OGH 9ObA109/15t

OGH9ObA109/15t28.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Robert Brunner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** B*****, vertreten durch Rainer-Ruetz Rechtsanwälte GesbR in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Land *****, vertreten durch die ***** GmbH, *****, diese vertreten durch Dr. Markus Orgler und Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 33.949,19 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Juli 2015, GZ 15 Ra 46/15z‑25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00109.15T.1028.000

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Partei werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Am 7. 10. 1992 schlossen die ***** GmbH (*****), deren alleiniger Gesellschafter die Beklagte ist, als Rechtsträger von vier ***** Landeskrankenanstalten bzw Landeskrankenhäusern und der damals zuständige Zentralbetriebsratsvorsitzende eine Betriebsvereinbarung ab. Darin wurde festgelegt, das alle Bediensteten der vier Landeskrankenhäuser nach dem Ende einer befristet gewährten Berufsunfähigkeitspension zu den gleichen Bedingungen des ursprünglichen Dienstverhältnisses wieder eingestellt werden.

Das am 9. 4. 1979 begonnene Vertragsbedienstetenverhältnis des Klägers, der als Pflegehelfer in einem Landes‑Krankenhaus tätig war, endete am 27. 7. 2012 infolge eines mehr als einjährigen Krankenstands ex lege (§ 51 Abs 8 Tir LBedG). Der Kläger hatte schon zuvor am 2. 1. 2012 einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gestellt, der mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 21. 3. 2012 abgewiesen worden war. Erst mit einem im darauffolgend vom Kläger eingeleiteten sozialgerichtlichen Verfahren abgeschlossenen Vergleich vom 10. 1. 2013 wurde dem Kläger rückwirkend eine Berufsunfähigkeitspension befristet zuerkannt. Letztlich bezog der Kläger bis 31. 10. 2013 eine befristete Berufsunfähigkeitspension. Sein Ansinnen auf Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit fand auf Beklagtenseite keine Zustimmung.

Das Berufungsgericht gab im 2. Rechtsgang dem vom Kläger auf Nichteinhaltung der in der Betriebsvereinbarung vom 7. 10. 1992 enthaltenen Wiedereinstellungszusage gestützten Schadenersatzbegehren in Höhe von 25.158,89 EUR brutto sA statt. Das Mehrbegehren von 8.647,50 EUR brutto sA wies es hingegen ab. Das vom Kläger durch die Annahme des in der Betriebsvereinbarung enthaltenen Angebots auf Wiedereinstellung nach Ablauf der befristeten Berufsunfähigkeitspension neu begründete Dienstverhältnis sei durch das Schreiben der ***** vom 6. 2. 2014 unberechtigt aufgelöst worden. Dem Kläger stehe daher gemäß § 45 Abs 3 Satz 1, § 74 Abs 1 und 2 Tir LBedG das Entgelt von 1. 11. 2013 bis 6. 2. 2014 und eine Kündigungsentschädigung bis 31. 7. 2014 unter Abzug des vom Kläger in diesem Zeitraum bezogenen Arbeitslosengeldes sowie Verdienstes zu. Nicht berechtigt seien hingegen die vom Kläger geltend gemachten Schadenersatzansprüche für die Zeit ab August 2014. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig.

Sowohl der Kläger, der mit seiner außerordentlichen Revision die gänzliche Klagestattgebung anstrebt, als auch die Beklagte, die mit ihrer außerordentlichen Revision die gänzliche Klageabweisung weiter verfolgt, vermögen keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

I. Zur außerordentlichen Revision der Beklagten:

1. Inhalt einer Betriebsvereinbarung kann nur sein, was durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Regelung durch Betriebsvereinbarung überantwortet wurde (§ 29 ArbVG; RIS-Justiz RS0050981).

Die Frage, ob die Betriebsvereinbarungsparteien eine von § 97 Abs 1 Z 21 ArbVG erfasste und im Anlassfall normativ wirkende Betriebsvereinbarung abgeschlossen haben, braucht hier nicht näher untersucht zu werden. Selbst wenn mit einer zwischen den Betriebsparteien abgeschlossenen Vereinbarung die betriebsverfassungs-rechtlichen Regelungskompetenzen überschritten wurden und diese Vereinbarung daher insoweit keine normative Wirkung iSd ArbVG entfaltet hat (9 ObA 150/13v mwN), kann diese „freie Betriebsvereinbarung“ Eingang in die jeweiligen Einzelarbeitsverträge gefunden haben. Die in der Zulassungsbegründung der außerordentlichen Revision der Beklagten als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgeworfene Rechtsfrage, ob es tatsächlich nur des Abschlusses der freien Betriebsvereinbarung bedürfe, damit ihr Inhalt zum Einzelvertragsinhalt werde, wurde in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bereits beantwortet. Damit lässt sich auch der vorliegende Einzelfall lösen:

Gibt nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch die Gesamtheit der Arbeitnehmer durch ihr Verhalten eindeutig zu erkennen, dass sie sich an die Bestimmung einer unzulässigen Betriebsvereinbarung halten wollen, dann besteht kein Grund, an ihrer schlüssigen Unterwerfung unter die dort getroffenen Vereinbarungen und damit an einer entsprechenden Ergänzung der Einzelarbeitsverträge zu zweifeln (RIS-Justiz RS0018115). Der beim Abschluss der Betriebsvereinbarung existent vorhandene Arbeitgeberwille kann in ein an die bereits vor Abschluss der Betriebsvereinbarung beschäftigten Arbeitnehmer gerichtetes, auf Ergänzung der Einzelarbeitsverträge abzielendes Arbeitgeberoffert umgedeutet werden (8 ObA 99/04y = ZAS 2006/40 [ Runggaldier ]; vgl auch 9 ObA 31/05g; Pfeil in Gahleitner/Mosler , Arbeitsverfassungsrecht 2 5 § 29 Rz 71 mwN; Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG § 29 Rz 15 Var. d). Für die Arbeitnehmerseite kann bei Betriebsvereinbarungen, die der Belegschaft nur Vorteile bringen, eine schlüssige Unterwerfung ohne weiteres angenommen werden (14 ObA 47/87 = DRdA 1988/5 [ Reissner ]; vgl auch Rummel in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 863 Rz 43). Auf langjährige Übung kommt es dann nicht an (14 ObA 47/87).

Das Berufungsgericht hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Einzelfall vertretbar bejaht. Im Anlassfall kann ‑ mangels gegenteiliger sich aus dem Verfahren ergebender Anhaltspunkte ‑ davon ausgegangen werden, dass die freie Betriebsvereinbarung nach dem Willen der Parteien auf alle Dienstverhältnisse im Betrieb Anwendung finden sollte (vgl 9 ObA 31/05g). Dies stellt die Beklagte auch gar nicht in Abrede. Tatsächlich wurde der Inhalt der Betriebsvereinbarung im Betrieb von ihr auch auf mehrere Dienstverhältnisse angewandt.

Wird eine unzulässige Betriebsvereinbarung schlüssig Einzelarbeitsvertragsinhalt, so sind die Arbeitsvertragsparteien an jenes Verständnis der unzulässigen Betriebsvereinbarung auch als Einzelvertragsinhalt gebunden, das die Betriebspartner bei Abschluss der unzulässigen Betriebsvereinbarung hatten oder das ihnen zumindest vernünftigerweise bei deren Auslegung zuzusinnen ist (RIS‑Justiz RS0119926). Das Motiv für den Abschluss der Betriebsvereinbarung vom 7. 10. 1992 lag nach dem festgestellten Sachverhalt darin, dass es nach Einführung der Regelungen über die Befristung von Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit häufig dazu kam, dass Mitarbeiter die Möglichkeit, eine befristete Pension zu beziehen, nicht in Anspruch nahmen, weil sie hiefür ihr Dienstverhältnis hätten beenden müssen und nach Ablauf der Pension keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung gehabt hätten. Da es aber auch im Interesse der Beklagten lag (insofern decken sich auch die Motive der Betriebsvereinbarungsparteien mit jenen der Arbeitsvertragsparteien), dass die Dienstnehmer nicht bloß Langzeitkrankenstände, sondern eine allenfalls mögliche Pensionsleistung in Anspruch nahmen, wurde den Dienstnehmern von Arbeitgeberseite das Recht auf Weiterbeschäftigung im Betrieb nach Auslaufen der befristet gewährten Pension eingeräumt. Ausgehend von diesem Zweck der Betriebsvereinbarung vom 7. 10. 1992 fällt auch die gegenständliche Sachverhaltskonstellation einer im aufrechten Dienstverhältnis beantragten, aber befristeten Pension darunter. Die Betriebsvereinbarung lässt auch nicht erkennen, dass der Dienstnehmer bereits „bei“ Zuerkennung der befristeten Berufsunfähigkeitspension im Einzelfall mit dem Dienstgeber eine Wiedereinstellung aushandeln müsste, um zu seinem in der Betriebsvereinbarung verbrieften Recht auf Weiterbeschäftigung nach Ende der befristet gewährten Berufsunfähigkeitspension zu kommen.

2. Auch die von der Beklagten als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob in der „Betriebsvereinbarung“ überhaupt ein rechtsgeschäftliches Anbot des Dienstgebers auf Wiedereinstellung liegt, ist für die gegenständliche Beurteilung nicht relevant. Dem Kläger stünde nämlich an Schadenersatz das Erfüllungsinteresse auch dann zu, wenn es zu keiner Neubegründung des Dienstvertrags (hier durch Annahme des in der Betriebsvereinbarung enthaltenen Arbeitgeberangebots auf Wiedereinstellung) gekommen wäre. Entstand der Schaden durch Nichterfüllung einer gültig begründeten Leistungsverpflichtung, so hat der Schädiger den Zustand herzustellen, der im Vermögen des Geschädigten bei gehöriger Erfüllung (positives Erfüllungsinteresse oder Nichterfüllungsinteresse) entstünde (RIS-Justiz RS0016377). Wollte man somit aus der Betriebsvereinbarung kein Arbeitgeberanbot, sondern lediglich eine Pflicht der Beklagten ableiten, mit dem Kläger nach Ablauf der Befristung der Berufsunfähigkeitspension einen neuen Dienstvertrag abzuschließen, dann hat die Beklagte eben diese Pflicht verletzt und dem Kläger den daraus resultierenden (Nichterfüllungs‑)Schaden zu ersetzen.

3. Damit erweist sich aber auch die in der Revision der Beklagten aufgeworfene Frage zur Bindungswirkung des rechtskräftig im ersten Rechtsgang abgewiesenen Feststellungsbegehrens des Klägers in Bezug auf das in eventu gestellte Leistungsbegehren zur Lösung des konkreten Falls nicht erforderlich.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

II. Zur außerordentlichen Revision des Klägers:

Ob die Erklärung eines Arbeitgebers als Beendigungserklärung aufzufassen bzw welcher Erklärungswert ihr beizumessen ist, kann immer nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Von Fällen unvertretbarer Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen, begründet eine derartige Beurteilung daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0028612 [T9, T10]). Eine derartige Unvertretbarkeit vermag der Kläger jedoch nicht aufzuzeigen. Der Kläger bestreitet in seiner außerordentlichen Revision nicht, ein in der Betriebsvereinbarung liegendes Anbot auf Neubegründung eines Dienstverhältnisses angenommen zu haben. Unter dieser Voraussetzung ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe das Schreiben der Beklagten vom 6. 2. 2014, in dem diese die Wiedereinstellung als „verwirkt“ angesehen habe, nicht als Wissenserklärung sondern als Beendigungserklärung auffassen müssen, nicht unvertretbar (vgl RIS-Justiz RS0028344).

Auch die außerordentliche Revision des Klägers ist daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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