OGH 9Ob40/21d

OGH9Ob40/21d28.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. * H*, vertreten durch Dr. Johann Gelbmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. * S*, vertreten durch Schuppich Sporn & Windischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen 8.000 EUR sA und Feststellung (Revisionsinteresse: 3.000 EUR sA und Feststellung), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 8. März 2021, GZ 18 R 96/20a‑26, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Bezirksgerichts Mödling vom 2. September 2020, GZ 4 C 970/19g‑18, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132520

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Dem Rekurs der beklagten Partei wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass das Teilurteil des Erstgerichts im Umfang der Abweisung des Begehrens der klagenden Partei, die beklagte Partei sei schuldig, ihr 3.000 EUR (Verdienstentgang September 2019) samt 4 % Zinsen ab 2. 10. 2019 zu zahlen, wiederhergestellt wird.

Im Übrigen, das heißt im Umfang der Aufhebung des Teilurteils zum Begehren der klagenden Partei, es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für weitere in Hinkunft entstehende Nachteile und Schäden aufgrund der unrichtigen Gutachtenserstattung im Verfahren des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, AZ 20 Cg 87/09a, im Zusammenhang mit der fehlerhaften Behandlung durch die Zahnärztin Dr. E* vom 20. 12. 2004, hafte, wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung ist der Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin begehrte im Verfahren zu AZ 27 Cg 87/09a des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien (Vorverfahren) von Dr. * aufgrund einer fehlerhaften Zahnbehandlung vom 20. 12. 2004 zuletzt ua 10.000 EUR Schmerzengeld, 253.683,48 EUR netto an Verdienstentgang bis November 2017 und die Feststellung der Haftung für alle weiteren Schäden. Der Beklagte erstattete in jenem Verfahren ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Neurologie zu den Fragen

- Beschreibung der durch die gegenständliche Fehlbehandlung kausal verursachten Beschwerden und gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin;

- Angabe der daraus resultierenden Schmerzperioden bzw Stellungnahme zur Frage, inwieweit die, aus nervenärztlicher Sicht angegebenen Schmerzen eine Überdeckung mit den bereits ausgemittelten Schmerzperioden aufweisen;

- Stellungnahme zur gegebenenfalls kausal bedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin;

- Stellungnahme zur Notwendigkeit der durchgeführten Behandlungen aus neurologischer Sicht, jeweils unter Berücksichtigung der bereits eingeholten Gutachen aus dem Sachgebiet der Dermatologie und der HNO‑Heilkunde.

[2] Er kam zum Ergebnis, dass die bei der Klägerin bis jetzt unverändert und sehr häufig auftretenden Kopfschmerzen nicht als ereigniskausal angesehen werden könnten, dass aus neurologischer Sicht 25 bis 30 zusätzliche Tage mittlerer Schmerzen anzusetzen seien, ein Krankenstand aufgrund der depressiven Verstimmungen nicht erforderlich gewesen sei und aus neurologischer Sicht keine spezifischen Behandlungen erforderlich gewesen seien. Der arbeitsmedizinische Sachverständige kam in der Folge zusammenfassend „unter Berücksichtigung der bereits eingeholten gerichtlichen Sachverständigengutachten“ zum Ergebnis, dass der Klägerin eine Tätigkeit als Arbeitsmedizinerin und Sachverständige möglich sei.

[3] Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien sprach der Klägerin im Vorverfahren mit Urteil vom 29. 4. 2019 das Schmerzengeld in der begehrten Höhe zu und gab dem Feststellungsbegehren statt. Zum Verdienstentgangsbegehren konnte es nicht feststellen, ob die Klägerin tatsächlich einen Verdienstentgang in genannter Höhe erlitten hatte oder diesen durch ein anderweitig während der ursprünglich als Notärztin verbrachten Arbeitszeit erzieltes Einkommen schmälern konnte. Es wies diesen Teil des Begehrens mit der Begründung ab, dass die Ermittlung der Höhe des tatsächlich eingetretenen Schadens mangels Mitwirkung der Klägerin (Vorlage von Einkommensnachweisen) nicht möglich gewesen sei.

[4] Das Oberlandesgericht Wien gab der dagegen gerichteten Berufung der Klägerin nicht Folge.

[5] Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision der Klägerin zurück (7 Ob 102/19d). Dem Schmerzengeldbegehren sei zur Gänze (rechtskräftig) stattgegeben worden. Ausgehend von den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen sei die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe schon den Eintritt des von ihr behaupteten Verdienstentgangs nicht unter Beweis gestellt, nicht korrekturbedürftig.

[6] Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin mit ihrer am 21. 10. 2019 eingebrachten Klage – soweit für den vorliegenden Rekurs relevant – die Feststellung, dass der Beklagte für weitere in Hinkunft entstehende Nachteile und Schäden aufgrund der unrichtigen Gutachtenserstattung in jenem Verfahren hafte, sowie 3.000 EUR an Verdienstentgang für September 2019 (das Schmerzengeldbegehren der Klägerin von 5.000 EUR sA ist nicht rekursgegenständlich). Sie brachte vor, hätte der Beklagte als gerichtlicher Sachverständiger im Vorverfahren ein richtiges Gutachten erstattet und sowohl die Fazialisparese wie auch den Kopfschmerz als ereigniskausal beurteilt, hätte sie einen um zumindest 5.000 EUR höheren Schmerzengeldanspruch gehabt. Weiters wäre vom Gericht festgestellt worden, dass sie aufgrund der persistierenden Kopfschmerzen nicht weiterhin als Ärztin, auch nicht als Sachverständige und als Arbeitsmedizinerin arbeiten könne. Dann wäre es nicht auf einen tatsächlichen Verdienstentgang angekommen, sondern auf den Verlust aufgrund ihrer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand. Dieser wäre ihr jedenfalls, unabhängig von allfälligen Ersatzverdiensten, zuzusprechen gewesen, weil allfällig erzielte Einkünfte, trotz Kopfschmerzen, nicht zur Entlastung des Schädigers führten, da ihr dies nicht zumutbar gewesen wäre. Ihr würden ereigniskausal auch in Zukunft Ansprüche erwachsen, insbesondere aus dem Titel des Verdienstentgangs, zudem könne eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nicht ausgeschlossen werden.

[7] Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, sein Gutachten sei richtig gewesen. Das Feststellungsbegehren sei auch nicht gerechtfertigt, weil die Klägerin ohnehin durch das klagsstattgebende Feststellungsbegehren des Vorverfahrens abgesichert sei. Im arbeitsmedizinischen Gutachten seien die Kopfschmerzen der Klägerin berücksichtigt worden. Auch bei einem anderen Gutachten wäre die Entscheidung über die Arbeitsfähigkeit der Klägerin gleich ausgefallen. Die Ansprüche seien auch verjährt, weil die Klägerin bereits 2014 von einem Schaden aufgrund eines unrichtigen Gutachtens ausgegangen sei.

[8] Das Erstgericht wies die genannten Begehren (Feststellung und Verdienstentgang) ohne Beweisaufnahme und ohne Feststellung zur Richtigkeit des Gutachtens des Beklagten mit Teilurteil ab. Selbst bei Unrichtigkeit des Gutachtens hätte dies nicht zu zukünftigen negativen Folgen, die nicht ohnehin durch den Feststellungsausspruch im Vorverfahren abgedeckt seien, führen können. Es wäre auch für den Ersatz des Verdienstentgangs für September 2019, der im Vorverfahren naturgemäß nicht geltend gemacht werden habe können, nicht kausal gewesen.

[9] Das Berufungsgericht hob das Teilurteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. In seiner ausführlichen Begründung kam es zusammengefasst zum Ergebnis, im Hinblick auf das Feststellungsbegehren könnten künftige Schäden nicht ausgeschlossen werden. Ein unrichtiges Gutachten des Beklagten unterstellt, es sei auch wahrscheinlich, dass dem Verdienstentgangsbegehren der Klägerin im Vorverfahren, unabhängig von der Vorlage ihrer Einkommensunterlagen, (teilweise) stattgegeben worden wäre. Ihr wäre nur eine zumutbare Ersatztätigkeit abzuverlangen, eine allfällige Mehranstrengung erfolge nicht zu Gunsten des Schädigers. Einen weiteren Leistungsprozess gegen die Schädigerin im Vorverfahren anzustrengen und dadurch gleichsam den Schaden zu realisieren, bevor sie Gewissheit über die Richtigkeit des Gutachtens habe, könne der Klägerin nicht zugemutet werden.

[10] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil die Frage, ob eine die Klägerin beschwerende Entscheidung auch für künftige Verdienstentgangsansprüche vorliege, obwohl die Unfallkausalität in jedem einzelnen Fall neu zu prüfen sei, noch nicht entschieden sei. Auch finde sich keine Rechtsprechung zur Frage, ob der Schaden aus einem Sachverständigengutachten bereits eingetreten sein könne, obwohl noch kein Folgeprozess aufgrund des möglicherweise fehlerhaften Gutachtens gegen den ursprünglichen Schädiger angestrengt und verloren worden sei. Überdies sei auch die Frage, ob bei festgestellter Erwerbsunfähigkeit eine ausgeübte, jedoch objektiv nicht zumutbare Tätigkeit den Schaden zu Gunsten des Schädigers mindere, nicht beantwortet.

[11] In seinem dagegen gerichteten Rekurs beantragt der Beklagte, den angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts als nichtig aufzuheben, in eventu, ihn im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Die Klägerin beantragt, den Rekurs des Beklagten zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.

[13] Der Rekurs des Beklagten ist zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[14] I. Die vorgebrachte Nichtigkeit wurde vom Senat geprüft, sie liegt jedoch nicht vor. Der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RS0007484). Das ist hier nicht der Fall. Der Beklagte zeigt selbst auf, in welcher Form sich das Berufungsgericht auf das Gutachten des arbeitsmedizinischen Sachverständigen bezogen hat. Die Entscheidungsgrundlage ist damit nachvollziehbar. Auch eine Nichtigkeit der Berufungsentscheidung aufgrund der Auseinandersetzung des Berufungsgerichts mit der Frage der Verjährung liegt nicht vor. Im Hinblick auf die dem Erstgericht aufgetragene Fortsetzung des Verfahrens konnte eine Prüfung dieses vom Beklagten in erster Instanz vorgetragenen Einwands vorgenommen werden. Die vom Rekurs zitierte Rechtsprechung (RS0043352 [T26]) ist insoweit nicht einschlägig. Schließlich liegt auch keine Nichtigkeit in der Annahme des Berufungsgerichts, dass es bei zugrunde gelegter arbeitsmedizinischer Unzumutbarkeit einer beruflichen Tätigkeit wahrscheinlich sei, dass dem Verdienstentgangsbegehren der Klägerin bereits im Vorverfahren unabhängig von der Vorlage ihrer Einkommensunterlagen (teilweise) stattgegeben worden wäre, resultiert dies doch aus der Erwägung eines Entgeltentfalls ohne schadensmindernde Anrechnung dennoch erzielter Einnahmen aus einer Erwerbstätigkeit.

[15] II. Auch die vom Beklagten geltend gemachte Aktenwidrigkeit ist nicht zu erkennen. Das Berufungsgericht folgte jenem arbeitsmedizinischen Gutachten, in dem der Sachverständige zwar auch die Privatgutachten und die Angaben der Klägerin zu den chronischen Kopfschmerzen erhoben hatte, seine Schlussfolgerung jedoch auf den gerichtlichen Sachverständigengutachten aufbaute, in denen persistierende Kopfschmerzen der Klägerin nicht unfallkausal berücksichtigt waren. Auch dass der Verdienstentgang für September 2019 aktenwidrig nicht als Prozessgegenstand beurteilt worden wäre, trifft nicht zu. Der Beklagte bringt selbst vor, dass ihn die Klägerin „lediglich nicht geltend gemacht“ habe, ihn im Vorverfahren aber geltend machen hätte können.

[16] III.1. Sachverständigenhaftung

[17] Das Berufungsgericht hat die Grundsätze der Sachverständigenhaftung zutreffend wie folgt dargelegt:

[18] Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs haftet ein Sachverständiger, der im Prozess ein unrichtiges Gutachten abgibt, den Parteien gegenüber persönlich nach § 1299 ABGB (RS0026316, RS0026319; 7 Ob 96/19x). Er kann aufgrund eigener deliktischer Haftung direkt belangt werden (RS0026353 [T3], RS0026337 [T4, T5]). Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der in einem Zivilprozess schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, haftet demnach den Prozessparteien gegenüber für die Folgen dieses Versehens. Ob einer Prozesspartei durch ein solches schuldhaftes Fehlverhalten des Sachverständigen ein Schaden entstanden ist, ist danach zu beurteilen, ob die Entscheidung im Vorprozess für sie günstiger ausgefallen wäre, wenn der Sachverständige dort ein in allen von ihm begutachteten Fragen ein richtiges Gutachten abgegeben hätte (RS0026360). Eine Haftung nach allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts gilt nicht nur in Fällen, in denen der Ersatz für Schäden aus einer auf Basis eines unrichtigen Sachverständigengutachtens ergangenen gerichtlichen Entscheidung begehrt wird (2 Ob 180/08x). Eine Haftung besteht vielmehr auch für alle den Parteien verursachten Schäden, die durch ein, wenn auch letztlich nicht der Entscheidung des Gerichts zu Grunde gelegtes Gutachten entstehen, das sich im Laufe des Verfahrens als unrichtig und mangelhaft herausstellt und daher der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden kann (2 Ob 180/08x, RS0124312). Das Wesen des Rechtswidrigkeitszusammenhangs liegt nämlich darin, dass aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens für jene verursachten Schäden zu haften ist, die die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern sollte (RS0022933 [T1]). Schäden aufgrund eines unrichtigen Gutachtens sind daher vom Schutzzweck umfasst, insbesondere für einen aufgrund der drohenden Kosten nicht weiterverfolgten Anspruch oder frustrierte Rechtsverfolgungskosten, weil es – unabhängig vom subjektiven Vertrauen des Geschädigten – darauf ankommt, ob er im Hinblick auf das unrichtige Gutachten in Bezug auf das Verfahren Dispositionen getroffen hat (7 Ob 96/19x).

[19] III.2. Feststellungsbegehren

[20] Der Beklagte bringt vor, dass ein allenfalls unrichtiges Gutachten zu keinen zukünftigen negativen Folgen führen könnte, die nicht ohnehin durch den Feststellungsausspruch im Vorverfahren abgedeckt seien.

[21] Nach ständiger Rechtsprechung ist ein schadenersatzrechtliches Feststellungsbegehren zulässig, solange der Eintritt künftiger Schäden – aus einem haftungsbegründenden Verhalten oder Ereignis – nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (s RS0039018; RS0038971 [T5]). Bleibt die Möglichkeit offen, dass ein bestimmtes schuldhaftes rechtswidriges Verhalten für einen künftigen Schadenseintritt ursächlich sein könnte, besteht ein Feststellungsinteresse (vgl RS0038865). Klagen auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden sind selbst dann zulässig, wenn noch kein feststellbarer Schaden eingetreten ist und nur die Möglichkeit besteht, dass das schädigende Ereignis einen künftigen Schadenseintritt ermöglichen kann (RS0040838 [T7, T8]). Während die frühere Judikatur das Interesse an der Feststellung für die Haftung künftiger Schäden nur dann zuerkannte, wenn bereits ein (Teil-)Schaden eingetreten war, lässt die nunmehr herrschende Judikatur unter bestimmten Voraussetzungen auch die Feststellung einer (allfälligen) Ersatzpflicht für künftige Schäden aus einem bestimmten (zumindest potentiell schädigenden) Ereignis zu, wenn noch kein feststellbarer Schaden eingetreten ist (7 Ob 91/14d = RS0040838 [T7]).

[22] Nach der Rechtsprechung muss auch bei einem positiven Feststellungsurteil im Folgeprozess neuerlich geprüft werden, ob der geltend gemachte Schaden von der Ersatzpflicht umfasst ist, also sowohl, ob er kausal auf den Unfall, hinsichtlich dessen die Ersatzpflicht festgestellt wurde, zurückzuführen ist, als auch, ob es sich um einen Schaden handelt, hinsichtlich dessen der Schädiger ersatzpflichtig ist, also etwa ob bei leichtem Verschulden positiver Schaden vorliegt (RS0111722). Das Feststellungsurteil entfaltet für die Unfallkausalität der im Leistungsprozess geltend gemachten Schäden noch keine Bindungswirkung. Folgen mehrere Leistungsprozesse, so findet die Prüfung der Unfallkausalität bezogen auf den jeweils geltend gemachten Schaden in jedem einzelnen dieser Prozesse statt (2 Ob 167/10p; 5 Ob 227/11k; 2 Ob 184/08k). Der rechtskräftig entschiedene Anspruch ist bedingendes Rechtsverhältnis für den weiteren Anspruch (8 ObA 26/13a).

[23] Es ist möglich, dass es künftig Ansprüche gibt, für die die Frage, ob die anhaltenden Kopfschmerzen der Klägerin ereigniskausal waren oder nicht, entscheidungswesentlich ist. Die Klägerin berief sich diesbezüglich „insbesondere“ auf Ansprüche aus dem Titel des Verdienstentgangs, zudem könne eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nicht ausgeschlossen werden. Wie vom Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt, ist nicht ausgeschlossen, dass für die Beurteilung solcher, aber auch anderer Fragen das Gutachten des Beklagten zur Verfügung steht und als Beweismittel zu den genannten Fragestellungen herangezogen wird womit die Klägerin dessen – sofern gegebene – Unrichtigkeit allenfalls mit Kostenaufwand zu widerlegen hätte (zB Ergänzungsanspruch auf Schmerzengeld bei nachträglichem Eintritt unvorhersehbarer kopfschmerzbedingter Folgen, vgl RS0031056). Darin liegt auch keine „de facto ausgeschlossene Gefährdung“. Ist aber konkret denkbar, dass der Klägerin auch in Zukunft ein Schaden aus einer allfälligen Fehlbegutachtung des Beklagten entstehen kann, ist der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts in dieser Hinsicht zurecht erfolgt.

[24] III.3. Verjährung

[25] Dieser Anspruch ist auch nicht verjährt.

[26] Schadenersatzansprüche verjähren in drei Jahren ab dem Zeitpunkt, zu dem der Eintritt des Schadens und die Person des Ersatzpflichtigen dem Geschädigten soweit bekannt wurden, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg eingebracht werden kann (RS0034524; RS0050338). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch den Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden und einem bestimmten dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RS0034951 [T1, T2, T4 bis T7]). Wenn auch der anspruchsbegründende Sachverhalt dem Geschädigten nicht in allen Einzelheiten bekannt sein muss, muss er doch in der Lage sein, das zur Anspruchsbegründung erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RS0034524 [T24, T25]). Bloße Mutmaßungen genügen nicht (RS0034524 [T18]). Hat ein geschädigter Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, beginnt die Verjährung nicht zu laufen (RS0034603), weil die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen ihre Kenntnis nicht ersetzen kann (RS0034459). Nur wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme in dem Zeitpunkt erlangt, in dem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RS0034327; RS0034335). Die Erkundigungspflicht des Geschädigten darf aber nicht überspannt werden (RS0034327; RS0034524 [T48]). Es braucht deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RS0034327 [T21, T42]). Das Ergebnis der gutachterlichen Tätigkeit eines Sachverständigen steht erst mit Abschluss des Verfahrens endgültig fest. Davor fehlt es an der wesentlichen Voraussetzung für eine „vorbeugende Feststellungsklage“, nämlich dass sich das schädigende Ereignis, das einen konkreten Schaden hätte auslösen können, bereits ereignet hat (RS0040838 [T15]; 3 Ob 170/16w; 7 Ob 140/16p). Auch die Beurteilung einer Leistungspflicht wegen unrichtiger Gutachtenserstattung setzt den rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens voraus. Davor fehlt es an einem dem Beklagten zurechenbaren schädigenden Ereignis (9 Ob 38/11w; 1 Ob 203/11a).

[27] Ausgehend von dieser Rechtsprechung kann im vorliegenden Fall nichts anderes gelten, in dem die Klägerin im Vorverfahren (Berufung ON 270) zunächst versuchte, die Feststellung, dass die Kopfschmerzen nicht ereigniskausal angesehen werden könnten, aufgrund der ihrer Ansicht nach gegebenen Unrichtigkeit des Gutachtens zu bekämpfen und vor Verfahrensabschluss nicht mit ausreichender Gewissheit von einem anspruchsbegründenden Sachverhalt ausgehen konnte. Eine Verjährung wurde vom Berufungsgericht zu Recht verneint.

[28] III.4. Verdienstentgang September 2019

[29] Der Schadenersatzanspruch setzt unter anderem voraus, dass die Unrichtigkeit des Gutachtens ausschlaggebend für die die Prozesspartei beschwerende Entscheidung war. Entscheidend ist allein, welchen Einfluss ein sachlich richtiges Gutachten des Sachverständigen auf die Entscheidung gehabt hätte. Bei Lösung der Frage, ob die Unrichtigkeit des Gutachtens maßgebend für die die Prozesspartei beschwerende Entscheidung war, ob also das Gericht dann, wenn der Sachverständige ein sachlich richtiges Gutachten erstattet hätte, eine andere oder die gleiche Sachentscheidung getroffen hätte, handelt es sich um die Beurteilung der natürlichen Kausalität des Fehlverhaltens des Sachverständigen für den der Prozesspartei entstandenen Schaden (6 Ob 85/07d). Im Vorprozess wurde kein Schadenersatz für Verdienstentgang zugesprochen, weil ein Verdienstentgang nicht festgestellt werden konnte. Das Urteil im Vorprozess umfasste jedoch nur den geltend gemachten Verdienstentgang für den Zeitraum bis November 2017. Ein Verdienstentgang für September 2019 wurde von der Klägerin aufgrund des davor liegenden Verhandlungsschlusses (Ersturteil vom 26. 4. 2019) nicht geltend gemacht und war auch nicht von der Rechtskraft des Urteils umfasst. Ein Rentenbegehren (§ 406 ZPO) wurde von ihr nicht gestellt. Lag insoweit aber kein Leistungsbegehren vor, hätte – unterstellt, dass das Gutachten des Beklagten bezüglich der (Rest-)Arbeitsfähigkeit der Klägerin unrichtig war – auch ein sachlich richtiges Gutachten zu keiner anderen Entscheidung und zu keinem Zuspruch des Verdienstentgangs für September 2019 geführt.

[30] Keine Rolle spielt, dass das Verdienstentgangsbegehren der Klägerin im Vorprozess deshalb abgewiesen wurde, weil sie ihre Einkommensunterlagen nicht offengelegt hatte (wozu sie nach ihrem Rechtsstandpunkt nicht verpflichtet gewesen sei). Dieser Umstand ändert nichts daran, dass dort nur der Verdienstentgang für den Zeitraum bis November 2017, nicht aber für September 2019 verfahrensgegenständlich war. Das Gutachten des Beklagten, sollte es unrichtig sein, wäre danach im Hinblick auf das hier verfahrensgegenständliche Leistungsbegehren zum Verdienstentgang für September 2019 nicht schadenskausal.

[31] IV. Ausgehend davon ist der Rekurs des Beklagten teilweise berechtigt, sodass ihm wie aus dem Spruch ersichtlich im Hinblick auf das Verdienstentgangsbegehren für September 2019 im klagsabweisenden Sinn Folge zu geben war. Im Hinblick auf das Feststellungsbegehren der Klägerin erwies er sich dagegen als unberechtigt, sodass ihm insoweit keine Folge zu geben war.

[32] V. Die Kostenentscheidung ist aufgrund des Kostenvorbehalts des Erstgerichts der Endentscheidung vorbehalten.

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