OGH 9ObA77/10d

OGH9ObA77/10d29.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Wolfgang Birbamer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat V***** in Oberösterreich, *****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei V***** in Oberösterreich, *****, vertreten durch Dr. Hawel, Dr. Eypeltauer, Dr. Prammer, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert 21.800 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. April 2010, GZ 11 Ra 21/10b-23, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. Dezember 2009, GZ 63 Cga 10/09a-19, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen zu lauten haben:

„Das Klagebegehren des Inhalts, es werde festgestellt, dass die ArbeitnehmerInnen der V***** GmbH, die den Bestimmungen des BAGS-Kollektivvertrags unterliegen, die in den Wohnverbunden der beklagten Partei tätig sind, und zwar sämtliche Behindertenbetreuer, Behindertenpädagogen, Sozialhelfer, diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal, Pflegehelfer, Altenfachbetreuer sowie Reinigungskräfte, ab 1. 7. 2004 Anspruch auf Zahlung der SEG-Zulage gemäß § 31 Abs 1 BAGS-KollV seitens der beklagten Partei haben, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.895,22 EUR (darin 1.140,87 EUR USt und 50 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit 1.846,56 EUR (darin 307,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 1.329,84 EUR (darin 221,60 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Parteien ist die Anwendung des § 31 des BAGS-KollV strittig. § 31 (Zulagen und Zuschläge) des Kollektivvertrags lautet:

„1.) Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulage (SEG-Zulage): ArbeitnehmerInnen, die unter erschwerten Bedingungen arbeiten, gebührt eine SEG-Zulage, wobei in Betriebsvereinbarungen die erschwerten Arbeitsbedingungen im Sinne der Bestimmungen des Einkommenssteuergesetzes zu bestimmen sind. In Betrieben ohne Betriebsrat ist eine entsprechende Vereinbarung mit der jeweils zuständigen Gewerkschaft abzuschließen. Die Höhe der SEG-Zulage beträgt für:

(Anmerkung: derzeit geltende Fassung)

Verwendungsgruppe 1-3 je Arbeitsstunde mit erschwerten Bedingungen 0,55 EUR

Verwendungsgruppe 4-9 je Arbeitsstunde mit erschwerten Bedingungen 0,95 EUR.

Im Falle regelmäßig erschwerter Arbeitsbedingungen kann unter Berücksichtigung der angeführten Stundensätze eine Pauschale vereinbart werden. Im Falle überwiegend erschwerter Arbeitsbedingungen gebührt eine monatliche SEG-Pauschale:

(In der geltenden Fassung)

In den Verwendungsgruppen 1-3 von 88,92 EUR und in den Verwendungsgruppen 4-9 von 155,33 EUR.

Überwiegend erschwerte Arbeitsbedingungen liegen vor, wenn mehr als 80 % der Arbeitszeit unter diesen Bedingungen gearbeitet wird. Durch Betriebsvereinbarung können höhere SEG-Zulagen vereinbart werden (Ermächtigung gemäß § 68 Abs 5 Z 5 Einkommenssteuergesetz).

...“

Unstrittig ist, dass zwischen den Parteien eine solche Betriebsvereinbarung über die Bestimmung der „erschwerten Arbeitsbedingungen“ nicht geschlossen wurde.

Der klagende Angestelltenbetriebsrat begehrte mit seiner Klage vom 13. 2. 2009 zunächst die Feststellung, dass die ArbeiternehmerInnen der Beklagten, die den Bestimmungen des BAGS-KollV unterliegen, ab 1. 7. 2004 Anspruch auf Zahlung einer SEG-Zulage gemäß § 31 Abs 1 BAGS-KollV seitens der Beklagten haben. Im Wesentlichen wurde dazu ausgeführt, dass im Bereich „Wohnverbund“ die Tätigkeit der dort beschäftigten BehindertenbetreuerInnen bzw SozialbetreuerInnen, des Diplomgesundheits- und Krankenpflegepersonals, der SozialhelferInnen und des Reinigungspersonals unter erschwerten Bedingungen vorzunehmen sei. Von dieser Besonderheit seien mehr als drei Angestellte betroffen. In den von den genannten Personen betreuten „Stammwohnungen“ (=Wohnverbänden mit jeweils sechs Einzelzimmern und mit Gemeinschaftsräumen) seien Personen mit körperlicher, geistiger oder Mehrfachbehinderung untergebracht. Die Bediensteten haben dabei mehrfach erschwerende Umstände in Kauf zu nehmen: Überdurchschnittlich häufiges Wechseln der Leib- und Bettwäsche, der Windeln, Reinigungsarbeiten nach Verrichten der Notdurft der betreuten Personen außerhalb der Sanitärräume etc; durch Bespucken und durch herabrinnenden Speichel würden die betreuenden Personen immer wieder beschmutzt; viele der betreuten Menschen bedürften besonders intensiver Betreuung bei der Begleitung zu oder von einer Arbeitsstätte, in vielen Fällen sei die Kommunikation äußerst schwierig; daneben komme es immer wieder auch zu tätlichen Angriffen durch die betreuten Personen auf Betreuer und andere in den Stammwohnungen aufhältige Personen. Es seien laufend Verhandlungen mit der Beklagten geführt worden, doch sei es zu keinem Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung gekommen. Da die in § 31 des BAGS-KollV genannten erschwerenden Umstände jedoch vorlägen, haben die betroffenen Arbeitnehmer Anspruch auf die SEG-Zulage.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Rechtsschutzinteresse des klagenden Betriebsrats sei schon deshalb nur eingeschränkt gegeben, weil aufgrund einer Verfallsbestimmung im Kollektivvertrag (§ 40) länger als vier Monate vor der Klageeinbringung entstandene Ansprüche jedenfalls verjährt seien. Darüber hinaus seien keine erschwerten Bedingungen iSd § 31 BAGS-KollV gegeben, weil die vom Kläger geschilderten Tätigkeiten für die in den Wohngemeinschaften beschäftigten Personen berufstypisch seien.

In der Tagsatzung vom 31. 3. 2009 (ON 3) präzisierte der Kläger sein Begehren zunächst dahin, dass festgestellt werde, dass die ArbeitnehmerInnen der V***** GmbH, die den Bestimmungen des BAGS-KollV unterliegen, ab 1. 7. 2004 den Anspruch auf Zahlung einer SEG-Zulage gemäß § 31 Abs 1 BAGS-KollV seitens der Beklagten haben. Ergänzend brachte der klagende Betriebsrat vor, dass die V***** GmbH eine 100%ige Tochter der V***** in Oberösterreich sei. Zwischen dem Angestelltenbetriebsrat und dem Geschäftsführer der V***** Oberösterreich gebe es eine Vereinbarung, wonach der Angestelltenbetriebsrat der V***** Oberösterreich alle ArbeitnehmerInnen der V***** Oberösterreich und deren Tochtergesellschaften im Sinne der Bestimmungen des Arbeitsverfassungsgesetzes vertrete (Anmerkung: die hier betroffenen Arbeitnehmer sind alle Arbeitnehmer der V***** GmbH).

Auf Basis dieses behaupteten Sachverhalts stellte die Beklagte in der Tagsatzung vom 21. 9. 2009 (AS 44) „die aktive Klagslegitimation des Angestellten-Betriebsrats V***** in Oberösterreich“ außer Streit. Ergänzend wendete die Beklagte auch ein, dass Wohnverbunde mit behinderten Personen erst seit 2005 existierten. Es habe nie konkrete Gespräche über die Zahlung einer SEG-Zulage gegeben.

Letztlich präzisierte der Kläger sein Begehren dahin, es werde festgestellt, dass die ArbeitnehmerInnen der V***** GmbH, die den Bestimmungen des BAGS-Kollektivvertrags unterliegen, die in den Wohnverbunden tätig sind, und zwar sämtliche Behindertenbetreuer, Behindertenpädagogen, Sozialhelfer, diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal, PflegehelferInnen, Altenfachbetreuer sowie Reinigungskräfte, ab 1. 7. 2004 Anspruch auf Zahlung der SEG-Zulage gemäß § 31 Abs 1 BAGS-KollV seitens der Beklagten haben.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren Folge. Ausgehend von Feststellungen, deren Wiedergabe aus rechtlichen Gründen unterbleiben kann, gelangte es zur Ansicht, dass den betroffenen Arbeitnehmern ein Anspruch auf SEG-Zulagen zustehe.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der Beklagten das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es vertrat die Auffassung, dass trotz Nichtabschlusses einer Betriebsvereinbarung iSd § 31 BAGS-KollV die unter erschwerten Bedingungen arbeitenden Arbeitnehmer dennoch Anspruch auf eine SEG-Zulage haben, weil nur die Ausgestaltung des Anspruchs, nicht aber dieser selbst der Betriebsvereinbarung vorbehalten worden sei. Der Anspruch ergebe sich vielmehr aus dem Kollektivvertrag selbst (Löschnigg/Resch, BAGS-KV 2008 § 31 Erl 2, 216; 8 ObA 321/01s). Für das Vorliegen „überwiegend erschwerter Arbeitsbedingungen“ im Sinn der KollV-Bestimmung reiche das Vorbringen jedenfalls nicht aus. Unklar sei geblieben, ob das Ziel des Feststellungsbegehrens auf eine Pauschale für regelmäßig erschwerte Arbeitsbedingungen oder Bezahlung der Stundenzulage gerichtet sei. Das Begehren sei jedenfalls auch deshalb zu unbestimmt, weil auf den einzelnen Betrieb abzustellen sei und nicht feststehe, ob in allen Wohnverbänden gleiche Bedingungen herrschen bzw jeweils zumindest drei Arbeitnehmer davon betroffen seien. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung sei es jedoch geboten, dem Kläger nach entsprechender Erörterung die Möglichkeit einer Schlüssigstellung zu geben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil einerseits zum notwendigen Inhalt einer Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorgefunden werden konnte und zum anderen das Feststellungsbegehren in untrennbarem Zusammenhang mit der Auslegung eines Kollektivvertrags bestehe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass in der Sache selbst entschieden und das Klagebegehren abgewiesen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

Gemäß § 54 Abs 1 ASGG können in Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG die parteifähigen Organe der Arbeitnehmerschaft im Rahmen ihres Wirkungsbereichs sowie der jeweilige Arbeitgeber auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen, die mindestens drei Arbeitnehmer ihres Betriebs oder Unternehmens betreffen, klagen oder geklagt werden.

Da den Gegenstand der Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG ausschließlich Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG und nicht betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten bilden können, ist der Begriff „Arbeitgeber“ im Sinne des Vertragspartners des Arbeitnehmers zu verstehen (Kuderna ASGG2, 346; Neumayr in ZellKomm § 54 ASGG Rz 15). Passiv klagslegitimiert wäre im Falle einer Klage durch den Betriebsrat daher nur der jeweilige Arbeitgeber (9 ObA 29/09v, 9 ObA 24/09h, RIS-Justiz RS0125572). Im vorliegenden Fall ist nicht nur unstrittig, sondern ergibt sich auch eindeutig aus dem Begehren, dass die konkret betroffenen Arbeitsverhältnisse jeweils mit der V***** GmbH, und nicht mit der Beklagten bestehen. Der Umstand, dass die Beklagte 100%ige Gesellschafterin der V***** GmbH ist, ist rechtlich ohne Belang, weil nach ständiger Judikatur (RIS-Justiz RS0059840; RS0022657; 9 ObA 24/07f = EvBl 2007/179) auch bei einer Einmann-GmbH keine Identität zwischen Gesellschafter und Gesellschaft besteht, demnach von unterschiedlichen Rechtspersonen auszugehen ist. Ist aber die Beklagte nicht vertraglicher Arbeitgeber der vom Feststellungsantrag betroffenen Arbeitnehmer, mangelt es schon deshalb an einer zwingenden Voraussetzung nach § 54 Abs 1 ASGG. Da der Oberste Gerichtshof aus Anlass eines Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts nicht nur die aufgeworfene Rechtsfrage, sondern die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht in jeder Richtung zu überprüfen hat, ist dieser Legitimationsmangel aufzugreifen (RIS-Justiz RS0043903; RS0043870; RS0043934).

Daran vermag auch die „Außerstreitstellung der aktiven Klagelegitimation“ durch die Beklagte nichts zu ändern: Außerstreitstellungen, die nicht Tatsachen, sondern nur die rechtliche Qualifikation eines Sachverhalts betreffen, sind unwirksam (RIS-Justiz RS0039938). Das Prozessgeständnis der Beklagten konnte sich daher nur darauf beziehen, dass eine „Vereinbarung“ zwischen dem klagenden Angestelltenbetriebsrat und Beklagten besteht, die dem Betriebsrat die Vertretungsbefugnis auch für Angestellte deren Tochterunternehmen einräumen soll. Es unterliegt aber nicht der Parteiendisposition, von den durch § 54 Abs 1 ASGG zwingend vorgeschriebenen Voraussetzungen für eine Klageführung abweichen zu können. Letztlich sei darauf hingewiesen, dass auch das erforderliche rechtliche Interesse zu verneinen ist, wenn der Prozessgegner ein anderer als der ist, dem gegenüber die Feststellung rechtlich wirken soll.

Ohne dass daher auf die vom Berufungsgericht oder die vom Rekurswerber aufgeworfenen Rechtsfragen einzugehen ist, erweist sich die Rechtssache als im Sinne einer Klageabweisung entscheidungsreif.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 ZPO.

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