Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung
Am 24. 10. 2011 schlossen die Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband der Gießereiindustrie, und der Österreichische Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft PRO‑GE, einen „ Kollektivvertrag über die befristete Zulassung von Sonntagsarbeit gemäß § 12a Arbeitsruhegesetz “ ab. Darin wurde für das beklagte Unternehmen vom 30. 10. 2011 bis 12. 5. 2013 zur Aufrechterhaltung der Produktion während der Durchführung des Investitionsprogramms und wegen Neuanläufen von Gießmaschinen für alle MitarbeiterInnen verschiedener, im einzelnen aufgelisteter Produktionsbereiche Sonntagsarbeit unter bestimmten Bedingungen zugelassen. Die hier wesentlichen lauten:
„Voraussetzung ist, dass eine Betriebsvereinbarung Sonntagsarbeit zulässt und zumindest die Verteilung der Arbeitszeit (Schichtplan), Zuschläge für Wochenendarbeit und die Beschäftigung von überlassenen Arbeitskräften regelt. Dabei muss Sonntagsarbeit grundsätzlich gleichmäßig auf alle ArbeitnehmerInnen aufgeteilt werden (insbesondere sind 'stehende Wochenendschichten' unzulässig).
Diese BV gilt befristet bis längstens 12. 5. 2013, sofern sie nicht schon vorher einvernehmlich beendet wird. Mit Ablauf ihrer Geltungsdauer treten wieder alle Regelungen in Kraft, die vor ihrem Inkrafttreten in Geltung gestanden sind.
Diese Betriebsvereinbarung bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung der Kollektivvertragspartner.
Allen ArbeitnehmerInnen, die auf Grundlage dieses Kollektivvertrages Sonntagsarbeit leisten, gebührt für jede geleistete Arbeitsstunde an einem Samstag ein Zuschlag von mindestens 50 % und an einem Sonntag ein Zuschlag von mindestens 100 %. “
Auf Grundlage dieses Kollektivvertrags haben der klagende Arbeiterbetriebsrat der Beklagten und die Beklagte am selben Tag die „Betriebsvereinbarung über ein 20‑Schichtenmodell in der G***** GmbH & Co KG“ abgeschlossen. Neben Punkt 5. dieser Betriebsvereinbarung, der für Samstagsarbeitsstunden einen Zuschlag von 50 % und für Sonntagsarbeitsstunden einen Zuschlag von 100 % vorsieht und Punkt 8. der Betriebsvereinbarung, der an einem Sonntag zwischen 13:00 Uhr und 21:00 Uhr geleistete Arbeitsstunden, sofern eine gesamte Schicht geleistet wurde, mit einem gegenüber dem grundsätzlich anwendbaren Kollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie erhöhten Überstundenzuschlag von 200 % vergütet, ist der streitgegenständliche Punkt 6. hervorzuheben:
„Es wird ohne Präjudiz für die Zukunft vereinbart, dass jedem Mitarbeiter, der dieser Betriebsvereinbarung unterliegt, eine einmalige Sonderprämie von brutto 125 EUR pro Geltungsmonat für die Bereitschaft zur Schichtabdeckung ausbezahlt wird. Mitarbeiter, die während der gegenständlichen Vereinbarung untermonatig in den Schichtturnus eintreten, erhalten den jeweils aliquoten Betrag. Diese Regelung gilt auch für überlassene Arbeitskräfte.“
In der Schlussbestimmung ist festgehalten:
„ Die Vereinbarung kann unter Einhaltung einer vierwöchigen Frist und unter Berücksichtigung der Durchrechnungszeiträume von den Parteien zum Monatsletzten gekündigt werden. Mit Ablauf ihrer Geltungsdauer treten wieder alle Regelungen in Kraft, die vor ihrem Inkrafttreten in Geltung gestanden sind (3‑Schichtbetrieb) .“
Mit Schreiben vom 19. 9. 2012 hat die Beklagte diese Betriebsvereinbarung gekündigt.
Der klagende Betriebsrat begehrte mit seiner Klage gemäß § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass die Kündigung der Betriebsvereinbarung rechtsunwirksam sei und die von ihr erfassten ArbeitnehmerInnen Anspruch auf die Bezahlung der Sonderprämie von 125 EUR brutto pro Monat auch über den 31. 10. 2012 hinaus bis zum 12. 5. 2013 hätten. Bei der Betriebsvereinbarung handle es sich um eine erzwingbare Betriebsvereinbarung gemäß § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG, die weder zur Gänze noch zum Teil gekündigt werden könne. Die Prämienregelung sei auch von der Kollektivvertragsermächtigung umfasst.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass eine „gemischte“ Betriebsvereinbarung vorliege. Deren „freie Elemente“, nämlich die Prämienregelung und damit verbunden die Kündigungsklausel, seien Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden; die Kündigung sei daher zulässig.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Weder umfasse § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG die Befugnis der Betriebsparteien, Entgeltregelungen zu treffen, noch seien die Betriebsparteien dazu im Kollektivvertrag ermächtigt worden. Die Prämienregelung sei, verbunden mit der Kündigungsklausel, Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden, die Kündigung der Beklagten daher zulässig gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Nur das Feststellungsbegehren betreffend den geltend gemachten Anspruch auf die Bezahlung der Sonderprämie sei abzuweisen, die Kündigung des übrigen Teils der Betriebsvereinbarung sei hingegen rechtsunwirksam (§ 32 Abs 2 ArbVG). Es teilte die Überlegungen des Erstgerichts zum Inhalt des § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG, zur Auslegung des KV und zur Zulässigkeit der Kündigung der in die Einzelarbeitsverträge Eingang gefundenen Prämienregelung. Die Sonderprämie sei als Abgeltung für die Bereitschaft zur Leistung von Schichtarbeit auch kein leistungsbezogenes Entgelt im Sinne des § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG. Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO liege nicht vor.
Gegen die Berufungsentscheidung im Umfang des bestätigenden, klagsabweisenden Teils richtet sich die auf gänzliche Klagsstattgabe gerichtete außerordentliche Revision des Klägers.
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger vermag jedoch darin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.
1. Nach einhelliger Rechtsprechung kann ‑ ungeachtet der getroffenen Vereinbarung ‑ Inhalt einer Betriebsvereinbarung nur sein, was durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Regelung durch Betriebsvereinbarung überantwortet wurde (RIS-Justiz RS0050981).
2. Die Festsetzung von Entgeltbedingungen gehört nach Rechtsprechung und Lehre nicht zu den Angelegenheiten, die nach dem Arbeitsverfassungsgesetz durch Betriebsvereinbarung geregelt werden können; sie ist auch kein nach § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG zulässiger Inhalt einer Betriebsvereinbarung (9 ObA 131/88; 9 ObA 205/93 = SZ 66/117; 9 ObA 121/08x mwN; 8 ObA 43/12z; Reissner in ZellKomm² § 97 ArbVG Rz 27; Preiss in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, ArbVG4 § 97 Erl 7; Binder in Tomandl, ArbVG § 97 Rz 46; Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht² 648 ua).
Auch die in der Entscheidung 9 ObA 121/08x (DRdA 2011/28 [Firneis]) dargelegten Erwägungen sind hier keine tragfähige Grundlage für die Subsumtion der gegenständlichen Prämienregelung unter § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG. Im Gegensatz zu dem der Entscheidung 9 ObA 121/08x zugrunde gelegenen Sachverhalt (Festlegung einer bezahlten Essenspause) handelt es sich bei der gegenständlichen Prämienregelung nicht um einen finanziellen Effekt bloß mittelbarer Art ‑ Reissner (ZellKomm² § 97 ArbVG Rz 27) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Reflexwirkung“ ‑, sondern die Prämienregelung zielte unmittelbar auf die Gewährung eines Entgeltbestandteils ab.
3. Richtig ist, dass es zur Frage, was unter einem „leistungsbezogenen Entgelt“ im Sinne des § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG idF zu verstehen ist, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt. Der Tatbestand der „Einführung von leistungs- und erfolgsbezogenen Prämien und Entgelten nicht nur für einzelne AN“ wurde jedoch aus § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG idgF BGBl I 2010/101 vor BGBl I 2010/101 in die fakultative Mitbestimmung verlagert (Reissner in ZellKomm² § 97 ArbVG Rz 83). Da die Ermächtigung Entgeltfragen betrifft, ist sie eng zu interpretieren (Reissner in ZellKomm² § 97 ArbVG Rz 81).
Zu § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG idF vor BGBl I 2010/101 hat der Oberste Gerichtshof jedoch bereits ausgesprochen, dass eine Prämie dann leistungsbezogen ist, wenn sie irgendwie von der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung abhängt, sei es, dass sie für eine bestimmte Mengenleistung gewährt wird (Quantitätsprämie), sei es, dass sie auf anderen mit der Arbeitsleistung zusammenhängenden Bezugsgrößen ‑ wie Güte und Genauigkeit der Arbeit, besondere Ausnützung der Roh- und Werkstoffe, besondere Nutzung der Betriebsmittel, sonstige Einsparungen, genaue Einhaltung vorgegebener Termine und dergleichen ‑ beruht (9 ObA 144/07b; vgl 4 Ob 135/80 und 14 Ob 198/86). Auch in der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass von der Leistungsbezogenheit einer Prämie nur dann gesprochen werden kann, wenn nicht die geleistete Arbeitszeit Maßstab der Entgeltberechtigung ist, sondern arbeitsleistungsbezogene Faktoren, wie die Güte und die Genauigkeit der Arbeit, die exakte Einhaltung vorgegebener Termine oder die sparsame Nutzung der eingesetzten Betriebsmitteldie Entgelthöhe bestimmen (Binder/Mair in Tomandl, ArbVG § 97 Rz 215b, 215d; Reissner in ZellKomm² § 97 ArbVG Rz 83; Löschnigg, Arbeitsrecht11 Rz 9/182). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die gegenständliche Sonderprämie erfülle diese Voraussetzungen nicht, ist nicht unvertretbar. Die Sonderprämie wird jedem Mitarbeiter, der der Betriebsvereinbarung unterliegt, schon für die Bereitschaft zur Schichtabdeckung gewährt; sie ist also nicht vom jeweiligen Arbeitseinsatz abhängig (Binder/Mair in Tomandl, ArbVG § 97 Rz 215e) und honoriert keine messbare Leistung bzw keinen messbaren Erfolg des einzelnen Arbeitnehmers.
4. Auch die übereinstimmende Auslegung des Kollektivvertrags durch die Vorinstanzen, die in der Betriebsvereinbarung enthaltene Prämienregelung sei nicht von einer kollektivvertraglichen Ermächtigung gedeckt, ist nicht korrekturbedürftig. Behalten die Kollektivvertragspartner Angelegenheiten, die in ihre Regelungsbefugnis fallen, der Betriebsvereinbarung vor (§ 29 ArbVG), so müssen diese Angelegenheiten ausdrücklich und konkret bezeichnet werden (9 ObA 131/88; Reissner in ZellKomm² § 29 ArbVG Rz 15; Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 29 Rz 12; Völkl-Posch in Mazal/Risak,Das Arbeitsrecht, System und Praxiskommentar Kap IV Rz 24). Nur in dem so determinierten Bereich kann eine Regelung durch Betriebsvereinbarung im Sinne des § 29 ArbVG erfolgen, wobei der Vorrang des Kollektivvertrags einer extensiven Interpretation einer solchen Kollektivvertragsbestimmung entgegensteht (9 ObA 131/88).
Eine diese Aspekte berücksichtigende und nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB vorzunehmende Auslegung des Kollektivvertrags (RIS‑Justiz RS0010088, RS0008807) zeigt, dass das Wort „zumindest“ im 2. Absatz (beginnend mit „Voraussetzung ist ...“) zum Ausdruck bringt, dass damit Mindestvoraussetzungen beschrieben werden, unter denen eine Betriebsvereinbarung über Schicht- und Sonntagsarbeit überhaupt geschlossen werden kann. Mit dem Wort „mindestens“ im 5. Absatz (beginnend mit „Allen ArbeitnehmerInnen ...“) wollten die Kollektivvertragsparteien erkennbar den Betriebsparteien die Möglichkeit eröffnen, die Samstags- und Sonntagsarbeit mit höheren Zuschlägen, als im Kollektivvertrag festgelegt, abzugelten. Damit haben die Kollektivvertragsparteien aber weder ausdrücklich noch konkret zum Ausdruck gebracht, dass sie den Betriebsparteien mit Ausnahme der Gewährung eines höheren Zuschlags auch sämtliche andere mögliche Formen einer Entgeltvereinbarung übertragen wollten. Die bloßen Wörter „zumindest“ und „mindestens“, auf die der Kläger den Schwerpunkt seiner Ausführungen legt, werden dem Anspruch einer ausreichenden Determinierung nicht gerecht. Dem Text des Kollektivvertrags kann daher nicht entnommen werden, dass die Kollektivvertragsparteien die Betriebsparteien dazu ermächtigen wollten, alle den Betriebsparteien relevant erscheinenden Regelungen, auch Entgeltfragen betreffend, im Zusammenhang mit der Schichtarbeit und Sonntagsarbeit vereinbaren zu können.
5. Da die gegenständliche Betriebsvereinbarung, soweit darin die im Gesetz nicht vorgesehene und auch von keiner Kollektivvertragsermächtigung umfasste Sonderprämie vereinbart wurde, die betriebsverfassungsrechtlichen Regelungskompetenzen überschritt, entfaltete sie keine normative Wirkung zugunsten der verfahrensbetroffenen Arbeitnehmer (8 ObA 43/12z mwN ua; Reissner in ZellKomm² § 29 ArbVG Rz 18). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Sonderprämienvereinbarung sei samt Kündigungsklausel durch ihre tatsächliche Anwendung konkludent zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden, findet ihre grundsätzliche Deckung in der herrschenden Rechtsprechung (9 ObA 186/95; 9 ObA 81/99y; 8 ObA 99/04y; 8 ObA 43/12z mwN; RIS‑Justiz RS0018115) und Lehre (Reissner in ZellKomm² § 29 ArbVG Rz 20; Marhold/Friedrich,Arbeitsrecht² 713; Löschnigg, Arbeitsrecht11 157). Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht im konkreten Anlassfall wird in der außerordentlichen Revision auch nicht in Zweifel gezogen.
6. Da somit im Ergebnis eine erzwingbare Betriebsvereinbarung im Sinne des § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG (bezüglich des 20‑Schichtenmodells ohne Prämienvereinbarung) und daneben eine einzelvertragliche Regelung (bezüglich der Sonderprämie) vorliegt, stellt sich die in der außerordentlichen Revision zur Begründung deren Zulässigkeit geltend gemachte Frage einer unzulässigen Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung nicht.
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.
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