OGH 10ObS17/16x

OGH10ObS17/16x22.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Heimo Bernroitner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Pflegegeld, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. November 2015, GZ 7 Rs 126/15y‑33, mit dem die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 13. Jänner 2015, GZ 31 Cgs 141/13x‑18, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00017.16X.0222.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Begründung:

Mit Urteil vom 13. 1. 2015 (ON 18) wies das Erstgericht das Begehren der Klägerin auf Zahlung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1. 11. 2012 ab. Das Urteil wurde der ‑ im Verfahren erster Instanz nicht vertretenen ‑ Klägerin am 10. 4. 2015 zugestellt.

Die Klägerin beantragte mit dem am 5. 5. 2015 zur Post gegebenen gerichtlichen Formular „ZPForm 1“ die Bewilligung der Verfahrenshilfe unter anderem durch vorläufige unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts (§ 64 Abs 1 Z 3 ZPO) zur Einbringung der Berufung gegen dieses Urteil.

Mit Beschluss vom 28. 5. 2015 (ON 21) erteilte das Erstgericht der Klägerin den Auftrag, innerhalb einer Frist von 14 Tagen das Vermögensbekenntnis unter Punkt II dieses Antragsformulars durch konkret bezeichnete Ergänzungen der Angaben zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zu verbessern. Mit diesem Beschluss stellte das Erstgericht der Klägerin den Antrag samt Beilagen im Original zurück und trug ihr auf, den Antrag und das ergänzte Vermögensbekenntnis innerhalb der 14‑tägigen Frist im Original wieder vorzulegen. Der Beschluss wurde der Klägerin durch Hinterlegung zugestellt. Beginn der Abholfrist war der 2. 6. 2015.

Erst mit Postaufgabedatum vom 19. 6. 2015 sandte die Klägerin den verbesserten Originalantrag samt Beilagen an das Erstgericht zurück.

Das Erstgericht bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom 2. 7. 2015 die Verfahrenshilfe im beantragten Umfang. Die vor Beschlussfassung eingelangte Ergänzung bzw Verbesserung des Vermögensbekenntnisses sei zu berücksichtigen.

Dem Verfahrenshelfer wurde das Ersturteil am 21. 8. 2015 zugestellt; die Berufung wurde am 17. 9. 2015 beim Erstgericht eingebracht.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Berufung zurück. Gemäß § 464 Abs 3 ZPO beginne für eine die Verfahrenshilfe genießende Partei, die innerhalb der Berufungsfrist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, die Berufungsfrist erst mit Zustellung des Bescheids über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn. Bleibe ein befristeter Verbesserungsauftrag innerhalb der zur Verbesserung gesetzten Frist erfolglos, sei der Schriftsatz bei Formmängeln zurückzuweisen. Die mangelnde oder bloß unvollständige Vorlage eines Vermögensbekenntnisses zu einem Verfahrenshilfeantrag sei nach der Rechtsprechung als bloßes Formgebrechen zu beurteilen, das ‑ auch nach einem erfolglosen Verbesserungsversuch ‑ nicht zur Zurückweisung des Verfahrenshilfeantrags führe. Werde allerdings ein Verfahrenshilfeantrag zur Verbesserung im Original zurückgestellt und nicht wieder vorgelegt, so gelte er als nicht gestellt, selbst wenn eine Kopie im Akt verbliebe. In einem solchen Fall komme es nicht zu einer Verlängerung der Rechtsmittelfrist. Nichts anderes könne gelten, wenn der im Original zurückgestellte Verfahrenshilfeantrag dem Gericht zwar wieder vorgelegt werde, dies jedoch erst nach Ablauf der gesetzten Verbesserungsfrist geschehe. Das Urteil des Erstgerichts sei mit Ablauf der Verbesserungsfrist bereits in Rechtskraft erwachsen. Daran ändere auch die spätere Bewilligung der Verfahrenshilfe durch das Erstgericht nichts. Die Berufung sei daher verspätet und zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der ‑ von der Beklagten nicht beantwortete ‑  Rekurs der Klägerin, mit dem sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Fortsetzung des Berufungsverfahrens anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig (RIS‑Justiz RS0042770; RS0098745); er ist auch berechtigt.

1. Das Berufungsgericht hat zutreffend auf die Rechtsprechung hingewiesen, wonach ein ‑ formgültiger - Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, dem trotz gerichtlichen Verbesserungsauftrags (nur) kein Vermögensbekenntnis beiliegt, nach der Rechtsprechung nicht zurück‑, sondern abzuweisen ist (3 Ob 130/05x; 9 ObA 133/09p; RIS‑Justiz RS0120073 mwH; M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 73 ZPO Rz 5). Die Nichtvorlage des Vermögensbekenntnisses hindert nämlich ebenso wenig wie dessen allfällige Verbesserungsbedürftigkeit eine meritorische Erledigung des Verfahrenshilfeantrags.

Der Grund dafür liegt darin, dass § 66 Abs 2 ZPO für das Vermögensbekenntnis besondere Regeln aufstellt. So ist im Fall der Nichtvorlage des Vermögensbekenntnisses nach einem Verbesserungsauftrag § 381 ZPO anzuwenden (§ 66 Abs 2 Satz 4 ZPO). Daraus ist zu schließen, dass selbst bei Nichtvorlage eine positive Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag möglich ist. Weiters ist eine noch vor der Entscheidung des Gerichts über den Verfahrenshilfeantrag erfolgte Wiedervorlage zugunsten der Partei zu beachten ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny  II/1³ § 66 ZPO Rz 10 mit Hinweis auf OLG Innsbruck 3 R 200/95, EvBl 1996/73, 426, und LGZ Wien 44 R 395/04w, EFSlg 108.887).

2. Im Anlassfall liegt genau diese Situation vor: Das Erstgericht leitete das Verbesserungsverfahren inhaltlich nur in Bezug auf Angaben zum Vermögensbekenntnis der Klägerin ein, nicht aber zur Behebung allfälliger Formmängel des ‑ von diesem zu unterscheidenden ‑ Antrags auf Bewilligung der Verfahrenshilfe. Damit lag ein formgültiger und fristgerecht eingebrachter Verfahrenshilfeantrag der Klägerin vor, dem daher grundsätzlich die Eignung zukam, die Berufungsfrist gemäß § 464 Abs 3 ZPO zu unterbrechen (7 Ob 135/06p; RIS‑Justiz RS0123515).

3. Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt darin, dass das Erstgericht der Klägerin, obwohl es nur die Verbesserung des Vermögensbekenntnisses (§ 66 Abs 2 ZPO) auftrug, auch den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (der ebenso wie das Vermögensbekenntnis Bestandteil des von der Klägerin für ihren Antrag verwendeten gerichtlichen Formulars „ZPForm 1“ ist) im Original zurückstellte. (Nur) aus diesem Grund lag zum Zeitpunkt des Ablaufs der Verbesserungsfrist nur eine Kopie des Antrags der Klägerin auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (ON 20) im Akt des Erstgerichts. (Nur) darin unterscheidet sich der vorliegende Fall aber von den oben bereits genannten Entscheidungen (zB 3 Ob 130/05x).

4. Es trifft nun zu, dass einem Verbesserungsauftrag auch dann fristgerecht Folge zu leisten ist, wenn dieser zu Unrecht erfolgte, um zu erreichen, dass der Schriftsatz als am Tag seines ersten Einlangens überreicht angesehen werden kann (RIS‑Justiz RS0107287). Richtig ist auch, dass ein Antrag auf Verfahrenshilfe, der zur Verbesserung zurückgestellt, in der Folge aber nicht mehr vorgelegt wird, nach der Entscheidung 3 Ob 1101/94 (= RZ 1995/85) als nicht gestellt gilt, sodass es zu keiner Verlängerung der Rechtsmittelfrist kommt ( E. Kodek in Rechberger 4 § 464 Rz 4; Pimmer in Fasching/Konecny  IV/1 2 § 464 Rz 18). Allerdings wurde der zur Verbesserung zurückgesandte Verfahrenshilfeantrag in der Entscheidung 3 Ob 1101/94 anders als im nunmehr zu beurteilenden Sachverhalt nicht mehr wieder vorgelegt. Damit lag dem Gericht tatsächlich kein Antrag mehr vor, über den es zu entscheiden hätte (ebenso zu nach Verbesserungsauftrag nicht mehr wieder vorgelegten Rechtsmitteln RIS‑Justiz RS0035753 [T4, T9], RS0115805 [T4]).

5.1 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin den formgültigen Verfahrenshilfeantrag jedoch im Original nur wenige Tage nach Ablauf der Verbesserungsfrist, aber noch vor Entscheidung des Erstgerichts über den Verfahrenshilfeantrag neuerlich beim Erstgericht eingebracht. Dies hat zumindest in einer Konstellation wie der hier zu beurteilenden entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht zur Folge, dass die Rechtskraft des Urteils des Erstgerichts eingetreten wäre.

5.2 Die Berufungsfrist war, wie bereits ausgeführt, durch die fristgerechte Einbringung des formgültigen Verfahrenshilfeantrags gemäß § 464 Abs 3 ZPO unterbrochen. § 464 Abs 3 ZPO ist eine ‑ nur in dem in dieser Bestimmung genannten Fall anwendbare (RIS‑Justiz RS0007016) ‑ Schutzbestimmung, die die Partei vor denjenigen Nachteilen bewahren soll, die sich für sie im Nichtanwaltsprozess dadurch ergeben können, dass im Berufungsverfahren die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist (RIS‑Justiz RS0041652). Es handelt sich dabei nicht um eine Verlängerung, sondern um eine Verlegung des Beginns der Berufungsfrist auf die in § 464 Abs 3 ZPO genannten Zeitpunkte (RIS‑Justiz RS0041683).

5.3 Es würde dem Schutzcharakter dieser Bestimmung widersprechen, in einem Fall wie dem hier zu beurteilenden vom Verlust der bereits eingetretenen Unterbrechungswirkung gemäß § 464 Abs 3 ZPO auszugehen: Der Verbesserungsantrag betraf nicht den Verfahrenshilfeantrag, sondern nur das Vermögensbekenntnis. Der Verfahrenshilfeantrag wurde daher nur aus Anlass des Verbesserungsverfahrens im Original an die Klägerin zurückgestellt. Dies beseitigt zumindest dann nicht die bereits eingetretene Unterbrechung der Berufungsfrist, wenn wie hier der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Original noch vor der Fällung der Entscheidung des Erstgerichts wiederum vorgelegt wird. Denn in diesem Zeitpunkt lag der Antrag, der fristgerecht gestellt wurde und von Anfang an nicht verbesserungsbedürftig war, dem Gericht jedenfalls (wieder) vor. Es ergibt sich aus dem gesamten Verhalten der Klägerin keinerlei Hinweis, dass sie den einmal gestellten Verfahrenshilfeantrag nach der Rückstellung nicht neuerlich einbringen wollte.

5.4 Nur bei einer solchen Auslegung der Bestimmung kann eine Ungleichbehandlung vermieden werden, die dadurch entstünde, dass ein in einer vergleichbaren Situation nicht im Original zurückgestellter Antrag fristwahrend ist, während ein ‑ ohne Notwendigkeit ‑ im Original zurückgestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe bei Versäumung einer den Antrag gar nicht betreffenden Verbesserungsfrist zum Verlust des Schutzes der durch § 464 Abs 3 ZPO bewirkten Unterbrechung der Berufungsfrist führen würde.

5.5 Das hier erzielte Ergebnis steht überdies auch im Einklang mit den Wertungen der Rechtsprechung, wonach ein zur Verbesserung zurückgestellter Schriftsatz dann nicht mehr wegen Verspätung zurückgewiesen werden darf, wenn eine vor Eintritt der Rechtskraft (gesetzwidrig) erteilte weitere Frist eingehalten wird; es ist in einem solchen Fall auf den letztlich verbesserten Schriftsatz Bedacht zu nehmen (2 Ob 141/07k mwH; RIS‑Justiz RS0036251; G. Kodek in Fasching/Konecny  II/2² §§ 84, 85 ZPO Rz 293 mwH).

6. Für den konkreten Fall folgt daraus, dass infolge der Bewilligung der beantragten Verfahrenshilfe und Bestellung eines Rechtsanwalts die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bestellungsbescheids und des Urteils des Erstgerichts an diesen am 21. 8. 2015 gemäß § 464 Abs 3 Satz 1 ZPO zu laufen begonnen hat. Ausgehend davon erfolgte die Einbringung der Berufung am 17. 9. 2015 rechtzeitig.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben und der angefochtene Beschluss aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte