European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130241
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.
Begründung:
Die Klägerin erhob gegen den Beklagten eine Räumungsklage. Da der Beklagte der vorbereitenden Tagsatzung vom 9. 4. 2019 fernblieb, erließ das Erstgericht ein Versäumungsurteil.
Den vom Beklagten rechtzeitig erhobenen Wiedereinsetzungsantrag wies das Erstgericht mit Beschluss vom 3. 9. 2019 mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 146 Abs 1 ZPO ab.
Gegen diesen Beschluss erhob der Beklagte fristgerecht Rekurs und beantragte unter einem die Gewährung der Verfahrenshilfe (erkennbar für die Einbringung des Rekurses).
Diesen Verfahrenshilfeantrag stellte das Erstgericht dem Beklagten zur Verbesserung binnen 14 Tagen zurück. Fristgerecht legte der Beklagte dem Erstgericht ein Vermögensverzeichnis vor.
Mit Beschluss vom 11. 12. 2019 stellte das Erstgericht dem Beklagten den Verfahrenshilfeantrag neuerlich zur Verbesserung binnen 14 Tagen zurück, weil das Vermögensbekenntnis nicht vollständig ausgefüllt worden sei. Dieser Beschluss wurde dem Beklagten am 11. 12. 2019 zugestellt.
Mit Schreiben vom 6. 1. 2020 erklärte der Beklagte, den Verfahrenshilfeantrag nunmehr zu verbessern und machte weitere Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen. Dieses mit 6. 1. 2020 datierte Schreiben des Beklagten trägt die Einlaufstampiglie des Erstgerichts vom 16. 1. 2020 und den Zusatz „Einlaufkasten“.
Mit Beschluss vom 31. 1. 2020 bewilligte das Erstgericht dem Beklagten die Verfahrenshilfe nach § 64 Abs 1 Z 3 ZPO in vollem Umfang. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.
Am 21. 2. 2020 wurde dem bestellten Verfahrenshelfer der vom Beklagten mit Rekurs angefochtene Beschluss über die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags zugestellt. Am 6. 3. 2020, also innerhalb der 14-tägigen Rekursfrist, erhob der Beklagte, nunmehr vertreten durch seinen Verfahrenshelfer, Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 3. 9. 2019.
Das Rekursgericht wies den Rekurs des Beklagten zurück. Da das mit 6. 1. 2020 datierte Schreiben des Beklagten, mit dem er das verbesserte Vermögensbekenntnis erneut vorgelegt habe, nach dem Eingangsvermerk des Erstgerichts erst am 16. 1. 2020 und somit außerhalb der 14‑tägigen Verbesserungsfrist bei Gericht eingelangt sei (§ 38 Abs 2 GeO), sei die Verbesserung des Verfahrenshilfeantrags nicht fristwahrend (§ 85 Abs 2 ZPO) gewesen und damit nicht rechtzeitig erfolgt. Ungeachtet der vom Erstgericht erfolgten Bewilligung der Verfahrenshilfe sei der Rekurs daher als verspätet zurückzuweisen. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde (ohne Begründung) für nicht zulässig erklärt.
Der vom Beklagten dagegen rechtzeitig erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Klägerin erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Ein Verfahrenshilfeantrag, mit dem die Beigebung eines Rechtsanwalts zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen eine gerichtliche Entscheidung gestellt wird, unterbricht die Rechtsmittelfrist nur dann, wenn die Partei innerhalb der Rechtsmittelfrist den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe stellt. Ein außerhalb der Rechtsmittelfrist gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe bewirkt weder eine Unterbrechung der Rechtsmittelfrist noch einen neuerlichen Lauf der Rechtsmittelfrist und vermag daher unabhängig davon, ob das Erstgericht in der Folge über diesen Verfahrenshilfeantrag inhaltlich entschied, die bereits eingetretene Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung nicht zu beseitigen (RS0036235 [T6, T11]).
Die Fristunterbrechung gemäß § 73 Abs 2 ZPO beziehungsweise § 464 Abs 3 ZPO tritt nur bei einem unzulässigen, nicht jedoch bei einem (bloß) unberechtigten Verfahrenshilfeantrag nicht ein (RS0123515). Hat eine Partei fristgerecht einen Verfahrenshilfeantrag gestellt, jedoch dann trotz gerichtlichen Verbesserungsauftrags kein Vermögensbekenntnis vorgelegt, so ist der Verfahrenshilfeantrag nicht zurückzuweisen, sondern abzuweisen. Dies hat um so mehr für den Fall zu gelten, wenn die Partei ohnehin ein Vermögensbekenntnis vorlegt und lediglich dem gerichtlichen Verbesserungsauftrag verspätet nachkommt (1 Ob 34/19k; RS0120073 [T3]). Eine dennoch erfolgte Zurückweisung ist in diesem Fall in eine abweisende Entscheidung umzudeuten. Mit Zustellung des abweislichen Beschlusses über die Bewilligung der Verfahrenshilfe beginnt die Rechtsmittelfrist neu zu laufen (§ 464 Abs 3 ZPO; RS0120073).
Das Vermögensbekenntnis stellt nach dem Modell der ZPO keinen (notwendigen) Bestandteil des Verfahrenshilfeantrags dar, sondern das primär vorgesehene Bescheinigungsmittel zum Nachweis der wirtschaftlichen Verhältnisse (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 II/1 § 73 ZPO Rz 5; 7 Ob 135/06p). Leistet daher die Partei einem Auftrag zur Ergänzung des Vermögensbekenntnisses oder zur Beibringung von Belegen keine Folge, dann ist § 381 ZPO sinngemäß anzuwenden (§ 66 Abs 2 Satz 4 ZPO). Daraus folgert die Lehre und Rechtsprechung, dass selbst bei Nichtvorlage des Vermögensbekenntnisses eine positive Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag möglich ist und weiters eine noch vor der Entscheidung des Gerichts über den Verfahrenshilfeantrag erfolgte Wiedervorlage zugunsten der Partei zu beachten ist (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 II/1 § 73 ZPO Rz 10; 10 ObS 17/16x Pkt 1. mwN; vgl RS0036100).
Den Ausführungen des Rekursgerichts zur nicht rechtzeitigen Verbesserung des Verfahrenshilfeantrags durch den Beklagten steht daher in der vorliegenden Konstellation im Ergebnis die Rechtskraft des Bewilligungsbeschlusses des Erstgerichts entgegen (vgl 10 ObS 17/16x; 10 ObS 18/16v). Infolge der Bewilligung der beantragten Verfahrenshilfe und Bestellung eines Rechtsanwalts hat die Rekursfrist mit der Zustellung des Bestellungsbescheids und des Beschlusses des Erstgerichts an diesen am 21. 2. 2020 gemäß § 521 Abs 1 Satz 1 ZPO zu laufen begonnen (§ 521 Abs 3 iVm § 464 Abs 3 ZPO). Ausgehend davon erfolgte die Einbringung des Rekurses am 6. 3. 2020 rechtzeitig.
Dem Revisionsrekurs des Beklagten war daher Folge zu geben, der angefochtene Zurückweisungsbeschluss des Rekursgerichts aufzuheben und diesem die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Beklagten unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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