European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00025.24B.0516.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Soweit die Beklagte eine Überraschungsentscheidung des Rekursgerichts geltend macht, ist die Mängelrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht darlegt, welches für die Entscheidung relevante zusätzliche oder geänderte Tatsachenvorbringen sie erstattet hätte, wenn die im Revisionsrekurs als überraschend bezeichnete Rechtsansicht mit ihr erörtert worden wäre (RS0037300 [T48]).
[2] 2. Eine Aktenwidrigkeit liegt ebenfalls nicht vor. Das Rekursgericht hat darauf verwiesen, dass die Beklagte nicht vorgebracht hat, dass der Kläger das „Know‑How“, für das er einen Vergütungsanspruch geltend macht, rechtswidrig erlangt, benutzt oder offengelegt hat. Damit steht nicht in Widerspruch, dass er allenfalls Unterlagen über rechtmäßig erlangtes Wissen vereinbarungswidrig in Besitz hat.
[3] 3. Der Oberste Gerichtshof hat zur Auslegung des verfahrensrechtlichen Geheimnisschutzes nach § 26h UWG in den Entscheidungen 2 Ob 68/22x und 4 Ob 52/23k bereits Stellung genommen und dargelegt, dass dieser auf Verfahren beschränkt ist, die den rechtswidrigen Erwerb, die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geheimnisses gemäß §§ 26c ff UWG zum Gegenstand haben: „Bei der Auslegung der nationalen Vorschrift haben sich die Gerichte so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie zu orientieren (RS0075866). Nach der Richtlinie ist der verfahrensrechtliche Geschäftsgeheimnisschutz nur dann zu gewähren, wenn es sich um ein Verfahren handelt, das den rechtswidrigen Erwerb, die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geheimnisses zum Gegenstand hat. Die Norm ist daher nicht anwendbar, wenn das Geschäftsgeheimnis nur beiläufig zu Tage tritt. Es werden lediglich Verfahren nach § 26c UWG erfasst, bei denen die rechtswidrige Erlangung oder Verwendung des Geschäftsgeheimnisses den Verfahrensgegenstand an sich bildet (Thiele in Wiebe/Kodek, UWG 2 § 26h Rz 10; Rassi, Prozessualer Vertraulichkeitsschutz – Zur Umsetzung der Geschäftsgeheimnisrichtlinie im Verfahrensrecht, ipCompetence 2019/21, 28). Gerade in jenen Verfahren, die die Richtlinie vor Augen hat, ist es erforderlich, die Art der Information zu bewerten, die Gegenstand des Rechtsstreits ist. Inhaber von Geschäftsgeheimnissen sollen aber aufgrund der Notwendigkeit der Prüfung im Gerichtsverfahren nicht von der gerichtlichen Durchsetzung abgeschreckt werden (GG‑RL ErwGr 24 f). Eine Ausdehnung auf Verfahren, die nicht der Wahrung und Durchsetzung von Geschäftsgeheimnissen dienen, lässt sich aus diesem Normzweck daher nicht ableiten.“
[4] 4. Diese Entscheidungen sind in der Literatur unterschiedlich aufgenommen worden. Neben zustimmenden Kommentierungen (vgl Bahar, AnwBl 2022/277, 542; Spenling, RZ 2022/20, 231; Schumacher, NZ 2022/169, 547), wurden sie von anderen Autoren als zu einschränkend abgelehnt (vgl etwa Hofmarcher, Geschäftsgeheimnisschutz in Zivilverfahren – eine vertane Chance?, ecolex 2024/39, 65 ff; Zemann, ecolex 2022/584, 889; Bruckmüller, Der Schutz des Geschäftsgeheimnisses in Gerichtsverfahren, ZIIR 2024, 12).
[5] Im Revisionsrekurs wird allerdings die Richtigkeit der zitierten Rechtsprechung von der Beklagten nicht bezweifelt, weshalb auf die Kritik in der Literatur nicht weiter einzugehen ist.
[6] 5. Die Beklagte argumentiert vielmehr, dass diese Entscheidungen zu nicht vergleichbaren Sachverhalten, nämlich einem Antrag auf Akteneinsicht in einem Verlassenschaftsverfahren und der Erschöpfung eines Markenrechts ergangen seien. Im vorliegenden Verfahren würden dagegen Vergütungsansprüche aus Diensterfindungen geltend gemacht, die untrennbar mit Geschäftsgeheimnissen verbunden seien.
[7] Dabei übergeht die Beklagte jedoch, dass die in den Vorentscheidungen zu § 26h UWG vertretene Auslegung, dass die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf Verfahren beschränkt sei, die den rechtswidrigen Erwerb, die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geheimnisses gemäß §§ 26c ff UWG zum Gegenstand haben, nicht nur darauf Bezug nimmt, ob die Beurteilung von Geschäftsgeheimnissen „Gegenstand des Verfahrens“ sind, oder „beiläufig“ zu Tage treten. Das wesentliche Abgrenzungskriterium ist wie schon in Art 9 der Richtlinie (EU) 2016/943 vielmehr, ob die Rechtswidrigkeit des Erwerbs, der Nutzung oder Offenlegung zu beurteilen ist.
[8] Eine solche wird im vorliegenden Verfahren aber gerade nicht behauptet, geht doch die Beklagte selbst davon aus, dass der Kläger von den von ihr als Geschäftsgeheimnissen geltend gemachten Abläufen und Prozessen im Rahmen seiner Tätigkeit Kenntnis erlangt hat. Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, inwieweit sich, was vom Rekursgericht ohnehin nicht in Frage gestellt wurde, neben der klagenden auch eine beklagte Partei auf § 26h UWG berufen kann.
[9] 6. Art 9 der Richtlinie (EU) 2016/943 nimmt ausdrücklich Bezug auf Verfahren, die den rechtswidrigen Erwerb oder die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen zum Gegenstand hat. Auch Art 6 verlangt den Schutz vor dem rechtswidrigen Erwerb oder die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen.
[10] Eine Anfrage an den Europäischen Gerichtshof, wie von der Beklagten angeregt, ob diese Bestimmungen die Mitgliedstaaten verpflichten auch in anderen Verfahren entsprechende Maßnahmen zu setzen, erübrigt sich im Hinblick auf den klaren Wortlaut dieser Regelungen (vgl RS0082949 [T3, T9, T18]).
[11] 7. Insgesamt gelingt es der Beklagten nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht.
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