European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E125165
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 688,92 EUR (darin 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Beklagte ist Eigentümerin des Bahnhofsgebäudes samt Parkplatz in L. Dieser Parkplatz reicht bis zur Hausmauer des Gebäudes. An der Hausmauer befindet sich ein mit Granitsteinen umfasster Lichtschacht, der früher als Kohleabwurfschacht verwendet wurde. Die Umfassung soll vor einem Eindringen des Wassers in das Gebäude schützen. Für die Kosten der Errichtung und Erhaltung des Gebäudes kommt die Beklagte auf. Sie beauftragte auch ein Unternehmen mit dem Winterdienst und der Grünflächenbetreuung. Über Auftrag der Beklagten, vertreten durch die ÖBB-Immobilien Management GmbH, waren die Schächte vor mehreren Jahren erneuert worden.
Die Klägerin verletzte sich bei einem Sturz über die erhöhte Einfassung dieses unbeleuchteten und nicht abgedeckten Lichtschachts.
Das Erstgericht gab dem auf eine deliktische Haftung der Beklagten gestützten Schadenersatz- und Feststellungsbegehren der Klägerin zur Gänze, das Berufungsgericht infolge eines Mitverschuldens der Klägerin hingegen nur zur Hälfte statt. Das Berufungsgericht bejahte eine Haftung der Beklagten nach § 1319 ABGB. Der Lichtschacht sei als Werk iSd § 1319 ABGB anzusehen. Dieses Werk sei mangelhaft, weil unbeleuchtet und ungesichert, gewesen. Die dadurch vom Lichtschacht ausgehende Gefahr sei für die Beklagte auch erkennbar und vorhersehbar gewesen.
Eine – von der Beklagten gewollte – Anwendung des § 1319a ABGB verneinte das Berufungsgericht, weil der Lichtschacht nicht einem Weg am Parkplatz gedient habe, sondern Teil des Bahnhofsgebäudes und nur gegen den Weg hin nicht zureichend abgesichert gewesen sei.
Die Beklagte sei Besitzerin (Halterin) des Bahnhofsgebäudes und des dazugehörigen Lichtschachts iSd § 1319 ABGB, weil sie als Eigentümerin in der Lage und durch ihre Beziehung zum Werk auch verpflichtet gewesen sei, durch die erforderlichen Vorkehrungen jegliche Gefahr abzuwenden. Die Beklagte komme auch für die Kosten der Errichtung und Erhaltung des Gebäudes auf und habe selbst die Schächte erneuern lassen. Die Beklagte habe ihre Haltereigenschaft auch nie in Abrede gestellt.
Auch wenn die ÖBB-Immobilien Management GmbH schon von Gesetzes wegen mit der Objektverwaltung betreut sei, habe auch die Beklagte selbst Aufgaben der Objektbetreuung vorgenommen. Der Beklagten sei jedenfalls vorzuwerfen, die von ihr in Auftrag gegebenen Arbeiten an den Lichtschächten nicht zumindest stichprobenweise überprüft zu haben.
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zur Frage der Haftung nach § 1319 ABGB im Zusammenhang mit der Aufgabenverteilung nach dem Bundesbahngesetz zugelassen. Dem schloss sich die Revisionswerberin zwecks Begründung der Zulässigkeit ihres Rechtsmittels nach § 502 Abs 1 ZPO an. Die Revision sei aber auch deshalb zulässig, weil das Berufungsgericht der Beklagten entgegen der herrschenden Rechtsprechung eine Verletzung von Überwachungspflichten vorwerfe, obwohl sie nicht Besitzerin des Werks sei.
Demgegenüber bestritt die Revisionsgegnerin das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung der Revision der Beklagten.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):
1. Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werks jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Besitzer des Gebäudes oder Werks zum Ersatz verpflichtet, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werks ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe (§ 1319 ABGB).
2. In der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurden bereits Schächte verschiedener Art als „Werk“ iSd § 1319 ABGB qualifiziert (2 Ob 36/13b Pkt 1.; 1 Ob 11/19b Pkt 2.1. je mwN; vgl 8 Ob 103/17f Pkt 1.). Dies hat auch für den vorliegenden Lichtschaft zu gelten.
3.1. § 1319 ABGB statuiert in erster Linie eine Haftung des Hauseigentümers, wenn nicht besondere Umstände zu einer abweichenden Beurteilung führen (Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek ABGB4 § 1319 Rz 8; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1319 ABGB Rz 12; RS0010100 [T16]; vgl RS0030049). Nach dem weiten „Besitzer“-Begriff (vgl RS0010100 [T21]) ist aber auch derjenige Besitzer bzw Halter, der in der Lage war, durch die erforderlichen Vorkehrungen die Gefahr rechtzeitig abzuwenden und hiezu auch durch eine Beziehung zu dem Gebäude oder Werk verpflichtet war (RS0010100). Nach der Rechtsprechung ist in analoger Anwendung des § 1319 ABGB auch der „Besitzer“ einer künstlich geschaffenen, nicht abgedeckten Bodenvertiefung haftbar (RS0029960; vgl auch RS0029932).
3.2. Die Auffassung der Vorinstanzen, die Beklagte sei nicht nur als Eigentümerin des Bahnhofsgebäudes (samt Lichtschacht), sondern – weil sie die Erneuerung des Lichtschachts in Auftrag gegeben und auch selbst Aufgaben der Objektbetreuung wahrgenommen hatte – im konkreten Einzelfall auch als Besitzerin iSd § 1319 ABGB anzusehen, ist nicht zu beanstanden. Welche Rechte und Pflichten daneben auch von der ÖBB-Immobilien Management GmbH (§ 24 Bundesbahngesetz) wahrgenommen werden bzw dieser von der Beklagten eingeräumt wurden, ist hier daher nicht weiter zu untersuchen.
4. Nach der Rechtsprechung verdrängt § 1319a ABGB als Spezialnorm dann die Bestimmung des § 1319 ABGB, wenn der Wegehalter gleichzeitig als Besitzer einer im Zuge des Weges bestehenden baulichen Anlage zu werten ist (8 Ob 103/17f Pkt 1. mwN). Als „im Zuge des Wegs befindliche Anlagen“ sind Anlagen iSd § 1319a Abs 2 ABGB zu verstehen, also solche, die dem Verkehr auf dem Weg dienen (RS0107589 [T5]) bzw wo die Funktion einer Baulichkeit als Verkehrsweg klar im Vordergrund steht (RS0107589 [T7]). Die Begründung der angefochtenen Entscheidung, dies sei hier nach den konkreten Umständen nicht der Fall, weil der Lichtschacht nicht dem Weg diente, entspricht den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen. Einerseits förderte der Lichtschacht nicht die bessere Benützbarkeit des Parkplatzes bzw diente nicht dem Fußgängerverkehr, andererseits sollte der Lichtschacht nach seiner Zweckbestimmung den Fußgängerverkehr aber auch nicht behindern (vgl 2 Ob 256/09z Pkt 1.; 8 Ob 103/17f Pkt 2.2.). Vielmehr sollte er das Gebäude vor eindringendem Wasser schützen.
5.1. Nach herrschender Rechtsprechung trifft den Halter des Werks eine Gefährdungshaftung, von der er sich nur durch den Beweis, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben, befreien kann (RS0023525 [T14]; RS0116783; 2 Ob 243/14w Pkt 2.2.).
5.2. Fragen des Entlastungsbeweises gemäß § 1319 letzter Halbsatz ABGB sind nur bei einer auffallenden Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen (2 Ob 47/14x; vgl RS0029874). Eine solche vermag die Beklagte im vorliegenden Einzelfall aber nicht aufzuzeigen. Aus der Entscheidung 8 Ob 53/14w, in der eine Überwachungspflicht der Flughafenbetreiberin in Form eines engmaschigen Kontrolldienstes gegenüber dem von ihr beauftragten selbständigen Reinigungsunternehmen verneint wurde, ist für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen. Eine einmalige durch Kot verunreinigte Stelle am Boden lässt sich mit dem seit Jahren bestehenden und für die Beklagte leicht erkennbar mangelhaften Lichtschacht nicht vergleichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]). Beim Revisionsstreitwert von 5.600 EUR beträgt der Ansatz nach TP 3C RATG 325 EUR.
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