European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00025.21Y.0527.000
Spruch:
Die Revision der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.032,91 EUR (darin 172,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
[1] In einem Vorprozess wurde das gegen die Tochter des Klägers gerichtete Begehren der Beklagten auf Übereignung der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft, in eventu Abgabe von Willenserklärungen, rechtskräftig abgewiesen (4 Ob 238/19g).
[2] Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger als Fruchtgenussberechtigter von den Beklagten die Räumung des darauf befindlichen Pachtgegenstands wegen nach Ablauf des Pachtvertrags titelloser Nutzung.
[3] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob der in § 1109 iVm § 1440 Abs 2 ABGB normierte Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts in teleologischer Reduktion abzulehnen sei, wenn der die Räumung begehrende Verpächter mit einem Investitionsersatzanspruch des Pächters von Anfang an rechnen musste.
[4] Die Beklagten schließen sich in ihrer Revision der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts an und machen weitere Gründe als erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend.
[5] Der Kläger bestreitet in seiner Revisionsbeantwortung die Zulässigkeit der Revision und beantragt deren Zurückweisung, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 502 Abs 1 ZPO). Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Die Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
[7] 1. Die Beklagten bestreiten in der Revision nicht, das Pachtobjekt seit dem Auslaufen des Pachtvertrags titellos zu benützen, erachten das Räumungsbegehren des Klägers aber weiterhin als schikanös.
[8] 1.1. Ein Rechtsmissbrauch oder eine schikanöse Rechtsausübung liegt dann vor, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt (RS0025230 [T7]; RS0010568 [T1]) oder wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht (RS0026265 [T13]; RS0026271 [T19]). Dabei geben im Allgemeinen selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zu Gunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag, weil diesem grundsätzlich zugestanden werden muss, dass er innerhalb der Schranken des ihm eingeräumten Rechts handelt (RS0026265 [T29]; RS0025230 [T8]). Behauptungs- und beweispflichtig für alle für eine schikanöse Rechtsausübung sprechenden Umstände ist derjenige, der sich darauf beruft (RS0026205 [T3]). Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und stellt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0110900; RS0042881 [T8]).
[9] 1.2. Die von den Beklagten vorgebrachte Vereitelung ihrer Kaufoption, die sie darin sehen, dass der Kläger die Liegenschaft während der Laufzeit des Pachtvertrags unter Vorbehalt des Fruchtgenusses an seine Tochter übertrug, ist – ungeachtet allfälliger Schadenersatzansprüche – im Wege des Schikaneeinwands nicht geeignet, hier eine Rechtsgrundlage für eine weitere Nutzung des Pachtobjekts durch die Beklagten zu schaffen. Auch die in der Revision zitierten Entscheidungen stützen ihren Rechtsstandpunkt nicht. In der Entscheidung 3 Ob 17/19z wurde die Ansicht, die klagende Partei verfolge mit ihrer Klage ausschließlich Schädigungszwecke, gerade nicht geteilt. Die Entscheidung 7 Ob 49/07t betraf das Begehren auf Beseitigung einer irrtümlich zur Gänze auf fremdem Grund errichteten Grenzmauer, zu dem eine missbräuchliche Rechtsausübung von den Vorinstanzen vertretbar verneint wurde. In der Entscheidung 4 Ob 142/17m, die Fragen der Vertragsauslegung zum Umfang des Mietgegenstands betraf, wurde lediglich festgehalten, dass der Rechtsmissbrauchseinwand jener Beklagten nicht geeignet ist, das klägerische Räumungsbegehren abzuwehren.
[10] 1.3. Soweit die Beklagten den Rechtsmissbrauch mit der Absicherung der Nutzung ihrer Investitionen begründen wollen, weshalb das Interesse des Bestandgebers an der Räumung „zumindest in den ersten 30 Jahren“ des Bestandverhältnisses in großem Missverhältnis zum Interesse des Bestandnehmers am Verbleib im Bestandobjekt stehe, steht ihnen die vereinbarte fünf- (+1‑)jährige Dauer des Pachtvertrags und die nachstehenden Erwägungen zu § 1109 ABGB entgegen.
[11] 2. Die Beklagten bringen vor, dass nach der Rechtsprechung bei großen Investitionen ein Zurückbehaltungsrecht bis zum tatsächlich erfolgten Ersatz dieser Investitionen bestehe, wenn die Bestandgeberseite damit rechnen musste, dass der Bestandnehmer ein solches Zurückbehaltungsrecht geltend macht.
[12] 2.1. Für Bestandverträge sieht schon § 1109 ABGB ein Zurückbehaltungsverbot und ein Aufrechnungsverbot vor, das in § 1440 Satz 2 ABGB wiederholt wird (RS0110471). Auch dass der Bestandnehmer einen Anspruch auf Investitionsersatz behauptet, kann ihn vor der Rückstellung nicht schützen (RS0110471 [T1]). Der Bestandnehmer kann daher die Rückstellung des Bestandobjekts gemäß § 1109 letzter Satz ABGB nicht unter Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht (zB wegen Anspruchs auf Aufwandersatz) verweigern (10 Ob 52/14s mwN).
[13] 2.2. Zu § 1440 ABGB hält die Rechtsprechung zwar auch fest, dass der Sinn des Zurückbehaltungsverbots und Aufrechnungsverbots des § 1440 ABGB für entliehene, in Bestand oder Verwahrung genommene Sachen nur darin gefunden werden kann, dass in diesen vom Gesetz genannten Fällen der Rückforderungsgläubiger typischerweise nicht mit Gegenansprüchen rechnet. Deshalb muss § 1440 ABGB jedenfalls überall dort außer Betracht bleiben, wo von vornherein Ansprüche des Schuldners aus diesem Rechtsverhältnis zu erwarten sind, etwa wenn dieser den laufenden Aufwand für die Erhaltung der Sache getragen hat oder die Verwahrung etwa entgeltlich erfolgte (RS0033918 [T4] = RS0116433). Mit einem Aufwandersatzanspruch der Pächter musste der Kläger aber schon im Hinblick auf den vereinbarten Verzicht der Beklagten und die ihnen eingeräumte Kaufoption nicht rechnen.
[14] 2.3. Ein Verzicht auf einen Aufwandersatzanspruch verstößt für sich auch nicht gegen die guten Sitten. Aus dem RS0024045 ist lediglich abzuleiten, dass dem Mieter die Möglichkeit geboten werden muss, seine auf das Bestandobjekt gemachten Aufwendungen zeitlich und umfänglich entsprechend zu nützen. Ungeachtet dessen, dass diese Möglichkeit den Beklagten mit der Kaufoption im Pachtvertrag am 24. 5. 2011 eingeräumt wurde, wurde in der Entscheidung 3 Ob 17/19k klargestellt, dass diese Rechtsprechung die Rechtswirksamkeit eines Verzichts des Mieters auf Ersatz der von ihm auf das Bestandobjekt gemachten Aufwendungen betrifft, auf dessen Geltung nicht im Rahmen der Beurteilung des (dort:) Beseitigungsbegehrens, sondern in einem allenfalls von der Beklagten gegen die klagende Partei aktiv geführten Ersatzprozess einzugehen ist.
[15] 3. Für die von den Beklagten begehrte ergänzende Vertragsauslegung im Sinn eines Kündigungsverzichts der Bestandgeberseite (zumindest für 30 Jahre) fehlt es an einer entsprechenden Vertragslücke.
[16] 4. Die Beurteilung der „Ungewöhnlichkeit“ einer Klausel iSd § 864a ABGB ist von der Kasuistik des Einzelfalls geprägt und auf die singuläre Rechtsbeziehung der Streitteile zugeschnitten, sodass auch darin grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu erblicken ist (zB RS0122393). Sowohl ein Verzicht auf Investitionskostenersatz als auch die Befristung des Pachtvertrags sind aber für diese Art des Rechtsgeschäfts typische Vertragsbestimmungen (vgl RS0014625 [T1]), die hier nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde auch nicht versteckt waren (vgl RS0105643). Nach den voranstehenden Erwägungen kann die Frage, ob der Pachtvertrag als Vertragsformblatt nach § 864a ABGB zu qualifizieren ist, aber ohnedies dahingestellt bleiben.
[17] 5. Zusammenfassend ist die Revision der Beklagten mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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