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien von der revisionswerbenden Partei Termine für Verkaufsveranstaltungen mit Kunden - in der Regel für denselben Tag - zugeteilt und waren die erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien zur Durchführung der Verkaufsveranstaltungen - jedenfalls nach Bestätigung des Termins durch sie - verpflichtet. Die erstmals im Jahr 2016 in die Verträge der erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien aufgenommene Befugnis, "angenommene Termine" durch "Rücksprache mit den Kunden" abzusagen bzw. zu verlegen, sei nicht gelebt worden und im Widerspruch zu den (näher dargestellten) organisatorischen Erfordernissen des Betriebs der revisionswerbenden Partei gestanden. Soweit die revisionswerbende Partei vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe "übersehen", dass es den erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien offen gestanden sei, Aufträge (Kundentermine) selbst nach deren Annahme nicht wahrzunehmen, entfernt sie sich somit vom festgestellten Sachverhalt, der den Ausgangspunkt der Prüfung darstellt, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt (vgl. etwa VwGH 25.5.2016, Ra 2016/06/0059, mwN).
9 Von der Frage, ob eine Person in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt gemäß § 4 Abs. 2 ASVG beschäftigt war und ob insbesondere ein die persönliche Arbeitspflicht und damit die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG ausschließendes "sanktionsloses Ablehnungsrecht" im Sinn der dargestellten Rechtsprechung bestanden hat, ist die Frage zu trennen, ob durchgehende oder nur tageweise bzw. nach einer Unterbrechung wieder aufgenommene Beschäftigungen vorgelegen sind. Beginn und Ende der Pflichtversicherung nach dem ASVG sind nämlich in der Regel von der Ausübung der zugrundeliegenden Beschäftigung abhängig (vgl. dazu näher etwa VwGH 25.5.2016, Ro 2014/08/0045). Dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes diesbezüglich unrichtig erfolgt wäre, wird in den Revisionen nicht behauptet.
10 Die Entscheidung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG ist im Übrigen das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Gesamtabwägung der maßgeblich für bzw. gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechenden Umstände und Merkmale. Wurde diese auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen, so ist eine solche einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht revisibel. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht diese Gesamtabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 9.11.2017, Ra 2017/08/0115, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat sich auch bereits wiederholt mit der Abgrenzung der selbstständigen (Handels‑)Vertreter von den in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit von einem Dienstgeber im Sinn des § 4 Abs. 2 tätigen Vertretern ("angestellten Vertretern", "angestellten Provisionsvertretern") bzw. damit, welchen Merkmalen der Tätigkeit in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zuzumessen ist, beschäftigt (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VwGH 22.2.2012, 2009/08/0075; 2.4.2008, 2005/08/0197). In den Revisionen wird nicht aufgezeigt, dass das Bundesverwaltungsgericht von dieser Rechtsprechung abgewichen wäre bzw. die zum Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG vorzunehmende Gesamtabwägung in den vorliegenden Fällen unvertretbar erfolgt wäre.
11 In ihrem unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revisionen erstatteten Vorbringen macht die revisionswerbende Partei in diesem Zusammenhang geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe bei seiner Beurteilung, wonach die erst- bis neuntmitbeteiligten Parteien in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit tätig gewesen seien, außer Acht gelassen, dass die mitbeteiligten Parteien Handelsvertreter gewesen seien, auf die das Handelsvertretergesetz (HVertrG) zur Anwendung gekommen sei. Entgegen der Annahme der Revisionen kommt es jedoch nicht auf die Bezeichnung des Vertrages - hier als "Handelsvertretervertrag" -, sondern auf den wahren wirtschaftlichen Gehalt an (vgl. VwGH 16.5.2017, Ra 2017/08/0047; 29.4.2015, 2013/08/0196; 25.4.2007, 2005/08/0084). Ausgehend davon, dass die erst- neuntmitbeteiligten Parteien nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes als Dienstnehmer und nicht als selbständige Handelsvertreter, auf die das HVertrG nach dessen § 1 anzuwenden wäre, tätig geworden sind, lässt sich aus dem Hinweis der revisionswerbenden Partei auf das HVertrG für ihren Standpunkt somit nichts gewinnen.
12 In den Revisionen wird weiters vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der "besonders einschlägigen Rechtsprechung" des Verwaltungsgerichtshofes - "insbesondere VwGH 2007/08/0153, 2012/08/0163, 2015/08/0020" - abgewichen. Eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird aber nicht schon durch die pauschale Behauptung des Abweichens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgezeigt. Auch mit dem Zitat einer vermeintlich im Widerspruch stehenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes wird noch keine konkrete Rechtsfrage dargestellt, wenn das Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision nicht auch konkret ausführt, inwiefern das angefochtene Erkenntnis einen dieser Entscheidung widersprechenden Inhalt aufweist (vgl. VwGH 7.9.2017, Ra 2017/17/0482, mwN).
13 Die revisionswerbende Partei wendet sich in ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revisionen weiters gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge in diesem Zusammenhang aber nur vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall erforderliche Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 13.6.2017, Ra 2017/08/0056). Eine solche Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung vermögen die Revisionen jedoch nicht aufzuzeigen.
14 Den Revisionen gelingt es somit nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuwerfen. Sie waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 11. April 2018
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